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Streitfrage: Kuba unter Raúl Castro
Wandel oder Kontinuität?


Es debattieren: Heinz Langer, Jahrgang 1935, von 1975 bis 1979 und von 1983 bis 1986 DDR-Botschafter in Kuba, jetzt aktiv u.a. in der Freundschaftsgesellschaft BRD–Kuba und Prof. Dr. Michael Zeuske, Jahrgang 1952, seit 1993 Professor für iberische und lateinamerikanische Geschichte an der Universität Köln, Autor mehrerer Bücher zu Kuba und Lateinamerika.

Das Erreichte als Ausgangspunkt


Von Heinz Langer

In Kuba hat der Rückzug Fidel Castros von seinen staatlichen Ämtern nicht zu einer tiefgreifenden Veränderung, die eine kontinuierliche Entwicklung der Revolution in Frage stellen würde, geführt. Fidel Castro selbst hat begründet, welche Faktoren die eigentliche Gefahr für den sozialistischen Entwicklungsprozess sein könnten. In erster Linie begründete er, dass dies die eigenen, die subjektiven Fehler wären und setzte sich gründlich und sehr kritisch mit diesen auseinander. Bemerkenswert sind seine Folgerungen, die er aus der dargelegten erfolgreichen Entwicklung gezogen hat: »Aber wir müssen das, was wir bisher erreicht haben, als Ausgangspunkt verstehen«. Mit diesen wohlüberlegten Gedanken hat Fidel Castro selbst zum Ausdruck gebracht, dass die Kontinuität in den ständigen, dynamischen Veränderungen zur Erreichung der Ziele der Revolution begründet ist.
Diese Art der kritischen Analyse der Fehler und hemmenden Faktoren wurde besonders vom Revolutionsführer Castro geprägt und formte die offene, frische Art der Aussprachen der Führung mit der Bevölkerung. Sie wurde auch zur wertvollsten Charakteristik für das Schöpfertum der Kommunistischen Partei Kubas, dem eigentlichen Garanten für Kontinuität der gesellschaftlichen Entwicklung. Außenminister Felipe Pérez Roque schätzte die Rolle Fidel Castros sehr treffend ein: »Er ist der erste, der nicht einverstanden ist, wenn etwas nicht gut läuft. Er ist der größte Kritiker unseres Aufbauwerkes, und das ist die Besonderheit unseres Prozesses.«

Jemand, der die fast täglich publizierten Artikel Fidel Castros verfolgt, weiß, dass er auch heute noch mit seiner Meinung die Richtung angibt. Er ist noch Erster Sekretär der Partei und Raúl Castro, sein Nachfolger in den staatlichen Ämtern, hat sich von den Abgeordneten der obersten Volksvertretung ausdrücklich die Erlaubnis eingeholt, »die Entscheidungen mit besonderer Tragweite für die Zukunft der Nation, (...) weiterhin mit dem Anführer der Revolution, dem Genossen Fidel Castro Ruz, zu beraten«. In der Tat bezog sich Raúl Castro in allen seinen Reden als Vorsitzender des Staats- und Ministerrates auf Aussagen seines Bruders Fidel.
Ein weiterer Ausdruck des festen Willens zur entschlossenen Fortsetzung der Revolution ist das VI. Plenum des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei, das die wichtigsten Aufgaben behandelte und festlegte, dass in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres der bereits längst überfällige VI. Parteitag stattfinden soll. Dieser Parteitag wird eine entscheidende Bedeutung haben, da er die weitere gesellschaftliche Entwicklung Kubas bestimmen muss. Es wird eine neue Etappe nach den harten Jahren der Spezialperiode, die manche Ungleichheiten und Verwerfungen gebracht hat, eingeleitet. Wichtige Reformen müssen, wie sich das in den vergangenen Jahren bereits abzeichnete, begonnen bzw. weitergeführt werden. Fidel Castro hat schon in den Jahren 2005 und 2006 auf die Lösung dringender Probleme, wie die Energieversorgung, die Wohnungssituation, den Transport und die Lebensstandards hingewiesen. Diese Reformen wurden, trotz vieler äußerer und auch innerer Schwierigkeiten, erfolgreich begonnen.

