Das Festival ist kein Unternehmen

Ein Interview mit Iván Giroud, dem gegenwärtigen Präsidenten des Internationalen Festivals des Neuen Lateinamerikanischen Films in Havanna.



37. Internationales Festival des Neuen Lateinamerikanischen Films Das Internationale Festival des Neuen Lateinamerikanischen Films, das es jetzt fast vier Jahrzehnte gibt, ist einer der vielen Meilensteine, die Kuba in der breiten kulturellen und künstlerischen Landschaft Unseres Amerikas gesetzt hat. Seit es im Jahr 1979 ins Leben gerufen wurde, hat es denen eine wichtige Plattform ermöglicht, die ein sozial engagiertes Kino vorausahnten und einleiteten. Das Festival hat eine beachtliche, äußerst schillernde historische Periode Kubas als unbestritten prioritäres Projekt durchlaufen und seine Nachhaltigkeit war eine konstante Herausforderung für das Land. Dazu sprach La Jiribilla mit Iván Giroud, seinem gegenwärtigen Präsidenten.

Internationales Festival des Neuen Lateinamerikanischen Films 2015

Wie haben sich die Kriterien der Nachhaltigkeit des Festivals seit seiner Gründung bis heute verändert?

Das Festival konnte der ökonomischen Wirklichkeit des Landes, der Welt, der Entwicklung, den Veränderungen nicht entkommen. Da es ein Ereignis ist, das jetzt 37 Jahre alt wird, kann man die Modulationen, die über die Jahre stattfanden, gut verfolgen. Es begann als ein Event in einem einzigen Kinosaal im Jahr 1979. Es war dies die erste Veranstaltung zum lateinamerikanischen Film, die hier in Kuba gemacht wurde. Zu jener Zeit sah man kaum lateinamerikanisches Kino, vor allem, weil es in der Region nicht viel Entwicklung gab. In der Mehrheit der Länder Lateinamerikas herrschten Diktaturen. Und da hat Havanna die Türen geöffnet und mit einem kleinen Festival begonnen, das nach und nach an Umfang, an Dimension und an Örtlichkeiten zugenommen hat. Bei seiner fünften Auflage wurde dann die Stiftung des Neuen Lateinamerikanischen Films ins Leben gerufen und ein Jahr darauf hat diese dann die Internationale Schule für Film und Fernsehen von San Antonio de los Baños (EICTV) geschaffen. Zu jener Zeit konnte man die Filme des Festivals im ganzen Land sehen. Das waren die Jahre in denen es den RGW gab. Es war Geld vorhanden, es waren andere Zeiten.

Damals gab es nicht so viele Filmschulen wie heute. Es gab auch nicht so viele Filmfestivals, wie es sie heutzutage in Lateinamerika gibt, weil auch nicht so viele Filme produziert wurden. Die ganze Welt hat sich verändert. Damals wurde das Festival vollkommen vom kubanischen Staat subventioniert. So sehr, dass man von der Zahl der eingeladenen Gäste, den Anzahl von Filmen, von Spielfilmen, heute nur noch träumen kann. Zu jenen Zeiten kann man nicht mehr zurückkehren. Alles ist heute zehnmal so teuer wie früher, auch wenn die Technologie etwas im Preis gesunken ist …

Das heißt, alles war subventioniert …

Absolut alles war vom Staat subventioniert. Als die Sonderperiode kam, veränderte sich das Land, es musste sich neu erfinden und das Festival musste dies auch. Das waren Jahre, in denen das kubanische Kino nicht einen einzigen Film hatte, den es aufführen konnte. Und das ICAIC überlebte als eine der wenigen Kulturindustrien des Landes dank der ausländischen Unternehmen, die kamen, um in Kuba Fernsehserien und Filme zu drehen, an deren Namen wir uns nicht einmal erinnern. Vom ästhetischen Standpunkt aus kann man kritisieren, aber man muss dabei bedenken, dass diese Produktionen uns halfen, die Arbeitsstellen vieler zu erhalten und zu erreichen, dass das ICAIC kein Klotz am Bein war und ein paar, wenn auch sehr wenige, Filme machen konnte.

