Ausreise kubanischer Juden nach Israel

Es gibt kein Geheimabkommen

"Hier gibt es keine Ablehnung des jüdischen Volkes, weder in der Bevölkerung noch in der Regierung. Es gibt auch kein Geheimabkommen, um Juden nach Israel zu 'retten', das ist eine große Lüge. Wer das Land verlassen will, der geht, genau wie jeder andere kubanische Bürger, der die international anerkannten Bestimmungen des jeweiligen Landes über Ein- bzw. Ausreisegenehmigungen erhält."

So Dr. José Miller Fredmann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeine Kubas, im Gespräch mit Granma Internacional, als er die in der Auslandspresse erschienenen Artikel als spekulativ, ungenau und falsch bezeichnete.

"Wir hier in Kuba lebenden Juden genießen in der Gesellschaft alle Möglichkeiten und Freiheiten, unsere religiösen Bekenntnisse, Traditionen und Bräuche offen auszuüben. Gleichzeitig sind wir weder von den Rechten noch von den Pflichten, die jeder Kubaner hat, ausgeschlossen. Dazu gehört auch das Recht, an jedem Ort der Welt zu leben, an dem man uns aufnimmt."

Alles begann damit, erklärte Miller, dass 1992 vier junge kubanische Juden an den Vorstand der Gemeinde, der er vorsteht, herantraten und den Wunsch äußerten, in Israel zu leben. Der Antrag wurde mit der entsprechenden Organisation in Kanada abgesprochen, zu der enge Beziehungen bestehen, und nach der Erledigung der Formalitäten - "öffentlich und transparent" - siedelten die Antragsteller nach Israel über.

"Familienangehörige dieser Emigranten äußerten dann 1993 ebenfalls den Wunsch zur Ausreise. Und obwohl unserer jüdischen Gemeinde daran gelegen ist, größer und stärker zu werden, erledigten wir auch hier wieder die Formalitäten und auch diese Gruppe verließ das Land", betonte Miller und fügte an: "Wir sind nicht daran interessiert, jemanden gegen seinen Willen hier festzuhalten."

So spannte sich eine normale Brücke, die sich festigte, als die kanadische Botschaft (sie nimmt die israelischen Angelegenheiten in Kuba wahr, nachdem die diplomatischen Beziehungen zwischen Kuba und Israel 1973 abbrachen) nach vorheriger Vereinbarung mit dem kubanischen Außenministerium beschloß, einen Beamten für diese Fragen einzusetzen.

Ein normales Verfahren

Seit März 1995 emigrierten auf diesem Weg 80 oder 90 jüdische Familien (etwa 300 Personen nach Israel, aufgrund eines ganz normalen Migrationsprozesses, bei dem Kanada als Vermittlerin auftritt und der zum großen Teil von der jüdischen Agentur finanziert wird, offen und ohne irgendwelche Geheimnisse. Die Agentur ist ein Unternehmen das weltweit Juden, die es wünschen und die erforderlichen Voraussetzungen dazu erfüllen, Reisen nach Israel ermöglicht.

Wie der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Kubas uns weiter mitteilt, sei es die Aufgabe seiner Organisation in diesem Prozess, festzustellen, ob die fragliche Person tatsächlich jüdisch ist und wie weit ihr Verwandtschaftsgrad reicht, den das in Israel gültige Gesetz für Rückkehrer (1950) verlangt, wonach mindestens der Großvater Jude gewesen sein muss, um in dieses Land zu emigrieren und seine Staatsbürgerschaft zu erhalten.

Heute lägen 40 Ausreiseanträge vor, und man überlege derzeit, ob man weitere annehmen könne, denn aus Israel seien erste Berichte über Anpassungsprobleme der kubanischen Juden eingetroffen. Es wäre gut, diese Frage zu klären, meinte der Vorsitzende.

