Wir wissen genau, wer unsere wahren Freunde sind

Interview mit Gerardo Hernández von den Cuban Five

Gerardo Hernandez auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz

Gerardo Hernandez auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz, Foto: Gabriele Senft

CL: Gerardo, wie geht es dir und Deiner Familie?

Gerardo Hernández: Es geht uns Cuban Five allen gut, und unsere Angehörigen sind natürlich sehr glücklich. Nach so vielen Jahren der Trennung, des Leidens und des Kampfes sind wir letzten Endes in unsere Familien zurückgekehrt. Ich persönlich genieße bekanntlich mein Leben mit der kleinen Gema und somit einen Traum, der Wirklichkeit wurde. Vor wenigen Tagen ist sie ein Jahr alt geworden, was Adriana und mich überglücklich macht.

CL: Was habt Ihr im ersten Jahr der wiedergewonnenen Freiheit unternommen?

Gerardo Hernández: Wir waren ziemlich viel unterwegs und haben verschiedene Schulen und Universitäten besucht und dabei mit jungen Leute gesprochen. Auch an Arbeitsstätten haben wir von unseren Erfahrungen berichtet und dabei immer dem kubanischen Volk für seine Solidarität gedankt, mit der es uns jahrelang begleitet hat. Unsere Landsleute haben uns während der gesamten Dauer der Kampagne für die Cuban Five ihre Unterstützung und ihre Zuneigung ausgedrückt: Auf Demonstrationen, Kundgebungen, Veranstaltungen, in Briefen, mit Kinderzeichnungen. Aus dieser Unterstützung haben wir zu einem großen Teil unsere Motivation und unsere Kraft gezogen, und deshalb sehen wir uns ihnen in Dankbarkeit verpflichtet und versuchen, bis in die letzten Winkel unseres Landes zu gelangen.

CL: Du bist hier in Deutschland, wie an vielen anderen Orten auch, Menschen begegnet, mit denen Du intensive Briefwechsel hattest, die Du aber nie persönlich kennenlernen konntest …

Gerardo Hernandez auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz

Foto: Gabriele Senft

Gerardo Hernández: Ich tue mich immer noch schwer damit, mir klar zu machen, dass wir uns eigentlich noch nicht begegnet sind und uns jetzt zum ersten Mal gegenüber stehen. Nach so vielen Jahren enger Freundschaft, wenn auch in Fernbeziehung, sehe ich diese Menschen als einen Teil unserer großen Familie an. Ich könnte Dir Namen von Gefährtinnen und Gefährten aus Deutschland nennen, die uns über all die Jahre mit ihrem Engagement und ihrer Kampfkraft unterstützt und gestärkt haben. Da ich leider dann doch jemanden vergessen würde, verzichte ich darauf, aber die Betreffenden wissen, wen ich meine. Für mich ist dies eine ganz besondere Gelegenheit, nicht nur, weil sie mir die Chance gibt, mich für die Solidarität mit den Cuban Five zu bedanken. Adriana, meine Ehefrau, ist in all den Jahren mehrfach nach Deutschland gereist und wurde hier immer mit viel Zuneigung und Aufmerksamkeit empfangen. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um Euch für die uns und unseren Angehörigen gewährte Unterstützung zu danken.

CL: Nach 16 Jahren Gefangenschaft erlebst Du jetzt einen historischen Wandel in den Beziehungen zwischen den USA und Kuba. Wie bewertest Du diesen Prozess?

Gerardo Hernández: Ich denke, es handelt sich um einen Sieg der kubanischen Revolution, unseres Volkes, unserer Führung, unserer Demokratie und unseres diplomatischen Korps. Ich erinnere immer wieder gerne daran, dass die USA und ihre Lautsprecher, darunter auch Präsidenten, während langer Jahre den Mund sehr voll genommen haben: Mit Kuba gäbe es solange nichts zu verhandeln, wie - wie sie es ausdrücken - »die Castros an der Macht« seien, solange Kuba sozialistisch sei und sich nicht den US-Interessen beuge. Nichts davon ist eingetreten. Unser Präsident heißt immer noch Raúl Castro, unser wichtigster Richtungsweiser heißt immer noch Fidel Castro und ist glücklicherweise immer noch unter uns, und die kubanische Revolution ist mindestens genau so sozialistisch wie früher. Kuba hat nicht das kleinste seiner Prinzipien aufgegeben, hat keine Zugeständnisse gemacht. Und trotzdem mussten sich die USA an den Verhandlungstisch setzen und einräumen, dass ihre Kuba-Politik der letzten 50 Jahre gescheitert ist. Dies ist ganz offensichtlich ein Sieg für die kubanische Revolution. Das Ansehen der kubanischen Revolution in der Welt ist noch gewachsen angesichts der Tatsache, dass wir bis heute unseren Prinzipien treu geblieben sind. Die Geschichte hat gezeigt, dass wir auf der richtigen Seite gestanden haben. Natürlich sind wir uns dessen bewusst, dass wir durch diesen Prozess zwischen beiden Ländern vor neuen und wichtigen Herausforderungen stehen. Der Imperialismus hört nicht auf, Imperialismus zu sein, nur weil wir neuerdings diplomatische Beziehungen mit den USA pflegen.

