Panamerikanischen Spiele in Rio de Janeiro oder wie man es schafft, 59 gewonnene Goldmedaillen auf 2 nicht gewonnene zu reduzieren

"Panamerikanische Spiele? Was ist das?", mag sich hier mancher Fragen. Und in der Tat ist es so, dass sie bei uns kaum zur Kenntnis genommen werden, es sei denn, namhafte cubanische Athleten werden fahnenflüchtig. Dies ist dann selbstverständlich eine Berichterstattung wert. Aber das sportliche Ereignis als solches? Wen juckt das?

Dabei haben die "Panamerican Games" bzw. die "Juegos Panamericanos" auf dem gesamten amerikanischen Kontinent einen hohen Stellenwert. Wie die Olympischen Spiele finden auch sie alle vier Jahre statt. Dass sie mit ca. zwei Wochen Dauer etwas kürzer sind als Olympische Spiele, liegt lediglich daran, dass weniger Länder (eben nur amerikanische) daran teilnehmen können, der Kanon der ausgetragenen Wettkämpfe ist dem der Olympischen Spiele mehr oder weniger deckungsgleich.

Für die USA haben die "Panamerikanischen" sicher einen etwas geringeren Status als für die anderen beteiligten Nationen. Wohl deshalb, weil sie sich dadurch, dass sie bei den Olympischen Spielen so gut wie immer den ersten Platz belegen, bereits hinreichend als weltweit erfolgreichstes Sportland ausgewiesen haben, - was sie allerdings nicht davon abhält, zu sämtlichen Panamerikanischen Spielen eine riesige Delegation zu entsenden. Nur sind es eben nicht in allem Disziplinen die besten Leute, die sie haben. Ihnen reicht jedoch auch der "zweite Anzug", um bei diesem Event locker zu gewinnen. (Nur einmal mussten sie sich mit dem zweiten Platz begnügen. Das geschah Anfang der 90er, als die "Panamericanos" in Havanna stattfanden und Cuba zur Abwechslung einmal ganz oben landete). Traditionell ist Cuba die zweitstärkste Sportmacht in Amerika. Das kann diesem nach Einwohnern so kleinen Land natürlich nur gelingen, indem es zu allen Wettkämpfen stets seine erste Garnitur schickt, was neben Cuba übrigens auch alle weiteren teilnehmenden Nationen machen. Für ein Land wie z.B. Kanada – flächenmäßig das zweitgrößte der Erde – ist es halt zuweilen auch wichtig, sich mal hoch in der Tabelle stehen zu sehen, statt unter einem ernüchternden "ferner liefen".

An dieser Stelle ein kleiner Einschub, den ich – ich weiß es! - so ähnlich schon einmal vor Anno Dunnemals in einem anderen Sportkommentar gebracht habe. Es geht um Leute in unserer Leserschaft, die sich ernstlich fragen, ob sich eine solch, "nationale Kacke" wie ein Medaillenspiegel nicht längst überlebt habe. Es sind mutmaßlich die gleichen Menschen, die irgendwann einmal den Begriff, „Dritte Welt“ als politisch unkorrekt durch den Terminus "Eine Welt" ersetzten. Sorry, aber die Ideologie der Abschaffung von Nationalstaaten passt haargenau in die "Denke" mächtiger Industrienationen, die die Entwicklungsländer nur zu gerne unter der Maske lauterer Gesinnung in Austauschbarkeit und Beliebigkeit zerbröseln möchten, um sie ökonomisch desto besser unter ihrer Fuchtel zu haben.

Sind wir wirklich EINE Welt? Frankreich und Guatemala? Deutschland und Sudan? USA und Bangladesh?

Das ist eine niedliche Vorstellung von einem Gottesreich, in dem Wolf und Lamm friedlich beieinander liegen. Aber diese ist heute eher weiter von der Realität entfernt als vor Jahren noch. Auf dem lateinamerikanischen Kontinent hat Patriotismus inzwischen eine Dimension von Verteidigung der eigenen Identität angenommen, und da ist es sehr wohl von Bedeutung, wer im Vergleich zu wen wo landet.

Dass Cuba auch diesmal Zweiter werden würde, war lange ungewiss. Das Gastgeberland Brasilien hielt das Rennen um die begehrte Position bis kurz vor Schluss der Spiele offen. An den beiden letzten vollen Wettkampftagen holte Cuba allerdings 24 Goldmedaillen. Brasilien war gegen Ende ebenfalls noch sehr erfolgreich, aber doch nicht SO.

