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Nachrichten aus und über Kuba

Nachrichten, Berichte, Reportagen zu aktuellen Entwicklungen, Hintergründen und Ereignissen in Kuba, internationale Beziehungen und der Solidarität mit Kuba.


Türöffner für Rechte

Vom Westen finanzierte Nichtregierungsorganisationen sind für neoliberalen Rollback in Lateinamerika zentral.

Die Coronapandemie zeigt einmal mehr, wie krisenanfällig der Kapitalismus ist. Das gilt um so mehr in der kapitalistischen Peripherie Lateinamerikas. Im Angesicht der Krise werden auch die ideologischen Auseinandersetzungen wieder heftiger. Unter dem mittlerweile vor allem von rechts genutzten Kampfbegriff »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« gewinnt der in Zeiten des Kalten Krieges besonders wirkmächtige Antikommunismus wieder an Boden.

2016 leitete der Sieg Mauricio Macris bei der Präsidentenwahl in Argentinien einen neoliberalen Zyklus in der Region ein. Macri folgte eine Reihe ultrakonservativer bis protofaschistischer Staatschefs in Lateinamerika: 2017 Lenín Moreno in Ecuador, 2018 Sebastián Piñera in Chile und Iván Duque in Kolumbien, 2019 Jair Bolsonaro in Brasilien und Nayib Bukele in El Salvador. Dabei vertraute die Rechte beileibe nicht immer auf die Spielregeln des bürgerlichen Parlamentarismus, wie der Fall von Jeanine Áñez zeigt, die im selben Jahr in Bolivien nach dem Putsch gegen Evo Morales ins Amt gehievt wurde.

Rohstoffboom

Zwar haben die USA weiterhin die Vormachtstellung in Lateinamerika inne, der Einfluss der Volksrepublik China in der Region nimmt jedoch seit geraumer Zeit zu. Beispielhaft dafür steht der Rohstoffboom, der linksgerichteten Regierungen zwischen 2006 und 2014 nie zuvor dagewesene Finanzmittel verschaffte. Allein zwischen 2002 und 2017 stieg das Volumen der Exporte aus der Region in die Volksrepublik von 66 auf 821 Milliarden US-Dollar. 1)

Ecuador steht beispielhaft für die Entwicklungen in Lateinamerika während der vergangenen Jahre. Innerhalb von nur einer Dekade zwischen 1996 und 2006 gaben sich sieben Präsidenten die Klinke in die Hand. Erst die Präsidentschaft von Rafael Correa brachte dem Land Stabilität. Dank der hohen Rohstoffpreise während seiner beiden Regierungsmandate (2007–2017) konnte er die staatlichen Sozialprogramme maßgeblich ausbauen, seine Regierung investierte fast 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Bildung, Gesundheit und Infrastruktur. Kein Land der Region hat während des Rohstoffbooms die Armut so drastisch senken können: So ging die Rate extremer Armut (laut Weltbank gelten Personen, die weniger als 1,90 US-Dollar am Tag zur Verfügung haben, als extrem arm) während Correas Amtszeit um 47 Prozent zurück. 2)

2017 gewann Moreno als offizieller Wunschkandidat von Correa die Präsidentschaft und wandte sich nahezu mit dem Antritt der neuen Regierung gegen die linksgerichtete Politik seiner Vorgängers. Er setzte eine aggressive Politik der Verschuldung im Ausland durch, deren Volumen 2021 auf über 65 Milliarden US-Dollar anstieg. Die an die Kredite gebundene Kürzungspolitik, die dem Land durch Internationalen Währungsfonds und Weltbank aufgezwungen wurde, brachte katastrophale soziale Verwerfungen mit sich.

Im Schafspelz

Zentral für die Rückkehr neoliberaler Regierungen in Lateinamerika an die Macht ist die Arbeit unzähliger Nichtregierungsorganisationen (NGO). Sie verfügen über große Finanzmittel aus dem Ausland – nicht ohne im Gegenzug eine den Interessen ihrer Geldgeber entsprechende Agenda zu verfolgen. Inhaltlich orientieren sich viele der NGOs an Problemstellungen, die in der vergangenen Jahrzehnten in Basisorganisationen an Relevanz gewonnen haben. Themen sind Menschenrechte und Umweltschutz, die Rechte Indigener, Feminismus oder auch Projekte rund um Meinungsfreiheit oder digitale Medien stehen auf ihrer Agenda.