Das Festival konnte aber auch nicht der Produktion das Geld wegnehmen. Da kam uns die Idee – natürlich war das eine Entscheidung von Alfredo Guevara -, die Werbung mit einzubeziehen. So machte man ende der 90er Jahre damit Geld, ohne dem ICAIC oder der nationalen Produktion Geld zu entziehen. Mit der Unterstützung des Büros der Iberoamerikanischen Kooperation in Spanien und der Generalstiftung der Autoren und Verleger (SGAE), ebenfalls spanisch, konnten wir den Haushalt ausgleichen und es gelang uns zu überleben.

Man ist sich bewusst, dass das Festival für das Land, für die Kultur und auch für die Stadt unverzichtbar ist. Havanna verändert sich ein bisschen während der Zeit. Man darf nicht nur darauf sehen, was man ausgibt, sondern sollte auch bedenken, was man hervorruft. Das Festival bewegt die Menschen, die speziell kommen, um daran teilzunehmen. Mehr als tausend Menschen. Wie viel geben sie aus, wo und wie. Das ist Geld, das das Festival der Wirtschaft der Stadt zurückgibt. Es aktiviert, es dynamisiert sie. Von dem angefangen, der Erdnüsse vor dem Eingang des "Yara" Kinos verkauft, bis zu dem, der ein Zimmer vermietet, dem "Paladar" an der Ecke, dem Hotel gegenüber. Biennale geschieht. Wie viel Tourismus kam zur Biennale? Welches Organisationsvolumen, welche Verkaufszahlen brachte sie hervor? Es gibt viele Städte, die die Organisation solcher Events übernehmen, weil sie eine wirtschaftliche Dynamik mit sich bringen.

Wir versuchen, externe wie auch interne Quellen zur Finanzierung aufzutun. Im Augenblick durchschreiten wir eine Krise, einen Paradigmenwechsel: Das Zelluloid ist verschwunden und aus diesem Grund gehören die Projektoren, die wir in den Kinos haben, der Vergangenheit an; es findet der Schritt vom analogen zum digitalen Kino statt. Das Konsumverhalten beim Kino hat sich gewandelt. Unsere Kinos sind auch nicht das Paradies …

Der fundamentale Wert des Festivals liegt in der Qualität des Programms und diese Qualität muss besser gehütet werden. Wir tendieren zu einer selektiveren, gesünderen Auswahl. Es gab Festivals, an denen wir 500 Filme hatten, aber sie konnten jeweils nur einmal gezeigt werden, zu mehr war nicht die Zeit da. Früher hatten wir 22 Kinosäle zur Verfügung, heute sind es gerade mal elf.

Die Leute nehmen noch Urlaub, um am Festival teilzunehmen. Es ist weiterhin attraktiv, aber es gibt eine andere Art es aufzunehmen. Die Überalterung eines gewissen Teiles der Bevölkerung, der das Festival von seinen Anfängen verfolgt hat, und die sich daraus ergebende Notwendigkeit, ein neues Publikum zu gewinnen, sind Veränderungen, auf die das Festival sehr sensibel reagieren muss.

Wir machen weiter das Festival so, dass das Publikum teilnehmen kann. Was sind zwei kubanische Peso? Nichts. Meine Meinung, die ich überall vertrete, ist die, dass man die Preise nicht anheben kann, solange sich der Zustand unserer Kinos nicht verbessert.

Wie weit kann der Staat Hauptquelle der Subvention sein? Wann wird das Festival vom Nachhaltigsein ins Rentabelsein übergehen?