Zwischenzeitlich war es manchmal schwierig, den Überblick zu behalten, selbst wenn man viele Stunden vor dem Fernseher verbrachte. Oft erfuhr man erst durch den Nachrichtenblock am späten Abend den Stand der Dinge, wenn auch die Resultate von Randergebnissen wie Wasserski-Slalom, Bowling (!) oder Rollkunstlaufen vorlagen. Es ist geradezu erschreckend, wie viele Sportarten es gibt. Selbst Squash, das ich immer nur als physischen Ausgleich für gestresste Gesäßmenschen angesehen hatte, fand hier seine Bewertung in Gold, Silber und Bronze. Und warum man – zusätzlich zum normalen Männer- und Frauenfußball – auch noch Hallenfußball anberaumte (so was lassen Sportlehrer ihre Schüler spielen, wenn ihnen nichts Gescheites einfällt), bleibt ein Geheimnis der Organisatoren.

Mitunter erhob auch die Schlange des Argwohns ihr schnödes Haupt, etwa dann, wenn eine vergleichende Statistik aufzeigte, dass Brasilien noch vor vier Jahren in Santo Domingo im Schwimmen bei drei Goldenen gelegen hatte, nun aber deren 12 gewann. Solche Steigerung lässt sich weder mit dem Heimvorteil, noch mit einer Leistungsexplosion auf diesem Sektor allein plausibel erklären. Es liegt der Verdacht nahe, dass die Nordamerikaner, die schon bei den Panamerikanischen Spielen von Winnipeg(Kanada) die Verhinderung des 2. Platzes der Cubaner generalstabsmäßig – wenn auch erfolglos – betrieben, sich gesagt haben: „Wenn wir uns bei der Nominierung für die Schwimmwettbewerbe auf den Strecken, auf denen Brasilien ziemlich gut ist, etwas zurückhalten, ermöglichen wir den Gastgebern ein paar Spitzenplätze mehr auf dem Siegertreppchen.“ Ich kann das nicht beweisen. Jeder, der möchte, darf mich einen Verschwörungstheoretiker nennen. Sogar Jorge versuchte, mir diese Sache auszureden (allerdings erst, als Platz zwei nach Nationen schon in trockenen Tüchern war).

Auch der hübsch eingefädelte, wenn auch letztlich ins Wasser gefallene Boxer-Klau (Lara eine 90prozentige Goldmedaille, Rigondeaux eine 110prozentige) könnte ins gleiche Bild passen, muss aber nicht. Die "Flucht" der beiden sei "gut vorbereitet" gewesen, behauptete Ahmet Öner, der Deutschtürke vom Boxstall "Arena" in Hamburg, der bereits in der ersten Jahreshälfte Gamboa, Solis und Barthelemy von einem Turnier in Venezuela über die grüne Grenze nach Kolumbien in die Elbestadt expediert hatte. Auf einen zornigen Krankenbett-Artikel des Comandante hin schob Öner nach, Fidel habe seine Spitzenboxer "der Welt so lange vorenthalten", dass es lediglich gerecht sei, wenn der Stall "Arenas" sie nun der Welt präsentieren könne.

Der Welt vorenthalten?

Rigondeaux & Co. Waren immer auf Weltmeisterschaften, auf Olympischen, Panamerikanischen, Zentralamerikanischen und sonstigen Spielen vor den Augen der Welt präsent, außerdem auf etlichen traditionsreichen Turnieren wie u.a. dm von Halle. Als Boxsportfan musste man sich wirklich anstrengen, sie nicht zu kennen.

Genau das, was Ahmet Öner Cuba so heuchlerisch vorwirft, wird wahrscheinlich jetzt – nach der von ihm selbst initiierten Aktionen – eintreten. Der cubanische Boxverband wird sich in Zukunft dreimal überlegen, wo er seine Champions hinschickt, und "die Welt" wird weniger von ihnen sehen als zuvor.

Das Schlimmste dabei – vorausgesetzt, dass auch der neuerliche Coup geklappt hätte – wäre gewesen, dass sich bis dann binnen Jahresfrist fünf cubanische Boxer, die zu den Besten gehören, (also sozusagen das halbe Nationalteam) über geschlossene Verträge im Privatbesitz eines einzigen quicken Promotors befunden hätten.

