Nachrichten aus und über Kuba
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Nerv getroffen
Kubanische Contras reagieren »besorgt« auf EU-Ankündigung der Überprüfung
des »Gemeinsamen Standpunkts«
Die Ankündigung einer möglichen Normalisierung der Beziehungen zwischen der EU und Kuba durch den Präsidenten der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso, hat bei rechten Exilkubanergruppen und ihren Helfern die zu erwartenden Pawlowschen Reflexe ausgelöst. Die Contramedien in Miami und Madrid sowie die »Dissidenten« in Kuba versuchen den Entspannungsprozeß mit einer verzweifelten Propagandakampagne aufzuhalten.
Als eine der ersten teilte Berta Soler den Europäern ungefragt ihre »Besorgnis« darüber mit, daß am heutigen Dienstag in Brüssel eine EU-Expertengruppe mit den Vorbereitungen für Verhandlungen mit dem Ziel einer Neudefinition der Beziehungen zu Kuba beginnen soll. Die Leiterin der 2005 vom Europäischen Parlament für ihre Proteste gegen das »Castro-Regime« mit 50000 Euro und dem Sacharow-Preis belohnten »Damen in Weiß« wandte sich selbstbewußt an ihre einstigen Gönner. »Wir verlangen, daß Sie den ›Gemeinsamen Standpunkt‹ beibehalten«, erklärte sie – einem Bericht des mit Unterstützung der US-Dienste NED und CIA in Madrid produzierten Online-Portals Diario de Cuba zufolge – den Straßburger EU-Parlamentariern. Das Portal führt eine Reihe weiterer Vertreter der aus dem Ausland finanzierten »Dissidentenszene« an. Zu den Kronzeugen gehört auch der Chef der »Nationalen Front des bürgerlichen Widerstands« (Frente Nacional de Resistencia Cívica), Jorge Luis García Pérez (Antúnez), ein bekennender Sympathisant der aus Miami operierenden Terrorgruppe »Hermanos al Rescate«, der den Europäern vorwirft, »einen Flirt mit der Diktatur zu suchen«. Die Aufgabe des »Gemeinsamen Standpunkts«, droht er, sei eine »Konspiration gegen Kubas Freiheit«.
Solche Äußerungen sind allerdings weder neu noch originell. Hungerstreik-Rekordhalter Guillermo Fariñas, der im Jahr 2010 vom Europaparlament ebenfalls mit 50000 Euro und dem Sacharow-Preis bedacht worden war, hatte die Europäer bereits im gleichen Jahr um die Beibehaltung der Blockade gebeten und die Möglichkeit eines »Bürgerkriegs zwischen Kubanern« angekündigt, »wenn die Erben des Castrismus nicht anerkennen, daß der Sozialismus … als politisches Modell gescheitert ist«. Solche Töne hört die politische Rechte in Europa ebenso gern, wie die Äußerungen ihrer einige hunderttausend Euro schweren Starbloggerin Yoani Sánchez. Die hatte sich während ihrer Weltreise im vergangenen Jahr unter anderem bei einem freundschaftlichen Zusammentreffen mit der Präsidentin der postfranquistischen spanischen Volkspartei von Madrid, Esperanza Aguirre, dafür ausgesprochen, die »Gemeinsame Position« der Europäer gegen die »tyrannische Regierung« der Castro-Brüder nicht zu verändern.
Der »Gemeinsame Standpunkt« der EU-Staaten war 1996 vor allem auf Druck der damaligen rechtsgerichteten spanischen Regierung unter José Maria Aznar, der enge Verbindungen zu terroristischen exilkubanischen Organisationen im Süden der USA pflegt, beschlossen worden. Nach der Verhaftung zahlreicher Agenten, die im westlichen Ausland als »Oppositionelle« gefeiert worden waren, hatten die EU-Länder Sanktionen gegen Kuba verhängt, um Einfluß auf dessen Innenpolitik zu nehmen und zu einem Systemwechsel beizutragen.
Die Vorwürfe der angeblichen Menschenrechtskämpfer wurden von rechtskonservativen Politikern, vor allem in Polen und Tschechien aber auch in der BRD in den letzten Jahren meist als einzige Rechtfertigung für die Beibehaltung der restriktiven Kuba-Politik angeführt. Denn nicht nur die »Dissidenten« in Kuba und ihre Hintermänner in den teilweise terroristischen Exilgruppen, sondern auch militante Antikommunisten und Entspannungsgegner in Europa fürchten die sich abzeichnende Normalisierung der Beziehungen wie der Teufel das Weihwasser. Doch selbst das antikubanische Propagandaportal »Diario de Cuba« mußte in einem Leitartikel am letzten Donnerstag resigniert eingestehen, daß die Tage des »Gemeinsamen Standpunkts« gezählt sind. »Die Änderung der Europäischen Politik folgt ausschließlich einem rein ökonomischen Kalkül«, stellt die Contra-Plattform vermutlich nicht einmal zu Unrecht fest.
Die Europäische Union ist derzeit nach Venezuela der größte Investor auf der Karibikinsel und stellt mehr als die Hälfte der Touristen, die dort ihren Urlaub verbringen. Diese Position wollen die Europäer offenbar nicht durch das Beharren auf einem antikommunistischen Relikt des Kalten Krieges aufs Spiel setzen, während aufstrebende Länder wie Brasilien, Rußland, Indien, China oder Südafrika ihre politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zum ersten sozialistischen Land Amerikas kontinuierlich ausbauen. Die Weichen für die künftige Kuba-Politik der Europäischen Union werden am heutigen Dienstag in Brüssel gestellt. Die im eigenen Land bedeutungslose »Dissidenz« dürfte danach auch für ihre ausländischen Sponsoren weiter an Wert verlieren.
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Volker Hermsdorf
junge Welt, 21.01.2014