Frauen in Cuba - Interview zum 08. März 2004

Mein Name ist Clothilde Sánchez Medina. Ich bin 57 Jahre alt, habe zwei erwachsene Kinder, eine Tochter und einen Sohn und lebe in Havanna, Kuba.

Frau Sánchez erzählen Sie uns etwas über Ihre Familie und Ihr Leben als Mädchen und junge Frau in Kuba?

Meine Mutter war Schneiderin und mein Vater war Konditor. Ich bin ein Einzelkind und absolvierte die Grundschule in einem Nonnenkloster, wo ich Englisch bei Lehrerinnen aus Kanada gelernt habe. Dort wurde man auch in Religion, allgemeinen Fächern und Sonderfächern, wie Handarbeiten unterrichtet. Im Stricken und Häkeln war ich nicht besonders begabt, ich war eine durchschnittliche Schülerin und habe gerne gelernt. Meine Lieblingsfächer waren Geschichte, Gesellschaftswissenschaften und Sprachen.

Als ich 14 Jahre alt war, und in der 9. Klasse, siegte die Kubanische Revolution.

Meine Eltern waren Kinder spanischer Emigranten und mein Vater war Kommunist. So entschieden sie sich in Kuba zu bleiben. Die Familie meiner Mutter, ihre 5 Geschwister mit ihren Familien sind in die USA gegangen. Dadurch war meine Familie sehr klein: Vater, Mutter und eine Oma.

Wir akzeptierten die Grundkonzeption der Revolution. Mein Vater bekam endlich einen festen Arbeitsplatz und meine Mutter arbeitete als Schneiderlehrerin für die Frauen, die vor dem Sieg der Revolution Prostituierte waren.

Wir arbeiteten in Komitees, der Milizia und der Frauenorganisation, die wir sogar mit gegründet haben.

Mein Vater kämpfte in Playa Girón, meine Mutter und ich blieben in Havanna und unterstützten die Revolution, ich im Gymnasium, meine Mutter in der Frauenorganisation.

Warum sprechen Sie eigentlich so gut Deutsch, haben Sie das in der Schule gelernt?

Ich hatte Deutschunterricht in der Schule. 1964, ich war 17 Jahre alt, hatte ich die Gelegenheit zum ersten Mal in die DDR zu fliegen und das Land von Ernst Thälmann zu besuchen:

Dort sollten 11 KubanerInnen an einem Weiterbildungskurs auf dem Gebiet der Textilindustrie teilnehmen.

Später arbeitete ich 8 Jahre als Dolmetscherin bei Montagen verschiedener Bauprojekte in der ganzen DDR. Ich übersetzte für viele Berater, Mitarbeiter, Ingenieure und Arbeiter und fand seh gute Freunde, Freundschaften, die zum Teil auch heute noch bestehen. Ich traf Leute aus seht unterschiedlichen Schichten, und Niveau und mit verschiedenen politischen Weltanschauungen. Aber sie hatten alle eine Gemeinsamkeit: die Liebe zu Kuba.

Was haben Sie gemacht, als Sie aus Deutschland zurückgekommen sind?

Ich studierte Germanistik an der Universität von Havanna. Dort arbeitete ich nach meinen Abschluss 30 Jahre als Deutschlehrerin.

Sie haben zwei Kinder. War es schwierig Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen?

Das leben als berufstätige Frau mit Kindern und Mann bedeutet immer, dass zwei Schichten gearbeitet werden müssen, eine im Beruf und eine in der Familie und die zweite Schicht ist immer die schwierigste.

Dann kam die Trennung von meinem Mann. Meine zwei Kinder waren in der Oberschule, der Umzug, das Meins-Deins-Spiel, die Kinder können nicht getrennt werden. Wir hatten eine winzige Wohnung und völlig neue Umstände, aber immer die Hoffnung auf ein besseres Leben.

Der Zusammenbruch der Sowjetunion und der "Bruderländer" spielte eine wichtige Rolle. Niemand hatte mehr ein privates leben, geschieden von den sozialen Ereignissen.

Die harten Jahre der Sonderperiode (ab 1990) waren auch eine sehr gute Lehre, insbesondere für die kubanischen Frauen. Wir alle haben versucht, neue Wege zu finden, alles wurde in Frage gestellt:

Wie konnten wir unsere Kinder ernähren?

Viel wurde erfunden: Marmelade aus schwarzen Bohnen, Pampelmusenschalen als Hauptgericht. Die Turnschuhe wurden mehrmals genäht.

Wir Frauen haben daraus auch die Schlussfolgerung gezogen, nur mehr ein Kind, max. 2 Kinder zu haben. Die Strategie war einfach zu überleben!

Wie ist das heute bei den kubanischen Frauen? Arbeiten sie, wenn sie Kinder haben oder bleiben sie die ersten Jahre zu Hause?

Die ersten 6 Monate nach der Geburt können sie bezahlt zu Hause bleiben. Danach erhalten sie keine Bezahlung mehr, haben aber eine Arbeitsplatzgarantie für 1 Jahr.

Leider gibt es zur Zeit nicht für alle Kinder Plätze in Kinderkrippen und Horten. Kinder von Ärztinnen, Krankenschwestern und Lehrerinnen haben Priorität.

