Jorgitos Log

Narben des Terrors in einer kubanischen Familie

Jorgito Jerez Belisario

Die Kubanische Revolution schreibt unglaubliche Geschichten. Jorge Enrique Jeréz Belisario kam 1993 mit einer schweren spastischen Lähmung auf die Welt. Er selbst sagt, dass es Jorgito el Camagüeyano nur deshalb heute noch gibt, weil er unter der schützenden Hand der Revolution aufwachsen konnte. So verwirklicht er heute seinen Lebenstraum und studiert Journalismus. Sein ganzer Einsatz gilt der Befreiung der Cuban Five, die ihn ihrerseits wie einen Sohn behandeln.
Jorgito erzählt seine Geschichte auf seinem Blog (http://jorgitoxcuba.wordpress.com).
Die CUBA LIBRE ehrt er mit einer regelmäßigen Kolumne.

Mit diesen Zeilen erfülle ich eine Verpflichtung gegenüber meinem kürzlich verstorbenen Großvater väterlicherseits. Durch seine Taten und sein Erbe lebt er in mir weiter.

Dieser April war ein Monat trauriger Erinnerung für meine Familie, jährte sich einer der ersten Luft-Terror-Akte der Provinz Camagüey. Das Verbrechen geschah am 22. April 1963 auf dem volkseigenen Hof Argelio Lara im Dorf Sierra Maestra an der Südküste, vor der Revolution als die Reisfarm von Cadenas bekannt.

Die Luftpiraterie als illegitime Kampfmethode im Dienste der Konterrevolution kam sofort nach dem Volkssieg im Jahr 1959 auf.

Ihre Methode bestand darin, die Entwendung von Fluggeräten am Boden oder in der Luft durch Zivilisten, Piloten oder falsche Passagiere zu planen, auszuüben oder anzuregen. Anschließend wurden die Täter mit Pauken und Trompeten in Miami empfangen, ohne, dass sich jemand um die Todesopfer gekümmert hätte. Seit Eisenhower avancierte dieses Vorgehen zu einem der wichtigsten Hebel der feindseligen Politik unserer Nachbarn aus dem Norden.

Die wichtigste Gesetzgebung der Regierung nach dem Sieg der Revolution bestand in der ersten Agrarreform. Sie sorgte dafür, dass der Boden an diejenigen übergeben wurde, die ihn bearbeiten, legte die Auflösung des Großgrundbesitzes fest und entschied den Aufbau von volkseigenen Höfen, in deren Fall der Boden zurückgeholt, aber nicht zum Privateigentum der Bauern wurde.

Die Vergesellschaftung des Bodens ging in Camagüey, wie überall in Kuba, nicht ohne Störungen vor sich, denn sie wurde von einer Reaktion sowohl der einheimischen als auch der nordamerikanischen Oligarchie gefolgt.



In dieser Situation bekam mein Großvater Plácido Astor Jerez Góngora den Auftrag, mit meiner Großmutter Caridad Tejeda Roca an die Küste zu ziehen und die Gewerkschaftsarbeit in der Farm zu koordinieren. Mein Großvater war ein junger Revolutionär, der in der Untergrundbewegung gekämpft und sich um den Aufbauprozess der neuen Gesellschaft verdient gemacht hatte.

Auf der Farm gab es eine kleine Landebahn für Sprühflugzeuge, mit denen die Pflanzungen aus der Luft behandelt wurden. Zu dem Zeitpunkt, als meine Großeltern in das Dorf kamen, waren Sabotageakte an der Tagesordnung. Die revolutionäre Moral und Energie waren allerdings sehr hoch. Schließlich waren die, die bislang arm und ausgebeutet waren, zum ersten Mal Herren ihres Schicksals. Und so hielten die Bewohner selbst ein Auge auf das, was ihnen die Revolution übergeben hatte. Nach dem Bericht meines Großvaters versammelten sich am 22. April zu früher Stunde der Verwalter Alberto Becerra, Victor Romero und er in den Büroräumen der Farm, um Hinweise auf mögliche konterrevolutionäre Aktionen zu überprüfen.

In diesem Moment betrat ein kaufmännischer Angestellter mit Namen Marcos Fernández den Raum und tat – mit den Versammelten zugekehrten Rücken – so, als suchte er einige Dokumente in einem Aktenschrank. Als die Störung sich in die Länge zog, forderte der Verwalter den Besucher auf, den Raum zu verlassen. Dieser allerdings drehte sich plötzlich um, bedrohte die Anwesenden mit einer Schusswaffe, verkündete lautstark, er würde ein Sprühflugzeug entwenden, verlangte eine freie Flugbahn und äußerte Beschimpfungen.

Angesichts der bedrohlichen Situation versuchten mein Großvater und seine zwei Compañeros, den Angreifer davon zu überzeugen, die Waffe fallen zu lassen. Er solle doch begreifen, dass diese Art von Flugzeug unmöglich den langen Weg in die Vereinigten Staaten überstehen könne. Als der Entführer sah, dass die drei Arbeiter nicht vor ihm zurückwichen, eröffnete er das Feuer.

Mein Großvater und Victor, beide schwer verletzt, zückten die Waff en, die sie als Milizionäre am Leib trugen. Alberto jedoch erlitt einen Kopfschuss aus nächster Nähe und starb auf der Stelle. Victor Romero wurde ins Gesicht getroff en, aber die Kugel trat am Kiefer wieder aus, so dass er überlebte. Mein Großvater bekam einen Bauchschuss, die Kugel verletzte die Gedärme und blieb in der Leber stecken. Er erlitt schwere innere Blutungen, aber er überlebte.

Der Angreifer hatte einen Komplizen außerhalb des Büros, der meinem Großvater ebenfalls Verletzungen zufügte. Als sie ihre drei Opfer für tot glaubten, versuchten sie, sich in die Wildnis zurückzuziehen. Aber wie immer unterschätzten die Konterrevolutionäre das Volk, welches, kaum hörte es die Schüsse, herannahte und die Flüchtigen verfolgte. Angeführt von einem Mestizen namens Parmenio fi ng man die Flüchtigen ein und übergab sie der Justiz.

Im Laufe des Prozesses stellte sich heraus, dass das Geschehene Teil eines größeren Plans war. Wäre die Absicht nur die Flugzeugentführung gewesen, hätten die Kidnapper nicht im Büro auftauchen müssen. Der Tod der drei Funktionäre sollte den Tätern bei Ankunft in den USA eine erhöhte »Anerkennung« einbringen.

Um eben Akte dieser Art zu verhindern und das Leben von Unschuldigen zu retten, stellten Menschen wie Antonio, René, Fernando, Ramón und Gerardo die Interessen des Vaterlands über ihre persönlichen und gingen in die Vereinigten Staaten. Dieser kleine Text soll nicht nur an die Helden aus dem Jahr 1963 erinnern, sondern auch an unsere fünf Brüder, die seit fast 15 Jahren Gefangene in den Knästen des Imperiums sind, einzig und allein aufgrund des Vergehens, den Terrorismus bekämpft zu haben.

Jorgitos Blog:
http://jorgitoxcuba.wordpress.com/


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CUBA LIBRE 2-2013