Fremdelnde Partner

Das Verhältnis zwischen dem sozialistischen Kuba und der Sowjetunion war nicht immer leicht. Aber man brauchte einander.

Lateinamerika war kein traditionelles Interessengebiet der Sowjetunion. Es lag Tausende Kilometer entfernt, und vor dem Beginn der Konfrontation zwischen den beiden Supermächten gab es für die Sowjetunion keinen besonderen Anlass, sich dort zu engagieren. Die letzte politische Aktion der UdSSR in der Region vor der kubanischen Revolution war bezeichnenderweise eine Geheimdienstoperation: die Ermordung Leo Trotzkis im mexikanischen Exil 1940.

Als die Guerilleros um Fidel Castro ihren Befreiungskampf begannen, war die Sowjetunion bezüglich der Erfolgsaussichten skeptisch. Mehrere Bitten um sowjetische Waffen wurden abgelehnt. Vom Sieg der Revolution erfuhr das politische Moskau aus dem Radio; erst ein gutes Jahr nach der Revolution nahmen die Sowjetunion und Kuba überhaupt diplomatische Beziehungen auf, und sie blieben anfangs eher zurückhaltend. Der erste Sowjetbotschafter in Havanna machte sich lächerlich, als er verlangte, dass man ihm eine Leibwache stelle. »Die kubanischen Führer, allesamt Guerillakämpfer, die frisch aus den Bergen kamen, waren erstaunt und verärgert (…). Sie, die den Feinden der Revolution weit verlockendere Ziele boten, liefen ohne jede Leibwache herum, und da kam dieser kommunistische Aristokrat und verlangte persönlichen Schutz vor irgendeiner möglichen Unannehmlichkeit«, schilderte der damalige sowjetische Parteichef Nikita Chruschtschow später die leicht groteske Situation.

Wirtschaftliche Abhängigkeit

Freilich wurden die fremdelnden Partner bald auf die Notwendigkeit engerer Zusammenarbeit gestoßen. Von seiten Kubas war es die Zurückweisung des Anspruchs auf gleichberechtigte Partnerschaft durch die USA und das im Herbst 1960 einsetzende Embargo, das zu einer schweren Energiekrise führte. Die Sowjetunion half durch Öllieferungen. Der Versuch der ökonomischen Strangulierung Kubas schlug fehl. Für die folgenden Jahrzehnte blieb Kuba jedoch auf wirtschaftliche Unterstützung durch die Länder des sozialistischen Lagers angewiesen. Sie lieferten von Nahrungsmitteln und Agrartechnik bis zu Produktionsanlagen alles, was Kuba infolge des US-Embargos auf dem Weltmarkt nicht bekam – und weit mehr, als es durch den Export von Zucker verdiente. Die Insel war allein gegenüber Russland zuletzt noch mit 32 Milliarden US-Dollar verschuldet – bis 2014, als Wladimir Putin Kuba diese Schulden erließ.

Völlig uneigennützig war die sowjetische Unterstützung für das sozialistische Kuba auf der anderen Seite auch nicht. Abgesehen von der erhofften Funktion Kubas als Leuchtturm für die Verbreitung des Sozialismus in der sogenannten dritten Welt bot eine sowjetische Verankerung auf der Insel in der Epoche um 1960 aus militärischer Sicht erhebliche strategische Chancen. Zu jener Zeit waren die USA der Sowjetunion weit überlegen, vor allem bei den Langstreckenbombern, die damals die wesentlichen Trägersysteme für Atomwaffen waren. Außerdem waren manche dieser US-Bomber in relativer Nähe zur Sowjetunion stationiert. Das einzige, womit die UdSSR vorn lag, waren ballistische Raketen. Allerdings hatten sie noch keine großen Reichweiten und konnten die USA nicht unmittelbar bedrohen. Eine dauerhafte Stationierung von Raketen auf Kuba hätte dies substantiell verändert.

In dieser Situation war die Entscheidung von 1962, auf Kuba Kurz- und Mittelstreckenraketen sowie Abfangjäger zu stationieren, militärisch sinnvoll. Die UdSSR verfolgten damit offiziell das Ziel, die USA von einer Wiederholung des in der Schweinebucht gescheiterten Versuchs, die Regierung Castro durch eine Invasion zu stürzen, abzuschrecken. Faktisch hätte die Stationierung auch das »Gleichgewicht des Schreckens« ein Stück weit ausbalanciert. Über diesen objektiven Gegensatz kam es im Herbst 1962 zur Raketenkrise, die die Welt für einige Tage an den Rand einer atomaren Auseinandersetzung brachte. Dass die Sowjetunion letztlich nachgab und ihre Raketen im folgenden Winter wieder abzog, während umgekehrt US-Präsident John F. Kennedy dem Druck seines Militärs, das nach Bombenangriffen und einer neuen Invasion auf Kuba rief, standhielt, hat den dritten Weltkrieg für diesen Moment verhindert. Der Sowjetunion gelang es außerdem, als Gegenleistung für den Rückzug ihrer Raketen eine US-Zusage zu erreichen, in Kuba nicht einzumarschieren, an die sich Washington formal bis heute gehalten hat; außerdem wurden bereits stationierte US-Mittelstreckenraketen aus der Türkei abgezogen. Die UdSSR behielt Radarstationen auf der karibischen Insel. Eine wurde erst kürzlich wieder reaktiviert. Moskau ließ sich im übrigen von seinem neuen Verbündeten das Heft nicht aus der Hand nehmen. Forderungen Fidel Castros, von Kuba aus einen nuklearen Erstschlag gegen die USA zu führen, beschied Chruschtschow mit den kühlen Worten: »Lieber Genosse Castro, ich halte Ihren Vorschlag für unkorrekt.«


