Neue Aussichten für Kuba?

Nicht nur das Treffen zwischen Papst Franziskus und Patriarch Kirill auf Kuba scheint von veränderten Kräftekonstellationen zu zeugen, auch Ansätze von Entspannung seitens der Obama-Administration werden die bisherigen Verhältnisse wohl verändern. Welche Perspektiven siehst du für Kuba? Diese Frage stellte Gudrun Havemann am 8. Februar im Rahmen eines längeren Interviews dem russischen Wissenschaftler Dr. Alexander Charlamenko. Seine Antwort veröffentlichen wir hier. Die anderen Teile des Interviews, in denen es um die innere Entwicklung Russlands ging, um Auswege aus der ukrainischen Sackgasse und um die komplexe Situation des Syrien-Konfliktes stellen wir ins Internet unter http://www.neue-impulse-verlag.de/marxistischeblaetter/artikel/316/1307-neue-aussichten-fuer-kuba.html

Was den neuen Wind aus den USA betrifft, sollte man zunächst sehr genau die Rolle der Exilkubaner in den USA im Auge behalten. Von drei Präsidentschaftskandidaten der Partei der Republikaner gehören zwei zu den exilkubanischen Kreisen: Marco Rubio und Ted Cruz. Ihre Familien waren zwar nicht wegen der Kubanischen Revolution geflohen, sondern schon davor, gehören also der alten Emigration an, aber natürlich sind beide Kandidaten mit der konterrevolutionären Mehrheit der Oberschicht der Exilkubaner verbandelt und diese greift erstmals direkt nach dem höchsten Machtposten in den USA. Nicht ausgeschlossen ist es, dass der Rechtspopulist Trump - eine Karikatur auf Reagan! -, nur den Boden für den Machtantritt dieser Kräfte bereitet, denn diese werden vor dem Hintergrund von Trump recht anständig aussehen. Insbesondere angesichts von Trumps Versprechungen, wie er Immigranten zu behandeln gedenkt, werden sie sich als Garanten des nationalen Friedens präsentieren können.

Wer von ihnen auch immer das Rennen machen sollte – für Kuba bedeutet dies keine gute Zukunft.

Man muss der kubanischen Regierung großen Respekt zollen, wie virtuos und flexibel sie bisher ihre Innen- und Außenpolitik gestaltet hat. Nur dank dieser hält sich Kuba bis heute. Kuba konnte sich aber, und dass muss man ebenfalls zugeben, auch deswegen halten, weil es in den letzten 15-17 Jahren in Lateinamerika einen linken Umbruch gegeben hatte. Diesem verdankt Kuba, dass es der doppelten Blockade entkam, in die es nach der Auflösung der UdSSR geraten war. Mehr noch, Kuba ist aufgerückt in die erste Reihe des neuen Lateinamerikas, also der Staaten, die aktiv versucht haben, sich ohne die USA zu verbünden, die das Projekt ALCA abgelehnten und eigene Integrationsbündnisse schufen, wie ALBA, MERCASUR, UNASUR, SILAC (letztere wurde als Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und karibischen Staaten, also die erste Vereinigung nicht nur der lateinamerikanischen, sondern auch der englischsprachigen Staaten des Kontinents ohne die USA schon von Simon Bolivar erträumt).

Bei diesen Integrationsmaßnahmen war neben Venezuela Kuba immer der wichtigste Initiator. De facto entkam Kuba so der Isolation und selbst Obama musste Ende 2014 öffentlich anerkennen, dass die Politik der Blockade Kubas nicht funktioniert und die USA sich durch diese Politik eher selbst isoliert hätten.

Nun könnte man das als Triumpf für Kuba ansehen, wenn es nicht kurz danach zu einer Niederlage der linken Kräfte in ganz Lateinamerika gekommen wäre, vor allem aber auch zur Niederlage der ökonomischen Grundlage dieses linken Aufschwungs. Diese aber halte ich nicht nur für eine Niederlage der lateinamerikanischen Linken, sondern aller Kräfte, die sich dem globalen Imperialismus in der modernen Welt direkt oder indirekt widersetzen.

