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"Kuba hatte immer Matroschkas und US-Fernsehen"

Medieninterview: Der Journalist Luís Morlote Rivas über USB-Sticks, sozialistische Medien in Kuba und Globalisierung.

Herr Morlote, in den vergangenen zwei Jahrzehnten sind viele Kubanerinnen und Kubaner ins Ausland gegangen, oft leben sie eine Weile in Europa und den USA und dann wieder in Kuba. Hat ihre transnationale Erfahrung auch die Medien verändert?

Ich kann erst einmal nur von mir sprechen. Meiner Erfahrung nach vermisse ich im Ausland, was ich zu Hause mit am meisten kritisiere: das kubanische Fernsehen. Dort gibt es eine Vielzahl kultureller und historischer Programme, die mir dann fehlen. Dennoch glaube ich, dass die Unterhaltungsprogramme eines unserer größten Probleme darstellen. Der kapitalistische Medienbetrieb vermag es, die Menschen sehr effektiv zu verführen und ihnen bestimmte Produkte schmackhaft zu machen. In Kuba wurde diese Inszenierung lange abgelehnt. Stattdessen wurde sehr viel Wert auf eine sachliche und objektive Darstellung gelegt. Ich denke, dass wir in Kuba durchaus lernen müssen, die Medieninhalte attraktiver zu machen. Zumal wir auch mit neuen Technologien konfrontiert sind, etwa mit USB-Sticks, auf denen die Leute Inhalte austauschen. Über diese Konkurrenz haben wir uns in Fernsehen und Radio bislang zu wenig Gedanken gemacht. Wir müssen also stärker darüber nachdenken, wie wir das Publikum gewinnen können.

Neue Einflüsse aus dem Ausland gibt es vor allem in der Musik. In den vergangenen Jahren sind in Kuba bislang wenig bekannte Stile wie Hip-Hop, Reggaeton oder Rock sehr populär geworden. Welche Rolle spielt diese Musik?

Solche neuen Einflüsse gibt es auch in der Literatur und den bildenden Künsten. Und es gibt immer Debatten. Als ich klein war, gab es viele Diskussionen über Rock und ob so eine Musik den Zielen der neuen Revolution überhaupt dienen könnte. Heute ist das Genre nicht nur akzeptiert, es gibt sogar ein Kubanisches Institut für Rockmusik und mehrere Festivals. Das Gleiche ist später mit dem Hip-Hop geschehen, dessen Vertreter sich des gegenkulturellen Charakters dieser Bewegung sehr bewusst sind. Der Hip-Hop erlebt heute einen Zuspruch, wie dies zu Beginn der sechziger Jahre mit den Liedermachern der Nueva Trova geschehen ist.

Bedeutet das zugleich, dass das sozialistische Kuba auch Teil der kulturellen Globalisierung ist?

Ja. Kuba ist Teil dieses Trends, auch wenn wir nach wie vor unter der US-Blockade leiden. Im Gegensatz zu den Ländern des sozialistischen Blocks in Europa gab es in Kuba nie Beschränkungen bei der Einfuhr kultureller Produkte. In Kuba gab es immer die russischen Matroschka-Puppen neben dem US-Fernsehen. Es gab in Kuba nie eine dauerhaft paternalistische Kulturpolitik. Fidel hat das nach der Revolution in einem Satz formuliert, der mir sehr gefällt: »Wir sagen dem Volk nicht, was es glauben, sondern dass es lesen soll«.

»Sie nennen sie Hure/ die Gesellschaft widerlegt das nicht/ eine Prostituierte, die sich für Geld flachlegt/ was nicht diskutiert wird«, rappte MC Magia López, eine Frau und Afrokubanerin, über die lange tabuisierte Prostitution. Haben erst globalisierte Genres wie der Hip-Hop in Kuba marginalisierten Gruppen eine Stimme gegeben?

