Kuba unter Beschuss

US-Interventionspolitik, Terror und die Urteile von Havanna.

Die Aggressionspolitik der USA gegen den Irak hat die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit mehr als ein Jahr lang auf sich gezogen. Berechtigte Sorgen machen nun auch die Drohungen gegen andere Länder wie Syrien, den Iran und Nordkorea. Doch auch Kuba sieht sich seit dem Amtsantritt von George W. Bush zunehmendem Druck und offener Intervention ausgesetzt. Die Zahl terroristischer Aktionen gegen das Land nahm sprunghaft zu, allein von Januar bis März des Jahres wurden fünf Flugzeuge und Schiffe in die USA entführt.

In der westlichen Öffentlichkeit war dies allerdings kein Thema. Größere Aufmerksamkeit erhielt Kuba erst, als eine Reihe proamerikanischer Regimegegner zu langen Haftstrafen verurteilt und wenig später drei Schiffsentführer nach einem kurzen Verfahren hingerichtet wurden. Die Europäische Union stellt sich in dieser Frage hinter die USA und verhängte auf Betreiben Spaniens und Italiens Sanktionen gegen Kuba.

Auch Gruppierungen in den USA und Europa, die sich zur Linken zählen, und namhafte Intellektuelle verurteilten das Vorgehen der kubanischen Justiz und distanzierten sich vom auf der Insel herrschenden politischen System.

Ein Appell von US-amerikanischen Aktivisten, die sich zur "demokratischen Linken" zählen, fand weltweit besondere Beachtung. Er verurteilt die "aktuelle Repression unabhängiger Denker und Schriftsteller, Menschenrechtsaktivisten und Demokraten". Die "gewaltfreien politischen Dissidenten" seien allein wegen Vergehen wie dem "Verfassen regierungskritischer Essays und Zusammenkünften mit ausländischen politischen Führern" festgenommen und "in summarischen, nichtöffentlichen Verfahren" ohne "ordentlichen Rechtsbeistand zu grausamen, jahrzehntelangen Gefängnisstrafen" verurteilt worden. Durch seine Aktionen zeige der kubanische Staat, dass er ungeachtet seiner sozialen Errungenschaften in Erziehung und Gesundheitsversorgung keine linke Regierung sei, sondern "nur eine weitere Diktatur". (1)

Ging es aber bei den Verfahren tatsächlich nur um die Unterdrückung unliebsamer Meinungsäußerungen? Und wenn Kuba "nur eine weitere Diktatur" ist, wie lässt sich dann die Hartnäckigkeit erklären, mit der die USA seit mehr als vier Jahrzehnten versuchen, das herrschende System auf einer Insel zu beseitigen, die weder über Erdöl noch andere Reichtümer verfügt und auch geostrategisch kaum von Interesse sein dürfte?

Oder trifft eher zu, was Karin Ceballos Betancur in der Frankfurter Rundschau schrieb: "Es weint der Chor der Linken, der sich um seine karibische Projektionsfläche betrogen fühlt, um seine Utopie der Insel, die stellvertretend siegen und unbefleckt bestehen muss, nachdem die eigenen Projekte gescheitert sind." Auch ihrer Meinung nach ist die Anwendung der Todesstrafe unter keinen Umständen zu rechtfertigen. "Wer aber die Umstände ignoriert, kann nie der Wirklichkeit gerecht werden, die das Unrecht bedingt." (2) Sie schließt mit dem Hinweis auf einen von 90 Künstlern und Intellektuellen unterzeichneten Brief an "das Gewissen der Welt", der vor den möglichen Folgen der "Hetzjagd auf Kuba" warnt: "Sie können den Vorwurf für eine Intervention liefern". Zu den Unterzeichnern des Briefs gehören die Nobelpreisträger Rigoberta Menchú, Nadine Gordimer, Adolfo Pérez Esquivel und Gabriel Garía Marquez. (3)

Neue Welle der Aggression gegen Kuba

Die Politik der Feinseligkeit und Aggression der USA gegen die kubanische Revolution ist bekanntlich nicht neu. Sie begann im Jahre 1959 und ist mit unterschiedlichen Varianten von zehn republikanischen und demokratischen Regierungen der USA umgesetzt worden. Neben der Wirtschafts- Finanz- und Handelsblockade gehören dazu auch die Sabotageakte und Terroranschläge. Von den USA organisierte Söldner vernichteten Ernten, zerstörten Industrieeinrichtungen, entführten kubanische Flugzeuge oder sprengten sie in die Luft. Gemäß einer Klage Kubas gegen die US-Regierung wurde durch diese Form internationalen Terrorismus bis Anfang 1999 3.478 kubanische Bürger getötet und 2.099 schwer verletzt. (4)