Nie. Es wird nie rentabel sein und wenn man das vorhätte, käme dies auf jeden Fall einem Selbstmord oder einem Mord gleich. Wir müssen die Ressourcen, die uns zur Verfügung stehen, verantwortlich verwalten und Einkünfte erzielen, die den Haushalt ergänzen. Wir können nur ein Festival machen, das dem Land, in dem wir leben, entspricht, und dürfen uns nicht etwas vornehmen, das wir nicht leisten können, keinen roten Teppich und keine Limousinen. Eine andere Sache ist, darüber nachzudenken, wie wir es ohne starke Mäzene profitabler machen. Alles ist stark miteinander verknüpft. Wenn man nicht in die Reparatur der Kinos investiert, kann man die Preise nicht anheben. Die Preise können auch wegen der Löhne nicht angehoben werden. Alles ist sehr mit der Wirtschaft des Landes verwoben. Wir können also nicht danach trachten, dass das Festival sich wie ein Unternehmer selber trägt. Das Festivals ist kein Unternehmen. Es ist ein kulturelles, öffentliches und soziales Ereignis, das Ressourcen erzeugt, die wir aber nicht erhalten. Die werden von der Wirtschaft der Stadt, der Privatwirtschaft und der öffentlichen Wirtschaft, absorbiert, aber es ist definitiv Geld, das bleibt und das in Umlauf kommt. Wenn du mich fragst, wann wir rentabel sein werden: Nie!

Welches sind neben dem Staat die wichtigsten Sponsoren und unter welchen Bedingungen werden diese Beziehungen ausgehandelt?

Der wichtigst Sponsor ist im Augenblick das SGAE. Es ist eine Gesellschaft, die international die Autorenrechte einfordert. Sie haben die SGAE Stiftung, die eine wichtige Schirmherrschaft für das Festival übernimmt und natürlich auch für den Drehbuchwettbewerb. Sie geben uns einen Fonds, der uns sehr nützt und der natürlich von außen kommt.

Hat das Festival auch Erfahrungen und Dynamik anderer Festivals, die auf der Welt stattfinden, übernommen oder verfolgt es sein eigenes Modell?

Ich habe bereits betont, dass wir in der Realität eingebettet sind. Oder wie man sagt: "Der Karren kann nicht vor dem Ochsen laufen." Wir verfolgen die anderen Festivals auf der Welt sehr genau, aber was soll ich dir sagen? Cannes hat einen Haushalt von 50 Millionen Euro, San Sebastian einen von acht und Toronto muss so zwischen 30 und 40 Millionen oder mehr haben. Es ist unmöglich, so etwas anzustreben. Genauso, wie es unmöglich ist, einen Film des kubanischen Kinos mit einem Film "Made in Hollywood" zu vergleichen. Wir folgen unserem Maßstab, dem Maßstab der Karibik.

Heute haben wir es mit einem interessanten Phänomen zu tun: Die Festivals sind nicht nur der Ort, an dem bestimmte Filme gezeigt werden. Sie spielen auch eine wichtige Rolle bei der Endfinanzierung von filmen. Und das bedingt in gewisser Weise einen Typ Kino für einen Typ Markt. Das ist ein komplexes Thema. Also, wir können nicht das machen, was Buenos Aires mit dem Event "Fenster Süd" macht. Wir würden gern, aber wir können es nicht. Es fehlen die Ressourcen. Es geht schon darum, zu gucken, was wir von anderen übernehmen können, und zu versuchen, nicht abgehängt zu werden. Wir sind im Augenblick dabei, bestimmte Dinge zu verändern, aber wir können nur so weit gehen, wie es uns die Wirtschaft des Landes und die Räume erlauben, in denen sich das Festival abspielt.

Bis zu welchem Punkt bedingen die technologischen Veränderungen hin zum digitalen Kino die Entwicklung des Festivals? Wie viele Kinos sind für das 37. Festival ausgestattet?

