"Dies muß der ökonomische Krieg des ganzen Volkes sein"

Der verschobene Parteitag

Nicht wie ursprünglich geplant, im Dezember 1985 (Jahr des dritten Parteitages), sondern erst vom 3. bis 6. Februar 1986 versammelten sich die 1784 Delegierten zum 3. Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) im Konferenzzentrum von Havanna. Über die Terminverschiebung des Parteitages sowie einige personelle Umbesetzungen auf der Ministerebene rankten sich wüste Spekulationen in der bürgerlichen Presse. Aber die Gründe hierfür sind weniger in einem vermuteten Machtkampf zwischen Fidel und Raúl (1) zu suchen, als in den im Herbst 1985 noch nicht klaren Rahmendaten der Fünfjahrespläne der anderen RGW-Länder, die für ein Land wie Kuba mit einer strukturell hohen Außenhandelsverflechtung die entscheidende Inputgröße darstellen. Auch bedurfte die Ausarbeitung der neuen Wirtschaftsstrategie noch zusätzlicher Vorbereitungsarbeit. Und zwischenzeitlich gelang es Kuba, die 1985er Umschuldungsverhandlungen mit den westlichen Gläubigerbanken zu einigermaßen akzeptablen Konditionen abzuschließen.

Ferner waren die politischen Instanzen Kubas mit der Durchführung der zahlreichen internationalen Konferenzen zur Verschuldungsfrage 1985 so beschäftigt, daß offensichtlich die Zeit zur inhaltlichen Vorbereitung des Parteitages nicht ausreichte.

Im Gegensatz zu früher fand der 3. Parteitag der PCC unter breitester internationaler Beteiligung (197 Parteien, Befreiungsbewegungen und sonstigen Organisationen aus 110 Ländern) und der Presse (150 Journalisten für 13 Fernsehanstalten, 10 Radiostationen, 11 Nachrichtenagenturen und 45 Zeitungen/Zeitschriften). Allein 24 Journalisten kamen aus den USA und Kanada, 38 aus Europa. Dies erklärt auch die vergleichsweise breite Resonanz – wenn auch verknüpft mit der üblichen Desinformation – die Fidels neunstündiger Rechenschaftsbericht bei uns in der Presse fand.

1. Wandel der Rahmenbedingungen

Den meisten Berichterstattern gelingt es dabei nicht, die tiefgreifenden Veränderungen in der kubanischen Innen- und Wirtschaftspolitik in den letzten beiden Jahren - die die Kubaner selber die "stille Revolution" nennen – im Zusammenhang mit der geänderten weltpolitischen Lage und den für die Entwicklungsländer generell schwieriger gewordenen weltwirtschaftlichen Bedingungen darzustellen.

In den Jahren seit dem letzten Parteitag (Dezember 1980) haben sich zentrale weltwirtschaftliche Parameter rapide geändert. So stiegen von 1980 bis 1982 die Ölpreise von 12 auf 40 Dollar/Barrel (2), um heute wieder auf 15 Dollar/Barrel abzufallen, der Dollarkurs (zur DM) stieg von 1,80 DM/$ auf 3,50 DM/$, um wieder auf 2,30 DM/$ zu fallen, die Zinssätze auf dem internationalen Kapitalmarkt verdoppelten sich, die Verschuldung der Entwicklungsländer stieg von 400 Mrd. Dollar Ende 1979 auf heute knapp 800 Mrd. Dollar. Die Preise der meisten Rohstoffe sanken nicht nur real, sondern auch absolut. Die realen Rohstoffpreise lagen 1985 27% unter dem Preis der fünfziger und 23% unter dem der siebziger Jahre. 1980 wurde ein historischer Rohstoffhöchstpreisstand erreicht. (3) Der für Kubas Wirtschaftsbeziehungen mit den kapitalistischen Ländern entscheidende Zuckerweltmarktpreis ging auf weniger als ein Viertel zurück (von umgerechnet 1.148 DM/t in 1980 auf 273 DM/t in 1985 (4)). Wenngleich Kuba durch seine Einbindung in den RGW von diesen Veränderungen weit weniger betroffen wurde als andere Entwicklungsländer, so erzwang dies aber immerhin eine massive Umorientierung des Außenhandels (von 45 auf nur noch 13% Westanteil) und die Aufnahme von Umschuldungsverhandlungen über 3 Mrd. Dollar bei den westlichen Industrieländern.