Im Jahre 1996 wurde diese Politik im Helms-Burton-Gesetz kodifiziert, einem Gesetz, das darlegt, warum und wie die sozialistische Regierung gestürzt werden muss, und im Einzelnen beschreibt, wie die Vereinigten Staaten für Kubas "Übergang zur Demokratie " sorgen werden. Ein Plan, der Ähnlichkeiten mit dem hat, wie im Irak die Besatzung organisiert wird. (5)

Vor einem Jahr hatte es noch Hoffnungen auf eine Entspannung zwischen Kuba und den USA gegeben. In den USA wuchs der Druck auch aus Unternehmerkreisen, das Embargo aufzuheben. Nach intensiven Bemühungen erhielt der frühere US-Präsident Jimmy Carter eine Ausnahmegenehmigung von US-Verbot, nach Kuba zu reisen, und besuchte im Mai letzten Jahres die Insel; seine Rede an der Universität von Havanna, in der er sich kritisch über den kubanischen Sozialismus, aber auch beeindruckt über die Errungenschaften des Landes äußerte, wurde live im kubanischen Fernsehen übertragen. Der Vorstoß Carters fand auch Unterstützung in Unternehmerkreisen. Auf einer Agrarmesse in der kubanischen Hauptstadt zeigten z.B. US-Firmen erstmals wieder Produkte.

Die Falken um Präsident Bush schoben aber allen Bemühungen um eine Verbesserung der Beziehungen schnell einen Riegel vor. Der US-Präsident nannte Kuba im Zusammenhang seines "Feldzuges gegen den Terror" und forderte von Havanna ultimativ Wahlen nach westlichem Muster und eine Privatisierung und Öffnung der Wirtschaft. Er versprach den Oppositionsgruppen auf der Insel mehr Unterstützung für den Sturz der dortigen Regierung und dass sich von nun an auch das diplomatische Personal in Kuba vorrangig diesem Ziel widmen wird. Mit Hinweis auf das hohe Niveau der biomedizinischen Industrie Kubas wurden erste Vorwürfe laut, Kuba entwickle Biowaffen.

Dass der Ton auch gegen Kuba rauer wurde, nachdem George W. Bush zum neuen US-Präsidenten gemacht worden war, ist kaum verwunderlich. Hatte er doch die letztlich entscheidenden Stimmen durch Wahlmanipulationen in Florida, der Hochburg der Exilkubaner ergattert. Zur Hand war ihm dabei nicht nur sein Bruder Jeb Bush im Amt des Gouverneurs des Bundesstaates gegangen, eine wesentliche Rolle hatte dabei auch die kubanische Mafia in Miami gespielt.

Etwa 20 Exil-Kubaner aus diesen Kreisen besetzen mittlerweile Schlüsselpositionen in der Bush-Regierung. Der berüchtigte rechtsextreme Republikaner Otto Reich wurde sofort provisorisch zum "Beauftragten für die Westliche Hemisphäre" (Lateinamerika) im State Department ernannt. Der gebürtige Kubaner war unter Reagan leitend in der nordamerikanischen Vertretung El Salvadors, Boliviens, Panamas und in Venezuela tätig gewesen und tief in die Iran-Contra-Affäre verstrickt. Auch bei den Umsturzversuchen gegen den venezolanische Präsidenten Hugo Chávez hatte Reich seine Hände im Spiel.

Noch bevor Reich seinen Posten im State Department wieder aufgeben musste, da es gegen seine offizielle Berufung Widerstand im Senat gab, traf er die für Kuba einschneidendste Entscheidung: er ernannte James Cason zum Leiter der US-Interessenvertretung in Kuba. Die beiden kennen sich aus Zeiten als Cason zum Leiter der US-Botschaft in Honduras war und sich gemeinsam im schmutzigen Krieg gegen das sandinistische Nicaragua und die Befreiungsbewegungen Guatemalas und El Salvadors engagierten.

