Das Erziehungswesen in Kuba

Die Erfolge des kubanischen Erziehungswesens seit dem 1.1.1959 zu beurteilen, gelingt am besten, wenn man vor der Darstellung der heutigen Situation sich kurz die Ausgangslage vergegenwärtigt:

Am 1.1.1961 begann das von allen gesellschaftlichen Gruppen getragene Alphabetisierungsprogramm, am 22.12.1961 war es offiziell abgeschlossen. Während dieses knappen Jahres war es gelungen, die Analphabetenquote von 23,6% der Gesamtbevölkerung auf 3,9% zu senken. Diese Zahlen würdigen zu können, gilt es, folgendes zu bedenken: es mußte herausgefunden werden, wer und wo die Analphabeten waren, es mußten Lehrer ausgebildet und für sie und die Schüler Bücher gedruckt und Schreibartikel hergestellt werden, in den Städten mußten Unterrichtsräume eingerichtet werden, auf dem Land die Lehrer in die entlegensten Gebiete ziehen, Man mobilisierte jeden, der die 8-Klassenschule absolviert hatte, Erwachsene und Jugendliche, und bildete sie in kurzen Lehrgängen für diese Aufgabe aus, die sie zusätzlich zu ihrer normalen Arbeit ausführten.

Die zweite Phase im Bildungswesen setzte schon 1962 ein und verfolgte über die elementare Fähigkeit des Lesen- und Schreibenkönnens hinaus das Ziel, jeden Kubaner zum Abschluß der 6-Klassenschule zu führen; diese Phase gilt heute als erfolgreich abgeschlossen.

Die Anstrengungen der neuen Phase der 70er Jahre gehen dahin, vor allem das Lehrpersonal (an Schulen und Hochschulen) weiter zu qualifizieren, den Mangel an Lehrkräften zu beseitigen, aber auch an den Schulen sie Ausbildung zu intensivieren. Zu diesem Zweck hat man 1972 mit einer genauen Analyse des Schul- und Ausbildungswesens hinsichtlich der allgemeinen Ausbildungsstruktur und Unterrichtsmethoden begonnen, deren erste Ergebnisse sich in einer am 1.1.1977 beginnenden neuen Schulorganisation niederschlagen, Zunächst wird die Schulpflicht von bisher 6 Jahren auf 9 Jahre erweitert, Das Schulwesen gliedert sich in drei aufeinander aufbauende Schultypen:



derzeit


ab '77


Primarschule


Klasse 1-6


1-4


Sekundarschule


Klasse 7-10


5-9


Prä-Universitätsschule


3 Jahre


2 Jahre


Die Stundentafel umfaßt in den beiden allgemeinbildenden Schultypen neben den üblichen klassischen Fächern (Mathematik, Geographie, Geschichte, Spanisch, in den letzten Klassen auch Physik, Biologie, Chemie) auch Musik und Tanz, Werken, Sport, jedoch noch keine Fremdsprache, Mit der Beendigung der Sekundarschule durch eine Abschlußprüfung sind für jeden Kubaner die Voraussetzungen zur Berufsausbildung gegeben. Diese findet in der Regel in Berufsfachschulen statt, Künftige Studenten besuchen die Vorbereitungsschule zur Universität, Sie werden im wesentlichen im gleichen Fächerkanon unterrichtet wie in der Sekundarschule, natürlich auf entsprechend höherem Niveau.

Neben den zusätzlichen Fachgebieten Astronomie und Marxismus-Leninismus beschäftigen sich die Schüler bereits mit kleinen Forschungsaufgaben unter Anleitung der Lehrer, Die Unterrichtsformen bestehen im allgemeinen in der Primarschule im Lehrervortrag, in der Sekundarschule in einer Kombination von Lehrervorgabe, audiovisuellem Unterricht, Arbeit in Laboratorien, Formen des Schülergesprächs, Gruppenarbeit, letztere hauptsächlich in den Naturwissenschaften, Besteht ein Schüler in einem Fach die Jahresabschlußprüfung nicht, so wiederholt er zunächst nur dieses Fach, erst beim zweiten Mißlingen muß er das ganze Schuljahr nochmals durchlaufen. Über jeden Schüler wird ein Buch geführt, in welches wem Lehrer und anderen verantwortlichen Trägern der Schule Eintragungen zu seiner Qualifikation vorgenommen werden, zur Disziplin, Verantwortung und allgemeinem Verhalten, Und um diesen äußeren Rahmen des Schulwesens abzuschließen, sei hinzugefügt, daß in Kuba die Schulstunde 50 Minuten dauert.

