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Zum Tod von Camilo Guevara

»Konfliktreiche, komplexe Aufgabe«: Sohn bewahrte das Erbe des Revolutionärs und verstarb nun mit 60 Jahren.

In der zweiten Hälfte der 90er Jahre war Kuba dabei, sich aus den Folgen des Zusammenbruchs der europäischen sozialistischen Länder herauszuarbeiten. Eine wirtschaftliche Erholung setzte ein und gab den Menschen neue Hoffnung. Irgendwann gegen Ende dieses Jahrzehntes waren zwei der Kinder Ernesto »Che« Guevaras auf einer Rundreise durch Deutschland. Camilo und seine Schwester Aleida kamen auch nach Hamburg, wo das Magda-Thürey-Zentrum den Andrang der Besucher kaum fassen konnte. Der Hunger nach Informationen aus Kuba war ebensogroß unter uns Linken wie die Neugier auf die Nachkommen des berühmten Guerilleros – zu einer Zeit, als neoliberale Ideologen sich an ihrer absurden Phantasie vom angeblichen »Ende der Geschichte« berauschten.

Eine bürgerliche Zeitung porträtierte Camilo damals als jugendlichen Playboy mit einem Faible für schnelle Motorräder. Damit war wohl die Absicht verbunden, die Ideen der Revolution als verstaubtes Relikt der Vergangenheit erscheinen zu lassen, von dem sich die kubanische Jugend abwende. Das ist ein Narrativ, das uns schon seit den frühen Jahren der Revolution serviert wird. Doch im Hinblick auf die große Mehrheit der kubanischen Jugend und ganz besonders auf Camilo Guevara war und ist nichts ferner der Realität.

Als Ernesto Guevara 1967 in Bolivien starb, war Camilo fünf Jahre alt. Ihm blieben nur wenige persönliche Erinnerungen an seinen Vater. Er studierte später Jura und widmete sich in dem 1983 begründeten »Centro de Estudios Che Guevara« zusammen mit seiner Mutter Aleida March de la Torre der Forschung sowie der Sichtung, Herausgabe und Veröffentlichung des Nachlasses seines Vaters. Über diese Arbeit schrieb er 2013: »Wir wissen bereits, dass der Che ein erstaunlicher Mensch war, den es antrieb, zu einer Zukunft des Friedens und der Gleichheit für alle beizutragen. Die Erzählung seines Lebens hinterlässt einen unstillbaren Appetit, mehr über seine Ideen herauszufinden, die sich uns gegenüber manifestieren – in Verbindung mit dem charakteristischen Mut ihres Schöpfers, seiner Ethik; dem eisernen Willen, Probleme anzupacken und zu lösen; der Philosophie des persönlichen Beispiels und verwegener Kreativität. Werkzeuge, die er täglich einsetzte und mit denen er eine unauslöschliche Spur auf seinem Lebensweg hinterließ. Diesem folgend gelangen wir zu seinem ursprünglichen, sensiblen und umformendem Denken, das die großartige Grundlage bildet, auf der sein Vermächtnis beruht.«

Auf einer Delegationsreise des Netzwerk Cuba e.V. vor etwas mehr als drei Jahren besuchten wir das Zentrum und trafen mit Camilo auf einen Gesprächspartner, der in ungewöhnlicher Direktheit mit uns auch über schwierige und kontroverse Themen redete und keiner Nachfrage aus dem Wege ging. Als Direktor der Einrichtung sah er sich nicht, das entspreche nicht dem Denken des Che, dem er in seiner uns gegenüber sofort offenen und zugewandten Art nachzufolgen schien. Das Institut selbst hat innerhalb des kubanischen Wissenschaftsbetriebes wie nur wenige einen autonomen Sonderstatus, auch in seinen Außenkontakten, und wird von der UNESCO als ein Teil »des Gedächtnisses der Welt« wertgeschätzt.

Che Guevara war ein strikter Gegner jeden Versuches, als »Waffe des Kampfes gegen den Kapitalismus die Waffen des Kapitalismus selbst« einzusetzen. Damit wandte er sich gegen die Anwendung kapitalistischer Wirtschaftskonzepte beim Aufbau des Sozialismus und stellte den bewusst handelnden Menschen in den Mittelpunkt. Somit kam bei unserem Gespräch dem Thema der wirtschaftlichen Entwicklung große Bedeutung zu. Camilo erklärte, dass es in Kuba durchaus kontroverse Ansichten gibt, wie mit den Dokumenten und Ideen des Che umzugehen sei. Manche wollten sie im Bereich der Geschichte ablegen, anstatt sich mit ihrem Kern auseinanderzusetzen. Einige glaubten, »die Wahrheit gepachtet zu haben.« Es gebe eine »komplizierte, heiße Debatte und nicht alle, die daran beteiligt sind, wissen, worüber sie reden«. Einige griffen auf Elemente des Marktes und des Warenverkehrs zurück und beriefen sich dabei auf Aussagen der Führung, würden diese aber aus ihrem Kontext reißen. Deshalb sei auch die Analyse der Zusammenhänge so wichtig.

Er sah seine Arbeit als eine »konfliktreiche, komplexe Aufgabe.« Eine Fragestellung sei die Debatte über Staatswirtschaft, ist diese der einzig mögliche Weg oder gebe es auch andere? Wie solle man China und seine soziale Basis einschätzen? Er erwähnte Fälle von Korruption in einem Ministerium und unterstrich, dass sein Vater deshalb immer für strikte Kontrollmechanismen eingetreten war. Doch würden diese einen bürokratischen Apparat ausweiten. Es sei immer eine Gratwanderung zwischen notwendiger Kontrolle und dem Spielraum für Initiative, die dadurch nicht eingeschränkt werden dürfe.

Die Frage, ob das Denken des Che nach seinem Tode auch in Kuba der Gefahr ausgesetzt sei, dass es wie bei vielen großen Denkern entstellt oder für falsche Zwecke missbraucht werden könnte, bejahte er ohne zu zögern. Um einer Banalisierung entgegenzutreten, müssten schon Kindern früh Werte vermittelt werden. Eine zentrale Aufgabe sah er dabei in der praktischen Arbeit seines Institutes mit Schulklassen und Jugendgruppen, denen in Mal-, Keramik- und Fotokursen das Leben seines Vaters und seines politischen Umfeldes für ihre soziale Orientierung nahegebracht wird.

Camilo Guevara starb am 29. August auf einer Reise in Venezuela an einem Herzinfarkt. Er wurde nur 60 Jahre alt.

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

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Wolfgang Mix
junge Welt, 14.09.2022