Reich selbst wirkt nun als "Sonderbeauftragter des Präsidenten für Lateinamerika" im Nationalen Sicherheitsrat, dem wichtigsten außenpolitischen Entscheidungsgremium, weiter. "Ein terroristischer Bandit am Abzug des Gewehrs der Supermacht, das auf Kuba zielt", charakterisierte Fidel Castro. (6)

"Der Prokonsul des Imperiums"

Der Mann der Falken in Havanna ist seither James Cason. Sein Ziel in Kuba sei es, so Cason gleich in seiner Antrittsrede vor dem Personal der US-Botschaft, den Prozess zu einem "demokratischen Kuba" zu beschleunigen. Er kündigte an, Regimegegnern die Räume und Infrastruktur der Botschaft zur Verfügung zu stellen. Zahlreiche Zusammenkünfte von führenden Vertretern der pro-US-amerikanischen Opposition folgten, oft auch im Beisein von Vertretern anderer westlicher Staaten.

"Sechstausend Meilen" nannte Cason sein ehrgeiziges Projekt, das ihn in regelmäßigen Fahrten durch alle Provinzen führen sollte, um die Bildung oppositioneller Gruppierungen anzuregen bzw. diesen materiell unter die Arme zu greifen und die zersplitterte Opposition zu einigen. "Als ob wir in der nordamerikanischen Interventionsepoche nach dem letzten Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien wären", so Fidel Castro. "Der Prokonsul des Imperiums organisiert eine politische Partei."

Ein weiteres Ziel war, die Verbündeten vor Ort zu Aktivitäten anzuhalten, die geeignet sind, die Spannungen zwischen den USA und Kuba zu verschärfen, die politischen und ökonomischen Beziehungen Kubas mit anderen Ländern zu stören und die sich anbahnende Intensivierung von Geschäftsbeziehungen Dritter mit Kuba zu sabotieren. Treffen gab es zudem mit Gruppen, die bereits illegale Ausreisen in die USA versucht hatten.

Auch aus seinen engen Kontakten zu terroristischen Organisationen in Miami machte Cason keinen Hehl. In Fernsehinterviews plauderte er nicht nur darüber, wie er sich die Formierung der kubanischen Opposition vorstellt, sondern auch über sein enges Verhältnis zu Gruppen, wie der "Fundación Nacional Cubano Americana" und dem "Cuban Freedom Council". Die von Miami aus operierende rechtsextreme Stiftung hat eine lange Tradition der Sabotagetätigkeit in Kuba und war u.a. an den terroristischen Anschlägen auf kubanische Hotels beteiligt, bei denen 1997 ein italienischer Tourist ums Leben kam und viele Kubaner verletzt wurden. Dem "Rat für die Freiheit Kubas", dem paramilitärischen Flügel der "Stiftung", werden zahlreiche Versuche zur Ermordung des kubanischen Staatschefs zur Last gelegt.

Über die terroristischen Aktivitäten dieser und anderer Gruppen hatte Kuba vor fünf Jahren dem FBI umfangreiches Informationsmaterial zur Verfügung gestellt. Doch statt gegen diese Organisationen vorzugehen, wurden fünf Kubaner inhaftiert, die das Material recherchiert hatten. Die sogenannten "Cuban Five" wurden anschließend wegen Spionage zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt. Ihre Behandlung ist Teil der Provokationen gegen Kuba. Sie unterliegen besonders schweren Haftbedingungen und wurden in den letzten Monaten immer wieder in Isolationshaft genommen. (7)

Neue Provokationen zwingen Kuba zur Reaktion

Nachdem am 11. November 2002 ein Sprühflugzeug vom Typ AN-2 in die USA entführt worden war, brachten am 29. Januar 2003 Entführer das Schiff "Cabo Corrientes" in ihre Gewalt und dirigierten es in die USA. Am 6. Februar 2003 folgte die Entführung eines Schnellboots der Grenzschutztruppen. In keinem der Fälle erhoben die nordamerikanischen Behörden Anklage gegen die Entführer. Auch die entführten Schiffe und Flugzeuge wurden nicht zurückgegeben, sondern beschlagnahmt.

Weitere Provokationen Casons folgten. Casons öffentliche Erklärung im Anschluss an ein Treffen mit führenden Regimegegnern, das am Jahrestag des Abschusses eines Sportflugzeuges der terroristischen Organisation "Hermanos al Rescate" durch die kubanische Luftwaffe stattfand, wurden selbst von westlichen Medien als "aggressiv" und "völlig undiplomatisch" beschrieben.