Leider basierte die linke Politik in den letzten 15-17 Jahren auf einer sehr beschränkten, nur kurzfristig vorteilhaften Grundlage: auf der Naturalrente. Diese Politik wurde ermöglicht durch die hohen Rohstoffpreise, vor allem für Erdöl und Gas, aber auch für Mineralien und Lebensmittel, die für einige lateinamerikanische Staaten lebensnotwendig sind, z.B. für Argentinien und Brasilien. Die hohen Preise für diese Waren ermöglichten einen politischen Kompromiss zwischen dem Privatsektor in diesen Ländern und den linken Kräften, die sich auf den staatlichen Sektor und die Arbeiterbewegung stützen und sich patriotische und sogar sozialistische Ziele setzten. Ziemlich lange konnten sie sich das erlauben, ohne in direkte Konfrontation mit den Grundlagen der kapitalistischen Ordnung zu geraten. Diese Möglichkeit gab es aber eben nur, solange die Preise für die traditionellen Exportgüter so hoch waren. In einer weniger linken und politisch radikalen Variante war diese Situation übrigens auch für den Nahen Osten und letztlich auch für Russland typisch. Indirekt wurde dadurch auch die Möglichkeit einer stabilen Entwicklung Chinas garantiert, v.a. deswegen, weil sich China ohne Russlands Stabilität und seiner - wenigstens relativen und durch die imperialistische Reaktion nicht ganz kontrollierbaren - Eigenständigkeit, bisher nicht so solide hätte entwickeln können und nicht mehr können wird. Nicht zufällig gerät daher gerade jetzt, wo die Situation umbricht, der mächtige Wirtschaftsmotor Chinas ins Wanken.

Das alles ist sehr bedauerlich, denn natürlich können Rohstoffpreise keine adäquate ökonomische Basis für irgendein fortschrittliches Programm abgeben – das ist keine Grundlage für progressive Entwicklungstendenzen im System moderner Produktivkräfte, sondern eher eine recht rückständige Komponente darin. Darauf eine langfristige Strategie aufzubauen, ist unmöglich. Leider ist es niemandem in diesen 20 Jahren gelungen, die gegebenen Möglichkeiten auszunutzen für eine reale Diversifizierung der Wirtschaft zwecks Überwindung der Abhängigkeit vom Rohstoffexport, obwohl diese Aufgabe gestellt wurde, von Hugo Chavez und anderen. Doch gelang es nicht, adäquate Resultate zu erzielen. Im Ergebnis haben wir es jetzt mit einer äußerst gefährlichen Situation zu tun, die weltweite Konsequenzen hat.

Eben das transnationale Kapital, und zwar in Gestalt seiner aggressivsten, mit der äußersten Reaktion zusammenhängenden Gruppierungen, monopolisiert heute die am meisten fortgeschrittenen Technologien und erweist sich dank dessen einerseits wie nie zuvor in der Lage, die Preise für alle Rohstoffarten zu manipulieren, anderseits die Wirtschaftsbeziehungen in eine ganz neue Raum-Dimension zu überführen, die sogar die Dimension der bisherigen regionalen Blöcke überschreitet (wie die EU oder die sich formierenden lateinamerikanischen Integrationsstrukturen, sowie die Strukturen, die von den BRICS-Staaten gebildet werden). Leider beginnt das transnationale Kapital diese Blöcke real schon zu überbieten, indem es sich auf die fortschrittlicheren, führenden Elemente der Produktivkräfte stützt. Das stellt die linken Kräfte der Welt vor eine sehr ernsthafte Herausforderung. Ich sehe bisher keine adäquate Antwort auf diese Herausforderung, ich sehe nicht einmal ein adäquates Bewusstwerden dieser neuen Situation.

Um auf Kuba zurückzukommen: Ich denke, dass sehr viel davon abhängen wird, welchen Ausgang die Entwicklung in Venezuela nimmt. Dort ist gegenwärtig eine Art Doppelherrschaft im Gange. Dabei ähnelt diese Doppelherrschaft, wie es sie auch schon früher in lateinamerikanischen Staaten mehrfach gab, nicht der Situation in Russland 1917 oder in anderen Ländern. Dort standen sich der bürgerliche Staat auf der einen Seite und von unten neu gebildete Strukturen der Volksmacht gegenüber, während es hier eine Doppelherrschaft gibt, in der  verschiedene bürgerliche Institutionen gegeneinander stehen, und zwar die Legislative und die Exekutive. Die Exekutive bleibt links und ist eng mit den lokalen Organen der Volksmacht verbunden, während die Legislative vollständig unter die Kontrolle der Rechten und Rechtsextremen geriet. Allerdings besitzen diese, im Unterschied zu Chile in den 1970-er Jahren, keine Kontrolle über die Streitkräfte, weshalb es für einen unmittelbaren, gewaltsamen Umsturz keine Möglichkeit gibt. Offensichtlich wird es eine gewisse Periode des Gleichgewichts und von – aus heutiger Sicht noch schwer vorstellbaren - Kompromissen geben, ähnlich, wie es auch schon in Brasilien der Fall ist. Ich befürchte, dass eine derartige Situation sich so auch in anderen Staaten einstellen wird. Es gab Hoffnungen auf wirtschaftlich erfolgreiche Maßnahmen des Präsidenten Boliviens, Evo Morales, aber gerade gestern und vorgestern brachten die Nachrichten Berichte von Streiks der LKW-Fahrer Boliviens, kurz vor dem Referendum über den Antrag von Evo Morales, für eine nächste Wahlperiode zu kandidieren.

