»Fidels Tod ist eine historische Zäsur«

Wie reagieren die Bewohner Havannas auf den Tod des kubanischen Revolutionsführers Fidel Castro? Eine Reportage.

Immer wieder ist Fidel Castro in den vergangenen Jahren tot erklärt worden. »Mein Tod wurde so viele Male erfunden, an dem Tag, an dem ich wirklich sterbe, wird es niemand mehr glauben«, hat er einmal gesagt. Doch dieses Mal herrschte Gewissheit. In einer kurzen Fernsehansprache gegen Mitternacht in der Nacht von Freitag auf Samstag verkündete Fidels Bruder, Kubas Präsident Raúl Castro, sichtlich bewegt und mit schwerer Stimme den Tod des Führers der kubanischen Revolution: »Mit tiefem Schmerz spreche ich zu Ihnen, um unser Volk und die Völker der Welt darüber zu informieren, dass heute, am 25. November um 22.29 Uhr, der Comandante en Jefe der Kubanischen Revolution, Fidel Castro Ruz, gestorben ist.«

Viele Kubaner erfuhren erst am nächsten Morgen vom Ableben Fidels. »Ich kann es nicht glauben«, sagt Mario, ein Mittdreißiger, der in der Regel Touristen mit seinem Fahrradtaxi durch Havanna kutschiert. Wie vielen seiner Generation schien ihm ein Kuba ohne Fidel beinahe unvorstellbar. In der Universität versammeln sich am Samstagmorgen mehrere hundert Studenten. Politische Slogans und kämpferische Würdigungen sind zu hören, und man blickt in viele verweinte Gesichter.

Die meisten in der Hauptstadt aber nehmen die Nachricht zwar traurig, dennoch gefasst auf. »Irgendwann musste er sterben - er war 90 Jahre alt! -, auch wenn man dachte, er würde ewig leben«, erklärt Ramón Pedreira, der als Hausmeister in einer Behindertenwerkstatt arbeitet. »Fidel war eine der einflussreichsten Personen, wenn nicht die einflussreichste Person Lateinamerikas des 20. Jahrhunderts. Kuba war eigentlich zu klein für ihn und seine Ideen.« Dagegen quittiert Fidelito den Tod Fidels mit einem Achselzucken: »Er war auch nur ein Mensch, irgendwann musste es ja passieren«, und schraubt weiter an seinem Auto herum. »Man erwartet es, aber wenn es dann passiert, kommt es doch überraschend«, sagt der Buchverkäufer Pedro Juan González Bermúdez. »Fidels Tod ist eine historische Zäsur.«

Im kubanischen Fernsehen laufen den gesamten Samstag über Sondersendungen mit Dokumentationen und historischen Reden Fidels. Dazwischen immer wieder Reaktionen aus aller Welt. Auf den Straßen Havannas dagegen herrscht geschäftige Normalität.

Fidel war im täglichen Leben der Kubaner seit Jahren ohnehin kaum noch präsent. Nach seinem Rückzug 2006 in Folge einer schweren Darmerkrankung büßte er seine frühere Omnipräsenz ein; öffentliche Auftritte gab es so gut wie gar nicht mehr. Gelegentlich empfing er ausländische Besucher wie Papst Franziskus, Frankreichs Präsidenten François Hollande oder noch vor wenigen Tagen Vietnams Präsidenten Tran Dai Quang zu privaten Gesprächen. Die von den kubanischen Medien verbreiteten Bilder zeigten dann einen ergrauten, sichtlich gealterten, hageren Mann mit brüchiger Stimme und in Sportbekleidung.