Die kubanische Regierung fühlte sich nun zum Eingreifen gezwungen. Am 10. März sandte sie Cason eine diplomatische Note, in der er auf seine Verstöße gegen die Wiener Konvention über die diplomatischen Beziehungen hingewiesen wurde. Er wurde aufgefordert, seine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Kubas einzustellen und alle Reisen von US-Diplomaten in andere Provinzen genehmigen zu lassen.

Als trotz der eindringlichen Warnung – auch an die Adresse der oppositionellen Führer – weitere Zusammenkünfte in der US-Botschaft stattfinden, gingen die kubanischen Behörden gegen die kubanischen Teilnehmer vor. Am 18. März – ein Tag nach dem Ultimatum gegen den Irak – wurden 32 Personen verhaftet, weitere folgten in den Tagen danach. 75 Regimegegner mussten sich schließlich vor Gericht verantworten und wurden zu harten Gefängnisstrafen von sechs bis achtundzwanzig Jahren verurteilt. Vorgeworfen wurde ihnen u.a. sich mit einer feindlichen Macht verbündet, Geld empfangen und Falschinformationen verbreitet zu haben, die Kubas Außenpolitik schadeten. Nach Artikel 91 des kubanischen Strafgesetzbuches wird bestraft, "wer im Interesse eines ausländischen Staates eine Handlung zum Schaden der Unabhängigkeit des kubanischen Staates oder der Integrität seines Territoriums begeht." Ähnliche Gesetze gibt es auch in anderen Staaten, nicht zuletzt in den USA selbst. (8)

Außerdem stellt ein §Gesetz über den Schutz der Nationalen Unabhängigkeit und der Wirtschaft Kubas" alles unter Strafe, was da Helms-Burton-Gesetz unterstützt. Dazu zählt z.b. Materialien zu verbreiten, die die Wirtschaftsblockade gegen Kuba unterstützen, oder Handlungen zu unternehmen, die die wirtschaftlichen Beziehungen Kubas oder kubanischer Firmen zum Ausland schädigen.

In den westlichen Meiden wurden die Urteile gegen die "Dissidenten" als Willkürlich und unfair bezeichnet. Nach kubanischen Angaben fanden die Prozesse in Form sogenannter "summarischer Verfahren" statt, bei denen zwar die Verhandlungsdauer verkürzt sei, die wesentlichen Rechtsgarantien der Angeklagten aber bewahrt blieben.

Alle Angeklagten kannten die Anklagepunkte und hatten Einsicht in die Akten. Sie hatten außerdem das Recht auf juristischen Beistand durch einen Anwalt ihrer Wahl. An den 29 Gerichtsverhandlungen nahmen 54 Anwälte teil, von denen einige mehrere Mandaten vertraten. 44 waren von den Angeklagten oder ihren Angehörigen benannt worden. 10 wurden von den Gerichten als Pflichtverteidiger gestellt. Die mündlichen Verhandlungen waren durchaus öffentlich. Sie fanden vor den zuständigen Bezirksgerichten statt, nur die ausländische Presse war ausgeschlossen. Die Angeklagten haben außerdem das Recht, Rechtsmittel gegen die Urteile bei einem übergeordneten Gericht, in diesem Falle beim Obersten Gericht, einzulegen. (9)

Solche summarischen Verfahren werden im übrigen nicht nur in Kuba angewandt, sondern sind Bestandteil der Prozessordnung von über 100 Ländern der Welt, einschließlich der USA. Das hohe Strafmaß scheint allerdings rein durch die Umstände motiviert. Es wird erwartet, dass die Strafen deutlich nach unten korrigiert werden, falls sich die Verhältnisse wieder entspannen.

Journalisten oder Söldner?

In der internationalen Presse werden die Verurteilten meist als Dissidenten, Menschenrechtsaktivisten und Journalisten bezeichnet, während sie für die kubanischen Behörden schlicht Söldner der USA sind. Wenn auch die kubanische Sichtweise sicherlich verkürzt ist, gibt es kaum Zweifel, dass die Vorwürfe der kubanischen Justiz berechtigt sind. Es wurde von US-Seite gar nicht versucht zu bestreiten, dass erhebliche Summen an entsprechende Gruppierungen gegangen sind, da zumindest die Größenordnung leicht aus den Internetseiten der beteiligten US-Stellen zu ermitteln ist.

