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»Yo soy Fidel»

Vor fünf Jahren starb Revolutionsführer Castro: Besuch auf dem Friedhof Santa Ifigenia.

Es ist früh, noch vor sieben Uhr am Morgen des 25. November 2021, aber es warten bereits Tausende Menschen hinter dem gusseisernen weißen Tor des Friedhofs Santa Ifigenia in Santiago de Cuba. An diesem Tag vor fünf Jahren ist der Revolutionsführer und Präsident, der Comandante en jefe Fidel Castro gestorben.

Am Eingang des Friedhofs erhalten alle eine rosa oder gelbe Rose. Viele sind in ihrer Arbeitskleidung gekommen, mehrere Dutzend Müllmänner- und -frauen in Orange, Hunderte Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe in ihren Uniformen mit hellbraunen Hosen und weißen Hemden. Andere Trauernde haben sich schick gemacht. Es ist heiß, obwohl es noch früh am Morgen ist brennt die Sonne in Kubas zweitgrößter Stadt.

Fast fünf Jahrzehnte lang hatte Fidel Castro Ruz das Land geleitet, bevor er am 25. November 2016 im Alter von 90 Jahren starb. Sein Bruder, der damalige Präsident des Staats- und Ministerrats Raúl Castro, informierte Kuba und die Welt über den Tod Fidels. Am 4. Dezember wurde er auf dem Friedhof Santa Ifigenia beerdigt. Die Geschichte des Revolutionärs ist untrennbar mit Santiago de Cuba verbunden. Im Alter von sechs Jahren war er hergezogen, ging hier zur Schule und später aufs Berufskolleg.

Der Grabstein, unter dem die Asche Fidels liegt, ist ein Felsbrocken aus der nahegelegenen Sierra Maestra und hat die Form eines Maiskorns. Eine Anlehnung an den Ausspruch des kubanischen Dichters und Unabhängigkeitskämpfers José Martí (1853–1895), der sagte: »Aller Ruhm der Welt passt in ein Maiskorn hinein.« Der helle Naturstein steht unweit des turmartigen Mausoleums des kubanischen Nationalhelden. Im Hintergrund wehen schwarzrote Fahnen mit der Aufschrift »26 de Julio«. Am 26. Juli 1953 griff eine Gruppe junger Guerilleros die wichtigsten Kasernen der von den USA unterstützten Batista-Diktatur an: »Moncada« in Santiago de Cuba und »Carlos Manuel de Céspedes« in Bayamo – es war das Startsignal für die Kubanische Revolution, die am 1. Januar 1959 siegen sollte.

Immer mehr Personen reihen sich in die Schlange ein, als zwei Lautsprecher angehen. Die Menschentraube verstummt augenblicklich, und die Nationalhymne erklingt. Leise singen die Kubanerinnen und Kubaner mit, hinter Coronaschutzmasken, die zu tragen überall Pflicht ist. Melancholische kubanische Musik erklingt, als die ersten in der Reihe andächtig den schmalen Weg zu Fidels Grab entlanglaufen und ihre Rose niederlegen. Einige Menschen weinen geräuschlos, ihre Tränen kullern in die Masken.

»Wir Kubaner sind heute sehr traurig«, sagt Aris Arias Batalla, Einsatzleiter des kubanischen Roten Kreuzes, gegenüber jW. Viele seiner Mitarbeitenden stehen für die Menschen am Friedhof bereit, sollte jemandem in der Hitze unwohl werden. Man sei traurig, »auch wenn Comandante Fidel uns gut darauf vorbereitet hat, seine Gedanken weiterzuleben, wenn er eines Tages physisch nicht mehr da sein wird«.