Politisch fiel in die Periode seit 1980 der Übergang von der Carter- zur Reagan-Administration und die Rückkehr zur Politik des "big stick". Die Anzeichen einer vorsichtigen Entspannungspolitik zwischen den USA und Kuba wichen massiven Interventionsdrohungen. Spätestens nach der Invasion in Grenada war für Kuba klar, daß umfangreiche eigene Anstrengungen notwendig wurden, um den Drohungen der US-Regierung Paroli zu bieten. Die Aufstellung einer Territorialmiliz (MTT) von über 1,5 Mio. kubanischer Frauen und Männer in weniger als fünf Jahren, die Dezentralisierung der militärischen Kommandostruktur, der Ausbau der militärischen Infrastruktur, die Einteilung des Landes in Verteidigungszonen auf Gemeinde- und Wohnblockebene sowie die Aufnahme der eigenen Waffenproduktion sind die kubanische Antwort auf die aggressive Reagan-Politik. Die Aufstockung der eigenen Verteidigungsanstrengungen erfolgt auch nicht zuletzt angesichts der US-Aufrüstung und Atomkriegsplanungen.

Ein Großteil der zusätzlichen Verteidigungsanstrengungen wurde durch Spenden aus der Bevölkerung und durch freiwillige Arbeit erbracht. So finden die Milizausbildung und die örtlichen Verteidigungsübungen während der Freizeit und an Wochenenden statt. Entgegen allgemeiner Erwartung haben alle Maßnahmen, daß "der Feind uns nicht desorganisiert, unbewaffnet und unvorbereitet antrifft" (5), die Ergebnisse des zweiten Fünfjahresplanes nicht negativ beeinflußt.

2. Fünfjahresplan – erfolgreiche Bilanz ...

Jedes andere lateinamerikanische Land wäre froh und würde umgehend als positives Beispiel einer kapitalistischen Entwicklungsstrategie gefeiert werden, wenn es wie Kuba im abgelaufenen Planjahrfünft (1981-1985) ein durchschnittliches Wachstum von 7,3% p.a. erzielt und die Planrate von 5% p. a. So deutlich übertroffen hätte (6). Die Industrieproduktion wuchs gar um 8,8% p. a., die Investitionen lagen um ein Drittel über denen des vorangegangenen Fünfjahresplanes. Die Arbeitsproduktivität wuchs um 5,2% p. a. und erbrachte damit drei Viertel des gesamten Produktionswachstums. Über 600000 Arbeitsplätze wurden während der vergangenen 5 Jahre neu geschaffen, während gleichzeitig die Zahl der "Macheteros", die noch mit der Machete das Zuckerrohr ernten, sich von 135.000 auf 72.000 nahezu halbierte.

Der größte Teil der vermehrten Produktionsleistung kam dem gesellschaftlichen Konsum zugute, der zweieinhalbmal so schnell (+ 7,1% p. a.) wuchs wie der private Konsum mit 2,8 Prozent p. a. Dies schlug sich in einem weiter verbesserten Gesundheitswesen und einer qualitativen Verbesserung des Erziehungswesens nieder. So erreicht jetzt die Lebenserwartung in Kuba 74,2 Jahre. Die Säuglingssterblichkeit ist mit 15 pro 1.000 Lebendgeborenen die niedrigste und die Arztdichte mit 443 Einwohner pro Arzt die höchste in ganz Lateinamerika. 20.000 Ärzte und medizinisch-technisches Personal sollen in den nächsten Jahren dem Hausarztprogramm der Basisversorgung zugewiesen werden. Ein Rückgang der Schülerzahlen und eine steigende Zahl von ausgebildeten Lehrern, die die Hochschulen verlassen, erlaubten die Durchführung eines auch für Industrieländer wohl einmaligen Programms: Über 10.000 Grundschullehrer, die in Zeiten des großen Schülerbooms in den 60er und 70er Jahren nur in Schnellkursen ausgebildet werden konnten, erhalten jetzt die Chance, ein Hochschulstudium bei voller Bezahlung nachzuholen. Die ersten 2.700 graduierten Lehrer verließen 1985 die Universitäten. Über 5.000 Lehrer nehmen derzeit an einer naturwissenschaftlichen Zusatzausbildung für die Sekundarstufe teil.

