26. Westdeutsche Kurzfilmtage Oberhausen

Interview mit dem kubanischen Filmemacher José Massip über die kubanische Filmretrospektive in Oberhausen.

Welchen Stellenwert hat diese Retrospektive für Sie?

Wir finden diese Retrospektive eine aufregende Sache, denn wir haben feststellen können, daß hier in Oberhausen, eine der vielen Städte in der Bundesrepublik, wir mit Leuten zusammengetroffen sind, die sich als Freunde der kubanischen Revolution erwiesen haben. Dies zeigt uns wieder einmal die Bedeutung der Solidarität. Inhaltlich zeigt die Retrospektive die Entwicklung des kubanischen Films von 1959bis heute. Der erste Film, der am ersten Tag gezeigt wurde, hat z.B. eine ganz einfache Sprache, dies zeigt, daß das Verhältnis zwischen Form und Inhalt dialektisch ist, gleichzeitig aber auch einen Widerspruch produzieren kann, zwischen dem Inhalt, das heißt dem revolutionären Kampf und der Form die diesen Inhalt ausdrückt. Dies ist eigentlich typisch für unsere frühen Filme. Dagegen können wir jetzt die Entwicklung der Form beobachten. In der kurzen Zeit in der sich unser Filmschaffen bisher entwickelt hat, läßt sich zum Beispiel vom ersten Film, der nach der Revolution gemacht wurde (Historias de la Revolución), und einem der neueren Filme (La ultima Cena), die beide vom gleichen Regisseur stammen, eine enorme Entwicklung der Sprache des Ausdrucks und der Form sowie eine Entwicklung hin zu viel komplexeren Inhalten feststellen.

Wir glauben aber nicht, daß nur für uns die Retrospektive einen bedeutenden Stellenwert hat, sondern auch für das hiesige Publikum. Ich habe sehr aufmerksam die Reaktion des Publikums verfolgt, das Interesse und die Sympathie, und den großen Applaus. - Ein sehr gebildetes und höfliches Publikum - ich möchte nicht sagen diszipliniert - es ist ein Publikum, das sich auskennt und bei einigen Filmen mehr applaudiert als bei anderen. Wir hatten aber teilweise das Gefühl, das nicht in erster Linie wegen der Qualität der kubanischen Filme applaudiert wurde, sondern oft aus Sympathie für die kubanische Revolution.

Sind Sie der Meinung, daß die Retrospektive das kubanische Filmschaffen in seiner ganzen Breite widerspiegelt?

Ich glaube ja, der Film war in den Anfangszeiten sicher noch nicht ausgereift, während er heute eine wesentlich bessere Beherrschung des Metiers zeigt, und trotzdem ist die Entwicklung keineswegs linear, es zeichnen sich Fortschritte und Rückschläge ab, aber ganz sicher ist die Richtung der allgemeinen Entwicklung.

Sagen Sie uns bitte etwas über die Situation des kubanischen Filmes vor der Revolution.

Wir können sagen, daß es praktisch überhaupt kein kubanisches Kino gab, vor der Revolution war es in erster Linie wohl ein Kino das Publikum fand, ihr müßt verstehen, daß wir Kubaner immer gerne ins Kino gegangen sind, und die meisten Filmtheater in ganz Lateinamerika hatten. Aber es wurden sehr wenig Filme produziert, und diese Filme waren die schlechtesten Beispiele im Grunde waren es Imitationen und kolonialisierte Kunst, reine kulturelle Anpassung.

Beziehen Sie sich auf diese primitiven Fernsehserien, oder eher auf die Filme, die aus den USA kamen?

