Solidarität in schwierigen Zeiten

Im Sommer 2023 führten wir als SDAJ mit mehr als 50 Jugendlichen zwei Kuba-Solidaritätsbrigaden durch. Wir besuchten Schulen, mehrere Krankenhäuser, Landwirtschaftsbetriebe, Nachbarschaftskomitees und das Forschungszentrum, in dem die fünf Impfstoffe gegen Covid entwickelt wurden. Wir lernten das Leben auf Kuba kennen und tauschten uns mit unseren Genossinnen und Genossen der UJC aus. Das Ziel der Brigaden: Die Solidarität mit Kuba stärken und den Sozialismus mit eigenen Augen erleben.

SDAJ-Solidaritätsbrigade SDAJ auf dem Treffen der internationalen Solidaritätsbrigaden in Santiago de Cuba

Insgesamt eine Tonne Solidaritätsgepäck der Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba, der DKP und der SDAJ haben wir in Kuba gelassen. Und doch hat Kuba vor allem uns geholfen: Bei aller scheinbaren Perspektivlosigkeit in Deutschland haben wir erlebt, dass man gegen den Imperialismus gewinnen kann, dass eine sozialistische Gesellschaft möglich ist. Wir haben tief in unseren Herzen begriffen, was Internationalismus bedeutet. Wir sind ein Stückchen mehr Kommunisten als vorher. Unsere Reise haben wir u. a. auf unserem Instagram-Kanal @arbeiterjugend dokumentiert, auf Veranstaltungen berichten wir von unseren Erfahrungen. (Wir freuen uns über weitere Anfragen für Veranstaltungen!)

Drei Vorbemerkungen

In diesem Beitrag soll es um die aktuelle ökonomische Lage Kubas gehen. Denn bei aller Begeisterung über die Errungenschaften, die Herzlichkeit haben wir auf Kuba auch gesehen, wie schwierig die aktuelle Lage ist: Menschen, die auf umfassende Unterstützung angewiesen sind, Migration insbesondere von Jugendlichen.

Dem Beitrag sei dreierlei vorangestellt:

1. Wir haben auf Kuba bloß begrenzte Einblicke und keinen annähernd vollständigen Überblick über die aktuelle Lage und Diskussionen erhalten. Jeder Bericht, jede Einschätzung auf dieser Grundlage muss daher notwendigerweise begrenzt bleiben.

2. Kuba geht seinen eigenen Weg. Vergleiche mit anderen Ländern reichen nicht, um Kuba zu verstehen. Die Haltung, von anderen zu lernen, aber vor allem eigene Entscheidungen zu treffen und sich dabei von niemandem reinreden zu lassen, ist tief in der kubanischen Geschichte verankert.

3. Eine Analyse der Ausgangsbedingungen und der äußeren Umstände Kubas und ihrer Folgen – die massiven Kosten der Blockade, die Auswirkungen des Setzens Kubas auf die Terrorliste durch die USA, Naturkatastrophen, die Auswirkung der Konterrevolution in den anderen sozialistischen Staaten, die aktuelle weltweite Inflation etc. – bildet die Voraussetzung, um die aktuelle Lage und Maßnahmen zu verstehen. An dieser Stelle werden sie jedoch aus Platzgründen vorausgesetzt.

Die Lineamientos

SDAJ-Solidaritätsbrigade

SDAJ in Kuba: Gespräche …


Kuba führt derzeit umfassende ökonomische Änderungen durch. Die Diskussion um das ökonomische Modell Kubas ist nicht neu: So wurden im Jahr 2011 die Lineamientos erstmals durch das kubanische Parlament beschlossen. Hintergrund war neben den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise und schwerer Umweltkatastrophen auch die hohe Auslandsverschuldung von ca. 30 Milliarden Dollar und die negative Handelsbilanz. Der Vorschlag, den die PCC vorgelegt hatte, wurde in der gesamten Bevölkerung diskutiert – insgesamt acht Millionen Menschen beteiligten sich daran.


In den Lineamientos ging es nicht nur um die Bekämpfung äußerer Ursachen, sondern explizit auch um eigene Probleme: Mangelnde Ausnutzung von Ressourcen, Planungsmängel, geringe Effizienz, Korruption. Die Lineamientos verfolgten folgende Ziele: Erhöhung und Diversifizierung des Exports, Reduktion von Importen und Ersetzung durch eigene Produktion (insb. in der Landwirtschaft), Erhöhung der Arbeitsproduktivität, Reduzierung der Ausgaben des Staates und von Subventionen, Abschaffung der doppelten Währung. Vor allem aber auch: Private Wirtschaftsformen, die die sich ohnehin bereits eingeschlichen hatten, wie zum Beispiel private Taxis, legalisieren, um sie kontrollieren und regulieren zu können. Mit einem Teil der Maßnahmen wurde also kein tatsächlicher Ausbau der Privatwirtschaft und kein Schritt weg von einem entwickelteren Sozialismus gemacht, sondern legalisiert, was es sowieso schon gab. Dabei soll die Planwirtschaft weiterhin das tragende Moment der kubanischen Wirtschaft bilden und der Plan alle Formen (staatlich, genossenschaftlich, privat) von Unternehmen umfassen.

