"Yakarta viene"

Der US-gestützte Militärputsch von Indonesien 1965 als Blaupause für Chile 1973. 1965 unterstützten die USA das indonesische Militär bei der Ermordung von etwa einer Million Zivilisten. Mit einem Staatsstreich gegen die antikoloniale Sukarno-Regierung galt es, das blockfreie Indonesien auf einen prowestlichen Kurs zu bringen und die größte kommunistische Partei außerhalb Chinas und der Sowjetunion auszuschalten. Der Publizist Vincent Bevins erinnert an ein Massenmordprogramm, das in Lateinamerika gezielt nachgeahmt wurde. Mit freundlicher Genehmigung des PapyRossa Verlags veröffentlichen wir einen Auszug, der die Stimmung in Chile im Vorfeld des Putsches vom 11. September 1973 einfängt:

Das Wort "Jakarta" war in Chile sehr präsent. In der Umgebung von Santiago, vor allem aber im östlichen Teil der Stadt, auf den Hügeln, wo die wohlhabenden Leute lebten, tauchte auf den Mauern und Häuserwänden allmählich eine Botschaft auf. Sie nahm verschiedene Varianten an:

"Yakarta viene."
"Yakarta se acerca."
Also so viel wie "Jakarta kommt." Oder manchmal auch einfach nur "Yakarta".

ie Ereignisse in Indonesien waren schon seit Jahren Teil des rechten Diskurses. Vor allem Juraj Domic Kuscenic, ein kroatischer Antikommunist, der in rechten Blättern wie El Mercurio schrieb und seit 1970 enge Kontakte zu Patria y Libertad unterhielt, hatte seit den 1960er Jahren häufig darauf verwiesen.

Die erste Erwähnung von "Jakarta", wahrgenommen als Bedrohung, fand sich 1972 in einer Januarausgabe von El Rebelde, der offiziellen Zeitung des MIR. Auf der Titelseite wurde gefragt: "Was ist Djakarta?" Und im Innenteil war ein Foto davon zu sehen, wie das Wort an einer Wand prangte. In einem kleinen Artikel mit dem Titel "La Vνa Indonesia de Los Fascistas Chilenos" versuchte die Zeitung die Nachricht zu erklären. Die Kommunistische Partei Indonesiens habe eine aktive Rolle in einem "unabhängigen, fortschrittlichen" Land gespielt, doch dann – geradezu über Nacht – sei alles, was von ihren Mitgliedern übrigblieb, ein "Meer aus Blut" gewesen. Zu dieser Zeit war die indonesische Geschichte in der Linken noch wenig bekannt, und die Vorstellung einer vergleichbaren Welle der Gewalt im eigenen Land schien weit hergeholt zu sein.

Der zweite Artikel zu "Jakarta" erschien im Februar 1972 in Ramona, einer Jugendzeitschrift der Kommunistischen Partei. Darin hieß es, die Rechte habe einen sogenannten "Plan Djakarta" verabschiedet. … "Die Terroristen haben einen Plan, der darin besteht, das gesamte Zentralkomitee der Kommunistischen Partei, die Spitze der Sozialistischen Partei, die nationalen Direktoren der Gewerkschaftsorganisation Central Unitaria de Trabajadores de Chile (CUT), die Führung der sozialen Bewegungen und alle prominenten Persönlichkeiten der Linken zu töten."

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"Es kommt Djakarta" an einer Mauer in Santiago de Chile "Es kommt Djakarta" an einer Mauer in Santiago de Chile
Foto: gemeinfrei


Wandmalerei war Anfang der 1970er Jahre in Santiago ein beliebtes politisches Mittel. Auf Seiten der Linken malten politische Kollektive Wandbilder mit aufwendigen Motiven, inspiriert von berühmten internationalen Vorbildern wie Diego Rivera aus Mexiko wie auch von der indigenen Mapuche-Kultur aus Chile. Auf Seiten der Rechten wurden mit Geldern, die aus Washington oder von lokalen Eliten kamen, professionelle Maler beauftragt … Patricio "Pato" Madera, ein Gründungsmitglied der linken Ramona-Parra-Brigade von Wandmalern, erkannte in den "Jakarta"-Graffiti die Handschrift der gleichen Kolonne von Auftragskünstlern, die seit 1964 in wiederkehrenden, Angst schürenden Kampagnen rechte Slogans gemalt hatten. Doch nun eskalierten sie. "Jakarta" war eine Drohung – mit massenhaftem Tod.

Sie bemalten nicht nur Wände, sie verschickten auch Postkarten; und zwar an die Privatadressen von Vertretern der linken Regierung und von Mitgliedern der KP. Irgendwann im Jahr 1972 bekamen Carmen Hertz und ihr Mann eine davon geschickt. Das Papier war dünn und spärlich. Oben stand "Jakarta kommt". Unten fand sich die hakenkreuzartige Spinne, das Logo von Patria y Libertad.

