| 
      
     | 
	
	
     
          
            Musik für die Details 
            Warum man Vicente Feliú und Jose Andres Ordas Aguilera auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz hören muß
           
          
            Welche Musik hört eigentlich Fidel Castro? Darüber sind keine Informationen im Umlauf. Als der
            Maximo Lider 2000 das John-Lennon-Denkmal in Havanna einweihte, wurde er gefragt, ob er damals auch die
            Beatles gehört hätte. »Wo denken Sie hin? Wir hatten zuviel zu tun.« 
            Im Kuba der Sechziger hörten andere die Beatles, die Kinks und auch Bob Dylan, Donovan oder Phil
            Ochs. Es waren Dichter, Künstler, Schriftsteller, die wie überall auch sonst in der Welt als
            Hippies rumliefen und dafür die entsprechenden Probleme mit der Polizei bekamen. Sie agierten als
            Straßenmusiker, waren laanghaarig und hingen lieber in Cafes ab, als auf dem Land zu arbeiten.
  
            Sie transformierten die avancierte Popmuik, die damals vielen stilistisch, lebensweltlich und
            rezeptionsästhetisch revolutionär vorkam, in einen Volksjazz für Anspruchsvolle, die Nueva
            Trova. Diese Bewegung der »neuen Lieder« hatte in den 50ern in Argentinien ihren Ausgangspunkt und
            breitete sich in ganz Lateinamerika aus. Anders als der anpsychedelisierte Tropicalismo oder der
            virtuos-reduktionistische Bossa Nova in Brasilien, wollte die Nueva Trova eine künstlerische
            Erweiterung des sozialistischen Alltags sein – mit Congas, Klavier und Gitarren –, in dem sie sich eben um
            die Details dieses Alltags kümmern. Liebes- und Kampflieder sollten andere singen.
  
            Musiker wie Pablo Milanes, Silvio Rodriguez oder Vicente Feliú entwickelten eine Art Bitterfelder
            Weg mit Groove – karibisch, cool und bewußtseinserweiternd, weil selbstbestimmt und experimentell
            und nicht von oben verordnet. Das ging Teilen der Kommunistischen Partei sehr auf die Nerven. Doch es
            wurde auch offiziell gefördert, das sind die berühmten unterschiedlichen Interessen im
            sozialistischen Staat. 1967 fand in Havanna das erste »Festival des Protestliedes« statt, und Anfang der
            70er Jahre wurden die Musiker von der Jugendorganisation der KP auf Tourneen ins Ausland geschickt.
  
            Ähnlich wie in der »Singebewegung« der DDR mischte sich Partei- und Bohemekultur, denn für Kunst
            braucht man Gelder und Gelegenheiten. Als der Realsozialismus zusammenbrach und das durch jahrzehntelangen
            US-Boykott gebeutelte Kuba ökonomisch auf einmal ganz allein dastand, verließen manche das
            Land, weil sie von ihrer Musik nicht mehr leben konnten. Viele, wie Vicente Feliú und Jose Andres
            Ordas Aguilera blieben da, weil sie keine Zeit haben, sich um andere Dinge zu kümmern als um die
            Musik. Am Samstag spielen sie auf dem Konzert der Rosa-Luxemburg-Konferenz.
  
            Hier sind vier Argumente, warum man sich die beiden Altmeister anhören muß. Vorgetragen von
            Justo Cruz, dem Deutschland-Koordinator von Cuba Si in Berlin.
  
            1. Diese Musik ist sehr wichtig, weil sie zeigt, daß in Kuba die gesellschaftliche Auseinandersetzung
            nicht stillsteht. Die Künstler der Nueva Trova haben sich in ihren Liedern und Texten immer um die
            realen Probleme, die jeder hat, gekümmert. Zum Beispiel um die Probleme, die ich als ganz normaler
            junger Bürger habe, wenn ich die Musik hören will, die mir gefällt, egal, woher sie kommt.
            Und die Bücher lesen will, die mich interessieren, egal wer sie geschrieben hat. Sie sagen: Wenn du
            die Musik magst, dann sollst du sie auch hören! Die Künstler der Nueva Trova sind Botschafter
            des kubanischen Alltagslebens und des neuen Sozialismus, der sich jetzt in Kuba entwickelt. Armando Harst
            sagt: »Unser alter Sozialismus ist auf der Strecke geblieben, wir müssen ihn erneuern.« Das ist Ziel
            dieser Musik.
  
            2. Die Nueva Trova steht für die Emanzipation im Sozialismus. Als ich in den 70er Jahren jung war,
            wollte ich auch anders ein, als es die Gesellschaft und meine Eltern von mir erwartet haben. Ich mochte es
            nicht, daß man versuchte, mir Vorschriften zu machen – ich wollte verschiedene Dinge ausprobieren,
            um meine eigene Identität auszubilden. Wenn man damals nicht ordentlich rumgelaufen ist, konnte man
            Probleme bekommen. Da gab es pädagogische Vorhaltungen, Ansichten und Strafen, darüber kann man
            heute auf Kuba nur lachen. Der kubanische Kulturminister Abel Prieto hat lange Haare – und er ist
            über 50.
  
            3. Die Texte der Nueva Trova sind Poesie. Die sind lustig und traurig und vor allem sehr pointiert und
            intelligent. Die Musiker sind auch Dichter. Man kann sich hinsetzen und die Musik hören – und die
            Texte lesen und genießen. Das geht bei anderer kubanischer Musik nicht so gut. Da sind die Texte
            – wie auch sonst in der Popmusik – sehr vorhersehbar. Dazu kann man tanzen, aber die Texte sind egal. Die
            will man oft gar nicht wissen, weil sie es auch nicht wert sind. Das bekannteste Lied von Vicente
            Feliú heißt »Créeme«, auf Deutsch »Glaube an mich«. Den Text dazu kann auf Kuba jeder
            mitsingen: »Glaube an mich / weil ich so bin /und so werde ich niemandem gehören.«
  
            4. Es ist wichtig, daß man im Ausland von Kuba etwas anderes als immer dieselben Klischees
            mitbekommt: Zigarren, Rum, Salsa undsoweiter. Wenn die Künstler der Nueva Trova nach Deutschland
            kommen, zeigen sie, daß man über Kuba immer noch viel zu wenig weiß. Was diese
            Künstler bewegt, ist nicht die Ökonomie, sondern die Politik und die Kunst.
  
            Samstag, 20 Uhr, Großer Saal der Urania, Rosa-Luxemburg-Konferenz, Berlin
  
                
                 
            Justo Cruz 
            Junge Welt, 08.01.2009
 
 
 
  
           
     | 
	
	
        
           
  
             
              
            
            
             
              
            
            
             
              
           
  
           
             
              
            
           
             
              
            
           
             
              
            
           
             
              
            
           
             
              
            
           
             
              
            
           
             
              
            
           
             
              
            
        |