Enrico Rajchenberg, Carlos Fazio (Hg.): Rebellion X
Das Jahr des Streiks an der Universität Mexiko-Stadt

Erinnerungen an einen fast vergessenen Kampf

Über ein Jahr ist jetzt der konservative mexikanische Präsident Vincente Fox an der Macht. Die Bilanz war ernüchternd aber vorhersehbar. Die Menschenrechtsverletzungen gehen weiter, die Forderungen der landlosen Bauern werden weiterhin missachtet.

Nur die Durchsetzung neoliberaler Reformen kommt – wie von Fox versprochen – gut voran. Mit seinem Machtantritt sind die zahlreichen sozialen Bewegungen an den Rand des öffentlichen Interesses gerückt worden, die in den letzten Jahren nicht nur das innenpolitische Leben in Mexiko bestimmt haben, sondern auch weltweit Aufsehen erregten. Neben dem Aufstand der Zapatistas in Chiapas gehörte der einjährige Streik der Studierenden an der UNAM, der zentralen Universität von Mexiko, dazu.

Mit Verspätung ist jetzt beim Unrast-Verlag ein Buch mit einem seht schönen Cover erschienen, das diese Auseinandersetzung noch einmal sehr detailliert darlegt. Eine sinnvolle Erinnerung. Was diesem Streik an der UNAM seine gesellschaftliche Dimension verlieh, die ihn auch fast zwei Jahre nach seinem Ende noch interessant macht, war die Tatsache, dass sich der Kampf nicht nur um Forderungen auf den Campus drehte.

Es ging damals um die innenpolitische Demokratisierung und die Herausbildung neuer autonomer Bewegungen in Mexiko, nachdem die Oppositionspartei PRD als Regierungspartei im Wartestand nur noch auf die Domestizierung oppositioneller Bewegungen aus war. Im Buch gibt es einige Beispiele dazu. Andererseits ist es auch den Zapatistas nicht gelungen, eine dauerhafte oppositionelle Bewegung in Mexiko zu etablieren, obwohl sie dazu immer wieder Hilfestellung gab. Deshalb richtete sich die Hoffnung nicht nur vieler Studenten, sondern auch oppositioneller Arbeiter, der großstädtischen Subkultur und nicht zuletzt auch der Zapatistas selbst, auf die streikenden Studenten.

Diese Erwartungen überforderten die junge, heterogene Bewegung sichtlich. Das wird in der ausführlichen Chronik des studentischen Kampfes deutlich. Von Anfang an gab es Konflikte innerhalb der Koordinationsgremien, die sich die Streikenden selbst geschaffen hatten. Während sich ein Teil auf die universitären Forderungen konzentriert, betonen andere stärker den gesamtgesellschaftlichen Kampf. Diese Auseinandersetzungen wurden nicht immer solidarisch geführt und lähmten den Kampf im Laufe der Zeit immer mehr.

Hinzu kam die Taktik der mexikanischen Regierung, die Streikenden mit scheinbaren Zugeständnissen zu spalten. So ist dann auch der Nachtrag im Buch ernüchternd: "Das CGH (zentraler Streikrat P.N.) existiert noch als kleine Gruppe, aber nicht mehr als repräsentatives Organ. Er hält immer noch das Auditorio Che Guevara besetzt."

Das war jener große Saal in der UNAM, in der sich in den Hochzeiten des Streiks zig Tausende von Studierenden und Oppositionellen aus dem gesamten Land die Köpfe heiß geredet haben. Ein ursprünglich noch am Ende des Streiks geplanter Kongress, der die streikenden Studierenden und die soziale Bewegung vereinen sollte, wurde immer wieder verschoben. Die Luft ist raus aus der Bewegung. Einige der studentischen Aktivisten haben die Universität mittlerweile verlassen, manche mit Examen, andere aus Frust und Verbitterung über den letztlich gescheiterten Kampf. Andere müssen sich noch immer mit Geldstrafen und anderen Repressalien wegen ihrer Streik-Aktivitäten herumschlagen.

Nur wenige sind in einem Prozess der Reflexion getreten. Sie stellen die Auseinandersetzungen in einen größeren Zusammenhang und analysieren auch die Fehler, was im letzten Teil des Buches dokumentiert wird.

Das erste Kapitel, in dem ein Zusammenhang zwischen dem Kampf der mexikanischen Studierenden und der Situation an unseren Universitäten hergestellt werden soll, ist etwas bemüht. Vielleicht hätte eine solche Thematik mehr Platz erfordert. Bemerkenswert, dass der internationale studentische Kongress gegen den Neoliberalismus nicht erwähnt wird, der noch zu Streikzeiten geplant, schließlich im Frühsommer 2000 in Mexiko Ciudad unter Beteiligung von Delegierten fortschrittlicher Sudentenorganisationen auch aus Deutschland stattgefunden hat.

Bemühungen um eine internationale studentische Vernetzung gegen den Neoliberalismus kamen seither nicht recht voran, hätten aber in dem Kontext des Buches Erwähnung finden müssen. Enttäuschend war das kleine Kapitel über den Zapatismus, das sich in der Aneinanderreihung pathetischer Sätze aus zapatistischen Erklärungen erschöpfte. Dabei gibt es doch gerade zum Neozapatismus durchaus eine Menge auch kritischer Einschätzungen. Auch das Kapitel "Studentischer Widerstand und soziale Bewegung seit 1968" wird der Überschrift nicht gerecht. Eine ausführliche Arbeit wäre wünschenswert gewesen, zumal die entsprechenden Kämpfe hier kaum bekannt sind. Ein besonderes Manko, dass niemand auf die veränderten Kampfbedingungen mit der Niederlage des PRI-Regimes und den Machtantritt von Fox eingegangen ist. Da hätte man doch vielleicht auf Beiträge aus der mexikanischen Linken zurückgreifen können. Oder ist die auch nach über einem Jahr Foxismus noch nicht aus ihrer Sprachlosigkeit erwacht?

Rebellion X, Das Jahr des Streiks an der Universität Mexiko-Stadt
Enrico Rajchenberg, Carlos Fazio (Hg.)
Unrast-Verlag, Münster 2011
219 Seiten, 24,80 DM (13 Euro)


CUBA LIBRE
Peter Nowak

CUBA LIBRE 1-2002