»Eigene Fehler wurden eingestanden«

Während des »Forums von Sao Paolo« diskutierten Linke über die Situation in den lateinamerikanischen Ländern. Gespräch mit Heinz Bierbaum.

Zum 22. Mal fand Ende Juni das »Forum von Sao Paulo« statt, diesmal in San Salvador. 1990 wurde die Konferenz als Reaktion auf den Zusammenbruch der Sowjetunion und die neoliberalen Offensive in Lateinamerika etabliert. Seit Jahren prägen progressive Regierungen die Politik des Kontinents. Darüber wurde in San Salvador auch diskutiert. Was hat die Linke erreicht?

Alle linken Regierungen haben umfangreiche Sozialprogramme umgesetzt. Dadurch ist die Armutsquote in diesen Ländern beträchtlich gesunken. Weitere Erfolge sind in der Bildung, im Kampf gegen den Analphabetismus und in der medizinischen Versorgung zu verzeichnen. Auf wirtschaftlichem Gebiet sind zwar Anstrengungen unternommen worden, allerdings waren sie weniger erfolgreich. Ein Fortschritt sind aber auf jeden Fall die regionale Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe, wie sie etwa im Abkommen ALBA zum Ausdruck kommen. Für besonders wichtig halte ich die stärkere Einbeziehung des Volkes und damit die Stärkung der partizipativen Demokratie.

Nach den Putschen in Honduras und Paraguay regiert die Rechte nun auch in Argentinien. Brasilien und Venezuela stehen auf der Kippe. Welche Rolle spielte das während des »Forums«?

Die Angriffe auf linke Regierungen haben sich verschärft. Man will den Ländern wieder einen neoliberalen Kurs aufzwingen, wie dies gegenwärtig in Argentinien geschieht. Sehr kritisch ist die Situation in Venezuela, aber auch in Brasilien mit dem Staatsstreich gegen Präsidentin Dilma Rousseff. Auf dem »Forum« stellte die schwierige Lage einen Schwerpunkt dar. Es wurde den Ursachen nachgegangen, vor allem aber die Solidarität unterstrichen. Die europäische und deutsche Linke ist aufgefordert, ebenfalls Solidarität zu zeigen. In Brasilien etwa für Lula, dessen erneute Kandidatur mit juristischen Ränkespielen verhindert werden soll.

Worin wurden die Ursachen für die Schwäche progressiver Regierungen gesehen?

Zentrale Ursache ist das imperialistische Hegemoniestreben der USA. Dazu gehören die Schwächung der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika; jW) und der politisch motivierte Druck auf den Ölpreis. Die Vertreter Venezuelas sprachen von einem regelrechten Wirtschaftskrieg gegen ihr Land. Eine verhängnisvolle Rolle spielen dabei die Medien. In Brasilien haben sie eine Hetzkampagne gegen die Regierung entfacht.

Allerdings gibt es auch hausgemachte Schwächen. In Venezuela etwa ist es nicht gelungen, den Ölreichtum für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung zu nutzen. Zum Teil wurde auch der Kontakt zu den Volksmassen und zur Arbeiterklasse vernachlässigt, wie Vertreter der Arbeiterpartei PT in Brasilien einräumten. Insgesamt war das »Forum« dadurch gekennzeichnet, dass eigene Fehler auch eingestanden wurden. Man will nun die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen forcieren. Sozialprogramme alleine reichen nicht aus, sondern ein tiefergreifender gesellschaftlicher Wandel sei nötig, lautete das Fazit.

Resignieren die linken Kräfte nun?

Ganz im Gegenteil. Die selbstkritische Analyse ist kein Zeichen der Resignation, sondern Ausgangspunkt für eine politische Offensive. Es bestand Konsens, dass der progressive Zyklus nicht beendet sei. Allerdings verlaufe die Entwicklung nicht linear, sondern widersprüchlich. Den Mut und den Willen, die Entwicklung wieder umzudrehen, strahlte insbesondere der Gastgeber, die Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí, FLMN, in El Salvador aus. Die Situation ist dort nicht einfach. Die FLMN stellt zwar die Regierung, hat aber keine Mehrheit im Parlament, und der Staatsapparat, vor allem die Justiz, befindet sich weitestgehend in der Hand der Rechten. Davon lässt man sich jedoch nicht entmutigen.

Welche Rolle spielten die Entwicklung in Europa und die Europäische Linke?

Es gab einen intensiven Austausch. Vor dem Kongress der Europäischen Linken im Dezember in Berlin will man eine gemeinsame Tagung mit Vertretern des »Forums« organisieren. Dort sollen die gesellschaftliche Entwicklung, die Politik der Linken und Fragen wie das Freihandelsabkommen TTIP diskutiert werden.

Heinz Bierbaum, Mitglied des Parteivorstandes und Vorsitzender der Internationalen Kommission der Partei Die Linke, hat am 22. »Forum von Sao Paulo« teilgenommen

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

junge Welt


Dieser Artikel wurde ermöglicht
durch die Abonnnentinen und Abonennenten
der jungen Welt
Dein Abo fehlt

Interview: Volker Hermsdorf
Junge Welt, 09.07.2016