Nach Informationen der israelischen Presse, die von internationalen Nachrichtenagenturen noch ausgeweitet wurde, reisten die kubanischen Juden mit 20 kg Handgepäck ein, und seit ihrer Ankunft in Israel habe sich ihr Lebensstandard nicht wesentlich verbessert.

Einige seien vom Empfang enttäuscht gewesen und fühlten sich wie in einem Ghetto, wird berichtet, während andere das Elend beklagen, in dem sie leben.

"Auch lassen wir uns nicht als Sprungbrett derer benutzen, die einzig und allein in die Vereinigten Staaten wollen, denn das liegt nicht mehr im Bereich der Dinge, in denen unsere Gemeinde ihre Mitglieder unterstützen muss", betonte Miller.

"Uns interessieren die Juden, die hier bleiben und die Mehrheit unserer Gemeinde Bilden. Ihnen versuchen wir zu helfen, damit sie besser leben und, sofern sie es möchten, aus den Bräuchen und Traditionen ihrer Vorfahren Kraft schöpfen", sagte Miller "und dabei unterstützen uns heute die kubanischen Behörden."

Die Reichen gingen

Als die Revolution siegte, zählte die Jüdische Gemeinde Kubas mehr als 15.000 Mitglieder. In allen Teilen des Landes gab es Gruppen. Ihr Einfluss war damals groß. Sie bestand vor allem aus Geschäftsleuten, aus Leuten, die wirtschaftlich gut gestellt waren, insbesondere in den Provinzhauptstädten und einigen anderen Orten, wie etwa Artemisa.

Wie in allen Ländern, mussten sie ihre Einrichtungen erhalten, ihre Synagogen bauen, und wer seiner Armut wegen keinen Beitrag leisten konnte, wurde aus dem jüdischen Leben ausgegrenzt und hörte auf, diesem Volk anzugehören.

Ab 1959 emigrierten 90 Prozent dieser mächtigen Gruppe, und zwar hauptsächlich in die USA, wie es die meisten wohlhabenden Personen des damaligen Kubas taten. Die kreolische jüdische Gemeinde verlor dadurch ihren wirtschaftlichen Halt und die Intensität des Gemeindelebens nahm, religiös wie sozial gesehen, ab.

Geblieben waren die Armen, viele von ihnen bereits ausgegrenzt. Die neue Generation wuchs nach den Normen und Merkmalen der neuen kubanischen Gesellschaft heran, sie leben ein nichtreligiöses Leben und entfernen sich von der jüdischen Identität.

Aber einige hielten an den Traditionen fest. Es waren jene, die sich zu wichtigen jüdischen Feiertagen, wie dem Psah, dem Neujahrsfest oder dem Versöhnungstag, den Synagogen näherten, um einige Produkte zu erhalten, die an solchen Tagen nicht fehlen durften.

Dies war der Anlass, dass mit der Hilfe anderer jüdischer Gemeinden außerhalb Israels, ganz besonders der in Kanada, begonnen wurde, diese Gemeinde neu zu beleben, die in Wirklichkeit, wie Miller eingesteht, wenig jüdische Kultur hat.

"Heute kostet es nichts, unsere Synagogen zu besuchen oder zu unseren Versammlungen zu kommen. Wir wollen unsere Identität aufrechterhalten, Mitglieder gewinnen und nicht, dass sie dieses Land verlassen. Alles andere ist Lüge, und ich denke, man will damit Konflikte heraufbeschwören und geht von dem Wunsch einiger aus, überall dort Schaden anzurichten, wo sich Erfolge in Kuba zeigen."

Miller Fredmann erinnert an die Teilnahme des Präsidenten Fidel Castro an einer jüdischen Feier im Jahre 1998. Dies sei ein gutes Zeichen der Anerkennung und Achtung der Gemeinde durch den Staat und dafür, dass es auf der Insel keine antisemitischen Gefühle gibt.


CUBA LIBRE Aldo Madruga
Granma Internacional, November 1999

CUBA LIBRE 1-2000