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Nachrichten aus und über Kuba

Nachrichten, Berichte, Reportagen zu aktuellen Entwicklungen, Hintergründen und Ereignissen in Kuba, internationale Beziehungen und der Solidarität mit Kuba.


Kuba ist Mode

Kreative Selbsthilfe: In Havanna hält eine Genossenschaft von Frauen das traditionelle Textilhandwerk am Leben.

Mode in Kuba
Figurbetont: Der »Sexy Touch« der Kleider aus Havanna ist bei Einheimischen wie Touristinnen beliebt
Foto: Kornelia Doren


Kubanische Frauen sind Weltmeisterinnen in Erfindungsreichtum. »Inventar« heißt das spanische Zauberwort hierfür. Stets sind sie herausgeputzt, als ob es nie an diesem und jenem Kosmetik- oder Modeartikel fehlen würde. Aus wenigen Zutaten und mit ein paar von der Nachbarin geliehenen Gewürzen kochen sie die wunderbarsten Mahlzeiten. Aus einigen Stoffresten nähen sie anmutige Kleidchen für ihre Kinder. Mittlerweile werden sie auch vom kubanischen Staat dazu ermutigt, sich mit ihren Fähigkeiten Geld dazuzuverdienen. Seit April 2011 ist in Kuba das »Arbeiten auf eigene Rechnung« erlaubt und erwünscht. Zum Beispiel als Schneiderin. Modische Kleidungsstücke und Accessoirs finden auf Havannas Kunsthandwerksmärkten reißenden Absatz. Ein solcher Mercado de Artesania befindet sich in Alt-Havanna in der berühmten Bummelmeile Calle Obispo, welche zum Waffenplatz (Plaza de las Armas), mit seinen barocken Prachtbauten führt. Neben Einheimischen decken sich hier auch Touristen mit bunten Taschen, verzierten Kinderkleidchen oder figurbetonter Damen- und Herrenmode ein. Erschwinglich, aber oho: Senkrechte Lochmuster parallel zur Knopfleiste des Hemdes erlauben einen Blick auf die darunterliegende Männerhaut und sorgen außerdem in der Tropenhitze für etwas »Luftzufuhr«. Geschickt eingefügte Häkeleinsätze rund um die Taille und das Dekolleté geben Frauenkleidern den gewissen »Sexy Habanera-Touch«.

Etliche solcher Entwürfe stammen aus der mittlerweile rund 400köpfigen »Schwesternschaft der Näherinnen, Stickerinnen und Strickerinnen« im historischen Stadtteil Belén. Bereits Anfang der 1990er Jahre wurde diese unter Leitung von Elvira Reynaldo Muñoz als eines der ersten Sozialprojekte unter der Schirmherrschaft des Stadthistorikers Eusebio Leal Spengler gegründet, dessen Büro die Um- und Neugestaltung von Kubas Hauptstadt managt. Die »Hermandad de las Bordadoras y Tejedadoras de Belén« bietet Näherinnen die Möglichkeit, eigene Kreationen, aber auch Theater-, Festival- und Berufsbekleidung zu schneidern, zu besticken oder mit Strick-Accessoires zu versehen. Ein wichtiger Ansatz des Projektes besteht darin, die künstlerischen Handwerkstraditionen von Alt-Havanna vor dem Vergeßen zu bewahren. Bei öffentlichen Modenschauen auf der Plaza de la Catedral oder der Plaza Vieja werden solche alten Techniken in neuen Gestaltungen und mit viel Sex-Appeal präsentiert. Die Kleidung, die die Hermandad schneidert und die von schönen jungen Frauen wie Männern im Defilee präsentiert wird, würde jeden Fashion-Week-Fan zum Staunen bringen.

Talente nutzbar machen

Defilee von Models der Bordadoras
Anziehungspunkt für Modebegeisterte: Defilee von Models der Bordadoras in einem Kulturzentrum in Havannas Viertel Barrio Chino
Foto: Kornelia Doren


In den Hermandad-Workshops erwerben die Frauen ohne eigenen finanziellen Aufwand unternehmerische Fähigkeiten und das Know-how, um die modischen Bedürfnisse der Bevölkerung bedienen zu können. Erworbene Fähigkeiten und Fachwissen werden hier an die nächsten Generationen weitergeben. Und nicht zuletzt trägt die Arbeit der Stickerinnen und Schneiderinnen zu ihrem Lebensunterhalt bei. Wer als Havanna-Besucher sich und anderen etwas Gutes tun möchte, kauft seine Mitbringsel vielleicht nicht in einem der international geprägten Label-Shops, sondern auf einem dieser traditionellen Handwerksmärkte. Oder er bringt bei seinem nächsten Kuba-Aufenthalt den Frauen von Havanna sogar ein paar Reißverschlüsse oder Stücke Stoff mit. Da in der eigenen Textilindustrie noch der Mangel vorherrscht, sind solche Gaben für die Schneidertalente überaus hilfreich.