Kubas Präsident Miguel Díaz-Canel hatte den Revolutionsführer bereits einen Tag zuvor geehrt. Auf Twitter schrieb er über Fidel unter anderem: »Er schmiedete ein emanzipatorisches Werk, schuf Hoffnung für die Menschheit, trat dem Imperialismus entschlossen und unbesiegt entgegen und wuchs mit seinem Volk und seiner Revolution.«

An diesem Tag werden aber weder er noch Fidels Bruder Raúl Castro auf dem Friedhof erscheinen. Solche Besuche seien mit bestimmten Sicherheitsvorkehrungen verbunden, sagt Batalla. Am heutigen Tag jedoch sollten alle die Möglichkeit haben herzukommen, eine Blume niederzulegen. »Trotz der schrecklichen Blockade der US-Regierung und der Coronakrise kämpfen wir, die kubanische Bevölkerung, weiter in Fidels Gedenken und im Sinne der Revolution.«

Der Friedhof wurde im Februar 1868 eingeweiht, die ersten Beerdigungen fanden im April desselben Jahres statt. Neben José Martí liegen in Santa Ifigenia die sterblichen Überreste von 32 Generälen aus den kubanischen Unabhängigkeitskriegen und zahlreichen anderen berühmten Persönlichkeiten des Landes. Das Gelände ist von hohen Palmen umsäumt, vor dem administrativen Gebäude des geschichtsträchtigen Friedhofs, einem weißen Haus im Kolonialstil, weht die kubanische Flagge.

Auch Stunden später reißt der Andrang auf dem Friedhof nicht ab. Hunderte Jungpioniere mit roten Halstüchern, kurzen burgunderfarbenen Hosen und weißen Hemden strömen durch das Tor. Viele von ihnen Tragen große Fotografien des Comandante. Ein älterer Mann ruft laut: »Yo soy Fidel« – ich bin Fidel. Die Jungpioniere stimmen lautstark mit ein.

Später am Nachmittag im historischen Stadtzentrum Santiago de Cubas. Livia öffnet in einem kittelartigen weißgeblümten Kleid die Tür des restaurierungsbedürftigen Kolonialbaus. »Dieses Haus war wichtig für die Revolutionsbewegung 26. Juli«, sagt sie zur Begrüßung und nimmt im Atrium Platz. »Heute, an Comandante Fidels fünftem Todestag, empfinde ich viel.« Weinstöcke ranken wie ein Dach an einer Holzkonstruktion über ihrem Kopf und spenden Schatten; einzelne dunkelrote Reben hängen herab. Ihre Mutter habe mit Fidel Castro in Havanna studiert, erzählt die 70jährige Frau. Ihre sieben Onkel seien alle in der Bewegung des 26. Juli gewesen. Kurz nach der Revolution bildete ihre Mutter Lehrer in der Sierra Maestra aus, um die Alphabetisierungskampagne zu unterstützen.

Wenn die ehemalige Bibliothekarin von ihrer Kindheit erzählt, kneift sie nachdenklich ihre Augen hinter der Brille zusammen. »Einmal, ich war ungefähr neun Jahre alt, kam Fidel zu uns nach Hause. Ich war schüchtern und blickte durch die Gardinen. Fidel war so groß und hatte langgliedrige Hände.« Da habe er sie durch den Vorhang erblickt und angegrinst. Livia spielt plötzlich die Szene nach, sie reißt – als wäre sie wieder neun Jahre alt – erschrocken ihre Augen auf und zieht den imaginären Vorhang schnell mit ihren Händen zu. »Bis zu seinem Tod hat Comandante Fidel unermüdlich für die Ideale der Revolution gearbeitet.«

Zurück auf dem Friedhof: Immer mehr Menschen strömen zum maiskornförmigen Grabstein. Einsatzleiter Batalla hat noch einen langen Tag vor sich. Aber ihm mache das nichts aus, sagt er. Er werde so lange arbeiten, bis auch die letzte Person ihre Blumen niedergelegt hat: »¡Yo soy fidelista!«

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

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Annuschka Eckhardt, Santiago de Cuba
junge Welt, 27.11.2021