Ein besonders entscheidendes Prinzip des kubanischen Bildungswesens besteht in der "integrativen Erziehung", Integrative Erziehung heißt in diesem Zusammenhang Kombination und wechselseitige Abhängigkeit von Arbeit und Lernen.

Diese Konzeption verfolgt das Ziel, einer Tendenz zur Elitenbildung (oder Fachidiotentum) vorzubeugen, hat aber auch einen volkswirtschaftlichen Aspekt, indem nämlich die Arbeit der Schüler den Mangel an Arbeitskräften überbrückt.

In der Praxis sieht das so aus, daß die Schüler, ausgenommen in den großen Städten, in Internaten leben, die gleichmäßig über das Land verteilt liegen. Sie leben dort bei freier Unterkunft, Verpflegung, Bekleidung, Versorgung mit Lehrmaterial und besuchen am Wochenende ihre Familien. Diese Internatsform gilt für alle Schultypen. Die Schüler haben in wöchentlich wechselnden Turnus einen halben Tag Unterricht, einen halben Tag arbeiten sie auf den zu den Internaten gehörenden Zitrus-, Bananen- oder anderen Gemüsefeldern, insgesamt 8 Stunden. Der Abend ist mit Sport, Hausaufgaben, kulturellen Veranstaltungen und Freizeit ausgefüllt. Für die Primarschule gelten etwas andere Bedingungen: hier arbeiten die Kinder zwei- bis dreimal wöchentlich im Schulgarten, Auf diese Weise lehnt sich das Schulwesen eng an die demographische. und ökonomische Struktur des Landes an. Da für städtische Schüler diese enge Verbindung zu Land und Praxis nicht gegeben ist, verbringen sie 45 Schultage pro Jahr im Landeinsatz.

Einen weiteren wesentlichen gesellschaftlichen Faktor an den Schulen bilden die verschiedenen Massenorganisationen (CDR, CTC, PCC, FEU, UIC). So ist beispielsweise die CTC für die Produktionseinsätze, die UJC für politische Aktivitäten, die FEU für Organisation und Disziplinarmaßnahmen verantwortlich. Die Schüler selbst bilden in der Regel alle zwei Wochen eine Selbsthilfegruppe im Internat, bestehend aus den Besten, die Hilfsfunktionen im Dienstleistungs- und Verwaltungsbereich im Internat ausüben, Während ihrer Freizeit werden die Schüler von Lehrern betreut, die nach einem wöchentlichen Plan der Aufgabenverteilung in dieser Zeit ebenfalls im Internat wohnen.

Neben dem Schulwesen mißt man in Kuba der Lehrerausbildung besondere Bedeutung zu. Die Anstrengungen gehen dahin, bis 1980 die pädagogische Qualifikation aller Lehrer auf ein einheitliches Niveau zu bringen, das bedeutet, eine noch sehr erhebliche Zahl an nicht pädagogisch ausgebildeten Lehrern in Kursen und Seminaren auf das pädagogische Diplom hin auszubilden und den Ausbildungsschwerpunkt auf die normalen Pädagogischen Institute zu verlegen.

