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Blockade vor Gericht
Internationales Tribunal in Brüssel über US-Politik gegen Kuba und ihre Folgen.
Ein seit mehr als 60 Jahren ungesühntes Verbrechen gegen Menschen- und Völkerrecht kommt ab Donnerstag in Brüssel endlich vor ein internationales Gericht. Bei dem zweitägigen Tribunal in der belgischen Hauptstadt geht es um die längste und umfangreichste Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade, die je gegen ein Volk verhängt wurde. Die Täter werden sich allerdings auch nach dem Urteilsspruch weiter der Verantwortung für den Tod Tausender und die Gefährdung der Leben von Millionen Menschen entziehen und ihre kriminellen Handlungen fortsetzen können. Denn auf der Anklagebank sitzt die Regierung der USA. Washington hat alle 31 seit 1992 nahezu einstimmig gefällten Abstimmungen der UN-Vollversammlung ignoriert, die das Ende der US-Sanktionen gegen Kuba fordern. Obwohl das Tribunal eher symbolischen Charakters hat, hoffen die Veranstalter, dass Verhandlung und Urteile am Hauptsitz der EU mehr als ein moralischer Appell sein und dazu beitragen könnten, dass der weltweite Widerstand gegen die US-Blockade deutlicher wahrgenommen wird.
Die Ergebnisse seien zwar rechtlich nicht bindend, könnten jedoch zum »Aufruf und Auftakt für eine breite politische und juristische Kampagne« werden, begrüßte der Vorsitzende des kubanischen Instituts für Völkerfreundschaft (ICAP), Fernando González, am Freitag in Havanna die Initiative europäischer und US-amerikanischer Gewerkschaften, Juristenvereinigungen und Aktivisten. Die Protokolle der Beweisaufnahme, der Zeugenaussagen und des Richterspruchs seien wichtige Arbeitsmaterialien für die Argumentation »im Kampf gegen die völkermörderische Politik der USA«, sagte er. Brüssel sei als Tagungsort wichtig, weil alle EU-Mitgliedsländer von den Folgen der extraterritorialen Ausweitung der US-Blockade auf Drittstaaten betroffen seien.
Unter dem Vorsitz des Völkerrechtlers Norman Paech will ein aus fünf Richtern bestehendes Gremium zahlreiche Zeugen vernehmen und Beweise über die Auswirkungen der Blockade auf die Bevölkerung Kubas sowie Personen und Unternehmen in anderen Teilen der Welt prüfen. Paech wird dabei von dem italienischen Handelsrechtsexperten Simone Dioguardi, dem portugiesischen Verwaltungsrechtler Joao Ricardo Duarte, dem griechischen Staatsrechtsprofessor Dimitris Kaltsonis sowie der US-amerikanischen Menschenrechtsanwältin und Verfassungsrechtlerin Mara Verheyden-Hilliard unterstützt. Als Chefankläger fungiert der belgische Anwalt und Vorsitzende der Internationalen Vereinigung demokratischer Juristen, Jan Fermon. Zeugen sind neben Opfern der Blockade aus Kuba unter anderem der ehemalige dänische Außenminister und Vorsitzende der UN-Generalversammlung Mogens Lykketoft, der spanische EU-Abgeordnete und ehemalige Präsident des EU-Parlaments Miguel Ángel Martínez, die Journalisten Pascual Serrano (Rebelión) und José Manzaneda (Cuba Información), der Schweizer Arzt und Präsident von Medicuba Europa, Franco Caravalli, sowie Vertreter europäischer und US-amerikanischer Solidaritätsorganisationen. Neben der Blockade sind die Folgen der Aufnahme Kubas in eine US-Liste von Ländern, die angeblich den Terrorismus fördern, ein Schwerpunktthema.
Bereits vor Beginn haben namhafte Persönlichkeiten das Tribunal begrüßt. »Die Verbrechen der USA gegen Kuba müssen vor Gericht gestellt werden«, forderte Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel. Die Blockade sei »eine Form von Völkermord«, die darauf abziele, einen Aufstand und Staatsstreich zu provozieren, indem sie in der Bevölkerung »eine Situation des Hungers, der Angst und der Not« erzeuge, erklärte der ehemalige Experte des UN-Menschenrechtsrates, Alfred-Maurice de Zayas. Die US-Politik gegenüber Kuba bezeichnete er als einen »Akt der hybriden Kriegführung«. Wer die Blockade gegen Kuba betreibe, ob als Mitglied der US-Regierung oder von Einrichtungen, die sie unterstützen, könne als »Kriegsverbrecher« bezeichnet werden. »Sie sind es, aber es gibt keinen wirklichen internationalen Strafgerichtshof«, der über diese Verbrechen urteilt, begründete de Zayas seine Unterstützung für das Tribunal in Brüssel.
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Volker Hermsdorf
junge Welt, 13.11.2023