So wendet allein die "US-Agentur für internationale Entwicklung" USAID jährlich mehr als 20 Mio. US-Dollar zur Umsetzung des "Cuban Liberty and Democratic Solidarity Act" (Helms-Burton-Gesetz) auf, in diesem Jahr beträgt die Summe 22,3 Mio. US-Dollar. Eine Million wurde bereits an das "Institut für Demokratie in Kuba" für die Unterstützung "demokratischer Aktivisten" in Kuba ausgezahlt, dem "Freedom House" werden 1,825 Mio. für die "Formierung politischer Führung auf Kuba durch Zusammenführung professioneller Organisationen in Kuba" bereitgestellt. Insgesamt stellt USAID 11,7 Mio. US-Dollar zur Unterstützung kubanischer "Menschenrechtsaktivisten" zur Verfügung, 2,3 Mio. US-Dollar für "unabhängige Journalisten" und 1,6 Mio. für "unabhängige NGOs" (10)

Ein Hauptaugenmerk liegt auf der internationalen Wirkung der oppositionellen Aktivitäten. Und hier liegt auch der Grund für das harte Durchgreifen des kubanischen Staates. Das Verbreiten von Desinformation und antikubanischer Propaganda hat immer wieder die Beziehungen zu anderen Staaten und Geschäftspartnern geschädigt und Verluste in Millionenhöhe verursacht. Es geht hier daher nicht in erster Linie um das Recht auf Meinungsäußerungen, für die Kubaner stehen solche Aktivitäten nicht zu Unrecht fast auf einer Ebene mit Sabotage.

Mit Beginn der Überfälle auf den Irak bekamen die von Florida aus operierenden Gruppen, die für einen gewaltsamen Umsturz in Kuba plädieren, weiteren Auftrieb. In Miami fanden Pro-Kriegs-Kundgebungen statt, auf denen "Cuba next" gefordert wurde. Otto Reich forderte wiederholt, dass Washington nach der Invasion in Irak nun endlich auch Kuba ins Visier nehmen müsse.

Jeb Bush antwortete auf die Frage, ob Kuba "die nächste Beute auf der Jagd" des amerikanischen Präsidenten sein wird: "Jetzt müssen wir uns in der Nachbarschaft umsehen". Der Forderung der exil-kubanischen Autorin Zoe Valdés im spanischen Fernsehen "Werft eine Bombe auf den Diktator" entgegnete Verteidigungsminister Rumsfeld wenig beruhigend: "Erst einmal nicht". (11)

Am 19. März wurde eine mit Passagieren besetzte CD-3 nach Miami entführt – die erste Entführung einer Passagiermaschine seit vielen Jahren. Trotz dieses offen terroristischen Aktes reagierte die US-Justiz auch diesmal nicht gemäß internationaler Abkommen, sondern verweigerte die Auslieferung der Entführer und die Rückgabe des Flugzeuges. Die Geiseln wurden nur mangelhaft versorgt, schikaniert und aufgefordert, ebenfalls in den USA zu bleiben. Dieses Verhalten musste neue Entführungen geradezu provozieren. (12)

Die Entführung fand zwei Stunden vor dem Überfall auf den Irak statt. Dieser Krieg wurde von den USA im Namen ihres Feldzuges gegen den Terrorismus geführt. Doch seit 37 Jahren gibt es mit dem "Cuban Adjustment Act" ein US-Gesetz, das Terrorismus in Form von Entführungen fördert. Das Gesetz gewährt allen, die durch eine Flucht von Kuba aus US-amerikanisches Territorium erreichen, das Aufenthaltsrecht und zahlreiche Vergünstigungen. Die Chancen, legal durch Antrag an ein US-Visum zu gelangen, sind für Kubaner äußerst gering. Die Quote der Einreisegenehmigungen, die die US-Botschaft ausstellte, wurde im letzten Jahr sogar noch von 10.000 auf 505 gesenkt. Vereinbart sind 20.000 jährlich.

Viele Kubaner starben schon bei halsbrecherischen Versuchen, die Meerenge zu Florida zu überwinden, aber die, die es schaffen, werden als Helden empfangen, unabhängig davon, mit welchen Mitteln sie kamen.

Am 31. März brachten erneut kubanische Terroristen eine Passagiermaschine mit 46 Passagieren in ihre Gewalt. Da sie für einen Flug in die USA nicht genügend Treibstoff hatte, musste sie in Havanna zwischenlanden. Kurzzeitig schien eine Lösung unter Mitarbeit des US-State Department möglich. 22 Geiseln konnten das Flugzeug verlassen. Dann schalteten sich auf Seiten der USA wieder die Hardliner ein, das Flugzeug wurde zum Weiterflug nach Key West gezwungen. Dort wiederholte sich die Geschichte: Misshandlung und Demütigung der Passagiere, Privilegien für die Entführer.

