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»So etwas hatte man in Kuba noch nicht erlebt«

Vor einem Jahr eskalierten Proteste wegen schlechter Versorgungslage. US-nahe Gruppen mischten mit. Ein Gespräch mit Angelika Becker.

Vor einem Jahr, am 11. Juli 2021, sind in Kuba Tausende Menschen auf die Straße gegangen. Ihr Protest richtete sich gegen die schlechte Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten inmitten der Coronapandemie. In der Folge kam es zu Gewalt, Rufen nach Regime-Change, aber auch zu Gegenprotesten von Verteidigern der kubanischen Revolution. Wie würden Sie die damalige Situation beschreiben?

Die Aktivitäten kamen damals überraschend. Im nachhinein wurde allerdings deutlich, dass sie nicht spontan »ausbrachen«, sondern mittels der sozialen Medien an vielen Orten gleichzeitig angeheizt wurden. Spontan war aber die Beteiligung von Teilen der Bevölkerung, die angesichts der Mangelsituation im Lande und Stromabschaltungen Luft ablassen wollte.

Schockierend waren die Gewaltausbrüche an vielen Orten, die Stürmung einer Kinderklinik, von Geschäften, es kam auch zu Angriffen auf Menschen. So etwas hatte man in Kuba noch nicht erlebt. Im Ausland wurden die Bilder intensiv verbreitet. Dabei wurden aber auch Bilder verwendet, die in anderen Ländern aufgenommen wurden oder sogar Gegendemonstranten zeigten, die für die kubanische Regierung eintraten. Offenbar hatten damals einige auf einen Regime-Change gehofft.

In einer Mitteilung haben Sie davor gewarnt, dass sich ähnliche Szenen an diesem Montag, dem ersten Jahrestag der Proteste, wiederholen könnten. Welche Informationen liegen Ihnen dazu vor?

Wir verfolgen genau, was in den sozialen Medien geschieht. Dazu muss man wissen, dass die wirtschaftliche Situation in Kuba weiterhin sehr angespannt ist und die Menschen nach den Einschränkungen durch die Pandemie und die anhaltende Blockade der USA und ihren Sanktionen erschöpft sind.

Auch hierzulande könnte es zu Aktionen kommen, befürchten Sie. Womit rechnen Sie?

Uns liegen Informationen über geplante Aktionen vor dem Reichstag, aber auch vor der kubanischen Botschaft in Berlin vor. Allerdings sind die hiesigen Contras wohl sehr zerstritten. Leider wird ihnen – zum Beispiel von rechten Kräften – im Europaparlament immer wieder eine Plattform geboten.

Sie verweisen darauf, dass die damaligen Aktionen der Regierungsgegner »nachweislich direkt von der US-Botschaft in Havanna unterstützt« worden seien. Welche Beweise haben Sie dafür?

Rund zehn Tage später kam der französisch-spanische Journalist Ignacio Ramonet unter Auswertung zahlreicher Quellen zu dem Ergebnis, dass es keinen Zweifel gibt, dass die Unruhen vorsätzlich von außen geschürt worden waren. Beteiligt waren etliche der US-Regierung nahestehende Organisationen.

Ist jeder Protest gegen die Politik der kubanischen Regierung von den USA gesteuert?

Bestimmt nicht, ich habe die kubanische Bevölkerung als sehr diskussionsfreudig erlebt. Sie hat zahlreiche Möglichkeiten, sich innerhalb der Institutionen und in den Organisationen der kubanischen Zivilgesellschaft – Gewerkschaften, Frauen- und Jugendverbänden, Schriftsteller- und Künstlerverbänden – zu äußern. Und die kubanische Regierung zeigt sich sehr dialogbereit.

Gibt es Dinge, die Sie an der Regierung kritisieren?

Die kubanische Regierung hat nur wenige Möglichkeiten, aus eigener Kraft die wirtschaftliche Lage kurzfristig erheblich zu verbessern. Im Kern versucht sie, die Produktion und die Produktivität zu steigern. Was sie außerdem macht: Auf vielfältigen Wegen stellt sie Transparenz über die Situation her, sucht das Gespräch mit den Menschen.

Also gibt es nichts, dass Sie kritisieren?

Ich sehe, dass der Handlungsspielraum der Regierung sehr gering ist, nach erfolgreicher, aber teurer Bekämpfung der Pandemie, unter der andauernden US-Blockade, bei Berücksichtigung der internationalen Situation mit hoher Inflation. Natürlich kann man über einzelne wirtschaftspolitische Maßnahmen nachdenken: etwa darüber, ob der unterschiedliche Zugang zu Devisen innerhalb der Bevölkerung nicht zu einer Spaltung der Gesellschaft führt, die im Widerspruch zum sozialistischen Weg steht; ob der angestrebte Abbau von Bürokratie nicht schneller gehen müsste; ob die kleine Korruption einer Mangelwirtschaft nicht effektiver bekämpft werden müsste. Aber da maße ich mir in dieser Notsituation kein Urteil an.

Angelika Becker ist Vorsitzende des Vereins »Netzwerk Cuba«

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

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Interview: Jan Greve
junge Welt, 11.07.2022