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Nachrichten aus und über Kuba

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Biden etwas einsam

US-Präsident lädt zu Amerikagipfel: Absage von Staats- und Regierungschefs aus dem Süden. Demoverbot vor Ort.


Hintergrund: Geschichte einer Ausgrenzung


Beim ersten Amerikagipfel, 1994 in Miami, hatten die USA bereits Kuba ausgeschlossen. Die übrigen 34 Staaten unterstützten Washingtons Projekt einer gesamtamerikanischen Freihandelszone (Free Trade Area of the Americas, FTAA), die in Lateinamerika als »Área de Libre Comercio de las Américas« (ALCA) propagiert wurde. Wie in Miami war der Ausschluss Kubas auch auf den Gipfeltreffen in Santiago de Chile (1998) und Québec (2001) kein kontroverses Thema.


Das änderte sich mit der zunehmenden Kooperation lateinamerikanischer und karibischer Staaten. Der vierte Amerikagipfel im argentinischen Mar del Plata, auf dem US-Präsident George W. Bush im November 2005 den Start der Freihandelszone FTAA/ALCA verkünden wollte, wurde für die USA zum Desaster. Zuvor hatten Fidel Castro (Kuba) und Hugo Chávez (Venezuela) den Plan als Versuch gegeißelt, »die Macht der multinationalen Konzerne und der Eliten zu konsolidieren, die unsere Länder lange Zeit beherrscht haben«. Über 40.000 Menschen protestierten unter der Losung »Nein zu ALCA« gegen das Treffen. Auf einem Gegengipfel im Stadion von Mar del Plata erklärte Chávez ALCA für gescheitert und schlug das bis dahin nur zwischen seinem Land und Kuba bestehende bilaterale Bündnis ALBA als Alternative vor. Damit war die US-Vorherrschaft geschwächt.


Beim fünften Gipfel konnten sich die Teilnehmer 2009 in Port of Spain (Trinidad und Tobago) nicht einmal auf eine Abschlusserklärung einigen. Die Präsidenten Evo Morales (Bolivien), Luiz Inácio Lula da Silva (Brasilien), Daniel Ortega (Nicaragua) und Chávez forderten US-Präsident Barack Obama statt dessen zur Beendigung der Blockade gegen Kuba und zur Normalisierung der Beziehungen auf. Aus Protest gegen die weitere Ausgrenzung Kubas, das auf Druck der USA im Jahr 2012 auch nicht zum sechsten Amerikagipfel in Cartagena (Kolumbien) eingeladen worden war, sagte Ecuadors Präsident Rafael Correa seine Teilnahme ab. Andere Staats- und Regierungschefs erklärten, dass es keine weiteren Gipfel ohne Kuba geben könne.


Der erneute Versuch Washingtons, die Teilnahme Kubas am siebenten Treffen in Panama zu verhindern, scheiterte am Widerstand der anderen Länder. Zum ersten Mal seit 1994 beteiligten sich im April 2015 alle 35 Staaten des Kontinents am Amerikagipfel in Panama, an dem die Präsidenten Kubas (Raúl Castro) und der USA (Barack Obama) gleichberechtigt teilnahmen.


Unter Donald Trump verhärteten sich die Positionen wieder. US-Vizepräsident Michael Pence, der Trump im April 2018 beim achten Gipfeltreffen in Lima vertrat, scheiterte jedoch mit der Aufforderung, Venezuela »zu isolieren«. Nur 16 der 34 teilnehmenden Länder unterstützten seinen Appell, die dort für Mai angesetzten Wahlen nicht anzuerkennen. (vh)

US-Präsident Joseph Biden will der Welt in der kommenden Woche demonstrieren, dass er noch der Herr im eigenen Hinterhof ist. Wie das Weiße Haus am vergangenen Sonnabend mitteilte, will er Mittwoch mit Ehefrau Jill nach Los Angeles reisen, wo vom 6. bis 10. Juni der neunte Amerikagipfel stattfinden soll. Auch Vizepräsidentin Kamala Harris und ihr Ehemann, Douglas Emhoff, würden an dem Treffen teilnehmen, meldete das staatliche US-Propagandaportal Martí Noticias am 28. Mai. Zwei Tage vor Beginn des Gipfels ist allerdings ungewiss, ob Biden sich in Kalifornien als anerkannter und durchsetzungsfähiger Staatenlenker präsentieren kann oder unter einem Vorwand doch nicht anreist, weil er befürchtet, als begossener Pudel dazustehen.

