"TROVA" - Ein Erlebnis in Santiagos Straßen

In Santiago de Cuba, der "heimlichen Hauptstadt" Kubas im Süden der Insel, existiert in einem Gassengewirr rund um die "Plaza de Céspedes" eine kleine Bar, die halboffen zur Straße ist. Eigentlich ist es keine Bar, weil es dort nichts zu trinken gibt, außer mitgebrachten Wein oder ähnlichem, Dieser Ort heißt Trova, genauso wie auch die neue kubanische Musik "la nueva trova cubana" genannt wird.

Die Trova ist von außen sehr unscheinbar, es stehen einige Tische, Stühle und Bänke herum, allerdings auch einige Gitarren, Kongas und ähnliche Klapperinstrumente, Wir sind darauf gestoßen, weil vor der Trova ziemlich viele Leute in der Gasse standen, klatschten und sangen. Also wühlten wir uns durch, um zu sehen, was dort los sei, Eine Frau sang ein Volkslied, zwei Männer begleiteten sie auf der Gitarre und andere spielten dazu auf Rumbakugeln, Kongas, kleinen Handtrommeln oder auch einfach auf einer Kiste, auf den Bänken, Die Wände des halboffenen dunklen Raums waren vollgespickt mit mehr oder weniger großen, oft schon leicht vergilbten Fotos, Plakaten, Ankündigungen von Konzerten von Carlos Puebla, Victor Jara und anderen,

Bereitwillig rutschten die Leute ein bißchen zusammen, wir setzten uns und klapperten mit, Die Frau beendete das Lied, stürmischer Beifall, es kamen neue Liedvorschläge, "sing doch mal das", die beiden Männer schlugen einige Akkorde an, suchten eine Tonart heraus, und in dieser Pause fragten wir unsere Banknachbarn, wer denn diese Frau sei. Keiner kannte sie, sie war von der Straße hereingekommen und fing einfach an zu singen. Schon ging es weiter, diesmal sangen die Frau und noch ein anderer Kubaner im Wechsel eine "Decima", ein 10-versiges Lied, dessen Text meist improvisiert ist und dessen Titel sich mehrfach im Text wiederholen muß. Die beiden wurden von den Umstehenden kräftig angefeuert, man lachte, fügte noch eine Zeile hinzu, am Schluß sangen alle den Refrain mit. Wieder tosender Applaus. Zwischendurch hupten einige Autos, die leider nicht mehr durch die Straße fahren konnten, doch das störte niemanden wesentlich, Inzwischen war ein neuer Sänger da, der einen traurigen Tango sang, von einem Mädchen, das ihn leider nicht mehr liebte, Unsere Nachbarn fragten uns, woher wir denn kämen. Wir erzählten ihnen von der Brigade und daß wir aus Westeuropa seien. Sie freuten sich und fragten, wie uns denn Kuba gefalle - welche Frage!- Wir waren begeistert.

Es kamen immer mehr Leute, die Trova platzte aus allen Nähten. Jemand holte eine weitere Gitarre hervor und stimmte einen Flamenco an, den die anderen sofort begleiteten: ein Mann begann zu singen, alle klatschten mit (was bei einem Flamenco nicht gerade einfach ist), einige tanzten, von den übrigen wieder angefeuert.Nachher führte uns Jorge, der quasi der Inhaber der Trova war, durch den Raum und erklärte uns stolz die Fotos an den Wänden:

Hier sein Vater, der, ebenso wie er selbst, Musik gemacht hat, dort Carlos Puebla, einer der bekanntesten und ältesten kubanischen Sänger ("Hasta siempre, commandante", "Yankee, go home"), Fotos und Autogramme von Atahualpa Yupanki, der ebenfalls in der Trova gesungen hat, von Violeta Para, Victor Jara und unzähligen anderen Volkssängern aus ganz Lateinamerika, die alle in der Trova gespielt haben. Auch viele Fotos von den "kleinen", nicht so bekannten Gitarristen, Musikern, Sängern, überall Andenken von Künstlern, die einmal die Trova besucht haben.

Jorge fragt uns, ob er uns etwas schenken kann - wir hätten gern Plakate. Natürlich kann er uns Plakate geben, von Che, von Martí, vom Frauenverband, von der Moncada... Wieviel wollt Ihr denn? Wir sollen morgen abend wieder in die Trova kommen.

Am nächsten Tag sammeln wir in der Brigade Plakate, Postkarten aus allen Ländern und gehen am Abend erneut in die Trova. Wieder stehen die Leute auf der Straße, klatschen, singen und tanzen. Es wird spät, Jorge kommt mit einem Stoß sehr schöner Plakate und reißt die Augen auf über unser "Gegengeschenk", Wir würden am liebsten in der Trova bleiben, müssen über unsere Arbeit auf dem Bau erzählen, werden nach der politischen Situation in unseren Ländern gefragt... Wir müssen uns verabschieden, werden hier gedrückt und da umarmt - "Wie hat Euch Kuba gefallen?" - eins unserer Plakate wird auf einen Ehrenplatz gehängt. Und noch ein Lied, doch wir müssen endgültig gehen... Das Che-Plakat von Jorge wurde auf der Kuba-Fete in Marburg für 150,-DM versteigert...

Brigade-Info / Ein Reisebericht aus Kuba - 1976