Keine 24 Stunden später geriet die Fähre "Baraguá" mit 11 Besatzungsmitgliedern und 29 Passagieren an Bord, darunter 6-8 Kinder und 5-6 Ausländer in die Gewalt einer Gruppe von sehr brutal agierenden Entführern. Sie verlangten, dass ihnen ein Schiff zum Weiterfahren in die USA zur Verfügung gestellt wird. Sie setzten Messen an die Kehle mehrerer Frauen, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, und drohten damit, Geiseln über Bord zu werfen.

Die Fähre, die für Binnengewässer konzipiert ist, geriet in Seenot und wurde mit Zustimmung der Kidnapper in den kubanischen Hafen Muriel geschleppt. Nach ca. 40 Stunden gelang den Geiseln durch Sprünge ins Wasser die Flucht, und die Entführer konnten überwältigt werden.

Die kubanische Führung reagierte nun, nach fünf Entführungen seit Anfang des Jahres und einer noch weit höheren Zahl von Entführungsversuchen mit großer Härte. Nach einwöchigem Prozess wurden die drei Entführer zum Tode verurteilt und wenige Tage später hingerichtet. Kuba sieht sich seither einer internationalen Protestwelle ausgesetzt.

Diese kam für die kubanische Führung nicht unerwartet. Wie Fidel Castro in einem ausführlichen Interview darlegte, war es ihr nicht leicht gefallen, das seit drei Jahren gültige Moratorium über die Todesstrafe außer Kraft zu setzen, da sie an sich die Todesstrafe ebenfalls ablehnt. "Es war eine Frage von Leben oder Tod", begründete der kubanische Staatschef die Maßnahme. "Die terroristische Mafia in Miami hat sich zusammen mit der extremen Rechten in den Vereinigten Staaten zum Ziel gesetzt – und dieses Ziel besteht fort -, eine schwere Krise herbeizuführen, die zu einer bewaffneten Konfrontation zwischen den Vereinigten Staaten und Kuba führen könnte."

Kevin Whitaker, Chef des Kuba-Büros des State Departments, habe Havanna gewarnt, dass die anhaltenden Entführungen von kubanischen Flugzeugen und Schiffen eine "ernste Bedrohung für die Sicherheit der Vereinigten Staaten" darstellen würde. "Der hinter der Hand entwickelte Plan sah vor, durch die Welle von Entführungen eine Migrationskrise auszulösen, die dann als Vorwand für eine Seeblockade hätte genutzt werden können, was unweigerlich zum Krieg geführt hätte." (13)

Fazit

Ich persönlich lehne die Todesstrafe entschieden ab und habe daher die Vollstreckung an den drei Seepiraten mit großem Unbehagen zur Kenntnis genommen, verstärkt noch durch die Kürze des Verfahrens und die rasche Vollstreckung. Sicherlich werden die Todesurteile viele potentielle Entführer abschrecken. Die aber, die es dennoch wagen, werden dafür bei Gefahr mit größerer Brutalität vorgehen, haben sie ja nichts mehr zu verlieren.

Doch auch wenn man die Todesurteile nicht billigt, muss man anerkennen, dass sie in einer extremen Situation verhängt wurden. Und es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass in Kuba – anders als in vielen anderen Ländern – die Todesstrafe weder massenhaft noch willkürlich angewandt wird.

Inakzeptabel schon aufgrund der Doppelmoral sind die Vorwürfe des "Westens", insbesondere der Vereinigten Staaten. Die USA selbst machen bekanntlich extensiv von der Todesstrafe Gebrauch und halten seit dem 11.9.2001 willkürlich Tausende Menschen arabischer Herkunft oder islamischen Glaubens gefangen. Aus den europäischen Staaten kamen bisher nur schwache Proteste dagegen oder gegen die Bedingungen, unter denen die USA Menschen im Lager von Guantanamo gefangen hält. Toleriert werden schließlich sogar die extralegalen Hinrichtungen politischer Aktivisten durch Israel. Diese Exekutionen werden ohne jegliche Verhandlung aufgrund bloßen Verdachts durchgeführt und auf eine Weise – z.B. durch Raketenbeschuß - , dass häufig auch Angehörige und zufällige Personen mit ermordet werden.

