Unter dem Schutz Havannas

Auch für Kuba hatte der Militärputsch 1965 in Indonesien unmittelbare Auswirkungen. Ein Auszug aus dem Buch "Die Jakarta-Methode" von Vincent Bevins.

1965 unterstützten die USA das indonesische Militär bei der Ermordung von etwa einer Million Zivilisten. Mit einem Staatsstreich gegen die antikolonialistische Sukarno-Regierung galt es, das blockfreie Indonesien auf einen prowestlichen Kurs zu bringen und die größte kommunistische Partei außerhalb Chinas und der Sowjetunion auszuschalten. Der preisgekrönte Publizist Vincent Bevins erinnert in dem Buch "Die Jakarta-Methode" an ein Massenmordprogramm, das in anderen Teilen der Welt gezielt nachgeahmt wurde, so in Brasilien, Chile oder Argentinien. Die Folgen für Kuba bestanden zum einen in einer Schwächung antikolonialer Kräfte, zum anderen in der Abberufung von Sukarnos Botschafter in Havanna. Mit freundlicher Genehmigung des PapyRossa Verlags veröffentlichen wir einen Auszug der gerade auf Deutsch erschienenen Übersetzung des Bandes.

1963 hatte Präsident Sukarno seinen alten Freund A. M. Hanafi nach Havanna geschickt, damit dieser in der Ära Fidel Castro als erster Botschafter Indonesiens in Kuba diente. Hanafi war kein Kommunist, aber ein überzeugter Revolutionär, der dem Präsidenten seit den Tagen des Kampfes gegen die Niederländer in den 1940er Jahren treu geblieben war. Er verstand sich gut mit Fidel und Che, und seine Familie zog in ein komfortables Viertel an der Karibikküste.

Seine Tochter Nury war 17 Jahre alt. Sie war beeindruckt. Havanna war um einiges moderner und eleganter als Jakarta. Sie war erstaunt zu sehen, dass einige der stattlichen Häuser in ihrem Viertel von jungen Studenten bewohnt waren. "Was für ein Glück!", dachte sie. Sie konnte es kaum glauben: Junge Leute wie sie lebten hier und durften den ganzen Tag nur mit Lernen verbringen. Erst später, als sie in Kuba ihr eigenes Studium begann, erfuhr sie, dass dieser Teil der Stadt einst als "Bordell der USA" gedient hatte, als Urlaubsparadies für Playboys und Mafiosi, und dass die Häuser mit der Revolution zurückerobert worden waren. Das erklärte viel.

Als Kind hatte sie in Jakarta die Auswirkungen von politischen Konflikten am eigenen Leib zu spüren bekommen. Einer der Attentatsversuche auf Sukarno – verübt von Islamisten? Von der CIA? Wer wusste das schon? – bestand darin, eine Handgranate in Nurys Schule im Stadtteil Cikini zu werfen, als der Präsident eines Tages zu Besuch war. Auf Kuba war es viel ruhiger, zumindest in ihrem Winkel der Stadt.

Ihr Vater, der nunmehrige Botschafter Hanafi, plante die Trikontinental-Konferenz, eine ehrgeizige Erweiterung des Bandung-Projekts, die für Januar 1966 angesetzt war. Als er zu der Zeit einmal auf Reisen war, erfuhr Nury davon, was sich am 1. Oktober 1965 in Jakarta zugetragen hatte. Hanafi kehrte nicht wie geplant zurück. Nury und ihre Familie erhielten nur bruchstückhafte Informationen, bevor sie erfuhren, dass er, Hanafi, Sukarno im Palast von Bogor besucht hatte. Suharto, der nun faktisch an der Macht war, machte Hanafi ein Angebot, um ihn für seine neue Regierung zu gewinnen. Doch Hanafi entgegnete, Sukarno habe ihn als Botschafter nach Kuba entsandt, und das sei der Auftrag, den er erfüllen wolle.


1. Trikontinental-Konferenz in Havanna, 1966

1. Trikontinental-Konferenz in Havanna, 1966
Foto: CubaMINREX



Zumindest erzählte er es Nury und der Familie so, als er wieder in Havanna ankam. Kurze Zeit später war er seinen Auftrag los, weil die Botschaft in Havanna aufgelöst wurde. Er und seine gesamte Familie verloren ihre indonesischen Pässe.

Fidel hatte verstanden. Für ihn und Che beruhte die gesamte Revolution auf der Prämisse, dass Washington jederzeit zuschlagen konnte, um Regierungen der Dritten Welt zu beseitigen; er selbst hatte unzählige Anschläge auf sein eigenes Leben überlebt. Es überraschte ihn nicht, dass die imperialistischen Kräfte den Botschafter und seine Familie in Havanna auflaufen ließen. Auch wenn Hanafi seine Arbeit und seinen diplomatischen Schutz verloren hatte: Fidel sprang ein, versorgte die Familie mit einem Haus in dem ausgesuchten Viertel Cubanacán und verschaffte Hanafi eine Stelle als Dozent – für Vorlesungen über asiatische Geschichte und die indonesische Revolution.

Vincent Bevins: Die Jakarta-Methode Die Trikontinental-Konferenz, die offiziell als "Solidaritätskonferenz der Völker Afrikas, Asiens und Lateinamerikas" firmierte, fand im Januar 1966 in Havanna statt, nun allerdings ohne die Teilnahme jenes Landes, das die Speerspitze der Dritte-Welt-Bewegung gebildet hatte. Anwesend war indes Salvador Allende, der chilenische Sozialist und Unterstützer der Dritte-Welt-Bewegung, der bei den Präsidentschaftswahlen 1964 Eduardo Frei herausgefordert hatte.

Nury verlor den Kontakt zu ihrer Familie und all ihren Freunden in Jakarta; sie und ihr Vater galten nun als Kommunisten, und für Bekannte aus ihrem vormaligen Leben war es gefährlich, mit ihnen zu sprechen. Sie richtete sich ihr Leben in Havanna ein.



Vincent Bevins: Die Jakarta-Methode.
Wie ein mörderisches Programm Washingtons unsere Welt bis heute prägt. Aus dem amerikanischen Englisch und mit einem Nachwort
von Glenn Jäger.
PapyRossa Verlag, Klappenbroschur, 427 S., 26 Euro.


CUBA LIBRE

CUBA LIBRE 1-2023