Die Geschichte der St. Louis

Aus Zeiten, in denen sich Kuba an der Seite von Deutschland und den USA an der Verfolgung der europäischen Juden beteiligte.

Die St. Louis im Hafen von Hamburg
Die St. Louis im Hafen von Hamburg

Am 13. Mai 1939 brach das Transatlantik-Passagierschiff St. Louis vom Hamburger Hafen in Richtung Kuba auf. An Bord des „Kraft durch Freude“-Dampfers waren dieses Mal keine Touristen, sondern mehr als 900 jüdische Passagiere, die unter dem Eindruck der mit der Reichspogromnacht verschärften Gewalt gegen Juden das Land verlassen wollten. Zum damaligen Zeitpunkt orientierten die Faschisten noch darauf, die Jüdinnen und Juden zur Ausreise zu zwingen – und Kuba war hier ein mögliches Ausreiseziel.

Zunächst hatte die kubanische Regierung unter Lardeo Brú, dem Strohmann, hinter dem der Armeechef Fulgencio Batista regierte, ihre Bereitschaft zur Aufnahme der Flüchtlinge erklärt. Diese Zusicherung wurde von Brú allerdings am 5. Mai 1939 wieder zurückgenommen – acht Tage vor der Abreise der St. Louis. Die Reederei HAPAG hielt eine Landung der Passagiere in Havanna für möglich, verlangte aber dennoch zur Sicherheit die Bezahlung einer eventuellen Rückfahrt im Voraus.

Ebenfalls noch vor der Abreise hatte Primitivo Rodríguez vom Partido Auténtico zur größten antisemitischen Demonstration in Kuba aller Zeiten aufgerufen. 40.000 Kubaner demonstrierten am 8. Mai 1939 gegen die Anwesenheit von Jüdinnen und Juden auf der Insel. Aber es gab auch andere Stimmen: Der Intellektuelle Fernando Ortíz, Vorkämpfer des Anti-Rassismus in Kuba, rief die Kubanerinnen und Kubaner zum Kampf gegen die "verfluchten Rassisten" auf. Für die Passagiere der St. Louis kam diese Hilfe damals zu spät. Am 27. Mai 1939 in Havanna angekommen, wurde ihnen trotz ausgestellter (und mittlerweile widerrufener) Visa das Verlassen des Ozeandampfers untersagt. Nach Verhandlungen des Kapitäns Gustav Schröder mit den kubanischen Behörden durften lediglich zwei Dutzend Passagiere in Havanna an Land gehen.

Jüdische Flüchtlinge an Bord der MS St. Louis

Jüdische Flüchtlinge an Bord der MS St. Louis im Hafen von Havanna, wo sie nicht an Land durften



Am 2. Juni 1939 musste die St. Louis den Hafen von Havanna wieder verlassen und kreuzte in der Karibik, um die Antwort auf ein Hilfegesuch abzuwarten, das der Kapitän an die US-Regierung gestellt hatte. Tatsächlich sahen die wenigsten der Passagiere in Kuba das Ziel ihrer Ausreise, die meisten wollten nach einem kurzen Aufenthalt in Havanna ihren Weg in die USA fortsetzen.

US-Präsident Roosevelt lehnte es am 4. Juni 1939 aber ab, das Anlegen des Schiffes in einem US-Hafen zuzulassen. HAPAG ordnete daraufhin die Rückkehr nach Europa an, zum Entsetzen der Flüchtlinge an Bord. Kapitän Schröder erwog, einen Maschinenschaden vor der englischen Küste vorzutäuschen, um einen Verbleib der vermeintlich Schiffbrüchigen in England möglich zu machen. Schließlich gestattete die belgische Regierung die Anlandung in Antwerpen; von dort wurden die Flüchtlinge in die Niederlande, nach Frankreich und nach England aufgeteilt. Für viele war es nur eine vermeintliche Rettung. Durch die faschistische Besetzung gerieten viele der auf dem Kontinent verbliebenen Flüchtlinge später wieder in die Fänge der Nazis; 254 von ihnen wurden in der Vernichtungsmaschinerie ermordet.



Die Geschichte der St. Louis führt eindrücklich vor Augen, dass, wer sich gegen Flüchtlinge abschottet, den massenhaften Tod von Menschen in Kauf nimmt. Das heutige Kuba beteiligt sich weder an antisemitischer oder rassistischer Verfolgung noch an der Abschottungspolitik – Dank tiefgehender gesellschaftlicher Veränderungen, die durch das Ende der Batista-Diktatur und die Revolution im Jahr 1959 Wirklichkeit geworden sind.

CUBA LIBRE Tobias Kriele

CUBA LIBRE 2-2017