Natürlich wäre an sich eine andere Art der Auseinandersetzung mit den internen politischen Gegnern wünschenswert als das Strafrecht. Unabhängig davon, wie berechtigt die Vorwürfe im konkreten Fall sind, beeinträchtigt es die demokratische Entwicklung im Land, gibt den Gegnern ideologische Munition und schädigt das Ansehen im Ausland. Eine gute Lösung für Kuba gibt es allerdings nicht, die USA Profitieren so oder so. Da die US-Politik auf Provokation angelegt ist, würde ein Gewährenlassen aber nur noch üblere und gefährlichere Aktionen herausfordern.

Kritiker irren, wenn sie dies vor allem als eine Frage des Rechts auf freie Meinungsäußerung behandeln und die Annahme ausländischer Unterstützung als legitimes Mittel, diese durchzusetzen, betrachten. Es geht im konkreten Kontext nicht um einen Wettbewerb der besten Argumente, die man getrost dem Urteil der mündigen Bürger überlassen kann. Unabhängig auch von den persönlichen Absichten der "Dissidenten" bewegen sie sich mit ihren Aktivitäten im Rahmen der Politik einer gewaltigen Macht, die gegen die Unabhängigkeit des Landes gerichtet ist, die versucht, das Land wirtschaftlich zu schwächen, außenpolitisch zu isolieren und innenpolitisch zu destabilisieren.

Wir wissen, dass jeder imperialistischen Intervention ausgedehnte, organisierte Propagandafeldzüge vorausgingen. So schufen auch in Chile Anfang der siebziger Jahre vom CIA finanzierte Medien im Rahmen der zu diesem Zeitpunkt noch herrschenden Pressefreiheit die Bedingungen für den Putsch gegen Allende.

Die renommierte Journalistin und Jugoslawienexpertin Diana Johnstone verwies in einem Schreiben, in dem sie ihre Ablehnung des Eingangs erwähnten "Casey Appells" begründete, auf die Rolle hin, die "Dissidenten" - von westlichen Staaten finanziert – bei der Destabilisierung Jugoslawiens und schließlich beim Sturz der Milosevic.Regierung spielten. Die kubanische Revolution hätte, mein Johnstone, keine vierundvierzig Jahre überdauert, wenn sie die Prinzipien ihrer "linken" Kritiker angewandt hätte, und Fidel Castro hätte den Weg Jacobo Arbenz' in Guatemala und Salvador Allendes gehen müssen. (14)

"Einer ständigen imperialen Verfolgung ausgesetzt" überlebte die kubanischen Revolution, "wie sie konnte, nicht wie sie wollte", so Eduardo Galeano in seiner Kritik an der kubanischen Politik. "Das Embargo und tausend andere Formen der Aggression blockieren die Entwicklung einer kubanischen Demokratie." So treffend diese Diagnose ist, so blauäugig scheint seine Forderung nach "demokratischer Öffnung" und Überwindung der "Einparteiendemokratie", verbunden mit dem Wunsch, dass "niemand kommt und sich von außen einmischt." (15)

Heinz Dieterich Steffan, Professor an der Universität Autónoma Metropolitana de México, wies in einer Antwort auf Galeano darauf hin, dass "die Idee der Einheitspartei in Kuba nicht aus dem Leninismus entstanden ist, sondern aus der Einsicht von José Martí, derzufolge jegliche politische Spaltung in Kuba in kolonialer Abhängigkeit endet". Allgemeine Wahlen, Parteienpluralismus, uneingeschränkte Presse- und Versammlungsfreiheit, so Steffan, nur einige Meilen entfernt von Miami und von Washington würde die der Dritten Welt" ersetzen, "in deren Genuss die Iraker jetzt gerade kommen." (16)

Die Aggression gegen Kuba zielt nicht auf Bodenschätze oder geostrategische Ziele, sondern gegen das "schlechte" Beispiel, das die Insel aus Sicht der USA und ihrer imperialistischen Verbündeten abgibt. Kuba ist weit davon entfernt, eine perfekt Gesellschaft zu sein, hat aber trotz US-Embargo einen weit höheren Lebensstandard als jedes andere Land südlich der mexikanischen Grenze. Das Gesundheitssystem kann sich mit dem europäischen messen und ist zudem frei zugänglich für alle, ebenso wie das Bildungssystem.