Ich weiß auch nicht, wie die Situation für den Präsidenten Ecuadors Rafael Correa ausgehen wird. Auch von dort gab es eine beunruhigende Nachricht über seinen Konflikt mit dem Oberkommando der Streitkräfte Ecuadors. Dabei war es Rafael Correa im Unterschied zu seinen Vorgängern in Lateinamerika gelungen, die gesamte Armeeführung auszuwechseln. Ich denke, dass ihm das vor allem möglich wurde dank der Interamerikanischen Demokratiecharta, die übrigens am 11. September 2001 beschlossen worden war und de facto Militärputsche für gesetzeswidrig erklärt. Früher hätte das natürlich seinerseits zu einem Militärputsch geführt. Jetzt gelingt ihnen das nicht mehr so einfach, dennoch ist auch hier noch keine Entwarnung angebracht …

Ich hegte eine gewisse Hoffnung, dass es auch in Argentinien zu einer Entgegensetzung der Legislative und Exekutive kommen könnte, nur in umgekehrtem Sinne, weil die „Front für den Sieg“ die Mehrheit im Unterhaus des Kongresses behalten konnte. Aber in den letzten Tagen gab es die Nachricht von ihrer Spaltung, infolge derer sie ihre ohnehin nur geringfügige Mehrheit verlor. Diese Ereignisse werden auch künftig die Situation sehr erschweren. Wie sich das alles auf Kuba auswirkt, wird man abwarten müssen.

Im April steht der 7. Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas bevor, der die Perspektiven für die weiteren Umgestaltung und Weiterentwicklung des Landes diskutieren und entscheiden muss.

Inzwischen geben sich verschiedenste Delegationen aus den USA die Klinke in die Hand, die das Terrain für die Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen sondieren. Es gibt Verhandlungen mit der EU. Zugleich aber ist im Grunde das Regime der Sanktionen, das man nicht nur auf Kuba, sondern auch in der UN-Vollversammlung als Blockade bezeichnet, immer noch vollständig in Kraft. Strafsanktionen werden sogar gegen transnationale Banken fortgesetzt, die sich erdreisten, irgendwelche Geschäfte auf Kuba zu tätigen, und niemand scheint daran zu denken, dieses politische Spiel wirklich zu beenden, jedenfalls kann man darauf vor den nächsten US-Wahlen nicht hoffen. Damit sich wirklich etwas ändern würde, müsste nicht nur ein demokratischer Präsidentschaftskandidat bei den Wahlen gewinnen, sondern auch eine Mehrheit im Kongress bekommen. So etwas gab es schon sehr lange nicht mehr in den USA.

Wenn es dagegen einen republikanischen Präsidenten gibt und noch dazu einen mit  republikanischer Mehrheit im Kongress, noch dazu einen Präsidenten oder mindestens einen Vizepräsidenten aus den Reihen der Exilkubaner, so werden sie natürlich ihre Probleme auf ihre Weise lösen. Ich befürchte, dass sie dabei politische Forderungen stellen werden, die letztlich den faktischen Systemwechsel auf Kuba bedeuten werden. Und sich dem zu widersetzen, wird den Kubanern sehr schwer fallen. Sich selbst erneut einer doppelten Blockade auszusetzen, ohne all diejenigen Vorzüge zu haben, die es noch in den 1990-er Jahren gab, ohne die Möglichkeit zu haben, die Blockade zu durchbrechen, wie es damals infolge des revolutionären Aufschwungs in Lateinamerika noch möglich war, bei einem ganz anderen Kräfteverhältnis und in einer ganz anderen Weltlage –  das ist alles mehr als fraglich.