Voraussetzung zum Besuch der Institute war bisher der erfolgreiche Abschluß der Sekundarschule, ab 1977 wird es der der Prä-Universitätsschule sein, Die Dauer der Ausbildung beträgt 5 Jahre, sie findet ebenfalls in Internaten statt, meist auf dem Lande, auf dem gut 2/3 der Bevölkerung leben und arbeiten. Es bestehen genaue Ausbildungspläne, die in ihrer theoretischen und didaktischen Konzeption auf Theorien marxistisch-leninistischer Pädagogen basieren. Im 1.-3. Studienjahr (ein Studienjahr dauert vom 1.9. bis Mitte Juli) erhalten die Studenten eine obligatorische allgemeine Ausbildung in den Fächern Pädagogik, Psychologie, Forschungstechnik, Mathematik, Spanisch, Englisch, im 4. und 5. Jahr spezialisieren sie sich auf bestimmte Fächer und beschäftigen sich mit der Theorie des Marxismus-Leninismus. Jedes Studienjahr wird mit einer Prüfung beendet, den Abschluß bildet das Diplom. Die Studenten studieren wöchentlich 20-24 Stunden und leisten ihren Arbeitseinsatz, indem sie 20 Wochenstunden Eigenunterricht (ohne Anwesenheit des Lehrers) in den Schulen des Kreises geben. Unterstützt werden sie in Studium und Arbeit von Tutoren, d.h. von älteren Studenten; daneben von den Professoren und Vertretern der Massenorganisationen. Sie erhalten neben freier Unterkunft, Verpflegung, Kleidung, Büchern im 1.-3. Jahr ein Stipendium von 45 Pesos im Monat, im 4. und 5. Jahr 95 Pesos (ein Lehrer verdient zu Beginn ca. 190 Pesos Monatslohn). Um dem Lehrermangel auf dem Lande entgegenzuwirken, müssen die jungen Lehrer zunächst 3 Jahre auf dem Land arbeiten - dafür leisten sie keinen Militärdienst bevor sie sich auf Wunsch in einem zweijährigen Universitätsstudium oder in einem länger dauernden Fernstudium weiterqualifizieren können. Ihre Arbeitsstätten können Primarschulen sein - hier unterrichten sie alle 4 Klassen - oder Sekundarschulen, in denen sie in der Regel ein Fach in einer Klassenstufe unterrichten.

Abschließend sei erwähnt, daß es in Kuba zur Zeit 15 Pädagogische Institute gibt, jedes mit ca. 600 Studenten und 80 Professoren.

Der Bereich der Erwachsenenbildung, liegt zu einem erheblichen Teil im Gewerkschaftssektor, in der inhaltlichen Ausfüllung in Übereinstimmung mit dem landesüblichen Erziehungswesen. Es gibt derzeit einen Erwachsenenbildungsplan, der vorsieht, alle Kubaner, die bisher nur die Primarschulreife besitzen, die Sekundarschulstufe in zwei Jahren nachholen zu lassen, Diese Ausbildung findet praktisch ausschließlich in Abendschulen statt. Daneben existieren Arbeiterfakultäten in der Qualität der Prä-Universitätsschulen, auf denen die Erwachsenen innerhalb von drei Jahren die Universitätsreife erlangen können.

Ein kurzes Beispiel davon, wie in Kuba alle gesellschaftlichen Gruppen in den Erziehungsprozeß einbezogen sind, bietet die augenblicklich laufende Umstellung auf neue Unterrichtsformen und -inhalte: an Lehrer und Eltern werden Materialien verteilt, die genaue Erläuterungen und Begründungen beinhalten, in Radio und Fernsehen laufen Sendungen, die den Beteiligten die Notwendigkeit dieser Umstellung einsichtig machen sollen.

Zum Abschluß noch Angaben zu den Quellen dieses Berichts:

Sweezy/Hubermann, Sozialismus in Kuba (ed. Suhrkamp 426), für die Zeit 1959-68, Die aktuellen Informationen stammen aus einem Gespräch mit der Direktorin der Abt. Ausbildung der Lehrer im Erziehungsministerium der Provinz Oriente und einem Vortrag in einem Pädagogischen Institut derselben Provinz, Sie sind repräsentativ, da.das Erziehungswesen für das ganze Land einheitlich strukturiert ist.

Brigade-Info / Ein Reisebericht aus Kuba - 1976