Können Frauen und Männer während der Familienphase auch Teilzeit arbeiten?

Nein, das ist leider nicht möglich.

Beteiligen sich die Männer an der Hausarbeit und an der Erziehung der Kinder?

Einige Männer, die alleine oder in Studentenwohnheimen gewohnt haben, bringen Leistungen zu Hause aber immer unter dem Motto: „ich helfe Dir beim Kochen oder Waschen“. Spülen z.B. gefällt ihnen nicht.

Bei der Erziehung helfen sie mehr, auch bei den Hausaufgaben. Der kubanische Mann schlägt seine Kinder nicht. Das wäre bei uns eine sehr seltene Ausnahme.

Ab wann können kubanische Frauen in Rente gehen und gibt es einen Unterschied zu den Männern?

Die Frauen können mit 55 Jahren in Rente gehen und die Männer mit 60 Jahren.

Dann sind Sie ja eigentlich schon Rentnerin?

Ja und Nein. Ich ging in Rente, war aber mit meinem Arbeitsleben noch nicht sehr zufrieden. Außerdem hatte ich viele persönliche und häusliche Schwierigkeiten und immer noch die Hoffnung auf ein besseres Leben.

Zufällig traf ich 1999 eine deutsche Frau, Mitglied der Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba. Ich suchte damals Arbeit und wollte in die Tourismusbranche. Ehrlich gesagt, wollte ich nach 30 Jahren im Unterrichtszimmer keine Lehrerin sein.

Es hat geklappt, und ich wurde Reiseleiterin. Meine erste Gruppe war eine Frauengruppe aus verschiedenen Städten Deutschlands mit sehr verschiedenen politischen Weltanschauungen. Jetzt weiß ich nicht mehr, wie viele Gruppen ich schon betreut habe. Aber eines ist mir klar geworden. Reiseleiter in Kuba müssen kultivierte Menschen mit einer soliden Überzeugung sein. Als Reiseleiter zu arbeiten bedeutet immer die Konfrontation von zwei verschiedenen Welten, zwei verschiedenen Kulturen. Zu uns kommen immer sehr solide Menschen und die Zuneigung zu Kuba ist groß. Deutsche Kollegen sind sehr kritisch, das ist ein Teil des deutschen Charakters. Man muss dann unsere Wirklichkeit mit Errungenschaften und Fehlern zeigen. Die Debatte soll nicht vermieden werden, im Gegenteil: Kuba ist nicht nur Rum, Zigarren, Mulattinnen und Fidel. Kuba ist das alles, aber noch viel mehr. Viele Ausländer machen große Augen wenn ich über die kubanische Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts erzähle.

José Martí sagte einmal: Je mehr Kubaner ich bin, desto mehr gehöre ich der Welt.

Das klingt alles, als ob Sie in Ihrem Leben noch viel vor hätten. Wo stehen Sie im Moment?

Ich bin eine alleinstehende berufstätige Frau, 57 Jahre alt, arbeite momentan für Paradiso, eine kubanische Reiseagentur des Kulturministeriums und für Vacancia in Aachen, habe eine sehr alte Mutter, einen Sohn der Philosophie studierte an der Uni und zur Zeit als Philosophielehrer arbeitet, und eine Tochter. Ich habe viel gelernt hier in meinem Land aber auch bei den Deutschen, deshalb bin ich froh, wenn eine neue Gruppe ankommt. Jede Gruppe ist die beste, jede Gruppe bringt immer neue Gespräche und Ansichtspunkte. Diese interkulturelle Kommunikation, diese Fragen-Antwortspiele, die Kubaner sprechen in sehr hohem Tempo und man kann nur zusammenfassend übersetzen, die Deutschen stellen eintausendundeins Fragen, sie wollen in 15 Tagen die Kenntnissäcke voll füllen.

Und ich? Ich in der Mitte, bei der Erklärung, dass die CDR keine Überwachungsorganisation ist, dass die Homosexualität für uns seit "Erdbeeren und Schokolade" (ein kubanischer Film von Tomás Gutierrez Alea gedreht) ein Weg ist, andere Menschen besser zu verstehen. Hätte man mich vor 20 Jahre gefragt, ob ich einen Freund/Freundin habe, die homosexuell ist, hätte ich sofort, ohne nachzudenken, mit NEIN geantwortet. Aber in meiner ersten Reisegruppe waren Frauen mit vielen Tendenzen und einige waren lesbisch. Vorwiegend waren sie gute Menschen und das ist, was zählt.

Heute noch gefallen mir die Männer, aber ich habe anders zu denken gelernt. Welches Gefühl ist für mich jetzt wichtig? Die Freundschaft!

Liebe und Familie ist gefährlicher. Man leidet auch viel.

Eine letzte Frage, Frau Sánchez: Wird der internationale Frauentag in Kuba gefeiert?

Und wie! Wir bekommen Blumen, kleine Geschenke wie Bücher etc. In den Unternehmen werden die Männer in den Mensen für die Frauen arbeiten und servieren und es gibt immer eine große politische, festliche Veranstaltung.

An diesem Tag werden wir besonders geehrt.

CUBA LIBRE

CUBA LIBRE 2-2004