Die aktuellen Maßnahmen

In den letzten Jahren wurden einige weitere Maßnahmen beschlossen, welche die in den Lineamientos definierten Ziele verfolgen. Ein Ökonom und PCC-Mitglied, der an der Uni von Havanna unterrichtet, berichtete von folgenden Maßnahmen:

– Die Abschaffung der Libreta: Die Libreta ist die staatliche Zuteilung von Produkten. Hier können die Kubaner bspw. Lebensmitteln zu stark subventionierten Preisen beziehen: Reis, Bohnen, Eier, Hühnchen, Zigaretten. Die Libreta hat bisher viele Bedürfnisse abgedeckt. Wer bettelt oder unter der Woche in Miami lebt, dem wird trotzdem die Libreta garantiert. In Zukunft soll es Leistungen nur noch für die geben, die sie tatsächlich benötigen. Um das zu garantieren, wird der Schutz für vulnerable Gruppen – Kinder, Familien, Rentner – gestärkt. Gleichzeitig wurden die Löhne und Renten deutlich erhöht. Bei Einführung der Maßnahmen hätten die Renten und Löhne ein auskömmliches Leben ermöglicht. Mit der heutigen Inflation reichen die Löhne nicht mehr. Das ist auch der Grund, warum der Umfang der Libreta zwar reduziert, die Libreta aber noch nicht abgeschafft wurde: In der aktuellen schwierigen Lage braucht es die Libreta trotz gestiegener Löhne noch.

– Weitere Zulassung von Mikro-, kleinen und mittleren Unternehmen (KMU): Mit dem Beschluss der Verfassung von 2019 wurden weitere private Unternehmen zugelassen und diese auch in der Verfassung verankert. Erlaubt sind private Unternehmen mit bis zu 100 Beschäftigten. Daneben gibt es diese Mikro-, kleinen und mittleren Unternehmen auch im staatlichen Bereich. Das Ziel: Die Produktivität steigern und die Eigeninitiative fördern, um neue Lösungen, neue Produktivkräfte zu entwickeln. Damit sollen materielle Anreize geschaffen und Schwierigkeiten bei der zentralisierten Planung behoben werden. Letztere entstehen aus dem aktuellen technischen Stand und da wegen der Blockade immer wieder auf neues Material gewartet werden muss. Eine gewisse Flexibilität ist deshalb notwendig. Für die KMU gibt es klare Beschränkungen: Sie dürfen nur ein bestimmtes Maximalvermögen anhäufen, müssen Steuern zahlen und einen sozialen Zweck nachweisen. So sind wir mit Mikrounternehmen in Kontakt gekommen, die in Kooperation mit dem Staat ökologische Lösungen für den Ersatz von Düngemittel entwickeln oder mit einem kleinen Unternehmen, das Software für Beatmungsgeräte entwickelt.

– Stärkung der Eigenständigkeit staatlicher Unternehmen und der Provinzen: Damit soll die Beteiligung, die Partizipation der Arbeiter an Unternehmen und Zielen erhöht und damit der sozialistische Charakter der staatlichen Unternehmen gestärkt werden. Durch die selbstständige Verwaltung von Budgets sollen die Beschäftigten Probleme selbst lösen können, die der Staat nicht von zentraler Ebene bis ins kleinste Detail steuern kann und auch staatliche Unternehmen sollten sinnvoll wirtschaften.

Die Risiken

Mit den aktuellen Maßnahmen gehen zahlreiche Risiken einher: Mit der Einführung von Privatunternehmen gibt es nun Personen auf Kuba, die ein Interesse entwickeln, das nicht immer mit dem gesellschaftlichen zusammenfällt. Zum Beispiel, dass der Plan von Privatunternehmen als zu reglementierend angesehen oder Preise angeheizt und Steuerhinterziehung betrieben werden, um den Profit zu maximieren. Diese Partikularinteressen führen zu Klassenkämpfen und können zu einer Gefahr für den Sozialismus werden. Dabei ist jedoch zu unterscheiden zwischen einem einzelnen selbstständigen Schuhputzer, der als staatlicher Schuhputzer in der aktuellen Situation nur schwer durch den Staat zu kontrollieren wäre, und zwischen einem Unternehmen mit 100 oder gar 10.000 Beschäftigten. In Kuba gibt es zwar eine zunehmende Zahl an Privatunternehmen – ihr Anteil am BIP ist aber verhältnismäßig klein. Gefahren entstehen auch aus der Erhöhung der Eigenständigkeit staatlicher Unternehmen und der Entscheidungsgewalt der Provinzen und Kommunen. Eine höhere Initiative der Beschäftigten und ein besseres Wirtschaften zu fördern, Ressourcenverschwendung zu vermeiden ist richtig und sinnvoll. Wenn Betriebe aber selbst über Investitionen entscheiden, dann kann es passieren, dass der zentrale Plan und damit die planmäßige Entwicklung der Gesellschaft unterlaufen wird. Die Eigenständigkeit von Provinzen kann zu einer ungleichen Entwicklung oder gar zu einem Abhängen von Provinzen führen.