Feinde der Revolution hätten sich auf die Schenkel hauen können vor Vergnügen! Der "taz" Journalist Knut Henkel, der lange Jahre der Einheitssoße der Cuba-Berichterstattung in den Medien getrotzt hatte, der aber mittlerweile mit Überschriften wie "Knock-out für Castro" seinerseits Schlagzeilen produziert, die der von BILDzeitung locker das Wasser reichen können, war einer von vielen bundesrepublikanischen Claqueuren der vermeintlichen flucht von der Insel. In seinem Beitrag vom 1. August, als Rigondeaux und Lara bereits einige Tage "verschütt" waren, unkte Henkel über etwaige Repressalien, die die Angehörigen wohl zu erleiden hätten. Eine Woche später, als die beiden "fahnenflüchtigen" Boxer überraschend wieder zurück in Cuba waren, hieß es in einem weiteren Henkel-Artikel, dass nun wohl die Faustkämpfer ihrerseits Sanktionen befürchten müssten. Für wen auch immer – Hauptsache Strafmaßnahmen! Schließlich wäre kein "diktatorischer Staat" ohne sie denkbar. Knut Henkel machte in seinem Nachkarten zu der missglückten Boxerbefreiungsaktion den lendenlahmen Versuch, noch als Sieger dazustehen, indem er einem windigen Parvenü des Boxgeschäfts wie Ahmet Öner mehr Glaubwürdigkeit zubilligte als den cubanischen Athleten. In Wirklichkeit war er jedoch ebenso schwer k.o. gegangen, wie die vielen anderen hierzulande, die frühzeitig gejubelt hatten.

Die cubanische Presse veröffentlichte ein seitenlanges Interview, das Julia Osendi mit den heimgekehrten "verlorenen Söhnen" Guillermo Rigondeaux und Erislandis Lara in Cuba machte. Ich bin, ehrlich gesagt, kein Freund dieser Sportreporterin. Für meinen Geschmack ist sie zu staatstragend und erzieherisch und Fragen wie "Was fühlt ihr jetzt, da ihr euer Land verraten habt und eurer Familie und euren Freunden wieder in die Augen schauen müsst?" gehen mir gewaltig auf die Nüsse. Andererseits macht es durchaus Sinn, wenn sie z.b. fragt: "Wie konnte es passieren, dass ihr einfach in ein fremdes Auto einsteigt?" Weder der eine, noch der andere vermochte darauf eine nachvollziehbare Antwort zu geben.

Wie es sich nachträglich darstellt, haben Öner und ein exilcubanischer Übersetzer die beiden betrunken gemacht, um sie dann zur Unterzeichnung eines Profivertrags überreden zu wollen. Da die Boxer auf Betreiben ihrer Verführer zu diesem Zeitpunkt auch schon einiges gegessen hatten, das nicht im Plan war, fürchteten sie, beim Wiegen für ihre Gewichtsklasse zu schwer zu sein. Sie befanden sich da an irgendeinem Strand und es packte sie erstens die Erkenntnis, einen Fehler gemacht zu haben und zweitens das Heimweh.

Als Öner und sein Übersetzer merkten, dass sie mit ihrem Ansinnen auf taube Ohren stießen, machten sie sich frustriert davon und überließen die beiden einer riesenhaften brasilianischen Bewachung mit breiten Schultern. Irgendwann und irgendwie übertölpelten Rigondeaux und Lara ihren "Beschützer" und verlangten nach der Polizei. Diese kam zwar, aber sie versuchte, die beiden Boxer dazu zu überreden, politisches Asyl zu fordern, da sie dann viel besser leben könnten. Stellt sich die Frage: Was haben Staatsbedienstete mit der Angelegenheit zu tun und warum hängten sie sich da so rein?