Raúl Castro rückte auf dem Plenum die Produktion von Lebensmitteln und die Versorgung der Bevölkerung in den Mittelpunkt. Dazu wurden wirksame Reformen für die Landverteilung und der effektiven Nutzung des Ackerbodens, Veränderungen der Aufkaufpreise und andere Maßnahmen beschlossen. Es ist ein unerträglicher Zustand, dass 85 Prozent dessen, was die Kubaner verzehren, aus Importen stammt. Dafür mussten 1,6 Milliarden Dollar gezahlt werden. In diesem Jahr wurden über 786 Millionen Dollar mehr aufgebracht, um die gleiche Menge Lebensmittel wie im vergangene Jahr zu importieren. Über 50 Prozent des kultivierbaren Bodens liegen brach. Der Preis für Nickel, eine der wichtigsten Deviseneinnahme Kubas auf dem Weltmarkt, ist dramatisch gesunken. Maßnahmen wurden in fast allen anderen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens eingeleitet, wie im Lohngefüge, in der Sozialgesetzgebung, in der Volksbildung, in der Arbeit der Kulturschaffenden und Künstler, die Anpassung der staatlichen Verwaltung an die neuen Bedingungen und andere, die die Dynamik der Revolution kennzeichnen.

Grundlagen sind, wie so oft in der Geschichte der Revolution, die Hinweise aus der großen Befragung der Bevölkerung im September vergangenen Jahres. Der operative, auf schnelle Ergebnisse orientierte Arbeitsstil Raúl Castros lässt erkennen, dass die vielen begonnenen Maßnahmen der Durchsetzung der strategischen Ziele des Sozialismus unter den jetzigen Bedingungen dienen. In der Parteiführung wurden operative Arbeitsgruppen gebildet (Wirtschaft und Landwirtschaft, Ideologie und Kultur, Volksbildung, Wissenschaft und Sport, Volksgesundheit und Internationale Beziehungen), die schnell und unbürokratisch mithelfen sollen, die anstehenden Aufgaben zu lösen. Es spricht für die feste Absicht der Führung des Landes, die großen Aufgaben effektiv, zuverlässig und mit Kontinuität zu bewältigen. Nicht zufällig wurden dafür die alten, bewährten Mitkämpfer in die Verantwortung genommen, so dass Raúl Castro sich auf vertraute, erprobte Gefährten verlassen kann. Es ist nicht auszuschließen, dass in diesen Kommissionen auch die Grundsätze für den kommenden Parteitag, dessen offizielle Ankündigung Ende dieses Jahres erfolgen soll, ausgearbeitet werden.

So etwa ist die nahe Zukunft Kubas konzipiert. Um jedoch die Ausgangslage wiederherzustellen, müssen die gewaltigen Schäden, die durch die Hurrikane »Gustav« und »Ike« dem Lande zugefügt wurden, beseitigt werden. Auf fünf Milliarden Dollar werden diese geschätzt. Von den 370 000 beschädigten Wohnungen wurden 48 000 völlig zerstört. Auf der ganzen Insel wurden die Ernten vernichtet und das Land verwüstet. Die Bevölkerung muss dringend mit Lebensmitteln, Wohnraum und allen anderen Artikeln des täglichen Bedarfes versorgt werden. Erst dann kann wieder Kontinuität eintreten.
Bisher haben 80 Staaten und 12 Internationale Organisationen Hilfe angeboten, darunter zeigten viele der Länder der sogenannten Dritten Welt Solidarität. Sie haben erkannt, dass man ein Volk, das um seine Unabhängigkeit, Würde und für den gesellschaftlichen Fortschritt kämpft, in der großen Not nicht alleine lassen darf.

Heinz Langer, Jahrgang 1935, war von 1975 bis 1979 und von 1983 bis 1986 DDR-Botschafter in Kuba. Der in Berlin lebende Langer ist im Vorstand der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerecht und Menschenwürde (GBM), in der Freundschaftsgesellschaft BRD–Kuba und dem Solidaritätskomitee »Basta Ya!« zur Befreiung der in den USA inhaftierten »Cuban Five« aktiv. Zuletzt erschien von ihm das Buch »Kuba – Die lebendige Revolution« im Verlag Wiljo Heinen.

