Fidel:

Unsere Gefühle aussprechen

Revolutionäre Genossinnen und Genossen !

Es war ein Tag im Juli oder August 1955, als wir Che kennenlernten. Und in einer Nacht verwandelte er sich – wie er aus seinen Erinnerungen erzählt – in einen zukünftigen Teilnehmer der Granma Expedition. Damals hatte diese Expedition noch kein Schiff, keine Waffen, keine Truppen und so kam es, daß Che zusammen mit Raúl die Gruppe der ersten zwei bildete, die sich in der Liste der Granma eintrug.

Seither sein zwölf Jahre vergangen, und das waren zwölf mit Kampf und Geschichte beladene Jahre. Und während dieser zwölf Jahre hat der Tod viele wertvolle und unersetzlcihe Leben ausgelöscht, aber auf der anderen Seite sind während dieser Jahre, den Jahren unserer Revolution, außerordentliche Menschen aufgetaucht …

Und heute Nacht habe wir uns versammelt, wir mit euch, um doch in irgendeiner Weise zu versuchen diese Gefühle für einen der uns nächsten, einen der am meisten bewunderten, einen der am meisten geliebten und zweifellos den außergewöhlichsten Gefährten unserer Revolution auszusprechen, diese Gefühle vor ihm auszusprechen und vor den Helden, die mit ihm gekämpft haben, den Helden, die mit ihm gefallen sind, in dieser seiner internationalen Armee, die eine ruhmreiche und untilgbare Seite im Buch der Geschichte schreibt.
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Dies war einer seiner wesentlichen Charakterzüge: seine sofortige, unverzügliche Bereitschaft, sich zur Durchführung der gefährlichsten Aufgaben zur Verfügung zu stellen. Und das erregte natürlich die Bewunderung, die zweifache Bewunderung für diesen Genossen, der an unserer Seite kämpfte, der nicht in unserem Land geboren war, der ein Mann war, in dessen Kopf Träume von den Kämpfen in anderen Teilen des Kontinents brodelten, und dennoch: jener Altruismus, jene Uneigennützigkeit, jene Bereitschaft, immer das allerschwierigste zu vollbringen, ständig sein Leben zu riskieren.

So hat er sich den Rang eines Commandante verdient, und so ist er zum Anführer der zweiten Guerillasäule geworden, die sich in der Sierra Maestra bildete; so begann sein Ansehen zu wachsen, so fing er an, sich seinen Ruf als großartiger Kämpfer zu erwerben, der ihn im Verlauf des Krieges bis zum höchsten Rang führen sollte.

Che war ein unübertrefflicher Soldat; Che war ein unübertrefflicher Anführer, Che war, vom militärischen Standpunkt aus gesehen, ein außergewöhnlich fähiger, ein außergewöhnlich angriffslustiger Mann. Und wenn er als Guerillero eine Achillesferse hatte, dann war diese Achillesferse seine unmäßige Aggressivität, war es seine völlige Verachtung der Gefahr.
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Eben darin mit ihm übereinstimmen, fällt uns schwer, da wir glauben, daß sein Leben, seine Erfahrung, seine Fähigkeit als kühner, kriegstüchtiger Anführer, sein Ansehen und alles, was er im Leben bedeutete, viel mehr war, als er vielleicht selbst ahnte.
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Che war ein militärischer Anführer von außergewöhnlichen Fähigkeiten. Aber wenn wir uns an Che erinnern, wenn wir an Che denken, denken wir nicht hauptsächlich an seine militärischen Tugenden. Nein! Der Krieg ist ein Mittel und kein Ziel, der Krieg ist ein Instrument der Revolutionäre. Wichtig ist die Revolution, wichtig ist die revolutionäre Sache, sind die revolutionären Ideen, die revolutionären Ziele, die revolutionären Gefühle, die revolutionären Tugenden!
Und auf diesem Gebiet, dem Gebiet der Ideen, auf dem Gebiet der Gefühle, auf dem Gebiet der revolutionären Tugenden, auf dem Gebiet der Intelligenz – neben seinen militärischen Tugenden – fühlen wir den erschütternden Verlust, den sein Tod für die revolutionäre Bewegung bedeutet, weil Che in seiner außergewöhnlichen Persönlichkeit Tugenden vereinigte, die selten zusammen auftreten.
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Aus der Ansprache von Fidel Castro am 18. Oktober 1967
auf dem Platz der Revolution in Havanna


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Che repräsentiert den internationalistischen Geist, der die Welt von heute und die von morgen auszeichnet, in ständig wachsendem Maße in seiner reinsten und selbstlosen Art.

