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»Die Blockade ist omnipräsent«

Vor einer UN-Abstimmung bilanziert Havanna kritisch die neue Kuba-Politik Washingtons.

Einmal im Jahr stellt Kuba in der UN-Vollversammlung eine Resolution zur Abstimmung, die die vor 55 Jahren von den USA verhängte Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade verurteilt.

Bei der jährlichen Abstimmung über eine Resolution gegen die US-Blockade Kubas votieren die UN-Migliedsstaaten mit überwältigender Mehrheit dafür. Im vergangenen Jahr waren es 188 Staaten - nur die USA und ihr enger Verbündeter Israel waren dagegen. Zwar hat die Resolution keinen bindenden Charakter, ermöglicht es aber Kuba, die Isolation der USA bei diesem Thema auf großer Bühne vorzuführen. An diesem Dienstag wird erneut abgestimmt.

Doch es könnte jetzt anders laufen. Seit der Neuausrichtung der US-Kuba-Politik, der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen und dem begonnenen Annäherungsprozess zwischen den früheren Erzfeinden herrscht ein anderes politisches Klima als vor Jahresfrist. Im Vorfeld waren daher Spekulationen aufgekommen, Washington könnte in der UN-Vollversammlung gegen die eigene Blockadepolitik stimmen oder sich zumindest der Stimme enthalten.

Präsident Barack Obama hat den US-Kongress wiederholt öffentlich aufgefordert, die Blockade zu beenden. Über präsidiale Exekutivvollmachten lockerte er in den vergangenen Monaten Reiserestriktionen für US-Bürger und hob Beschränkungen von Geldüberweisungen und Geschäftstätigkeiten US-amerikanischer Unternehmen auf Kuba - vor allem im Bereich Telekommunikation – auf.

»Wir erkennen die durch Obama getroffenen exekutiven Entscheidungen an, aber man kann nicht sagen, dass die Anwendung der Blockade gegen Kuba modifiziert worden wäre. Die Maßnahmen Obamas gehen in eine positive Richtung, sind aber extrem limitiert«, erklärte der kubanische Außenminister Bruno Rodríguez auf einer Pressekonferenz in Havanna, auf der die von Kuba eingebrachte Resolution zur Aufhebung der Blockade vorgestellt wurde.

Die Gesetze und Regularien, auf denen die Blockadepolitik basiere, seien weiter in Kraft und würden in aller Strenge von der US-Regierung angewendet, so Rodríguez. »Man muss realistisch sein und mir scheint es, man sollte die Taten beurteilen, anhand von Zahlen, und nicht anhand von Verlautbarungen und gut gemeinten Absichtserklärungen.«

Und die Zahlen sprechen ihre eigene Sprache: Kuba beklagt sogar eine Verschärfung der verhängten Sanktionen, vor allem im Finanzsektor. In den mehr als fünf Jahrzehnten, die die Blockade in Kraft ist, seien Schäden in Höhe von beinahe einer Billion US-Dollar entstanden, rechnet Rodríguez vor.

Die Beispiele, die er dann aufführt, beziehen sich alle auf die Zeit nach dem im Dezember 2014 begonnenen Annäherungsprozess. So habe das US-Finanzministerium unterbunden, dass ein in Brasilien registriertes Unternehmen das für die Krebsbehandlung wichtige Element Iridium 192 nach Kuba verkauft. Der deutsche Pharmakonzern Bayer wiederum habe aufgehört, das Medikament Lopramide 300 und 370 nach Kuba zu liefern, nachdem Washington die dafür nötigen Genehmigungen verweigerte.

Im Mai - fünf Monate nach der Verkündung der Aufnahme bilateraler Verhandlungen zwischen den USA und Kuba - wurde die deutsche Commerzbank wegen Geschäften mit Kuba in den USA zu einer Strafe von 1,7 Milliarden US-Dollar verdonnert. »Die Blockade ist omnipräsent, das ist keine Manie, das zeigen die Tatsachen«, so Rodríguez, um noch ein weiteres Beispiel aufzuführen: Während der Ebola-Krise in Westafrika, als kubanische Mediziner zum Teil als einzige direkt in der »roten Zone« Hilfe leisteten, wurden Überweisungen der WHO zur Versorgung der kubanischen Brigaden durch Banken in Drittländern gestoppt und erst nach einer speziellen Genehmigung der US-Steuerbehörde freigegeben.

Rodríguez verwies darauf, dass die diesjährige Resolution - und dies sei neu - die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den USA und Kuba würdige; er unterstrich aber zugleich, dass die Aufhebung der Blockade nicht Teil der Verhandlungen sei.

»Kuba hat nichts zu verhandeln, denn unser Land hat keine Blockade gegen die USA verhängt, es diskriminiert keine US-amerikanischen Unternehmen, es schränkt nicht US-amerikanische Touristen ein.« Die Blockade sei unilateral von den USA verhängt worden und müsse unilateral beendet werden.

Wie also wird die Obama-Regierung abstimmen? Zustimmung zur Resolution oder Stimmenthaltung wären ein mächtiges Signal in Richtung US-Kongress und würden der Weltgemeinschaft Obamas Bereitschaft zur Beendigung der Blockade verdeutlichen.

Andererseits erscheint es wenig wahrscheinlich, dass die US-Regierung den eigenen Kongress derart bloßstellen wird.

Die US-amerikanische Nachrichtenagentur Associated Press (AP) wiederum zitierte Ende vergangener Woche einen anonymen Beamten der US-Regierung, wonach die von Kuba eingebrachte Resolution nicht dem »neuen« Geist der Annäherung entspräche; die US-Regierung werde deshalb gegen die Resolution stimmen. »Es ist eine Entscheidung, die allein der US-Regierung zusteht«, so Kubas Außenminister Rodríguez auf Nachfrage. »Ich werde den 27. Oktober abwarten und schauen, was passiert.«

Neues Deutschalnd

Andreas Knobloch, Havanna
Neues Deutschland, 27.10.2015