Notwendige Reformen scheiterten


Von Michael Zeuske

Das heutige Kuba ist das Ergebnis der Geschichte, nicht etwa das Ergebnis der Herrschaft einer Diktatur oder zweier Brüder. Allerdings spielen Herrschafts- und Gesellschaftstypen in der Geschichte durchaus eine Rolle. Aus dem Blick spätkapitalistischer Gesellschaften stellt die kubanische Gesellschaft seit spätestens 1962 eine Anomalität dar; aus Sicht der Masse der Kubaner und vieler Menschen der damaligen »Dritten Welt« war es das Modell einer gerechten und egalitären Gesellschaft, die allen Menschen Kubas gleiche Rechte und Chancen bot sowie der »Dritten Welt« die Solidarität Kubas. Etwa 80 Prozent aller Kubanerinnen und Kubaner, die nicht zur Oberschicht oder zu oberen Mittelklassen gehörten, haben die Chancen dieser neuen Gesellschaft genutzt. Die kubanische Revolution war eine Umgestaltung, die sich auf Klassen stützte – auf Bauern und die »Unter«-Klassen.

Egalitäre Gesellschaften haben zwei Grundprobleme: Sie müssen sich nach außen in einer Welt mächtiger, nichtegalitärer, hierarchischer Staaten und Gesellschaften verteidigen, und die fehlende interne Hierarchisierung beraubt die Wirtschaft ihrer wichtigsten Antriebe – der Konkurrenz und der Angst. Das fördert monolithische, auf charismatische Anführer zugeschnittene Herrschaftssysteme, die für längere Zeit auf hohe Zustimmungen setzen können. Das ist das »Geheimnis« der langen Herrschaft der Castro-Brüder. Dazu kommt natürlich noch die fast ideale Ergänzung der beiden schon lange vor dem offiziellen »Machtwechsel« 2008. Zusammen mit sozialen Errungenschaften, von denen noch heute, da sie schon ziemlich ramponiert sind (Schulwesen, Gesundheitssystem, Sicherheit), in den meisten Ländern Lateinamerikas die jeweiligen 80-Prozent-Mehrheiten nur träumen können. Das gab Kuba seine Strahlkraft bis 1990.

Mit der Krise 1990 traten drei miteinander verwobene historische Elemente in der Vordergrund. Erstens die »revolutionäre Außen-, Symbol- und Modellpolitik«, die die kubanischen kommunistischen Eliten mit einiger Berechtigung und in der Annahme betrieben, Havanna sei immer noch Schnittpunkt der atlantischen Welt, wurde zu teuer. Zweitens brach der »Realsozialismus« zusammen und entzog Kuba das Imperium, auf das sich alle Eliten der Insel bis dahin bezogen hatten. Drittens: Die egalitäre Gesellschaft hatte angesichts einer ganzen Generation im sozialistischen Kuba geborener »neuer Menschen« schon in den achtziger Jahren ihre Grenzen erreicht.

Eigentlich wären Leistung und Aufstieg auf neuer, sozialistischer Grundlage das Gebot der Stunde gewesen. Jetzt wurde das Herrschaftssystem der Castros wichtig – in erster Linie verhinderte es den Zusammenbruch. Auch traten repressive Seiten stärker hervor. Zugleich scheiterte es bei der sozialen Verankerung der notwendigen Reformen, die zwischen 1990 und 1997 als erste Phase der Spezialperiode einfach zugelassen werden mussten (internationaler Tourismus, Bauernmärkte, »Arbeit auf eigene Rechnung«, private Restaurants, etc.). Die realen Änderungen führten aber nicht dazu, dass Kuba als einzige westliche Gesellschaft bewies, dass »Reformen im Sozialismus« erfolgreich sein können. Parallele Betonierung von Außensektor und »normaler« Gesellschaft, Schwarzmarktboom und lokale Klientelschaften sowie partikulare Privilegien für Armee, Ärzte und Künstler waren die Folge. Die Errungenschaften der Revolution (Gesundheit, Bildung, Sicherheit, kein Hunger) verfielen. Kubaner mussten sich im Alltag an die Verhältnisse einer Krise und in der Krise an eine informelle hierarchisierte Gesellschaft mit Schwarzmärkten gewöhnen, bei Beibehaltung des egalitären Diskurses. Die Castros getrauten sich aber nicht, die wirklich großen internen Probleme anzugehen – konsequente Verjüngung der Politik, mehr Markt, konsequentes Steuersystem, Verrechtlichung, Umweltpolitik und vor allem: Agrarreformen und urbane Reformen, die wirklich sozialen Wohnungsbau, Nahrungsmittelsicherheit und gerechte Verteilung des Wohnraums ermöglichen würden.