Auf beachtliche Produktionssteigerungen kann auch die Landwirtschaft zurückblicken (+ 3,8% p.a.). Bei wichtigen Produkten wie Fleisch, Eier, Geflügel, Milch, Kaffee, Kakao, Tabak konnte die Produktion 1981-1985 um ein Viertel bis ein Drittel ausgeweitet werden. Dem stehen aber zum Teil noch stärkere Bedarfssteigerungen gegenüber. Fortschritte wurden auch auf dem Gebiet der Stromerzeugung (+ 4,3% p. a.), des Kraftwerksbaus, der Energieeinsparung, der Ausweitung des elektrischen Versorgungsnetzes (85 Prozent aller Haushalte verfügen über einen Stromanschluß), der Stahl- und Ölproduktion, des Baus von Eisenbahnwaggons, der Herstellung von Omnibussen, Radio- und Fernsehgeräten erzielt. Die Bauindustrie ist neben dem noch kleinen Maschinenbau (+ 16% p. a.) einer der wachstumsstärksten Sektoren der kubanischen Wirtschaft (+ 9,5% p. a.). Dabei war besonders im Wohnungsbau - begünstigt durch das neue Wohnungsgesetz von 1985, welches den privaten Wohnungsbau fördert und die Mieter zu Eigentümern ihrer Wohnungen macht – die größte Wachstumsrate zu verzeichnen.

.. mit Schattenseiten

Ungeschminkt deutlich und daher wohl auch zur Verwirrung der bürgerlichen Medienberichterstatter beitragend, legte Fidel Schwächen, Mißstände und Versäumnisse der kubanischen Wirtschaft dar. Manches liest sich wie eine lehrbuchmäßige Kritik der sozialistischen Planwirtschaft. So sind es nicht nur die schwierigen natürlichen Bedingungen wie langanhaltende Dürre und extreme Verwüstungen durch den Hurrikan "Kate" im Herbst 1985, die die Planzahlen in der Zuckerproduktion unerreicht ließen. Denn trotz kräftiger Steigerung der industriellen Investitionen kam man dem gesteckten Ziel der Importsubstitution und Exportsteigerung zum Ausgleich der chronisch defizitären Handelsbilanz mit den westlichen Industrieländern sowie zur Erfüllung der Lieferverpflichtungen gegenüber den sozialistischen Ländern nicht im gewünschten Umfang näher.

Zu den beklagten Mängeln einer geringen Rentabilität der Investitionen, der verspäteten Inbetriebnahme neuer Anlagen, der unzulänglichen Abstimmung der sektoralen Planungen haben nicht nur die sich objektiv verschlechternden Rahmenbedingungen (Zuckerpreisverfall, hohes Zinsniveau, Kündigung von Krediten usw.), sondern auch viele subjektive Unzulänglichkeiten beigetragen. Dazu gehören unzureichende Qualifikation, verspätete Überführung wissenschaftlicher Ergebnisse in die Produktion, mangelnde Arbeitsdisziplin, hohe Fluktuationen der Arbeitskräfte, schlechte Organisation und Wartung, verspäteter Einsatz moderner Technik in der Produktion sowie fehlende Produktionsabstimmung mit vor- und nachgelagerten Betrieben.

Dies führte insbesondere im Bereich der Zucker-, Verpackungs- und Papierindustrie sowie bei der Ersatzteilherstellung zu unausgelasteten Kapazitäten und steigenden Kosten. Im Bauwesen werden mangelnde Qualität und zu viele unfertige, schlecht geplante Projekte beklagt. Das betriebliche Preisbildungs- und Abrechnungssystem gilt als stark verbesserungsbedürftig.

Kritik wurde auch an der nach wie vor instabilen, lückenhaften und teilweise qualitativ schlechten Versorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern (insbesondere Bekleidung, Schuhe, Möbel usw.), aber auch staatlichen Dienstleistungen geübt.