In Anbetracht all jener Prozesse, die ich beschrieben habe, lässt sich befürchten, dass Macris Ankündigung, in Bezug auf die Wirtschaftsbeziehungen zu Russland seinen Hass in Wohltätigkeit zu verwandeln, auch in Bezug auf Kuba Bedeutung haben wird: Man wird versuchen, auch hier die russische Karte auszuspielen, um sie zur Annahme der eigenen Bedingungen zu zwingen.

Die Situation mit unserer Perestrojka zu vergleichen, wie es manche Linke unternehmen, ist in meinen Augen eine Vereinfachung. Denn Kuba befindet sich auf einem anderen Niveau der Entwicklung aller Prozesse. Wir hatten zu Beginn der Perestrojka keinen Privatsektor, bei uns herrschte das damalige Sozialismusmodell auf allen Ebenen, noch dazu war die UdSSR eine der atomar bewaffneten Supermächte – eine völlig andere Situation.

Die Situation, in der sich Kuba befindet, ist m.E. ein Mittelding zwischen der DDR in den letzten Jahren ihrer Existenz und der heutigen Lage von China. Mit China hat Kuba gemeinsam, dass Kuba sich schon längere Zeit auf dem Weg einer erweiterter Auflage der NÖP bewegt, d.h. auf dem Weg einer Mehrsektorenwirtschaft, der Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen mit der kapitalistischen Welt, trotz aller Blockade. Das meine ich nicht in Bezug auf die Vergangenheit, sondern auf die aktuelle Situation. Das hatte schon längere Tradition. In allen anderen Parametern erinnert die Situation eher an die der DDR.

Ein gewisser Teil der Kubaner wird diese Entwicklung vielleicht begrüßen. Ein anderer wird sie als unausweichlich hinnehmen – ich befürchte, dass das auch eine große Rolle bei dem für die Linken ungünstigen Wahlausgang in Argentinien und in Venezuela gespielt hat und auch in anderen Ländern spielen wird. Nicht darum, weil es einen großen Enthusiasmus für das Wahlprogramm der Rechten geben wird – einige hatten nicht mal eines, wie z.B. in Venezuela – sondern einfach aus Verzweiflung: Wie lange kann man noch in einer solchen Lage leben, einer halben Blockade, ohne jede Perspektive, wie ihr zu entkommen sei, in der Lage eines echten Wirtschaftskrieges.

In diesem Kontext  werden natürlich auch Korruptionsfälle, Kriminalität usw. interpretiert:  Länder, die nicht in der Lage sind, aus dieser Sackgasse herauszukommen, weder auf dem Wege einer Vertiefung der Revolution (denn das würde sofort bedeuten, unter die Schuldnerländer zu fallen und alsdann eine Intervention zu riskieren – in libyscher oder syrischer Variante), noch auf dem Wege eines Kompromisses - weil sie keinerlei Kompromisse annehmen werden. Schon gar nicht die erwähnten Rechten, die sich durch eine Art Höhlenbewusstsein auf dem Niveau eines Pinochet auszeichnen und nur nach Blut dürsten, nicht nur in Venezuela, sondern auch in Argentinien und Brasilien und überall – und solche Tendenzen scheinen auch in Washington zu wachsen.

Wenn Obama eine Mehrheit von Demokraten im Kongress besitzen würde, könnte die Situation in gewisser Hinsicht eine andere sein.

Bei dem, was aber da gerade abgeht, unter Anwesenheit der Tea-Party, dieser ganzen Trumps, Rubios und Co., sehe ich keinen Boden für einen realen Kompromiss mit den Linken, besonders den lateinamerikanischen. So dass ich mich gezwungen sehe, so sehr mich das schmerzt und ich es bedauere, die Situation als extrem ungünstig einzuschätzen. Kurzum, einer reale Veränderung des internationalen Kräfteverhältnisses ist nicht in Sicht, und wenn, dann in entgegengesetzter Richtung und nicht zu unseren Gunsten.

Mir waren die inneren Anzeichen der Krise des linken Umbruchs schon länger aufgefallen, und heute wundert mich nicht, dass das alles heute passiert, sondern eher, dass es nicht schon ein paar Jahre früher durchbrach. Obwohl der Vorrat an Standhaftigkeit der revolutionären Aufbruchsbewegung in Lateinamerika und auf Kuba unglaublich war, so ist er doch nicht unendlich.

Marxistische Blätter Alexander Charlamenko

Marxistische Blätter, 3-2016