Von den 35 Staaten des Doppelkontinents haben einige ihre Teilnahme aus Protest gegen die von Washington angeordnete Ausgrenzung Kubas, Nicaraguas und Venezuelas bereits abgesagt. Auch mehrere Staats- und Regierungschefs haben – aus unterschiedlichen Gründen – erklärt, nicht an der Veranstaltung teilzunehmen. Das bedeutet zwar nicht zwangsläufig, dass deren Länder nicht vertreten sein werden, aber allein die Tatsache, dass Regierungsbeamte der unteren Ebene entsandt werden, ist eine Missachtung des Präsidenten der Vereinigten Staaten, der den Gipfel einberufen hat.

Nach offizieller US-Darstellung zielt das Treffen darauf ab, die Regierungen der Region bei der Bewältigung »drängender Herausforderungen« zu vereinen, zu denen Biden »die Migrationskrise, den Klimawandel, die wirtschaftliche Situation und den Umgang mit der Pandemie« zähle. Der ehemalige Präsident von Uruguay, José Mujica (2010–2015), einer der erfahrensten Politiker in der Region, vermutet allerdings, dass es Biden eher darum geht, den Einfluss Russlands und Chinas in Lateinamerika zurückzudrängen. Er glaube nicht, dass es »viel mehr als ein paar Erklärungen zum Konflikt zwischen Russland und der Ukraine geben werde«, sagte Mujica dem Radiosender Universal.

Neben der Einstimmung auf die US-Position gegen Russland dürften innenpolitische Überlegungen eine Rolle spielen. Im Vorfeld der US-Zwischenwahlen im November, bei denen ein Drittel des Senats und zahlreiche Sitze im Repräsentantenhaus neu besetzt werden, will Biden Stärke demonstrieren und sich nicht dem Risiko aussetzen, von militanten Rechten als »Komplize« angeblicher »Diktaturen« in der Region dargestellt zu werden.

Dazu müssen potentielle Störenfriede mundtot gemacht werden. Die Biden-Administration geht deshalb schärfer als Donald Trump gegen die Länder vor, die dessen Sicherheitsberater John Bolton als »Troika der Tyrannei« bezeichnete, die »Ursache für immenses menschliches Leid, eine enorme regionale Instabilität und die Entstehung einer schmutzigen Wiege des Kommunismus in der westlichen Hemisphäre« seien.

Vorsorglich verpasst Washington nicht nur den Regierungen, sondern auch Vertretern der »Zivilgesellschaft« dieser Länder einen Maulkorb. So wurden Mitgliedern des kubanischen Behindertenverbandes Aclifim, der Schriftstellervereinigung Uneac, eines Verbandes zur Förderung der kubanischen Land- und Forstwirtschaft und von Cubasolar, einer Organisation zur Förderung der Energieerzeugung aus erneuerbaren Quellen, sowohl die persönliche wie auch die Teilnahme an Onlineveranstaltungen verwehrt. Statt dessen sollen einige der von US-Diensten finanzierten Systemgegner die Länder in Los Angeles »repräsentieren«.

Auch US-Bürger dürfen öffentlich keine abweichenden Positionen vertreten. Die Organisatoren eines von verschiedenen US-Organisationen geplanten »Volksgipfels«, der »die Interessen der Armen und Besitzlosen unserer Hemisphäre« in Los Angeles artikulieren sollte, haben am Dienstag angeprangert, dass die Polizei von Los Angeles eine Demonstration während des Gipfels verboten habe.

Die Geschäftsführerin der Organisation »Californians for Humane Immigrant Rights Los Angeles« (CHIRLA), Angélica Salas, erklärte laut dem lateinamerikanischen Fernsehsender Telesur, das »People’s Summit« werde »Themen ansprechen, die für unser Volk wichtig sind, aber vom Präsidentengipfel ausgeklammert wurden. Die Rechte der Migranten, der Frauen und der Beschäftigten, der Wiederaufbau und Schutz demokratischer Normen und die Sicherheit der Familien. Wir werden eine andere Vision der Hemisphäre als einen Ort des Friedens, der Freiheit und des Wohlstands für alle präsentieren, der kein Land ausschließt.«

Aber Washington glaube, »das Recht zu haben, allein zu entscheiden, wer demokratisch ist und wer nicht, obwohl es im Laufe seiner Geschichte immer wieder in Drittländer einmarschiert ist, die Völkergemeinschaft belogen hat – der Irak ist nur ein Beispiel –, mordet, Staatsstreiche organisiert, Sanktionen verhängt und internationales Recht verletzt; natürlich im Namen der Demokratie«, beschrieb die mexikanische Tageszeitung La Jornada am Dienstag den Grund für die Ablehnung des Treffens in vielen lateinamerikanischen Ländern. Es sei klar, dass dieses Land als entschiedener Gegner des Rechts der Nationen, souverän über ihren Weg zu entscheiden, die Voraussetzungen für die Ausrichtung eines Amerikagipfels nicht erfülle, kommentierte die angesehene Zeitung.

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

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Volker Hermsdorf
junge Welt, 04.06.2022