Wir waren sicher, dass die Amerikaner sich niemals mit der Existenz von Castros Kuba abfinden würden. Sie fürchteten ebensosehr, wie wir es erhofften, dass ein sozialistisches Kuba möglicherweise ein Magnet würde, der den Sozialismus für andere lateinamerikanische Länder anziehend machte. (…) Wir waren verpflichtet, alles zu tun, was in unserer Macht stand, um Kubas Existenz als sozialistisches Land und als praktisches Beispiel für die anderen Länder Lateinamerikas zu schützen. (…)

Abgesehen davon, dass sie Kuba geschützt hätten, würden unsere Raketen das hergestellt haben, was der Westen gern das »Gleichgewicht der Kräfte« nennt. Die Amerikaner hatten unser Land mit Militärstützpunkten umgeben und bedrohten uns mit nuklearen Waffen, und jetzt würden sie erfahren, wie einem zumute ist, wenn feindliche Raketen auf einen gerichtet sind. Wir würden nichts weiter tun, als ihnen ein bisschen von ihrer eigenen Medizin zu verabreichen. Und es war höchste Zeit, dass Amerika merkte, wie einem zumute ist, wenn das eigene Land und das eigene Volk bedroht werden. (…)

Nur ein Narr würde glauben, dass wir von Kuba aus eine Invasion auf dem amerikanischen Kontinent vorhatten. Unser Ziel war genau das Gegenteil: Wir wollten die Amerikaner von einer Invasion auf Kuba abhalten, und zu diesem Zweck wollten wir sie zwingen, es sich zweimal zu überlegen, indem wir sie mit unseren Raketen konfrontierten. Dieses Ziel haben wir erreicht – aber nicht, ohne eine Periode gefährlicher Spannungen durchzumachen.

Strobe Talbott (Hg.):
Chruschtschow erinnert sich,
Reinbek 1971, S. 492–494

Aktivistische Außenpolitik

Das bedeutet nicht, dass die Sowjetunion das aktivistischere Politikverständnis des revolutionären Kubas nicht an anderer Stelle genutzt hätte. In den ersten Jahren nach der Krise versuchte Kuba noch eine gewisse formale Distanz zur Sowjetunion zu halten. Es engagierte sich international in der Bewegung der Blockfreien und trat erst 1972 dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe bei, von dem es faktisch längst ökonomisch abhängig war. Dem folgte auch eine engere politische und militärische Zusammenarbeit. In den 1970er und 1980er Jahren, als die Konfrontation der Supermächte verstärkt über Stellvertreterkriege ausgetragen wurde, unterstützte Kuba linke Befreiungsbewegungen in Afrika und Lateinamerika auch militärisch. Ohne sowjetische Rückendeckung und entsprechende Waffenlieferungen wäre dies nicht möglich gewesen. Moskau ersparte sich so in einigen Fällen menschlichen Verluste, wie sie der ohne kubanische Unterstützung ausgefochtene Krieg in Afghanistan bescherte.

Für Kuba bedeutete der Zusammenbruch der UdSSR eine existenzbedrohende Krise. Die wirtschaftliche Unterstützung wurde von einem Tag auf den anderen eingestellt. Die Folge war der Zusammenbruch sowohl der kubanischen Industrie als auch der auf sowjetische Technik eingestellten Großlandwirtschaft. Das kubanische Sozialprodukt ging innerhalb eines Jahres um ein Drittel zurück. Seit dem Amtsantritt von Wladimir Putin wurden die kubanisch-russischen Beziehungen wieder enger. Im Oktober sprach das Moskauer Verteidigungsministerium sogar davon, auf Kuba einen russischen Flottenstützpunkt einzurichten. Der neue kalte Krieg belebt alte Bündnisse.

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

junge Welt


Dieser Artikel wurde ermöglicht
durch die Abonnnentinen und Abonennenten
der jungen Welt
Dein Abo fehlt

Reinhard Lauterbach
Junge Welt, 03.12.2016