Bei speziellen Stadtführungen kann man sich über die sozialen Aktivitäten der Kooperative eingehender informieren und persönlich in Kontakt kommen. Eine eigene Werkstatt hat die Schwesternschaft nach einer Umorganisation erst einmal nicht. Doch die einfallsreichen Frauen wissen sich zu helfen. Wie das geht, erklärt ihre Leiterin Elvira Muñoz so: »Wir klemmen uns unsere tragbaren Nähmaschinen unter den Arm und weichen momentan auf verschiedene Stadtviertel aus. Je nachdem, wo kurzfristig Arbeitsräume frei werden, treffen wir uns und nähen gemeinsam.« Solche provisorischen Räumlichkeiten stellt ihnen vorübergehend der kubanische Kunstgewerbeverein »Asociación Cubana de Artesanos Artistas« (ACAA) bereit. Für Elvira Muñoz ist dieser Zustand keine Dauerlösung. Ideal wäre es, findet sie, wenn die Schneiderinnen wie früher einen kostenlosen Raum zur Verfügung hätten, in dem sie ihre Modeentwürfe gemeinsam herstellen und präsentieren könnten. Ein besonderer Service könnte dann insbesondere für Touristinnen darin bestehen, sich in kurzer Zeit ihr Traumkleid preiswert schneidern zu lassen.

Schon heute bietet die Genossenschaft näherfahrenen Gästen zehntägige Workshops an. Darin erlernen diese havannatypische Näh-, Stick- und Klöppeltechniken. Der Unterricht findet je nach Wunsch in einem gut erhaltenen Palacio im Chinesischen Viertel, in einem Park unter freiem Himmel oder einem klimatisierten Hotelraum statt.

Zielgerichteter Wandel

traditionelles Wissen und modernes Know-how
Stehen im Stoff: Elvira Muñoz (l.) und ihre Kolleginnen geben traditionelles Wissen weiter und vermitteln modernes Know-how
Foto: Kornelia Doren


Es gibt zwei Redewendungen, die ich in Kuba immer wieder höre: »Hay que vivir« und »hay que inventar« – man muss das Leben (im Augenblick) leben und improvisieren. Täglich improvisieren – dieser aus der Knappheit geborene Leitsatz kann eine schöne Anregung sein, das Leben intensiver, vielleicht sogar ein Stück dankbarer zu spüren. Kein Statussymbol der westlichen Welt kann mir die Herzlichkeit und Lebensfreude der kubanischen Menschen ersetzen. »Wir Kubaner haben auch mit dem wenigen Spaß, das wir haben – und sind nicht ständig wie ihr davon belastet, wie wir unsere Steuern bezahlen sollen«, bringt es der Busfahrer Maikel Hernandez lachend auf den Punkt.

Doch allein auf Improvisation bautet man auch in Kuba längst nicht mehr. Das Büro des Stadthistorikers von Havanna (Oficina del Historiador de la Ciudad de La Habana, OHCH) hat sich die Sanierung der Altstadt zur Aufgabe gemacht und verknüpft planmäßig soziale Projekte und den Tourismus. Dafür gibt es auch international viel Anerkennung. Auf Vortragsreisen und Kongressen in aller Welt gibt Eusebio Leal Erfahrungen daraus weiter. Inmitten der Krise, der sogenannten Spezialperiode, wurde Leal 1994 damit beauftragt, die immens umfangreiche Restaurierung Alt-Havannas zu koordinieren und hierfür Mittel zu finden.

Ziel ist es, die 495jährige, als Weltkulturerbe unter dem Schutz der UNESCO stehende älteste und teils baufällige Metropole der Karibik zu bewahren und den knapp 90.000 Bewohnern der Altstadt das Dach über dem Kopf zu erhalten. Für diese Sanierungen wurde die staatliche Firma »Habaguanex« gegründet, angelehnt an den Namen eines Indianerstamms, der einst im Gebiet von Havanna lebte. Das Unternehmen verfolgt das Konzept, aus fast verfallenen Palacios Prachtbauten im Kolonialstil entstehen zu lassen, die dann als Hotels, Bars und Restaurants dienen. Auf diese Weise werden Devisen erwirtschaftet, um Hunderte vom Verfall bedrohte Wohnhäuser aus der Kolonialzeit zu retten. Auch der Verdrängung von Einwohnern durch die Aufwertung ihrer Viertel soll entgegengewirkt werden. Nach einem festen Schlüssel werden aus den durch den Tourismus gewonnenen Mitteln auch Wohnungen, Schulen, Kindergärten und Altenheime für die einheimische Bevölkerung instand gesetzt. Etwa 20 Prozent der gesamten Einnahmen werden produktiv reinvestiert, ein ebenso großer Teil wird dem Staatshaushalt zugeführt. Die verbleibenden 60 Prozent gehen an Sozialprojekte.