Ein Großteil dieser Organisationen wird von der US-Agentur für Internationale Entwicklung (USAID) mit Startkapital und Geldern für Weiterbildungen versorgt. Wie auf der Webseite dieser dem State Department in Washington unterstellten Behörde nachzulesen ist, verfügte die Ecuador-Abteilung der USAID allein im Jahr 2019 über 80 Millionen US-Dollar, die an NGOs weitergegeben wurden. In Lateinamerika gehört die große Mehrheit der Nichtregierungsorganisationen dem Dachverband Atlas Network an, der seinen Sitz in der USA hat und über direkte Finanzmittel des State Department, von USAID und dem US-Dienst »National Endowment for Democracy« (NED) verfügt.

Insbesondere in Ländern wie Kuba, Venezuela und Nicaragua, deren Führungen sich nicht den Interessen der USA beugen, ist der NED aktiv. Für konterrevolutionäre Tätigkeiten in Kuba gibt der NED die meisten Mittel aus. Weitere Recherchen zeigen, dass auch andere Destabilisierungsversuche gegen linke Regierungen direkt auf das »Engagement« des US-Dienstes zurückzuführen sind. So konnte das Nachrichtenportal The Grayzone Anfang 2019 darlegen, dass Juan Guaidó, der sich selbst für den Interimspräsidenten Venezuelas hält, vom NED aufgebaut wurde.

Auch während der Präsidentenwahl in Ecuador in diesem Jahr zeigte sich die Wirkmächtigkeit des NGO-Spektrums. In Opposition zum Linkskandidaten Andrés Arauz, der für einen Kurs gemäß der Correa-Jahre eintrat, bildete sich eine skurrile Koalition aus indigenen Organisationen, oligarchischen »Eliten«, Akteuren aus dem linken Spektrum und Nichtregierungsorganisationen. Deren Bündnis fußte auf dem Vorwurf, Correa habe während seiner Amtszeit »autoritär« gehandelt, als er gegen aus dem Ausland finanzierte NGOs vorging. In der Folge scheiterte der Kandidat der Indigenenpartei Pachakutik, Yaku Pérez, der ausgezeichnete Beziehungen zur US-Botschaft und unzähligen NGOs unterhält, nur knapp am Einzug in die zweite Runde. Für den Sieg des rechtskonservativen Multimillionärs Guillermo Lasso gegen Arauz in der Stichwahl im April war schließlich nicht zuletzt der Aufruf der Koalition aus Indigenen, Oligarchie und NGOs entscheidend, »ideologisch« begründet ungültig zu wählen. 16 Prozent der Wahlberechtigten folgten der Aufforderung, das entspricht 1,7 Millionen Personen.

Reale Gefahr

Während die Rechte auf der einen Seite auf scheinbar progressive Inhalte setzt, wird auf der anderen das Schreckgespenst des Kommunismus aus der Mottenkiste geholt. Aktuellstes Beispiel ist Kolumbien, wo die Protestbewegung als Umsturzversuch »linksterroristischer Fraktionen« diffamiert wird, die »aus dem Ausland durch Venezuela und Kuba finanziert« würden. Anfang Mai erklärte der damals noch amtierende Moreno in Ecuador zur Situation im Nachbarland: »Es ist wichtig, das die Welt Nicolás Maduro (Präsident Venezuelas, jW) in diesem Moment dazu auffordert, seine blutigen Hände aus Kolumbien zu nehmen.«

In der Konsequenz bedeutet dieses Narrativ, dass die »subversiven Netzwerke«, die hinter den Protesten stehen sollen, verfolgt und auch ausgelöscht werden können, um die »Demokratie« zu verteidigen. Dass es nicht bei Drohungen bleibt, zeigen die USA und ihre regionalen Verbündeten dabei regelmäßig. Eines der jüngeren Beispiele ist die Lieferung von Waffen der ecuadorianischen Regierung unter Moreno an das damals in Bolivien herrschende Putschistenregime am 13. November 2019. Laut Ermittlungen der aktuellen bolivianischen Regierung lieferte Quito insgesamt 8.449 Munitionseinheiten darunter 5.000 Handgranaten des Typs »GL-302«, 500 Schallgranaten, 2.389 Granaten, Kaliber 37 Millimeter, mit langer Reichweite sowie 560 Granaten des Kalibers 37 Millimeter mit kurzer Reichweite. Weniger als eine Woche später massakrierten die Putschisten in der Ortschaft Senkata zehn Menschen, die gegen den Staatsstreich protestierten. Weitere 31 wurden verletzt.

1) Rhys Jenkins: The »China effect« on commodity prices and Latin American export earnings, in: CEPAL Review, Nr. 103, April 2011, S. 73–87.

2) Mark Weisbrot, Jake Johnston, Lara Merling: Decade of Reform: Ecuador’s Macroeconomic Policies. Institutional Changes and Results, Center for Economic and Policy ­Research, 2017.

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

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Felipe Kohler lebt in Quito und ist Redakteur der Onlinezeitung Revista Crisis
junge Welt, 21.07.2020