Der Ökonom, den wir treffen konnten, machte jedoch klar, dass er diese und andere aktuelle ökonomische Aktualisierungen trotz der Risiken nicht für eine Entscheidung, sondern für eine Notwendigkeit hält, um als kubanischer Staat zu überleben. Oftmals gibt es für private Unternehmen mehr Möglichkeiten, die Blockade zu umgehen. Das ist eine Möglichkeit für Kuba, an Produkte zu kommen und die nationale Produktion zu erhöhen. Eine weitere Möglichkeit ist, die Initiative der Bevölkerung zu erhöhen, Produktivitätssteigerungen anzuregen. Die höhere Eigenständigkeit von Betrieben und Provinzen wird mit diesem Ziel eingeführt.

Die Kontrolle über die grundlegenden Produktionsmittel

SDAJ-Solidaritätsbrigade

… und praktische Solidarität



Im Moment spielt der staatliche Bereich in Kuba noch die entscheidende Rolle. Wenn die Entwicklung so weitergeht, könnte es für Kuba jedoch gefährlich werden. Die Vorsitzende der UJC, Aylin Álvarez, betonte die großen Probleme, die mit den Privatunternehmen einhergehen, schätzte aber ein, dass die Preisentwicklung und die Lebensmittelknappheit gerade die größeren Probleme und dass die ökonomischen Maßnahmen deshalb notwendig sind. Wenn die Menschen nicht ausreichend Lebensmittel haben, dann hilft Ideologievermittlung allein nicht.



Fernando und Renι von den Cuban 5 – die durchaus Punkte kritisch sehen – betonten, wie groß die Zustimmung zu revolutionären Errungenschaften ist. Es werde nach Lösungen gesucht, dabei entstehen Probleme, Kuba gebe sich aber alle Mühe, nach dem richtigen, dem sozialistischen Weg zu suchen. Die Errungenschaften der Revolution werden durch Kuba aufrechterhalten, sogar so weitergetrieben, dass Covid-Impfstoffe entwickelt werden konnten. Der Weg Kubas ist nicht linear, es gibt Tendenzen und Gegentendenzen. Zu berücksichtigen ist auch: Wir kennen die internen Diskussionen nicht, wir wissen nicht, inwiefern geplant ist, Dinge wieder rückgängig zu machen, inwiefern einzelne Maßnahmen Teil einer längeren Strategie sind. Wir wissen aber: Was wir in Kuba gerade erleben, ist Folge dessen, dass Kuba so massiv angegriffen wird. Diese Maßnahmen werden nicht ergriffen, weil sie wünschenswert sind, sondern weil Kuba ums Überleben kämpft.

Alle wesentlichen Produktionsmittel sind in Kuba in staatlicher Hand, es gibt eine zentrale und umfangreiche, gesellschaftlich diskutierte Wirtschaftsplanung, es gibt bisher keine Privatisierungen von Volkseigentum, sondern "nur" Zulassung von Kapital in einem bestimmten Grad. Solange es eine zentrale Planung im Interesse des Volkes gibt, die wesentlichen Produktionsmittel in gesellschaftlicher Hand sind, Grund und Boden und Nutzungsrechte daran nicht gehandelt werden können und die Bevölkerung über die Massenorganisationen und die PCC ideologisch die Macht hat, ist Kuba ein sozialistisches Land. Das ist auf Kuba so, bei all den genannten Einschränkungen. So lange ist das kubanische Volk auch Herr seiner eigenen Entwicklung, kann demokratisch entscheiden, in welche Richtung es gehen soll. So lange sind es nicht die hinter dem Rücken der Menschen wirkenden Gesetze, welche die gesellschaftlichen Verhältnisse bestimmen. Kuba hat unsere Solidarität verdient.

SDAJ-Solidaritätsbrigade 70. Jahrestag der Sturms auf die Moncada. Mit dabei: Mitglieder der SDAJ

Fidel Castro sagte bei Einführung privatwirtschaftlicher Maßnahmen: "Die Maßnahmen gefallen uns nicht, einige sind unausstehlich, werden unser Leben, unsere Gesellschaft verändern" – aber er hielt sie für notwendig. Raúl Castro betonte im Zusammenhang mit den Erneuerungen des Wirtschaftsmodells, dass sich niemand einbilden solle, dass die Maßnahmen ein Zurück zum kapitalistischen und neokolonialen Kuba bedeuten. Kuba akzeptiere vorübergehende Marktelemente, gibt aber Staatseigentum und Planung den allgemeinen Vorrang. Es handele sich um eine kontrollierte Defensive, in der einzelne Wirtschaftsbereiche privaten Unternehmen freigegeben werden, um das große Ganze der sozialistischen Produktionsweise zu verteidigen. Und Raúl Castro betonte nicht zuletzt: "Man darf nie vergessen, dass die Kontrolle über die grundlegenden Produktionsmittel die Basis unseres Sozialismus ist."

CUBA LIBRE Andrea Hornung, Vorsitzende der SDAJ

CUBA LIBRE 4-2023