Die wissenschaftlichen Forschungsergebnisse rügte Fidel als spärlich im Vergleich zu den aufgewandten Mitteln, die Forschung erfolge unsystematisch, und die derzeitige Ausbildung von Wissenschaftlern gehe an den Bedürfnissen des Landes vorbei. Besonders kritisiert wurde der Rückstand der elektrotechnischen und der Elektronikindustrie sowie der noch unzureichende Einsatz von Computern. Künftig soll daher die Ausbildung an Computern in den Schulen intensiviert werden.

Selbst das ansonsten erfolgreiche Gesundheits- und Erziehungswesen blieb von Fidels Kritik nicht verschont. Es werden Engpässe, mangelnde Sauberkeit und Qualität beklagt, die Medikamentenversorgung sei streckenweise unzureichend. Als Alarmsignal gelte das wenn auch nur geringfügige Wiederansteigen der Säuglingssterblichkeit um 1/00 in 1985. Der Schulausbildung an einigen Schulen wird schlechte bis mittelmäßige Qualität bescheinigt und die Graduierung von Studenten ohne entsprechendes Fachwissen (durch Protektion?) kritisiert.

In dieser Linie fehlen natürlich nicht die kleineren, aber ständigen Ärgernisse des kubanischen Alltages wie schlechter öffentlicher Transport, die völlig unzureichende Wasserversorgung in Havanna und ein antiquiertes Telefonnetz. Und die weitestgehende Untätigkeit auf dem Gebiet des Umweltschutzes und der Abwasserreinigung wird ebenso benannt wie die Überbürokratisierung und Ineffizienz der Verwaltung. Die dort produzierten Statistiken seien "ein Berg von Daten von höchst zweifelhaftem Nutzen". (7)

Die Zukunft gewinnen

In Kenntnis dieser Probleme der kubanischen Wirtschaft hat Fidel schon Ende 1984 eine zentrale Arbeitsgruppe aus Vertretern der Partei, der Regierung und der Massenorganisationen eingesetzt, die die Schwachstellen der kubanischen Wirtschaft analysierte und Vorschläge für die künftige Wirtschaftsstrategie machte. Fidel trug diese Ergebnisse schon am 4.12.1984 auf dem I. nationalen Energieforum vor. Grundgedanken dieser Strategie sind:

- sparsamster Umgang mit Rohstoffen und Energie,
- Reduzierung der Importe aus kapitalistischen Ländern,
- Steigerung der Exporte, darunter auch Dienstleistungsexporte (= internationaler Tourismus) in die kapitalistischen Industrieländer, um die Schulden zu tilgen und das Handelsbilanzdefizit abzubauen, - Festigung der Wirtschaftsbeziehungen zu den sozialistischen Ländern, weil diese weniger den Weltmarkteinflüssen ausgesetzt sind,
- Stärkung der Investitionen zu Lasten des Konsumwachstums,
- Stabilisierung des erreichten Niveaus der sozialen Versorgung, Umlenkung der Investitionen in den produktiven Sektor,
- Vertrauen auf die eigenen Kräfte, Anstrengungen und Ressourcen.

Die Zukunft ist unser, sie zu gewinnen, "muß die ökonomische Schlacht der ganzen Nation, der Wirtschaftskrieg des ganzen Volkes sein", (8) sagte Fidel schon vor einem Jahr. Daß die Aufrufe zu mehr Disziplin und Arbeitsqualität keine Sonntagsreden waren, wurde erneut bestätigt: "Es wird keinerlei Toleranz mehr geben gegenüber Faulheit, Nachlässigkeit, Inkompetenz oder Unverantwortlichkeit. Das Lehrlingsstadium müssen wir ein für allemal hinter uns lassen." (9) Dies bekamen in den vergangenen Monaten auch die Minister für Transportwesen, Gesundheit und Inneres zu spüren, die – obwohl teilweise langjährige Kampfgefährten Fidels (wie Innenminister Ramiro Valdez) – kurzerhand entlassen wurden. Darüber hinaus wurden auch mehrere staatliche Zentralbehörden neu besetzt: Wissenschaftsakademie, Rundfunk und Fernsehen, Sportinstitut, Presseagentur, Cubatur, die Generalstaatsanwaltschaft. Weitere Neu- und Umbesetzungen sind geplant.