Ich glaube nicht, dass ein solches Genre aus dem Ausland kommt und einer bestimmten Gruppe eine Stimme gibt. Der kapitalistische Kulturbetrieb kann eine Sache gut: Er erkennt schnell, wo es ein Konsumentenpotenzial gibt. Deswegen werden selbst Formen des kulturellen Widerstandes wie der Hip-Hop aus den ärmsten Gegenden der Bronx schnell kommerzialisiert. So wird aus dem Widerstand Folklore. Das ist mit dem Hip-Hop und Reggaeton in der Karibik geschehen. In Kuba gibt es diese Vermarktung nicht und deswegen ist der Hip-Hop mit seinen Raps, den Sprechgesängen, kritisch geblieben, er stellt nach wie vor ein alternatives Genre dar. Denn natürlich gibt es auch im Sozialismus soziale Differenzen und Probleme, die von den Vertretern dieses Genres aufgegriffen werden. Das gefällt nicht jedem, aber ich halte das für sehr wertvoll, gerade auch für die sozialistische Gesellschaft Kubas.

Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Jugendkulturstiftung Asociación Hermanos Saíz, die AHS, deren Präsident Sie sind?

Die AHS wurde zur Förderung junger Kunst gegründet, um junge Künstler finanziell zu unterstützen und ihre Werke zu verbreiten. Und, ehrlich gesagt, sind die kubanischen Kulturinstitutionen heute überlastet von der Vielzahl an kulturellen Akteuren und einem kulturellen Angebot, das die Revolution geschaffen hat. Der AHS hat in dieser Situation die Aufgabe, eine Auswahl zu treffen, wer unterstützt werden soll. Dabei sind Diskussionen über neue und alternative Genres, über die wir gerade gesprochen haben, enorm wichtig. Wir geben also eine Art Starthilfe. Wenn ein Künstler bekannt ist, braucht er uns nicht mehr, weil dann andere Institutionen zuständig sind. In den gut 25 Jahren war das wohl der wichtigste Beitrag der AHS: die ständige Suche nach jungen, neu entstehenden Strömungen in der Jugendkultur, für die andernorts noch kein Verständnis existierte.

Wenn wir diese dynamische Jugendkultur nun mit der kubanischen Presse vergleichen: Gab es Themen in der Literatur und Musik, die in den Medien nicht vorkamen?

Ja, ich denke schon. Der Journalismus in Kuba vermag es nach wie vor nicht, die kulturelle Vielfalt adäquat wiederzugeben. Es ist ja nicht nur in Kuba zu beobachten, dass im kulturellen Ambiente neue Themen aufkommen und in die Debatten eingebracht werden. Kunst lebt schließlich von der Polemik und sie nährt sich von den Widersprüchen.

Hat der Träger des Nationalen Literaturpreises Kubas, Leonardo Padura, also Recht in seinem Urteil, dass der zeitgenössische kubanische Roman die Rolle eingenommen hat, »die der Journalismus verlassen hat oder nicht mehr zu erfüllen fähig war«?

Mir scheint, dass diese Aussage die Rolle der Schriftsteller in unserer sozialistischen Gesellschaft etwas überbewertet. Aber er hat insofern Recht, als die Schriftsteller und Künstler sehr eng mit der gesellschaftlichen Realität verbunden sind. Sie folgen keinem sozialistischen Realismus, sondern einem realen Realismus. Schauen Sie sich das kubanische Kino an und Sie werden mir Recht geben. Vor allem in den Jahren nach dem Sieg der Revolution gab es sehr kritische Filme wie »Der Tod eines Bürokraten« oder »Die zwölf Stühle« von Tomás Gutiérrez Alea. Diese Filme haben bis heute einen hohen Grad an Aktualität.

Es gab 1961 aber auch das Aufführungsverbot des Dokumentarfilms »P.M.«, der das ausschweifende Leben in Havannas Hafenviertel zum Gegenstand hatte.

Ja, aber dieser Disput hatte auch eines der wichtigsten Ereignisse in der kubanischen Kulturpolitik zur Folge: das Treffen Fidel Castros mit Intellektuellen in der Nationalbibliothek. Dabei wurde 1961 erstmals diskutiert und in Fidels »Worten an die Intellektuellen« in gewissem Maße festgelegt, welche Kulturpolitik verfolgt werden und welche Rolle Kunst und Künstler im sozialistischen Kuba zukommen soll. Die Folge war eine bis dahin nicht gekannte Pluralität und Freiheit. Die Verleihung des Nationalen Literaturpreises an Leonardo Padura im vergangenen Dezember ist ein Beleg dafür und widerlegt vieles von dem, was im Ausland über die kubanische Realität verbreitet wird.

Neues Deutschland
Harald Neuber
Neues Deutschland, 09.03.2013