»Eine historische Figur ist gestorben, egal was man von seinem Werk halten mag. Fidel hat einen Status erreicht, der schwer zu ignorieren ist«, so José Jasán Nieves, Journalist des Online-Magazins »El Toque«. Hausmeister Pedreira schlägt in dieselbe Kerbe: »Man muss anerkennen, was Fidel geleistet hat. Obwohl er oft vielleicht zu idealistisch war.« Er hofft nun auf Raúl. »Der ist pragmatischer. Er wird die Reformen vielleicht sogar beschleunigen, nun da ihm Fidel nicht mehr über die Schulter schaut.«

Unter Raúl Castro hat sich Kuba in den vergangenen Jahren verändert. Der Kauf und Verkauf von Autos und Immobilien ist nun erlaubt, Ausreisebeschränkungen wurden aufgehoben und der Internetzugang für die Bevölkerung ausgebaut. Darüberhinaus hat Raúl die Wirtschaft für ausländische Investitionen geöffnet, den Staatssektor reduziert und mehr Privatinitiative zugelassen. Hunderttausende haben sich seitdem selbständig gemacht. Raúls größte Leistung aber dürfte die begonnene Annäherung an den Erzfeind USA sein. Dieser Annäherung stand Fidel skeptisch gegenüber. Nach dem historischen Kuba-Besuch von US-Präsident Barack Obama im März polterte er in einer seiner gelegentlich in der Tageszeitung »Granma« erscheinenden Kolumnen: »Wir brauchen keine Geschenke vom Imperium.« Um im Nachsatz an die jahrelangen Sanktionen, Anschläge und Toten US-amerikanischer Aggressionen gegenüber Kuba zu erinnern.

»Es ist ungewiss, was nun kommt. Man darf nicht vergessen, dass die Revolution unter Druck von außen steht«, richtet Buchverkäufer González den Blick auf die USA und in die Zukunft. »Und die kommende Generation, wenn Raúl in anderthalb Jahren abtritt, hat nicht dieselbe historische Legitimation.« Zunächst aber herrscht nun neun Tage Staatstrauer. Alle Festaktivitäten und öffentlichen Veranstaltungen wurden abgesagt, so auch das Konzert von Plácido Domingo, das am Samstagabend im Gran Teatro de La Habana Alicia Alonso stattfinden sollte. Auch die für den 2. Dezember geplante Militärparade zum 60. Jahrestag der Landung der »Granma« wurde um einen Monat verschoben. An öffentlichen Gebäuden und Militäreinrichtungen wehen die Flaggen auf Halbmast.

Noch am Samstag sollten die sterblichen Überreste Fidels »auf dessen ausdrücklichen Wunsch«, wie Raúl betonte, eingeäschert werden. Den ganzen Montag über bis Dienstagmittag wird die Bevölkerung Havannas Fidel Castro auf der Plaza de la Revolución die letzte Ehre erweisen, bevor seine Asche vier Tage lang über die gesamte Insel von Havanna bis nach Santiago de Cuba überstellt wird. Dort wird Fidel auf dem Friedhof Santa Ifigenia, auf dem auch Kubas Nationalheld José Martí begraben liegt, seine letzte Ruhe finden.

»Die Zeit eines jeden von uns kommt, aber die Ideen der kubanischen Kommunisten werden überdauern«, hatte Fidel bei einer seiner letzten öffentlichen Rede auf der Abschlusssitzung des Kongresses der Kommunistischen Partei Kubas im April erklärt. So oder so, ob freigesprochen von der Geschichte oder nicht, und ob es seinen Gegner gefällt oder nicht, fest steht: Fidel ist heute im weltweiten kollektiven Gedächtnis verankert als jener junge Bärtige in olivgrüner Uniform, der den bewaffneten Befreiungskampf anführte und später den USA jahrzehntelang Widerstand leistete. »Er hat die Geschichte Kubas und Lateinamerikas sowie das Denken mehrerer Generationen geprägt«, erinnert González. »Die kubanische Revolution hat ein Vor- und ein Nach-Fidel markiert. Und nun wird es wieder ein Davor und ein Danach geben…«

Neues Deutschalnd

Andreas Knobloch, Havanna
Neues Deutschland, 28.11.2016