Das ist der "Kampf", in dem wir uns befinden. Im letzten Jahr hatten wir die Chance, mit dem argentinischen Film "Relatos salvajes" eine öffentliche Vorführung des digitalen Kinos im "Karl Marx" Theater zu machen. Und da konnte man sehen, dass es dafür keine Konkurrenz gibt. Wenn man sich einen Film unter diesen Bedingungen ansehen kann, kann ihn kein PC, kein Tablet und kein Smart Phone übertreffen. Trotz allem war dies eine Veranstaltung, die mehr auf Zufall beruhte. Alles war improvisiert: der digitale Projektor 4K war gemietet, der Ton wurde verstärkt. In diesem Jahr unternimmt man große Anstrengungen. Natürlich hat das Kulturministerium auch nicht genügend Geld. Das ICAIC hat nur die Kinos, aber das MINCULT hat für die Theater, die Kinos, die Museen, die Galerien, die Kunstschulen und alles Mögliche zu sorgen und hier kann man natürlich nicht über Prioritäten diskutieren. Ich kämpfe für das, was mir zusteht. Wir haben jetzt zwei digitale 4K Projektoren gekauft. Der, den wir im "Karl Marx" gesehen haben, steht heute im "Yara" und ein anderer im "Chaplin". Wir erwarten eine Spende aus Frankreich, die an das Kino "La Rampa" gehen soll, und wir, das Festival, verhandeln über einen weiteren 4K mit Italien der für das Kino "23 und 12" gedacht ist. Es gibt möglicherweise einen weiteren der vom MINCULT kommt, der dann im "Riviera" stehen soll, so dass, wenn die Götter uns helfen, die wichtigsten Kinos des Festivals mit dieser Technologie ausgestattet sein werden.

Das bedingt eine Reduzierung des Programms. Aber es wird nicht die Qualität des Festivals beeinträchtigen: Wir werden jetzt versuchen, mit weniger mehr zu machen, denn Filme gibt es nicht umsonst. Die Aufführungsrechte können zwischen 600 und 800 Euro pro Vorstellung kosten. Auch wir bekommen sie nicht gratis. Man weiß außerdem, dass wir keinen Gewinn mit den Filmvorführungen machen. Es ist ein absolut kulturelles Ereignis und zu unseren Gunsten spricht auch die Verliebtheit der Regisseure in das Publikum. Das alles hat das Publikum erreicht, sonst niemand.

Ein Regisseur übernachtet im Habana Libre und als er morgens aufsteht und aus dem Fenster blickt, sieht er, dass die Schlange von Leuten vor dem "Yara", die seinen Film sehen wollen, um den ganzen Häuserblock geht. Das ist Alberto Lecchi mit seinem ersten Film passiert und dass wird er nie vergessen. Deswegen möchte er immer, dass seine Filme in Havanna gezeigt werden. Das Festival ist sehr beliebt und überall in der Welt des Kinos sehr angesehen.

Müssen die Bemühungen um Sponsoren in der nächsten Zeit verstärkt werden?

Ja, sie müssen ansteigen. Ich habe in dieser Hinsicht allerdings momentan noch keine Perspektive. Das sage ich dir ehrlich für den Fall, dass du auf etwas Konkretes aus warst.

Es spielt strategisches und taktisches Denken eine Rolle. Zunächst mal möchte ich, dass alle Kinos richtig ausgestattet sind. Zuerst hatten wir das "Chaplin", dann das "Yara". Dieses Jahr möchte ich drei oder vier Kinos modernisiert haben. Also übe ich in dieser Richtung Druck aus, denn ich weiß, dass das wichtig ist – nicht für mich und auch nicht für die, die das Festival machen, sondern für die Stadt, für das Publikum, für die Kultur, für das Land, für das lateinamerikanische Kino. Alle diese Festivals, die es heute auf dem Kontinent gibt oder doch zumindest ein sehr hoher Prozentsatz, gehen auf Kuba zurück, weil wir das Festival ins Leben gerufen haben, und die EICTV geschaffen und aufgebaut haben. Also können wir nicht so viel auf dem Meer gesegelt sein, um dann am Ufer zu sterben. Wegen unserer mangelnden Ressourcen sind wir nicht da, wo wir sein wollen, aber wir müssen weiterhin ein Referenzpunkt bleiben. (La Jiribilla)

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Antonio Enrique González
Granma Internacional, Dezember 2015