Aus einem gestern von den Kolonialmächten unterdrückten, heute ausgebeuteten und vom Yankee-Imperialismus in der ruchlosesten Rückständigkeit und Unterentwicklung gehaltenen Kontinent steigt diese einzigartige Gestalt auf, die sich in ein universelles Leitbild des revolutionären Kampfes, bis hinein in die Metropolen des Imperialismus und Kolonialismus verwandelt.

Die Yankee-Imperialisten fürchten die Stärke dieses Vorbilds und alles, was dazu beitragen könnte, es bekannt zu machen. Der eigentliche Wert des Tagebuchs ist die lebensnahe Darstellung einer außergewöhnlichen Persönlichkeit. Die Lehre der Guerilla, in der Hitze und Spannung jedes Tages geschrieben, ist entzündbares Pulver und realer Beweis, daß der lateinamerikanische Mensch nicht ohnmächtig ist gegenüber den Versklavern und seinen Söldnerheeren. Das ist es, was sie bis jetzt gehindert hat, es zu veröffentlichen.

Auch die Pseudorevolutionäre, Opportunisten und Heuchler aller Arten könnten daran interessiert sein, daß dieses Tagebuch nie bekannt wird, sie, die sich selbst als Marxisten, Kommunisten und ähnliches ausgeben, aber nie zögerten, Che zum verirrten Abenteurer abzustempeln, dessen Tod der Schwanengesang des bewaffneten Kampfes der Revolution in Südamerika ist. "Wenn Che", so rufen sie aus, "der größte Exponent dieser Ideen, der erfahrene Guerillero, bei den Guerillakämpfen getötet wurde und seine Bewegung Bolivien nicht befreit hat, zeigt das, wie sehr er irrte …!" Wieviel dieser Elenden mögen sich über den Tod Ches gefreut haben, ohne sich zu schämen, daß ihre Einstellung und Argumentation mit denen der reaktionärsten Oligarchien des Imperialismus übereinstimmen.

Auf diese Weise rechtfertigen sie sich selbst oder rechtfertigen verräterische Führer, die im entscheidenden Moment nicht zögerten, beim bewaffneten Kampf mitzuspielen, mit dem wahren Vorsatz – wie man später sehen konnte – die Gruppen der Guerilleros zu zerstören, die revolutionären Aktionen zu bremsen und ihre lächerlichen politischen Vorstellungen verschleiert durchzusetzen, da sie völlig unfähig waren; oder die, die nicht kämpfen wollten, noch jemals für ein Volk und seine Befreiung kämpfen werden, und die die revolutionäre Ideen karikiert haben, indem sie aus ihnen dogmatisches Opium ohne Inhalt und Bedeutung gemacht haben, die Kampforganisationen des Volkes in Instrumente der Versöhnung mit den in- und ausländischen Ausbeutern und in Vorkämpfer einer Politik verwandelt haben, die nichts mit den wahren Interessen der ausgebeuteten Völker dieses Kontinents zu tun haben.
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Che überlebte seine Ideen nicht, aber er befruchtete sie mit seinem Blut. Mit größter Sicherheit werden seine pseudorevolutionären Kritiker mit ihrer feigen Politik und ihrer ewigen Tatenlosigkeit die Offenkundigkeit ihrer eigenen Dummheit erleben.
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aus: Fidel Castro, "Eine notwendige Einführung",
Vorwort zu Ernesto Che Guevara, Bolivianisches Tagebuch


CUBA LIBRE


CUBA LIBRE 3-1992