Wirtschaftssanktionen töten

Der Globale Süden verweigert dem Westen die Gefolgschaft: Bewegung der Blockfreien Staaten fordert Beendigung einseitiger Embargomaßnahmen und verteidigt damit das Völkerrecht gegen USA und EU.
Sevim Dagdelen



Die Länder des Globalen Südens beteiligen sich nicht am Wirtschaftskrieg gegen Russland. Aus guten Gründen und um die dramatischen Folgen der Sanktionspolitik des Westens wissend: Wirtschaftssanktionen töten. Sie sind keine Alternative zum Krieg, sondern frei nach Clausewitz, Krieg mit anderen Mitteln, der allen voran die Zivilbevölkerung trifft. Bei seiner Rede in Warschau erklärte US-Präsident Joe Biden Ende März 2023 davon unbeeindruckt: ."Diese Wirtschaftssanktionen sind eine neue Art von wirtschaftlicher Staatskunst, die Schaden anrichten kann, und die es mit militärischer Macht aufnehmen kann."





Wirtschaftssanktionen zielen auf Verarmung und Verelendung. Sie treffen immer die Schwächsten und nehmen den Tod der Zivilbevölkerung in Kauf. 500.000 Kinder im Irak sind in den 1990er Jahren infolge der US-Sanktionen gestorben. Die damalige US-Außenministerin Madeleine Albright meinte im Fernsehen, sie seien ."den Preis wert.". Laut einer Studie des Washingtoner Center for Economic and Policy Research (CEPR) haben infolge der US-Sanktionen in Venezuela in den Jahren 2017 bis 2019 an die 40.000 Menschen ihr Leben verloren. In Syrien wird durch die Sanktionen der Wiederaufbau des kriegszerstörten Landes blockiert und den Menschen jede Perspektive für wirtschaftliche Entwicklung geraubt. Selbst Beton darf nicht eingeführt werden. Das sozialistische Kuba muss sich seit mehr als 60 Jahren der inhumanen US-Blockade erwehren – mit mehreren Milliarden Schaden jährlich.

Weitestgehend unbeachtet von den großen westlichen Medien haben im vergangenen November 185 Staaten in der Generalversammlung der Vereinten Nationen für die Resolution zur Aufhebung der einseitigen illegalen US-Blockade gegen Kuba gestimmt. Die USA wurden damit zum 30. Mal in Folge von der internationalen Staatengemeinschaft einvernehmlich verurteilt und global isoliert. Die von den USA seit 1960 gegen Kuba verhängten Sanktionen seien völkerrechtswidrig und verletzten das Recht der Bevölkerung auf Leben und Gesundheit, betonen die UN-Mitglieder in überwältigender Eintracht. Scharf kritisiert wird, dass die US-Regierung die Blockade selbst noch während der Corona-Pandemie beibehalten und sogar noch verschärft hat. Weltweit stimmten nur zwei Länder für Washingtons selbstherrliche und menschenrechtsverletzende Blockade, die USA selbst und ihr enger Verbündeter Israel. Zwei weitere Staaten enthielten sich: Die von den USA abhängige Ukraine, die Waffen ohne Ende für den Stellvertreterkrieg gegen Russland bezieht, sowie das damals noch vom Faschisten Jair Bolsonaro regierte Brasilien.

Am 3. April 2023 schließlich stimmte der UN-Menschenrechtsrat mit überwältigender Mehrheit für eine von der Bewegung der Blockfreien Staaten eingebrachte Resolution, die ein Ende einseitiger Wirtschaftssanktionen fordert, wie sie gerade von den USA und der EU mit Ziel des Regime Changes in Stellung gebracht werden. Die Resolution A/HRC/52/L.18 fordert unter dem Titel ."Die negativen Auswirkungen einseitiger Zwangsmaßnahmen auf die Wahrung der Menschenrechte." alle UN-Mitgliedsstaaten auf, ."keine einseitigen Zwangsmaßnahmen mehr zu ergreifen, beizubehalten, durchzuführen oder einzuhalten.", da diese ."gegen die Charta der Vereinten Nationen und die Normen und Grundsätze für friedliche Beziehungen zwischen den Staaten verstoßen.".

Die Sanktionen des Westens wurden mit 33 zu 13 Stimmen als völkerrechtswidrig eingestuft. Bei den Gegenstimmen waren nur NATO-Staaten, darunter Deutschland, sowie die Möchtegern-NATO-Mitglieder Georgien und Ukraine. Alle Vertreter afrikanischer, asiatischer und lateinamerikanischer Staaten verdammten, bei einer Enthaltung Mexikos, die westliche Sanktionspraxis als Völkerrechtsbruch. Und weil hier – etwa von der Ampel-Regierung –, die Legende verbreitet wird, hier ginge es um Demokratie versus Autokratie, seien hier die Länder aufgezählt, die im UN-Menschenrechtsrat in der Sanktionsfrage das Völkerrecht verteidigen: Algerien, Argentinien, Bangladesch, Benin, Bolivien, Chile, China, Costa Rica, Cote d'Ivoire, Eritrea, Gabun, Gambia, Honduras, Indien, Kamerun, Katar, Kasachstan, Kirgisistan, Kuba, Malawi, Malaysia, Malediven, Marokko, Nepal, Pakistan, Paraguay, Senegal, Somalia, Südafrika, Sudan, Usbekistan, Vereinigte Arabische Emirate und Vietnam. Mit dem angenommenen Resolutionstext verurteilen diese Länder jenseits der US-geführten NATO und der EU „aufs Schärfste die fortgesetzte einseitige Anwendung und Durchsetzung solcher Maßnahmen durch bestimmte Mächte als Druckmittel, einschließlich politischen und wirtschaftlichen Drucks, gegen jedes Land, insbesondere gegen die am wenigsten entwickelten Länder und die Entwicklungsländer, mit dem Ziel, diese Länder daran zu hindern, ihr Recht auszuüben, aus freien Stücken über ihr eigenes politisches, wirtschaftliches und soziales System zu entscheiden.."

Das ist eine überdeutliche rote Karte für die Regime-Change-Politik des Westens und fortgesetzten Völkerrechtsbruch. Bei der Ampel-Regierung denkt man gar nicht daran, den Mehrheitswillen der anderen Staaten ernst zu nehmen und umzusetzen. In einer Antwort auf meine Anfrage behauptete das grünengeführte Außenministerium in Berlin Ende April, ."EU-Sanktionen stehen im Einklang mit dem Völkerrecht.". Da sie ."gerade dazu dienen, sanktionierte Staaten zur Einhaltung von völkerrechtlichen Verpflichtungen zu bewegen, leisten sie zudem einen Beitrag zur allgemeinen Stärkung internationalen Rechts. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der UN-Sicherheitsrat daran gehindert ist, tätig zu werden, beispielsweise als Reaktion auf den Syrienkonflikt, die russische Militäraggression gegen die Ukraine oder auch die Menschenrechtssituation im Iran.."

Deutlicher kann man kaum machen, dass man offensichtlich nur jene demokratischen Mehrheitsentscheidungen mitzutragen willens ist, die der eigenen Position entsprechen – gehen darüber noch so viele Menschen zugrunde. Die Bundesregierung leistet hier keinen Beitrag zur Stärkung des Völkerrechts, sondern betreibt seine Entleerung.

Sevim Dagdelen ist Mitglied des Deutschen Bundestages

CUBA LIBRE
Sevim Dagdelen

CUBA LIBRE 3-2023