Die vielen sozialen Errungenschaften fußen auf einer Politik, die konträr zu den neoliberalen Grundsätzen ist. Kuba ist so der Beweis, dass sogar unter widrigen Umständen eine andere Welt als die der "neoliberalen Globalisierung", der Diktatur des Kapitals, möglich ist.

Dies sollte - unabhängig von vielfältiger Kritik an den kubanischen Realitäten – eine zusätzliche Motivation sein, sich der von Europa unterstützten US-Interventionspolitik entgegenzustellen.

Kuba hat in der Welt viele Freunde und kann auf diplomatischer Ebene durchaus auf Hilfe zahlreicher Länder, vor allem aus den südlichen Kontinenten zählen. Dies war bisher – neben der nach wie vor breiten Unterstützung für die Revolution im Lande selbst – auch der beste Schutz gegen eine direkte militärische Intervention der USA.

Bedrohlich ist, dass Washington nun direkte Schützenhilfe aus der Europäischen Union erhält. Die EU will gemäß ihren jüngsten Sanktionsbeschlüssen die Zusammenarbeit mit Kuba in vielen Punkten "überprüfen" und die Kontakte zu den kubanischen "Dissidenten" intensivieren. Während mehr als eine Million Menschen am 13.6. in Havanna gegen die europäische Einmischung demonstrierten, äußerte Powell am Rande des Treffens der Organisation amerikanischer Staaten OAS Anfang Juni seine Hoffnung, die USA und die Europäische Union könnten eine gemeinsame Front gegen Kuba bilden. Es wird daher Zeit, dass sich die europäische Linke dieses Themas annimmt.

1) !Casey Letter" LA Weekly v. 18-24. April 2003, www.commondreams.org/views03/0420-10.htm

2) Karin Caballos Betancourt, "Soll man Gabo verurteilen? Kuba, die Todesstrafe und die Intellektuellen" FR, 20.05.2003

3) "Aufruf an das Gewissen der Welt" Erklärung von Intellektuellen und Künstlern aus Mexiko vom April 2003, dt. unter www.cuba-si.de/veroeffentlichungen/gewissen.html

4) s. Erklärung des Außenministeriums zur Aufnahme Kubas in die Liste der Länder, die laut USA, den Terrorismus fördern, vom Mai 2003, www.granma.cu/aleman/2003/junio/mier18/die-al.html

5) Mitteilung 2/2003 der Abteilung für internationale Beziehungen des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kubas (14. Mai 2003) (dt. unter http://kommunisten-online.de/aik5a-5bhtm#[201%20])

6)Sonderansprache Fidel Castro vom 25. April 2003 mit ausführlichen Informationen über die Urteile und die Zunahme der aggressiven Aktionen der US-Regierung. Http://www.granma.cu/documento/aleman03/014.html

7) weiter Infos unter http://www.miami5.de/

8) Nach§ 18 Absatz 951 des Bundesgesetzbuches der USA muss mit Haftstrafen von bis zu zehn Jahren rechnen, wer "der Direktive oder Kontrolle fremder Regierungen oder Beamten unterworfen ist"

9) Pressekonferenz des Außenministers Kubas, Felipe Pérez Roque zu "den im Dienste des Imperiums handelnden Söldnern" am 9. April 2003

10) USAID / Cuba Program May 2003, www.usaid.gov./regions/lac/cu/upd-cub.htm

11) zitiert nach Eduardo Galeano, "Kuba schmerzt", Motevideo, 20. April 2003, comcosur (dt. unter http://www.rosaluxemburgstiftung.de/Einzel/kuba/kuba_schmerz.htm)

12) Sonderansprache Fidel Castros vom 25. April 2003

13) "Es war eine Frage von Leben oder Tod", Interview Miguel Bonassos mit Fidel Castro, zitiert nach Unsere Zeit vom 6. Juni 2003

14) Diana Johnstone, "What About Guantanamo? - About Cuba", Counterpunch vom 1.5.2003, www.counterpunch.org/johnstone05012003.html

15) Eduardo Galeano, a.a.O.

16) Heinz Dieterich Staffan, Saramago, Galeano und Fidel Castro", Rebelión vom 19.4.2003 www.rebelion.org/dieterich/030419dieterich.htm, auf deutsch: http://cuba-si.de/archiv/sonst2003/sonst-030419.htm


Marxistische Blätter Joachim Gulliard

Marxistische Blätter, 4-2003