Bei der Besetzung des Zentralkomitees kamen zahlreiche jüngere Funktionäre zum Zuge, und der häufig als zu niedrig kritisierte Frauenanteil wurde aufgestockt sowie die Zusammensetzung des ZK mehr den ethnischen Verhältnissen in der Bevölkerung angepaßt. Dies soll auch Zielvorgabe für die Besetzung der mittleren und unteren Parteigremien sein.

3. Fünfjahrplan - ehrgeizige Ziele

Wirtschaftszahlen im Verleich, Grafik 1986 Basierend auf der neuen Wirtschaftsstrategie wird für die jetzt beginnende Fünfjahresplanperiode 1986-1990 ein durchschnittliches jährliches Wachstum von 5% geplant, wovon 70% durch eine höhere Arbeitsproduktivität (+ 3,5% p. a.) erreicht werden soll. Schwerpunkte liegen bei der Rohstoff- und Energieeinsparung. Die Exporte sollen dreimal so schnell wachsen wie die Importe, um das Ungleichgewicht der Handelsbilanz zu beseitigen. Entwicklungsschwerpunkte in der Industrie liegen auf den Gebieten Stahlerzeugung (Verdoppelung auf 1 Mio. t/p. a.), Ölförderung (Verdreifachung auf 2 Mio. t/p. a.), pharmazeutische Produktion, Biotechnologie, Elektronik (in Zusammenarbeit mit dem RGW) und der industriellen Verarbeitung der Zuckerrohrnebenprodukte zu Viehfutter, Hefen, Verpackungsmaterial und als Rohstoff der chemischen Industrie. Ein weiterer Investitionsschwerpunkt ist das Transportwesen (Ausbau der Eisenbahn, Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs), wobei auch eine Anhebung der hochsubventionierten und seit der Revolution unveränderten Nahverkehrstarife (umgerechnet 15 Pf) ins Auge gefaßt wird. Allerdings dürfte der Bau der U-Bahn in Havanna bei der Konzentration auf Investitionen mit kurzfristigen Produktivitätseffekten ein weiteres Mal verschoben werden.

Unsicherheitsfaktoren für die Verwirklichung der hochgesteckten Ziele sind die künftige Entwicklung der Weltmarktzucker- und -ölpreise. Von einem Fortbestehen der für Kuba vorteilhaften RGW-Verrechnungspreise für Öl und Zucker kann ausgegangen werden, weil Kuba beabsichtigt, seine wirtschaftliche Verflechtung mit dem RGW zu intensivieren, so daß auch künftig wie schon im abgelaufenen Fünfjahrplan der Außenhandel mit den kapitalistischen Industrieländern auf das absolut notwendige Mindestmaß von 15% reduziert bleibt. Damit hat Kuba von allen RGW-Ländern die niedrigste Handelsverflechtung mit kapitalistischen Ländern.

Innenpolitik: Die Massenorganisationen stärken

99,5% aller kubanischen Arbeiter sind Mitglied in den Gewerkschaften (CTC), daher ist ihre Arbeit und ihr Ansehen in den Betrieben entscheidend für den Produktionserfolg und für die Beteiligung der Arbeiter an der betrieblichen Plandiskussion. Mit der nationalen Vereinigung der Rationalisatoren und Erfinder, die 73 000 Mitglieder zählt, leisten die Gewerkschaften einen ebenso bedeutenden Beitrag zur Überwindung von Engpässen in der Produktion wie durch die Einführung ständiger Brigaden (d. h. nicht so häufig wechselnde Brigademitglieder) im Agrarbereich und von sogenannten Komplexbrigaden in der Industrieproduktion, die auch selber für Kosten und Gewinne der Produktion verantwortlich gemacht werden.

Einen wichtigen Beitrag leisten die Gewerkschaften zur Weiterbildung der Arbeiter. Bis jetzt haben 670.000 Gewerkschafter im Rahmen des "Batalla por el novento grado" den Schulabschluß der 9. Klasse nachgeholt, und 800.000 Arbeiter bilden sich gegenwärtig fort. Darüber hinaus wurden 90.000 Gewerkschaftsfunktionäre in Arbeitsrechtsfragen geschult. Und wie bisher finanziert sich die CTC ausschließlich aus ihren Mitgliedsbeiträgen, die wie bei uns rund 1% vom Bruttolohn betragen.