Seit 1997 wurde aus Angst vor zunehmender Differenzierung begonnen, selbst bescheidene Anfänge von Reformen abzuwürgen und überzugehen zur letzten Phase der direkt von Fidel Castro verantworteten Wirtschaftspolitik. Das war relativ leicht. Einerseits gab es Bush-Amerika, andererseits den Linksruck in Lateinamerika (vor allem Venezuela). Auf Kuba selbst gab es massive Kritik an den Verletzungen der »Gleichheit« während der Reformen mit ihren informellen Hierarchisierungen – Bauern und Handwerker, Kellner und Taxifahrer sowie Jineteros (Prostitution) standen schnell besser da als die Stützen des Castroismus. Eines wurde nicht gesagt – alle »neuen Reichen« bedienten sich des Schwarzmarktes, den die Regierung stillschweigend akzeptierte, um nicht das heiße Eisen »Reformen im Sozialismus« angehen zu müssen. Vor diesem Hintergrund ist es ganz klar, was der Februar 2008 bedeutet: Kontinuität des Castroismus »ohne Fidel«, aber mit Armeechef Raúl Castro und einem Kommentator Fidel. Die vorsichtigen Änderungen 2007 bis 2008 – die wichtigsten sind die über Landnutzung und differenzierten Lohn – schieben die notwenigen Reformen im Sozialismus nur hinaus. Raúl Castro ist ein Übergangskandidat.
Auch wenn es stiller um Kuba geworden ist – das Land bedarf weiterhin der kritischen Solidarität. Mit dem weltweiten Ansteigen der Nahrungsmittelpreise gerät die an sich schon prekäre Versorgung in immer tiefere Krisen. Von Arbeits-»Produktivität« ist nicht zu sprechen. Die gemäßigte Reformeuphorie der Jahre 1993-1995 ist dahin. Und das auf einer Insel, deren diskursiver Mythos darin besteht, die Revolution »für die Bauern« gemacht zu haben! Rund die Hälfte des Bodens auf Kuba ist ungenutzt.
Sicherlich wird man das nächste Jahr abwarten müssen, um zu sehen, was die von Raúl Castro dekretierten Veränderungen für konkrete Ergebnisse in Gestalt von Nahrungsmitteln bringen, die im Land erzeugt worden sind. Und sicher muss man beobachten, welcher Politiker welchen Einfluss erhält – aber Reformen oder »Umbruch« auf der Ebene von Regierung und Herrschaft sind das nicht. Die kubanische Gesellschaft ist schon viel weiter. Sie befindet sich wirklich seit 1990 in Wandel sowie Umbruch. Für sie existiert ein klarer Bruch zu den Zeiten vor 1990. Viele Kubanerinnen und Kubaner haben sich individuell oder familiär globalisiert. Das ist kubanische Tradition seit spätestens 1511.

Prof. Dr. Michael Zeuske, 1952 geboren, war von 1992 bis 1993 Professor für Allgemeine Geschichte, vergleichende sowie spanische und iberoamerikanische Geschichte an der Universität Leipzig. Seit 1993 arbeitet er als Professor für iberische und lateinamerikanische Geschichte an der Universität Köln. Zeuske hat mehrfach zu Kuba und Lateinamerika veröffentlicht. Gerade erschien von ihm »Von Bolivar zu Chávez. Die Geschichte Venezuelas« im Rotpunktverlag.


Neues Deutschalnd Neues Deutschland 14.11.2008








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