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Zu Beginn des Jahres 1973 war Pedro Blaset 23 Jahre alt, ein Matrose aus der Arbeiterklasse. Er gehörte der chilenischen Marine an, die sich traditionell eher aus einer konservativen Oberschicht zusammensetzte. Er hatte das Glück, für sechs Monate den Atlantik zu überqueren. … Die Marine war der wahrscheinlich antikommunistischste Teil des Militärs, und seine Kameraden machten aus ihrer Stimmung keinen Hehl. Die höheren Offiziere verschwiegen nicht ihre Kollaboration mit der brasilianischen Botschaft. Sie sprachen über die Weitergabe von Waffen an Patria y Libertad. Sie kritisierten Armeechef Prats scharf für dessen verfassungstreue Haltung, insbesondere nachdem die Linke bei den Wahlen im März gut abgeschnitten hatte. Sie begannen, ganz offen über etwas zu sprechen, was sie "El Plan Yakarta" nannten.

Pedro hatte schon zuvor sagenhafte Geschichten über Jakarta gehört. Nicht lange nach seinem Eintritt in die Marine erzählten Matrosen Horrorgeschichten von einer besonders seltsamen Fahrt durch Südostasien. Dabei seien sie Zeugen eines Gemetzels geworden, verursacht durch ein "Ausrottungsprogramm" aus der indonesischen Hauptstadt. Geschichten über abgetrennte und aufgespießte Köpfe versetzten die jungen Männer in Angst und Schrecken. Die Erzählungen hörten sich an wie aus dem Reich der Fantasie – bizarre Gewalt aus einem fernen Land.

Als aber seine Vorgesetzten 1973 begannen, über El Plan Yakarta zu sprechen, wurden sie sehr konkret, und es war ihnen äußerst ernst. Der Plan sah vor, etwa zehntausend Menschen umzubringen – die Linke und den Kern ihrer Anhängerschaft –, um einen stabilen Übergang zu einer rechten Regierung zu gewährleisten. Pedro und sein Freund Guillermo Castillo bekamen mit, wie dies auf mehr als einem Boot diskutiert wurde.

Die Jakarta-Methode

Vincent Bevins, Die Jakarta-Methode
Wie ein mörderisches Programm Washingtons unsere Welt bis heute prägt.
Übersetzt und mit einem Nachwort von Glenn Jäger
PapyRossa Verlag,Klappenbroschur, 427 Seiten 28,- Euro

"Wenn wir einfach nur den Jakarta-Plan umsetzen, zehn- oder zwanzigtausend Menschen erledigen, dann war’s das", sagte ein Offizier. "Dann hat es sich mit dem Widerstand und wir haben uns durchgesetzt." Die Oberen gingen wohl davon aus, dass ihre Untergebenen bei dieser Marschroute im wahrsten Sinne mit an Bord wären oder zumindest die internen Marinehierarchien weit genug respektierten, um stillzuhalten.

Doch für die niederen Ränge war die Sache allzu ungewöhnlich. "Umbringen? Und wen? Unsere Familien?", fragte Pedro ein paar seiner engsten Freunde. "Was ist aus Chile geworden, während ich weg war?" Sie beschlossen, sich zu treffen, um eine kleine, klandestine Gruppe innerhalb der Marine zu bilden und als constitucionalista über die Situation zu sprechen. Sie waren der Ansicht, ihr Eid gelte dem Land und nicht ihren unmittelbaren Vorgesetzten, und so beschlossen sie, eine Warnung an die Politik herauszugeben.

Sie flogen auf. Pedro und Guillermo wurden von der Marine inhaftiert und wiederholt gefoltert. Erst lange nachdem eine chilenische Version des Plan Yakarta durchgesetzt war, erblickten sie wieder das Tageslicht.

Operacao Jacarta. Yakarta Viene. Plan Yakarta. Wie auch immer es verwendet wurde, ob im Spanischen oder im Portugiesischen – es war klar, was mit "Jakarta" gemeint war. … "Jakarta" … besagte die staatlich organisierte Ausrottung von Zivilisten, die sich gegen den Aufbau kapitalistisch-autoritärer und US-getreuer Regime stellten. "Jakarta" bedeutete nunmehr gewaltsames Verschwindenlassen und einen Staatsterror, der sich ohne jede Reue zeigte. Ein "Plan", der in den folgenden zwei Jahrzehnten in Lateinamerika weithin zum Tragen kam.

CUBA LIBRE

CUBA LIBRE 4-2023