Arbeitsschwerpunkt im vergangenen Fünfjahreszeitraum sowie auch noch in der nächsten Zeit war für die Kleinbauernorganisation (ANAP) der Aufbau neuer Agrarkooperativen. Seit Beginn der Kooperativenbewegung vor genau zehn Jahren konnten bis jetzt 1.378 Agrarkooperativen mit einer Gesamtfläche von 1,1 Mio. ha entsprechend 61,3 Prozent des ehemaligen Privatbauernlandes eingerichtet werden.

Die Attraktivität der neuen Kooperativen (CPA) für ehemalige Privatbauern erklärt sich schon daraus, daß allein in den vergangenen fünf Jahren dort über 19 000 Häuser gebaut und viele Sozialeinrichtungen neu geschaffen wurden.

Obwohl die Frauenorganisation (FMC) mit 3,1 Mio. Mitgliedern mittlerweile die zweitstärkste Massenorganisation in Kuba ist, ist der Weg bis zur vollen Gleichberechtigung der Frauen noch weit und nicht widerspruchsfrei, wie ganz offen eingeräumt wurde. 37,3% aller Beschäftigten in Kuba sind Frauen, damit hat Kuba den höchsten Frauenerwerbstätigenanteil aller Entwicklungsländer. Dies spiegelt sich aber noch nicht in der Besetzung von Leitungspositionen in der Wirtschaft und den gesellschaftlichen Organisationen wider. So sind nur 13,8% aller Parteifunktionäre Frauen, und in den örtlichen und Provinzparteileitungen sind es noch weniger. Auch die Erhöhung der Frauenbeteiligung in verantwortlichen Positionen der örtlichen Verwaltung und bei der Poder Popular geht nur schleppend voran. So wurde als Aufgabe für die nächste Zeit formuliert: "Wir müssen unsere nachhaltigen Anstrengungen fortsetzen, die Politik der Partei für die vollständige Emanzipation der Frauen umzusetzen. Dies verlangt eine Verbesserung der materiellen Randbedingungen. Aber vor allem verlangt es effektive ideologische Anstrengungen, hauptsächlich auf dem Feld der Erziehung, und einen unnachgiebigen Kampf gegen Vorurteile und Diskriminierung, die noch immer die volle Entfaltung der Frau zu Hause, im Beruf und im sozialen Leben behindern."

Arbeitsschwerpunkt der FMC in den vergangenen fünf Jahren waren: die Mobilisierung für den Erwerb des Schulabschlusses der 9. Klasse vor allem unter Hausfrauen, Unterstützung der Schulkinder durch die Bewegung "Mütter für die Erziehung", der 1,5 Mio. FMC-Mitglieder angehören, Mitarbeit in den Gesundheitsbrigaden, denen 58.000 FMC-Mitglieder angehören, und vor allem Werbung für die Territorialmilizen. 1,8 Mio. FMC-Mitglieder bekundeten ihre Bereitschaft, bei den MTT mitzuarbeiten, wovon bisher nur Mio. bewaffnet und ausgebildet werden konnten. Über 20.000 Frauen erhielten eine Offiziersausbildung im Rahmen der MTT.

An die größte und unbestreitbar bedeutendste politische Massenorganisation Kubas, die CDRs. wurden einige ermahnende Worte gerichtet, die Arbeit insbesondere im direkten Wohnumfeld zu intensivieren und zu früherer Wachsamkeit zurückzukehren, um die auch in Kuba zunehmende Zahl von Verstößen gegen die soziale Ordnung zu begrenzen. Arbeitsschwerpunkt der CDRs waren im vergangenen Jahrfünft neben der Mobilisierung für die Zivilverteidigung der Aufbau der lokalen Verteidigungszonen und der Erarbeitung von Evakuierungsplänen die Gesundheitserziehung und -aufklärung sowie Blutspende- (1,13 Mio. Blutspenden) und Impfkampagnen (3,9 Mio. Impfungen). Ermahnungen gab es auch an die Kämpfer der ersten Stunde, mehr Funktionärsposten in den CDRs für Jüngere und insbesondere Frauen freizumachen. Kritik mußte auch die Vereinigung der Universitätsstudenten (FEU) und der Sekundarschüler (FEEM) einstecken, insbesondere was die ideologische Arbeit und die Bereitschaft zum effektiven Lernen angeht. So wurden die Bewertungsschemata geändert, um nicht gerechtfertigte Benotungen und Beförderungen, die nicht auf eigener Leistung beruhen, auszuschließen. Auch dem Mogeln in Schulen und Universitäten wurde der Kampf angesagt.