Reibungslos verlaufen die Restrukturierungsmaßnahmen dennoch nicht. Neben Architekten und Kunsthandwerkern arbeiten auch Psychologen in den Sanierungsteams des OHCH mit. Sie haben die nicht leichte Aufgabe, Familienclans auf das Auseinandergerissenwerden im Zuge der Restaurierungen behutsam vorzubereiten. Denn: Nicht alle Familien können nach der kostenlosen Renovierung ihrer Wohnung vollzählig in diese zurückkehren. Nicht selten sind sie randvoll mit zugewanderten Angehörigen aus entlegenen Regionen Kubas belegt. Die Hauptstadt ist ihre Hoffnung auf Arbeit und den Zugang zu Devisen, und damit auf ein besseres Leben. Doch Wohnraum ist hier weiter knapp. Trotz aller positiven Impulse dank der Reformen seit 2008: Auch Kubas Gesellschaft kennt nicht nur Gewinner. Leal und seinen Leuten ist es zu verdanken, dass eine Vielzahl früher ungenutzter Gebäude für Bevölkerung wie Besucher in neuem Glanz erstrahlt. Ein Beispiel dafür ist das anlässlich der Tourismusmesse FitCUBA im vergangenen Jahr eröffnete »Teatro Martì«. Das 1884 gegründete Haus diente einst der spanischen Zuckerbaron-Gesellschaft als Operettenbühne. Nach 38 Jahren Dornröschenschlaf wurde es von Habaguanex wachgeküsst und bietet heute Einheimischen subventioniertes und Touristen für etwas mehr Geld großes Ballett- und Musikvergnügen.

Vieles ist durch die Arbeit von Habaguanex bereits erreicht worden: Die jährlich umgerechnet rund acht Millionen US-Dollar, die für Restaurationsarbeiten zur Verfügung stehen, werden klug investiert. 18 Hotels, mehr als 30 Restaurants, etliche Bars, Cafés und Ladengeschäfte sind entstanden. Sogar eine Brauerei ist im sanierten Hafenviertel der Hauptstadt gebaut worden. Mehr als 13.000 Arbeitsplätze konnten geschaffen werden. Rund 37 Prozent der ehrwürdigen Villa San Cristóbal de La Habana sind mittlerweile instandgesetzt. Langsam, doch stetig und merklich bessern sich die Lebensbedingungen der Bevölkerung.

Touristischer Boom

Kostüme, Theater-, Festival- und Berufsbekleidung
Fantasie ist gefragt: Die Handwerkerinnen der »Hermandad« entwickeln auch Kostüme, Theater-, Festival- und Berufsbekleidung
Foto: Kornelia Doren


Zur wirtschaftlichen Erholung Kubas hat der Tourismus entscheidend beigetragen. Mehr als drei Millionen Menschen besuchten die Zuckerinsel im vergangenen Jahr, davon eine Million Kanadier und immerhin fast 140.000 Deutsche – ein Plus von 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Viele Touristen wollen Kuba sehen, so lange dieses noch eine »exotische Blume« ist. Nicht wenige Gäste sehen in dem sozialistischen Land einen sinnlichen Gegenentwurf zu ihrer rational strukturierten Wohlstandswelt, in der zwischenmenschliche Wärme oft zu kurz kommt.

Das mildere Klima zwischen Havanna und Washington lässt die Erwartung sprießen, dass die Besucherzahlen noch deutlich steigen werden. Die diplomatische Annäherung zwischen den USA und Kuba trägt bereits jetzt Früchte. Es gibt Erleichterungen bei  Telekommunikation, Export und Finanzverkehr. Sie weckt auch Befürchtungen. Auf das von der Globalisierung fast noch unberührte Elf-Millionen-Volk kommen damit große Herausforderungen zu. Diese sind auch ganz praktischer Natur: Angesichts der Reiseerleichterungen für kubainteressierte US-Bürger werden in Kuba derzeit neue Hotel mit mehr als 10.000 Zimmern errichtet. Denn die kubanische Tourismuswirtschaft stößt mit einer Kapazität von rund 61.200 Zimmern an ihre Grenzen. Manche Hotels sind auf Monate ausgebucht, Mietwagen nur schwer zu bekommen. Kubas Tourismusminister Manuel Marrero Cruz hat große Projekte angekündigt und wirbt um Investoren. Neue Restaurants, Yachthäfen, Läden und Hotels entstehen, die Qualität der Angebote wächst, die Versorgung der Bevölkerung hat sich in den vergangenen Jahren deutlich gebessert. Jeder, der regelmäßig Kuba besucht, bemerkt: Kuba blüht auf. Die einstige Zuckerinsel öffnet sich zur Welt. Das gefällt ihren Gästen ebenso wie den Kubanern. Und es schafft Ressourcen, um dringend nötige wirtschaftliche und soziale Reformen weiter voranzutreiben.

Kontakt zur Schwesternschaft der Schneiderinnen: Elvira R. Muñoz, bordadoras@instituciones.ohc.cu
Stadtführungen über Sozial- und Revitalisierungsprojekte in Havanna: Reiseagentur San Cristóbal, im deutschsprachigen Raum durch den Veranstalter »Erlebe Reisen« vertreten: service@erlebe-reisen.de
Infos zum Reiseziel Kuba: Cubanisches Fremdenverkehrsbüro, www.cubainfo.de

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

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Kornelia Doren
junge Welt, 27.06.2015