Es gibt in den USA interessierte Kreise, die in der neuen Situation eine Gelegenheit sehen, die kubanische Revolution zu untergraben, unsere Gesellschaftsordnung umzuwälzen, ihre in 50 Jahren des Drucks und der Aggression unerreicht gebliebenen Ziele zu verwirklichen. Deshalb müssen wir kubanischen Revolutionäre wachsam bleiben. Wir bitten unsere Freundinnen und Freunde in der Welt darum, uns nicht zu unterschätzen, uns nicht für naiv zu halten. Wir sind uns über den Kern dieses Prozesses sehr wohl im Klaren. Wir wissen genau, wer unsere wahren Freunde sind. Wir stellen uns schlichtweg Herausforderungen, denen wir uns gewappnet sehen.

CL: Was sind Deiner Meinung nach die wichtigsten Herausforderungen, vor denen die Kuba-Solidaritätsbewegung in diesem Moment steht?

Gerardo Hernandez auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz

Foto: Gabriele Senft


Gerardo Hernández: Die US-Blockade besteht bekanntlich weiter, aller Rhetorik zum Trotz, allen Äußerungen zum Trotz, die aus der US-Administration zu hören sind. Der, wie wir sagen, mörderische Cuban Adjustment Act ist ungebrochen gültig. Das Gebiet der Militärbasis in Guantanamo ist weiterhin illegal von den USA blockiert. Es gibt Genossinnen und Genossen, die immer noch wegen ihrer Ideen in den USA oder anderswo im Gefängnis sitzen. All diese Auseinandersetzungen können zum Gegenstand der Kuba-Solidarität werden. Wir bitten deshalb unsere Brüder und Schwestern, die für die Freiheit der Cuban Five gekämpft haben, sich nicht zurückzuziehen, sondern Kuba und die Kämpfe, die uns in Zukunft erwarten, zu unterstützen.


In diesen Tagen sind wir Zeuge einer reaktionären Gegenoffensive seitens der Oligarchien in Ländern wie Venezuela, Argentinien oder Brasilien geworden, welche es nicht verschmerzt haben, dass diese Länder einen fortschrittlichen Kurs eingeschlagen haben. Es besteht die Gefahr, dass die revolutionären Entwicklungen in diesen Ländern zurückgedreht werden. Wir müssen heute mehr denn je unsere Solidarität mit dem Volk von Argentinien ausdrücken, mit dem Volk von Venezuela, mit dem Volk von Brasilien. Dies sollte in der internationalen Solidaritätsbewegung eine wesentliche Rolle spielen.

Für uns Kubaner ist von überlebensnotwendiger Bedeutung, einen funktionierenden Sozialismus aufzubauen, unter politischen, aber auch unter wirtschaftlicher Aspekten, um den Wohlstand unseres Volkes zu garantieren. In dieser Hinsicht ist noch viel zu tun, aber wir arbeiten weiterhin hart daran.

Gerardo Hernandez auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz

Foto: Gabriele Senft

Gerardo Hernandez auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz

Foto: Gabriele Senft

CL: Es ist ungefähr ein Jahr her, dass Fidel Castro nach einem Zusammentreffen mit Euch die Bemerkung machte, Euch würden demnächst Eure zukünftigen Aufgaben zugewiesen. Ist hierzu bereits eine Entscheidung zu vermelden?

Gerardo Hernández: Fidel hat in der Tat etwas in dieser Richtung gesagt, es ist aber falsch interpretiert worden. Fidel hat nie gemeint, uns würden in den kommenden Tagen konkrete Aufgaben zugewiesen werden. Das ist ein Missverständnis, denn nach meiner Auffassung wollte er auf etwas anderes hinaus. Aber natürlich ist es vorstellbar, dass wir fünf zu einem bestimmten Zeitpunkt eine bestimmte Aufgabe erhalten. Dazu befragt, sage ich immer, dass ich keine andere persönliche Vorstellung oder keinen Plan habe als den, der kubanischen Revolution dort zu dienen, wo meine Tätigkeit als nützlich erachtet wird. Mein Fachbereich sind die internationalen Beziehungen, aber es muss nicht in diesem Bereich sein. Ich habe nie irgendwelche Wünsche ausgedrückt, nur den, unserem Volk dort zu dienen, wo ich nützlich sein kann. Wie ein Soldat warte ich darauf, dass man mir eine beliebige Aufgabe zuweist.

CUBA LIBRE Das Interview führte Tobias Kriele am 13. Januar 2016

CUBA LIBRE 2-2016