Botschaftsbesetzungen

Der Großgrundbesitzer Manuel de Céspedes begann im Jahre 1868 den ersten Krieg für die Unabhängigkeit Cubas von der spanischen Kolonialherrschaft, indem er seine Sklaven freiließ. Am ende dieses Krieges, 10 Jahre später, war Cuba zwar noch nicht unabhängig, aber die Sklaverei war in Cuba beseitigt – ein großer Sieg für die ganze Menschheit.

Manue de Céspedes verankerte damit den Grundsatz, daß nur freie Menschen für eine freie Gesellschaft kämpfen können, in der cubanischen Revolution. Nur aus der freien Entscheidung, nicht aus der Unterwerfung unter Zwang, kann die Disziplin entstehen, die der gemeinsame Kampf erfordert. Man liebt nur, was man auch verlassen kann – ein Land, eine Frau, das Leben. Man kann zwar einigen Menschen zeitweilig ihr Erstgeburtsrecht der Freizügigkeit für ein Linsengericht von Verheißungen von Wohlstand und sozialer Sicherheit abkaufen, aber sie werden sich dann dem Herren zuwenden, der ihnen vollere Fleischtöpfe verspricht.

Als nach dem Triumph der cubanischen Revolution die Hälfte der etwa 3.000 Ärzte Cuba verlassen hatten, hat ihnen niemand Hindernisse in den Weg gelegt oder gar eine Mauer um Cuba herum gebaut. Die cubanische Revolution ist auch in ihrer sozialistischen Phase dem Beispiel von Céspedes gefolgt – der Aufbau des Sozialismus ist eine Aufgabe von freien Menschen, und wer da nicht mitmachen will, kann gehen. Der neue Mensch entsteht, indem wir Menschen uns selbst verändern, nicht indem eine aufgeklärte Elite uns ummodelt.

Das Problem ist seit drei Jahrzehnten, daß die USA – und das Ziel der millionenstarken Emigration aus allen lateinamerikanischen Ländern sind die USA – nur sehr wenigen Cubanern, die ordnungsgemäß in der US-Interessenvertretung in Havanna ein Visum beantragen, die Einreise erlauben. Hingegen wird jeder Cubaner, der ein Boot oder Flugzeug raubt, das Leben anderer oder auch sein eigenes in Gefahr bringt, an der Käste Floridas als Freiheitsheld begrüßt und bekommt sofort alle nötigen Papiere. Die Revolution hat auch hier den Cubanern regelrechte Privilegien verschafft – Haitianer, die über das Meer dem Elend und Morden in ihrem Heimatland entfliehen wollen, werden von der US-Küstenwache gleich wieder zurückgebracht. Nicht mal Deutsche können so leicht in den USA eingebürgert werden, wie Cubaner, sofern diese illegal ihr Land verlassen haben. Die USA wollen den Eindruck vermitteln, daß Cuba genauso die Freizügigkeit verweigert, wie seinerzeit die DDR oder die Sowjetunion. Dabei hat die US-Regierung den eigenen Bürgern Reisen nach Cuba praktisch verboten.

Zweimal ist die cubanische Revolution dieser Politik mit einer menschlichen Brücke entgegengetreten: Anfang der 60er Jahre und im Jahre 1980 lud die cubanische Regierung alle Leute aus den USA ein, in den Hafen von Camarioca (1963) bzw. Mariél (1980) zu kommen und ausreisewillige abzuholen. Hunderte und Tausende von von US-Cubanern, die wußten, daß sie sich auf das Wort der Revolution verlassen können, kamen mit ihren Booten und holten so auch ohne Genehmigung der US-Regierung über 100.00 Cubaner sicher über die Straße von Florida. Diese Aktionen bewirkten jeweils eine weniger restriktive Einreisepolitik der USA. Nach Mariél wurde ein Abkommen ausgehandelt, wonach die USA jährlich 20.000 Cubanern die Einreise gestatten sollten, was aber auch nicht eingehalten wurde.

Nachdem Cuba im Zuge der rectificación oder Berichtigung der Fehler aus der Übernahme von wirtschaftlichen und politischen Modellen der Sowjetunion auch die Ausreise wieder weitgehend entideologisiert hat und mehr und mehr Cubaner die Möglichkeit wahrnehmen wollen, in andere Länder zu reisen, wird dort die restriktive Einreisepolitik verschärft. Kanada verlangt seit kurzem von allen Cubanern ein Transitvisum für eine Zwischenlandung in Gander, dem Flughafen auf Neufundland, obwohl dort die Reisenden nicht mal den abgeschlossenen Transitbereich verlassen (damit verbieten sie praktisch den Cubanern, mit der eigenen Fluglinie nach Europa zu reisen). Wenn ein Cubaner schließlich nach vielen Mühen ein Visum für Deutschland ergattert hat (er muß dazu ein behördlich abgestempeltes Formular aus Deutschland vorweisen, daß dort jemand für alle Kosten aufkommt), ist das mit dem Vermerk versehen, daß es in Deutschland nicht verlängert werden kann.

Es war für die Bonner Republik ja so bequem, als der Eiserne Vorhang und die Mauer die freie Reise in Europa verhinderten – man hatte sogar noch einen Sündenbock, den man dafür prügeln konnte. Jetzt, nachdem wir Menschen diese Hindernisse niedergerissen haben, müssen die Herrschaften selbst ihre Grenzen dichtmachen und bauen elektronische Barrieren auf, eine High-Tech Staatsgrenze-Ost. Sie versuchen aber weiterhin, die Last auf andere abzuschieben und damit auch den Frust auf diese anderen umzulenken. Weiterhin sollen schon die Nachbarländer die freie Reise nach Deutschland verhindern.

Ich weiß nicht genau, was die Cubaner, die in diesen Tagen die Botschaften von Belgien und Deutschland sowie das chilenische Konsulat besetzt haben, bewegt. Als vor ein paar Jahren Cubaner in die belgische Botschaft, die spanische und einige andere eindrangen, hat Fidel Castro erklärt, daß er nichts dagegen hat, daß Leute ausreisen. Er hat angeregt, daß die europäischen Länder ein Büro in Havanna einrichten, um diese Einwanderung zu organisieren. Die Botschaften selbst jedoch, so sagte Fidel, können nicht als Reisebüros agieren, wenn sie ihre diplomatischen Aufgaben wahrnehmen wollen. "Unsere Türen stehen offen für alle, die reisen wollen", sagte Fidel Castro z.b. in seinem großen Interview mit dem italienischen Journalisten Gianni Minná im Januar 1987 und wiederholte dabei, was er vorher der französischen Zeitung L'Humanité erklärt hatte, "es sind (die anderen), die ihnen keine Reisegenehmigung geben, während sie gleichzeitig illegale Ausreisen fördern."

Gelegentlich taucht auch diese Wahrheit in den deutschen Medien dieser Tage auf. Die großen Fernsehanstalten versuchen jedoch, das Bild zu verzerren und die Verantwortung für die Reisehindernisse der cubanischen Seite zuzuschreiben. Wir sollten dieser Propaganda mit Fakten und Ideen entgegentreten.

Für eine Welt ohne Grenzen!
19. Juni 1994

CUBA LIBRE Lüko Willms

CUBA LIBRE 3-1994