Nun, die Serien sind ja nun Eigentum der Fernsehanstalten, aber im Grunde hatten sie schon das gleiche ästhetische Konzept, aber es war eine Kopie der USA wie überall in Lateinamerika. Im Grunde kann man überhaupt nicht von einem kubanischen Kino vor der Revolution sprechen, obwohl man wußte, daß irgendjemand Filme gemacht hat, wie in jedem Land, aber es gab keine eigentlich kubanische Cinematografie. Ein Beispiel gibt es aber des revolutionären kubanischen Films, ich meine den Film "El Megano", dieser Film wurde 1955 gedreht, von einer Gruppe von Genossen, die heute Filmproduzenten sind, bzw. das kubanische Filmschaffen bestimmen. Der Film spiegelte die Lebensumstände einer marginalen Gesellschaftsschicht im Süden der Insel, ihre Arbeitsbedingungen und ihr Elend und ihre Unwissenheit wider. Dieser Film wurde verboten durch die Batistadiktatur und eingezogen. Hier bei der Retrospektive gibt es einen Dokumentarfilm darüber, und der macht den Unterschied klar, zwischen der Epoche der Pioniere, und der heutigen Situation. Wir sind nicht nur Pioniere unseres eigenen Kinos sondern Pioniere des Kinos der "dritten Welt", des revolutionären Films.

Welche Möglichkeiten brachte Ihnen die Revolution und welche Aufgaben stellt sie Ihnen?

Alle Möglichkeiten für das revolutionäre Kino, keine Möglichkeiten dagegen. Das bedeutet eine verändernde Wirklichkeit darzustellen und den Menschen, der diese Wirklichkeit verändert; das ist unser Hauptthema.

Und wo liegt dabei genau die Aufgabe der Cineasten?

Unsere Aufgabe ist sehr vielseitig. Aber man kann es trotzdem in einem Satz zusammenfassen. Ein revolutionäres Kino machen, und dabei eine revolutionäre Kritik an der Revolution formulieren. Wir möchten den Ausdruck revolutionäre Kritik betonen, der nicht gleichzusetzen ist mit jeglicher Form der Kritik, denn dies könnte zu einer Gefahr werden, auf die wir ideologisch sehr gut vorbereitet sind. Der Film "El Retrato de Teresa" ist ein Beispiel dafür. Eine weitere Strömung im kubanischen Film ist der Internationalismus, der wiederum unsere ideologische Entwicklung fördert. Es geht uns nicht nur um die Revolution in unserem eigenen Land, sondern wir unterstützen, so wie wir können, die Revolution in anderen Teilen der Welt, denn Revolutionen existieren nirgends auf der Welt isoliert. Wir sind das erste sozialistische Land in Lateinamerika.

In Lateinamerika existiert ein sehr starkes revolutionäres Potential, ebenso in Afrika, mit dem wir solidarisch sind. Und daher gibt es ein Kino, das diese Solidarität widerspiegelt. Aber wir sehen auch den historischen Moment, die vorangegangenen Kämpfe, aus denen wir lernen, um unseren Kampf zu ende zu führen.

Wieviel Filme werden jährlich in Kuba produziert, und welches sind die Themen?

Wir haben jährlich eine regelmäßige Produktion. Letztes Jahr produzierten wir 8 Filme, dieses Jahr werden es nur 2 sein. Innerhalb der gesamtgesellschaftlichen Planung hat die Filmproduktion sicher ihren Stellenwert. Aber es gibt andere Aufgaben, das Erziehungswesen, Gesundheitsfürsorge, die Verteidigung, die Industrialisierung, es gibt viel wichtigere Aufgaben als das Kino, aber auch die Filmproduktion ist ein Teil der gesamtgesellschaftlichen Planung. Wir hoffen in Zukunft mehr als 8 Filme jährlich drehen zu können, wir werden in eine neue Phase eintreten, in der sich die Quantität an der Qualität mißt.

Jose Massip, wir danken Ihnen herzlich für dieses kurze Interview.

Anm.: Ein Teil der in Oberhausen gezeigten Filme ist ausleihbar beim con-Filmverleih, Osterstr. 36, 2800 Bremen.

CUBA LIBRE
Ulla Krüger

CUBA LIBRE 2-1980