Adelante Mujeres !

Unter diesem Titel haben "Frauen der Initiative für die ersatzlose Streichung des § 218 eine Broschüre über diverse Gespräche mit kubanischen Frauen und Männern herausgebracht, die sie während einer Reise im Frühjahr 1992 kennengelernt haben.

Neben Kontakten mit Angehörigen des kubanischen Frauenverbandes und der Frauenzeitung Mujeres dokumentierten sie ihre Gespräche im Institut für Sexualwissenschaften, in einer Körperbehindertenwerkstatt, einer Schule für verhaltensauffällige Kinder und mit Vertreterinnen der Gewerkschaft in einer Möbelfabrik.

Die Herausgeberinnen, die sich als Feministinnen verstehen und zum Teil Angehörige der Gruppe "Sozialistische Linke" aus Karlsruhe sind, legen ein leicht lesbares Heft vor, das einen schnellen Überblick über einige zentrale Themen der kubanischen Realität darstellt. Die dokumentierten Gespräche sind eigentlich eher Befragungen und dies hat Vor- sowie Nachteile.

Zum einen können anhand konkreter Informationen Vorurteile, die noch immer in einigen Diskussionen herumgeistern, entkräftet werden, wie z.B. daß Aidskranke ghettoisiert und staatlich schlecht behandelt würden. Da ist es doch erstaunlich, zu erfahren, daß an Aids Erkrankten die Lohnfortzahlung in voller Höhe zusteht. Oder daß in Kuba 64% aller technischen Arbeiten von Frauen ausgeführt werden und deshalb die Summe der Gehälter für Frauen höher liegt als die der Männer.

Zum anderen, und das ist die nachteilige Seite, vermittelt der Interviewstil die Einseitigkeit der Kommunikation, die uns leider von so vielen internationalistischen Veranstaltungen und Kontakten bekannt und zugegebenerweise schwer zu durchbrechen ist. Darunter leidet die Lebendigkeit der Auseinandersetzung, die in einer Diskussion stärker zum Ausdruck kommen könnte. Begünstigt durch diesen Stil werden bedauerlicherweise auch manchmal phrasenhafte Antworten, bei denen ich mir mehr Hartnäckigkeit im Nachhaken gewünscht hätte.

Beeindruckend wiederum ist die Einbettung verschiedener Einzelproblematiken in eine gesamtgesellschaftliche Sichtweise, wie sie bspw. Im Gespräch mit der Frauenzeitschrift Mujeres in einer Übersicht über ihre Themen deutlich wird: Liebe und Sexualität älterer Menschen,Modetips in einer Zeit des Mangels an Materialien und wirtschaftlicher Not, die gemeinsame Verantwortung in Familie und Erziehung, Gewalt gegen Frauen oder Prostitution.

Letztere ist unter den derzeitigen Bedingungen ein zunehmendes Problem, jedoch wahrscheinlich qualitativ und quantitativ nicht mit anderen Ländern Lateinamerikas oder gar der BRD zu vergleichen. Deshalb verwundert die Vehemenz in der Betonung der Prostitution bzw. der Unterschiedlichkeit der Ausgangspunkte im Schlußwort der 218-Initiative ein wenig. Gerne würde man mehr über die kontroversen Vorstellungen zwischen den deutschen und kubanischen Frauen erfahren, um zu verstehen, welche Lernprozesse (evtl. beidseitig) stattgefunden haben.

Ein bißchen davon erahnt man durch die einleitenden Worte der Herausgeberinnen: "Wir mußten feststellen, daß wir mit diesem (Anm.: europäischen) Feminismusverständnis und seinen Begriffen oft Mißverständnisse erzeugten oder gar auf Unverständnis gestoßen sind. Aber auch Begriffe der cubanischen Gesellschaft, die von den cubanischen Frauen in ihrem Verständnis vorausgesetzt wurde, lösten bei uns große Verständnisschwierigkeiten aus. Ein Beispiel ist der Begriff "igualdad", der von den Dolmetscherinnen mit "Gleichberechtigung" übersetzt wurde. Tatsächlich wäre dieses Wort mit dem Begriff "Gleichheit" zu übersetzen. Die Cubanerinnen benutzten den Begriff "igualdad", um in ihrem Emanzipationsverständnis die Gleichstellung in der Verschiedenheit zum Ausdruck zu bringen."

Es scheint sich herauszuschälen, daß mit "Gleichheit" nicht die Angleichung an den Mann als das Maß aller Dinge gemeint sein kann. Hier zeigt sich u.a., daß zur Kommunikation nicht nur der nackte Begriff zählt, sondern auch ein Bemühen um Verstehen, wie er sozial gefüllt wird. In einer Zeit, in der wir Frauen (und Männer) der europäischen Metropolen uns verstärkt mit unseren eurozentristischen Sichtweisen auseinandersetzen müssen, ist dies ein zur Diskussion anregendes Verständnis.

"Initiative für die ersatzlose Streichung des § 218"
Steinstr. 23, 76133 Karlsruhe


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CUBA LIBRE 4-1993