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Warum lächelt ihr?

Kubanische Revolution aus Enkelperspektive: »Granma. Posaunen aus Havanna« am Maxim-Gorki-Theater in Berlin.

Vor 1960 floh bekanntlich der kubanische Diktator Batista von der lateinamerikanischen Insel. Die Führung wurde fortan von den Brüdern Castro, Che Guevara und weiteren Revolutionären übernommen, die mehr als zwei Jahre zuvor mit der Yacht »Granma«, titelgebend für diesen etwa zweistündigen Theaterabend, für die Befreiung ihrer Heimat gen Kuba fuhren, um den Kampf aufzunehmen. Aber mit dem Sieg war die Revolution nicht vorbei: Sie ist seit dieser Zeit kubanischer Alltag.

Vier junge Kubaner stehen auf der Bühne des Berliner Maxim-Gorki-Theaters, wo diese von dem Künstlerkollektiv Rimini-Protokoll erarbeitete Inszenierung zur Premiere kam und nun durch die Spielstätten Europas tourt. Sie ergreifen das Wort und geben einen neuen Blick auf die schon vielfach dargestellte Kubanische Revolution. Es gehört zum Prinzip der Gruppe, die das dokumentarische Theater seit ihrer Gründung 2002 einer radikalen Erneuerung unterzogen hat, nicht Schauspieler auftreten zu lassen, sondern sogenannte Experten des Alltags, die sich selbst verkörpern und keine Dramentexte wiedergeben, sondern sich mit ihren eigenen Worten Gehör verschaffen.

Da ist Daniel, Jahrgang 1983 und Enkel von Faustino Pérez, also desjenigen Revolutionärs, der für die Beschaffung der »Granma« verantwortlich war und danach erst Minister, dann Botschafter in Bulgarien, schließlich Leiter der Stadtwerke in Havanna – es ist auch die Geschichte eines persönlichen Abstiegs. Sein Enkel lebt noch immer in Kuba, verdient seinen Lebensunterhalt mit Animationsfilmen, die er für eine kanadische Produktionsfirma erstellt, und zweifelt an der Politik seines Landes. Sympathien für die Prozesse vor 60 Jahren ändern nichts an seinem Unbehagen angesichts der Herausbildung einer Funktionärskaste, der er entsprungen ist.

Christian ist als Informatiker für das kubanische Militär tätig. Sein Großvater Rufino, von dem Videoaufzeichnungen projiziert werden, war Offizier; für seine Ideale, die er bis heute verteidigt, wurde er in der Sowjetunion ausgebildet und hat er in Angola als Soldat gekämpft. Christian ist ein Suchender und wünscht sich den Lebenssinn, den sein Großvater vor langer Zeit gefunden hat.

Diana ist Musikerin – wie ihr verstorbener Großvater Nicolás, der mit dem Maravillas de Florida Orchestra auch für die kubanischen Truppen in Syrien 1974 spielte. Dort, wo sich in vorrevolutionären Zeiten noch eine Luxusgolfanlage befand und wo heute die Musik- und Kunsthochschule steht, hat sie Posaune studiert. Ein Studium, das Nicolás, zur armen, schwarzen Bevölkerung gehörend, zu Batistas Zeiten noch verwehrt geblieben war.

Milagro, 1995 geboren, hat Geschichte studiert und möchte eine Laufbahn an der Universität aufnehmen. Ihre Großmutter, bis zu ihrem Tod im Mittelpunkt der Familie, war eine einfache Näherin, deren Leben sich durch die Revolution grundlegend verbessert hat und der sie sich verpflichtet fühlt. Milagro weiß, dass die kostenlose Bildung Ergebnis eines langen Kampfes ist, und ist entschlossen, diesen zu verteidigen. Ihre Kraft hinterlässt beim Zuschauer einen tiefen Eindruck. Ihre Überzeugung trägt sie nicht kritiklos vor. Missstände benennt sie klar und wirkt doch entschlossen: »Die Revolution ist nicht zu Ende – wir müssen sie befreien.«

An diesem Abend wird kein Heldendrama aufgeführt. In leisen Tönen erzählen die Protagonisten ihre Geschichten – von ihrem Land, von ihren Familien. In keinem Moment kommt das pädagogisch daher. Die Berichte lösen sich immer wieder ins Spielerische auf; Videoeinspielungen, Musik und dezente Interaktion mit dem Publikum fügen sich bruchlos ein. Die Inszenierung ist kein Agitprop für die Revolution, und sie ist auch nicht angetreten, sie zu verdammen: Vielschichtige Perspektiven werden eröffnet. Keine umfassende Analyse der historischen Ereignisse steht im Mittelpunkt, sondern ein unverstelltes Bild einer jungen kubanischen Generation, die sich auf der Suche befindet. Das passiert nicht, ohne auch das Publikum zu konfrontieren: »Warum lächelt ihr so glückselig, wenn ihr uns ›Sozialismus‹ sagen hört?«, fragt Milagro. Und setzt treffsicher hinterher: »Weil ihr eure Ideale auf eine tropische Insel projiziert?«

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

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Erik Zielke
junge Welt, 28.03.2019