Der Pionierorganisation ist es in den vergangenen Jahren offensichtlich zur Zufriedenheit aller gelungen, ihre Attraktivität zu steigern und ihre Arbeit zu entbürokratisieren. Lob gab es vor allem für die Erfüllung der übernommenen Produktions- und Verteidigungsaufgaben. Schwerpunkt künftiger Arbeit liegt auch hier auf dem Gebiet der Verbesserung der Ausbildung und der Mobilisierung für bessere Leistungen in der Schule.

Der Jugendorganisation der Partei (UJC) wurde recht unverblümt Praxis- und Basisferne, mangelnde Dynamik und geringe Attraktivität für die Jugend attestiert. Sie wurde aufgefordert, sich mehr um die jeweiligen Probleme vor Ort in den Betrieben und gesellschaftlichen Institutionen zu kümmern und die ideologische Erziehung der Massen voranzutreiben. Besonders kritikwürdig war der geringe Anteil von Frauen an den UJC-Funktionären (19,5%) bei 41% weiblichen UJC-Mitgliedern. Harte Worte gab es auch gegen "Nur"-Funktionäre, die von der Pionierorganisation an – ohne sich jemals in der Produktion bewährt zu haben – Partei- oder Staatsfunktionärsposten bekleiden.

Die Probleme der UJC treffen, wenn auch in etwas abgemilderter Form auch auf die Partei zu. Auch hier ist der Frauenanteil mit 21,5% aller Funktionäre unzureichend, und die Vorsitzende der FMC, Vilma Espin, bleibt auch nach der personellen Umbesetzung die einzige Frau im Politbüro.

Große Anstrengungen werden von der Partei in den nächsten Jahren erwartet, um ihr Ansehen bei den Massen zu verbessern und ein direkteres, schnelles und unbürokratisches Eingehen auf die Wünsche der Bevölkerung sicherzustellen. Zu diesem Zweck sollen die Befugnisse der Kontrollkommissionen der Partei erweitert und gestärkt werden. Dadurch soll die innerparteiliche Demokratie gestärkt, die Disziplin, Kritik und Selbstkritik gefördert werden. Künftig soll allen Beschwerden, Anfragen und Protesten aus der Bevölkerung besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden, damit die Partei ihren Anspruch, Führerin und Vertreterin der Massen zu sein, auch einlösen kann.

Ein neuer Stil wurde auch bei der Diskussion des neuen Parteiprogramms praktiziert. Es wurde diesem Kongreß nur als Entwurf vorgelegt, der im nächsten halben Jahr nicht nur innerhalb der Partei, sondern auch in den Massenorganisationen breit diskutiert werden soll. Eine Fortsetzung dieses Parteitages im Herbst dieses Jahres soll dann das endgültige Programm beschließen.

1) Spiegel 31/85
2) 1 Dollar/Barrel = 7,40 Dollar/t
3) ifo-schnelldienst 5/86
4) Informationsschrift der Wirtschaftlichen Vereinigung Zucker, Bonn o.J. (1985)
5) Fidel Castro, Bericht an den 3. Parteitag, Granma WR, 10.2.1986, S. 10, zitiert als Rechenschaftsbericht
6) 1980-1985 wurde für Lateinamerika ein durchschnittliches Wachstum von 0,5% p. a. Registriert. Das Pro-Kopf-Wachstum ging gar um 2% p. a. zurück und liegt heute auf dem Niveau von 1977 (Rechenschaftsbericht S. 19)
7) Rechenschaftsbericht S. 7
8) Rechenschaftsbericht S. 8 9) Ebenda


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CUBA LIBRE 1/2-1986