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Eine subversive Mischung

Das Label Soul Jazz Records nimmt die kubanische Musik multimedial in den Blick.

Wenn man es etwas forciert formulieren will, dann erstaunt die lange Zeit, die man auf die Kompilation »Cuba: Music And Revolution – Culture Clash in Havana – Experiments in Latin Music 1975–85, Vol. 1« warten musste. Denn bereits 1996 veröffentlichte das Label Soul Jazz Records die thematisch kommunizierende und enorm einflussreiche Kompilation »Nu Yorica! Culture Clash in New York City: Experiments in Latin Music 1970–77«. Damals entstand im Klanglabor der Metropole im Zeichen von Salsa ein Amalgam diverser lateinamerikanischer Rhythmen, dessen »geheimes« Zentrum allerdings kubanischer Son ausmachte. Das war insofern pikant, als Salsa einerseits dazu diente, die kubanische Herkunft herunterzuspielen. Andererseits hielt es die zumeist kubanischen Komponisten zumindest teilweise von den ihnen zustehenden Tantiemen fern, weil diese erst nach dem Ende des seit 1962 bestehenden US-amerikanischen Handelsembargos gegen das frech und unbotmäßig etablierte sozialistische Konkurrenzunternehmen in der Karibik fällig würden. Sie stehen folglich bis heute aus.

An diesem Ort muss wohl nicht explizit daran erinnert werden, dass Kuba und insbesondere Havanna zu Zeiten der Batista-Diktatur vor 1959 als eine Art Spielhölle mit angeschlossenem Bordell für den US-Tourismus fungierte. Mit der Revolution 1959 wurde der Ballermann geschlossen, die Mafia-Connection gekappt, US-Firmen und -Bürger enteignet und der Schulterschluss mit dem RGW (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe, englische Abkürzung: Comecon) gesucht. Der Rest der Geschichte (Schweinebucht, Kubakrise und Auflösung des Ostblocks nach 1989) dürfte hinlänglich bekannt sein.

Die staatliche Kulturpolitik nach der Revolution führte einerseits zu einem Aderlass bekannter Musikerinnen und Musiker wie Celia Cruz oder Mongo Santamaria, die sich in Richtung Miami oder New York absetzten. Wer auf Kuba blieb, durfte fortan keinen »Jazz« und auch keine Tanzmusik mehr spielen, weil steter Ausweis von Dekadenz. An den kubanischen Musikhochschulen wurden erstklassige Musikerinnen und Musiker ausgebildet, aber die Klubs blieben geschlossen. Alle Musiken, die aus den USA kamen, gerieten unter das Verdikt, Waffen des Yankee-Imperialismus zu sein, wogegen die staatliche Kulturpolitik das Label »Música Moderna« setzte. Zu welchen ästhetisch-musikalischen Verwerfungen und Kapriolen die politische Entwicklung führte, davon erzählt die von Gilles Peterson und Stuart Baker besorgte Kompilation »Cuba: Music and Revolution – Culture Clash in Havana – Experiments in Latin Music 1975–85«.

Ein musikalisches Wunderkind wie der Pianist Chucho Valdés, der im Alter von neun die Aufnahmeprüfung am Konservatorium bestand und als Teenager in der Band seines Vaters im »Club Tropicana« spielte, träumte davon, einmal so virtuos wie Oscar Peterson, so perkussiv wie McCoy Tyner und so lyrisch wie Bill Evans zu spielen. Nach der Revolution gründete er gemeinsam mit dem Altsaxophonisten Paquito D’Rivera und dem Trompeter Arturo Sandoval das Orquesta Cubana de Música Moderna, stets darauf bedacht, jetzt nur nicht »jazzy« zu klingen. 1973 formierten sich die Musiker dann zur Grupo Irakere und mogelten sich aus den Zensurmisslichkeiten, indem sie sich an die erste Generation des afrokubanischen Jazz (Dizzy Gillespie, Mario Bauzá) erinnerten und ihre Version von »Música Moderna« reafrikanisierten.

»Chequere Son« der Grupo Irakere, der die Kompilation eröffnet, ist eine Verbeugung vor einer Charlie-Parker-Komposition, Ton für Ton in ein anderes musikalisches Idiom transformiert. Mit so großem internationalen Erfolg, dass die Band 1978, nach einer Intervention Dizzy Gillespies, einen Auftritt beim legendären Newport Jazz Festival bekam. Für den Livemitschnitt dieses Konzerts gab es dann ein Jahr später einen Grammy für die beste Latin-Veröffentlichung. Solche Geschichten erzählt die höchst unterhaltsame Kompilation, deren musikalische Experimente aufgrund der politischen Umstände eine endemische Entwicklung einer genuin kubanischen »Música Moderna« vermuten lassen, statt dessen aber immer irrwitzigere Hybriden mit Funk-, Soul-, Disco-, Tropicalia- und Fusion-Elementen liefern. Das Experimentieren ist hier eindeutig eine subversive Mischung aus Kannibalismus und gleichzeitigem Spurenverwischen. Ein Track wie »Sondeando« der Grupo Experimentación Sonora del ICAIC mit Downbeat-Grooves, Flöten und Streichern täte auch auf den Alben von Isaac Hayes oder dem Love Unlimited Orchestra gute Dienste. Und »Grifo«, ein weiterer Track dieser Band, klingt gleich wie ein Outtake einer verschollenen Session von Soft Machine.

Was diese Kompilation naturgemäß nicht zeigen kann, was aber auch kolportiert wird in Sachen »Überlisten der Zensur«: Man eröffne ein Album am besten mit zwei, drei linientreuen Polit-Songs und schalte erst danach auf Latin-Fusion-Party um. Weil diese Musik zumeist für den kleinen Inlandsmarkt und den Export in die sozialistischen Bruderstaaten produziert wurde, bekam die westliche Welt davon – mit Ausnahmen wie Irakere oder Los Van Van – kaum etwas mit. Aber die kubanischen Musikerinnen und Musiker ihrerseits müssen mit offenen Ohren durchs Leben gegangen sein.

Übrigens: Begleitend zur Musikkompilation haben die beiden Herausgeber in enger Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen den famosen und famos ergänzenden Bildband »Cuba: Music and Revolution – Original Album Cover Art of Cuban Music« veröffentlicht. Der zeigt im Gegensatz zur Musikkompilation zweierlei: erstens den harschen Bruch mit den vorrevolutionären Exotismen und Sexismen in der Covergestaltung und zweitens, dass das visuelle Moment offenbar wesentlich besser auf Linientreue hin zu kontrollieren ist. Wem das alles nicht genügt, kann sich ja von »Nu Yorica!« noch einmal eine andere Geschichte erzählen lassen, von der jetzt klargeworden ist, dass es sich dabei um alles andere als ein Konkurrenzunternehmen gehandelt hat. Eher schon um stille Post.

Diverse: »Cuba – Music and Revolution: Culture Clash in Havana – Experiments in Latin Music 1975–85, Vol. 1« (Soul Jazz/Indigo)

Gilles Peterson und Stuart Baker: Cuba – Music and Revolution: Original Album Cover Art of Cuban Music. Soul Jazz Books, London 2020, 256 Seiten, ca. 30 Euro

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

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Ulrich Kriest
junge Welt, 26.04.2021