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Nachrichten aus und über Kuba

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Die Welt soll hören

Revolution und Zitronensaft: Rolf Becker liest Fidel Castro.

Zitronensaft eine Menge Papierschnipsel, Streichholzschachteln und ein sehr gutes Gedächtnis - das sind die Zutaten, die Fidel Castro Ruz brauchte, um sein Verteidigungsplädoyer aus dem »Moncada-Prozess« der Nachwelt zugänglich zu machen. Zumindest, sofern wir der Legende Glauben schenken. Die besagt, dass der damalige junge Rechtsanwalt und spätere Erzfeind des US-Imperiums die gesamte Rede im Nachhinein aus seinem Gedächtnis rekonstruierte. Mit Hilfe des Wundermittels Zitronensaft schrieb er sie auf kleine Zettelchen, welche wiederum von Freunden in Streichholzschachteln von der Gefängnisinsel Isla de Pinos geschmuggelt wurden. Dort saß Fidel, nachdem er wegen des gescheiterten Sturms auf die Moncada-Kaserne zu 15 Jahren Haft verurteilt worden war.

Wäre Castro nicht so kreativ gewesen, wäre uns sein historischer Satz entgangen: »Die Geschichte wird mich freisprechen.« Ein Satz, der sich tief ins kollektive Gedächtnis der revolutionären Linken eingebrannt hat. Wissen die meisten noch, dass diese Prophezeiung von Fidel stammt, sind Inhalt sowie Kontext des Plädoyers zumindest den meisten in Deutschland nicht geläufig. Das will die CD »Rolf Becker liest Fidel Castro«, die im junge Welt-Verlag 8. Mai erschienen ist, ändern – und schafft es, innerhalb einer guten Stunde umfassend und unterhaltsam zu informieren. Sie dokumentiert eine Veranstaltung in der jW-Ladengalerie vom 28. März, bei welcher der Schauspieler Rolf Becker die berühmte Rede vortrug.

Dank Becker werden Fidels Worte lebendig. Mit ruhiger Stimme führt er durch die komplex aufgebaute Rede, verleiht den richtigen Passagen Nachdruck und kann sich bei manch ironischer Anmerkung auch selbst das Glucksen nicht verkneifen. Die Verteidigungsrede Fidels nimmt mit der Zeit immer mehr an Fahrt auf und entwickelt sich zu einem flammenden Plädoyer gegen Unrecht und für Menschlichkeit.

Fast ist es, als säße man als Hörerin oder Hörer in dem improvisierten Gerichtssaal in einem Krankenhaus Santiago de Cubas, in dem sich der Angeklagte am 16. Oktober 1953 verteidigen musste. Doch Zuhörer waren an jenem Tag nicht erlaubt, an dem Fidel wegen »Rebellion« angeklagt war, nachdem er zusammen mit 130 schlechtbewaffneten Rebellen die Rückkehr zur Demokratie erkämpfen wollte. Die einzigen, die dem wortgewandten späteren Comandante en Jefe dabei lauschten, wie er sich vom Angeklagten zum Ankläger aufschwang, waren über 100 Soldaten und Offiziere.

Castro nutzte die Gelegenheit zur Generalabrechnung mit dem Regime von Diktator Fulgencio Batista, der sich am 10. März 1952 in Kuba an die Macht geputscht hatte. Dazu bediente er sich altbewährter rhetorischer Mittel, etwa wenn er fragt, woher das Interesse daran stamme, dass er schweige; ob das daran liege, dass das Regime die Wahrheit so sehr fürchte. Natürlich weiß Fidel die Antwort darauf selbst – und geht sodann zum Generalangriff auf das gesamte politische System der kubanischen Oligarchie über: einen »Angriff gegen die ganze Lüge, Falschheit, Heuchelei, gegen den Konformismus und die moralische Feigheit«, die die »einzigen Grundlagen dieser plumpen Komödie« seien.

Doch nicht nur das: Im Laufe seiner Verteidigungsrede entwirft Fidel ein ausgefeiltes programmatisches Manifest, das zu einem der wichtigsten Dokumente der kubanischen Revolution werden sollte. Ausgehend von einer Diagnose der sozialen, ökonomischen und politischen Situation des Landes formuliert der junge Revolutionär seine Ideen einer freien und souveränen Gesellschaft - und somit die Grundpfeiler des späteren Kubas. Denn: Trotz Castros Inhaftierung ging die Revolution weiter. Die Kämpfe wurden in den folgenden Jahren intensiver und endeten schließlich mit dem Sturz der Batista-Diktatur am 1. Januar 1959. Gerade heute, wo die Blockade der sozialistischen Insel durch Washington nichts an Brutalität eingebüßt hat, erinnert die Rede daran, warum sich Solidarität mit Kuba lohnt. Denn – um noch einmal Fidel zu zitieren: »Hier wird über fundamentale Fragen gestritten, es wird über das Recht des Menschen, frei zu sein, zu Gericht gesessen. Wir kämpfen für die Grundlagen unserer Existenz als freie und demokratische Nation.«

»Rolf Becker liest Fidel Castro: Die Geschichte wird mich freisprechen«. Mit einer Einleitung von Volker Hermsdorf (Verlag 8. Mai)

jungewelt.de/unblock-cuba

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Frederic Schnatterer

junge Welt, 05.11.2019