Auf der »Kojotenroute«

Traumziel USA: Von Behörden schikaniert, von Schleusern ausgenommen, schildern Kubaner ihre Odyssee durch Mittelamerika.

Die Regierungen von zwölf Ländern der Region wollen am morgigen Dienstag in El Salvador über eine Lösung der Migrationskrise in Zentralamerika verhandeln. Neben mittelamerikanischen Staaten sind auch Kuba, Ecuador, Kolumbien und Mexiko eingeladen.

Hunderte kubanische Migranten waren vor gut einer Woche an der Grenze zwischen Costa Rica und Nicaragua gestrandet, zahlreiche weitere sind noch unterwegs. Als »Kojoten« bezeichnete Schlepper schleusen sie oft von Ecuador aus, das von Kubanern kein Visum verlangt, durch ein halbes Dutzend Länder bis an die Grenze ihres Traumziels USA. Dort erhalten Kubaner – im Gegensatz zu anderen Lateinamerikanern – bislang auch nach »illegaler« Einreise ein Aufenthaltsrecht auf Lebenszeit und weitere Privilegien.

Die Aussichten auf einen Durchbruch bei dem Gipfeltreffen sind gering. Nicaragua lehnte bereits den Vorschlag ab, einen »humanitären Korridor« für die Kubaner einzurichten. Durch einen solchen würde die Diskriminierung anderer Migranten aus der Region als »Bürger zweiter und dritter Kategorie« faktisch legitimiert.

In Telefoninterviews mit Bloggern und Journalisten schilderten einige kubanische Migranten aus dem Grenzort Peñas Blancas (Costa Rica) ihre Odyssee auf der »Kojotenroute«. »Dieser Weg ist schwierig, gefährlich und teuer«, weiß die 34jährige Krankenschwester Nasandy Soto, die mit ihrem Mann Eduardo Valdez seit gut drei Wochen unterwegs ist. Die beiden hätten Auto und Haus in Havanna verkauft, um der Armut in Kuba zu entkommen und in den USA ihren »amerikanischen Traum« zu verwirklichen, sagt sie. Der Informatiker Asdrúbal, dessen Verlobte Isabel täglich in der kubanischen Hauptstadt fieberhaft seinen aktuellen Lagebericht erwartet, nennt einen anderen Grund für die Ausreise: »Ich habe mich im Studium ins Zeug gelegt, um bessere Chancen zu haben und Wertschätzung zu erfahren«, berichtet er. Im Beruf sei er dann aber mit einer »Gleichmacherei« konfrontiert worden, die er für nicht gerechtfertigt halte, da sich nicht alle gleichermaßen engagieren. »Anstrengungen und Können werden nicht gewürdigt, deshalb bin ich gegangen«, resümiert er frustriert. In Miami verbreitet die Exilkubanerin Georgina Fernández indes ihre eigene Sicht. Ihr 21jähriger Neffe Adonis Paéz sei wie »all die anderen Männer, Frauen und Kinder aus einer Diktatur geflohen«, behauptet sie. Die kubanische Journalistin Rachel D. Rojas steht seit Tagen im Telefonkontakt mit einem jungen Bekannten, der es vorzieht, anonym zu bleiben, um nicht zur Zielscheibe von Contras zu werden. Er suche nach »anderen Möglichkeiten«, um sich zu verwirklichen, fühle sich aber trotzdem als Kubaner und träume davon, später ohne Probleme in sein Land zurückkehren zu können, erklärt der junge Migrant. Zwar verurteile er die Schließung der Grenze und den Polizeieinsatz der Regierung von Nicaragua, wolle aber nicht gegen die Gesetze irgendeines lateinamerikanischen Landes verstoßen, fügt er hinzu.

Unabhängig von ihren unterschiedlichen politischen Ansichten schildern alle Betroffenen ähnliche Erlebnisse. Die Gebühren für die Reisepässe in Kuba und die in Havanna gekauften Flugtickets nach Ecuador waren ihre letzten Ausgaben zu offiziellen Tarifen. Danach übernahmen die »Kojoten« das Geschäft, das pro Migrant bis zu 15.000 Dollar einbringt. Auf dem Weg durch Kolumbien, erzählt Asdrúbal, mussten sich seine Begleiter und er drei Tage lang vor der Polizei, den Gefahren und der Gewalt in diesem Land in acht nehmen. Die Polizisten hätten sich dort auch dafür bezahlen lassen, sie nicht an die Einwanderungsbehörden zu überstellen. In der Hafenstadt Turbo fanden sie ein Boot, das sie für 500 Dollar nach Puerto Obaldía (Panama) übersetzte. Der normale Preis beträgt pro Person 55.000 Kolumbianische Peso, umgerechnet knapp 18 Dollar. Auch andere verdienen gut an den Migranten. Obwohl Air Panama offiziell 105 Dollar als Normaltarif angibt, zahlten die Kubaner zwischen 200 und 300 Dollar für den Flug von Puerto Obaldía nach Panama-Stadt. Da die Behörden ihnen 72 Stunden Zeit zum Verlassen des Landes gegeben hatten, seien sie dann für 21 Dollar mit dem Bus bis zur Stadt Paso Canoas gefahren, durch welche die Grenze mit ­Costa Rica verläuft. Dort verschlechterte sich ihre Lage weiter. Nachdem die Behörden einen kriminellen Schleuserring zerschlagen hatten, verschärfte Costa Rica die Grenzkontrollen. Um ihre Weiterreise zu erzwingen, blockierten daraufhin Hunderte Kubaner die Straßen des kleinen Ortes, bis die Behörden in San José Visa zur Durchreise ausstellten, ohne dies jedoch dem Nachbarland Nicaragua mitzuteilen. Also kam es beim nächsten Grenzübertritt erneut zum Eklat. Etliche Migranten stürmten gewaltsam einen Grenzposten. Managua warf Costa ­Rica die Missachtung seiner Souveränität vor und verweigerte die Weiterreise ohne Erlaubnis und Registrierung, da Kuba eines von 41 Ländern ist, deren Bürger ein Visum benötigen. Augenzeugen berichten, dass Ordnungskräfte Tränengas einsetzten. Seitdem sitzen die kubanischen Migranten, viele von ihnen mit Kindern, im Grenzort Peñas Blancas fest.

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

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Volker Hermsdorf
Junge Welt, 23.11.2015