Fidel sagte, dass die beiden unverhofften Reuigen nichts Schlimmes zu befürchten hätten. Sie würden künftig entsprechend ihrer Fähigkeiten in der cubanischen Gesellschaft eingesetzt. Es hört sich nach einem Traumjob an. Andererseits klagen sie die Möglichkeit ein, weiterhin für Cuba zu boxen, was unstrittig das ist, was sie am besten können. Unbestreitbar ist wohl auch, dass sie (sofern sie eine zweite Chance erhalten) schwerlich noch mal die gleiche Dummheit begehen werden. Es stellt sich aber über Lara und Rigondeaux hinaus die Frage, ob Cuba gut beraten ist, die nächste Weltmeisterschaft in Chicago überhaupt zu beschicken. Bei der letzten Box-WM, die in den Staaten ausgetragen wurde, waren Cubas Teilnehmer in so skandalöser Weise benachteiligt, dass die cubanische Delegation einfach abreiste (ohne dafür international sanktioniert zu werden!). Vielleicht sollte Cuba dieses Mal einfach im voraus die Teilnahme verweigern (und die Sanktionen dafür in Kauf nehmen).

Seltsam, wie das Leben manchmal spielt: Da lässt man einen angefangenen Artikel 3 Wochen liegen – nämlich diesen – und erhält die 100prozentige Bestätigung dessen, worüber man nur spekuliert hatte. Seit dem 29. August ist es nun offiziell: Cuba wird keine Boxer zur WM in Chicago entsenden. Die von Ihnen herbei geunkte "Vorenthaltung" geht also schon los, Herr Öner. Aber eben erst JETZT, nach Ihrem jüngsten Piratenstück …

Tatsache ist jedenfalls: Wenn es das Vorkommnis mit den kurzfristig abhanden gekommenen cubanischen Boxern nicht gegeben hätte, hätte fast niemand hier eine blasse Ahnung, dass es die Panamerikanischen Spiele überhaupt gibt. Und die bestehen beileibe nicht ausschließlich aus Boxen.

Hier also eine – lockere! - Zusammenfassung der Resultate aus cubanischer Sicht

Die Goldmedaille, die gewonnen werden MUSS, nämlich die im Baseball, wurde auch dieses Mal erreicht – mit einem standesgemäßen 3:1 Finalsieg gegen die USA. Es war ein eher sich müde dahinschleppendes Turnier und der Erfolg am Ende war nicht glanzvoll, aber immerhin, es war einer.

Glanzvoll war dagegen die Goldmedaille der "Morenas del Caribe" im Volleyball der Frauen. Ihre Erzrivalinnen aus Brasilien sind immer ein unheimlich schwerer Gegner. Um wie viel schwerer noch, wenn diese zu Hause in einer riesigen Halle vor total fanatisiertem Publikum spielen! Die Cubanerinnen gewannen das Endspiel denkbar knapp im Teambreak des 5. Satzes, und von allen Niederlagen, die das Gastgeberland im direkten Vergleich mit Cuba einstecken musste, war diese sicher die bitterste. Alles war für eine gigantische Fete vorbereitet und am ende feierten nur die Mädchen um Nancy Carrillo und Yumilka Díaz.

Ein tolles Gesamtergebnis im Gewichtheben, verglichen mit den bescheidenen Resultaten von vor vier Jahren: Allein fünf Siege, die ich live vor dem Bildschirm mitverfolgte; vielleicht war es am Schluss sogar einer mehr.

Riesenfortschritte auch im Bahnradfahren: drei Goldene und eine Silberne (die nach meinem unmaßgeblichen Dafürhalten eine Goldene war, die man "uns" geklaut hat).

Sechs oder sieben Erfolge (annähernd aus dem Kopf rekonstruiert) in den Booten, ziemlich gleich verteilt auf Rudern und Kanu.

9 (in Worten neun) Goldmedaillen im Ringen. 4 in Griechisch / Römisch, 5 im Freistil. Immer wenn es um Kampfsport geht, scheinen Cubaner besonders motiviert zu sein. Im Boxturnier gab es diesmal fünf Siege, die leicht sieben hätten sein können, wenn nicht zwei gewisse Pappnasen am Strand von Rio … Aber wem erzähl' ich das!

Eine Einzelgoldmedaille, die verdient, erwähnt zu werden, war die des Kunstspringers Guerra vom 10m-turm. Einen Sprung verhaute er, doch dann brachte er die andern, unabhängig vom Schwierigkeitsgrad, allesamt praktisch spritzerfrei ins Wasser. Ich gebe zu, ich bin kein allzu großer Fan von Sportarten, die eher der Akrobatik im Zirkuszelt zuzuordnen sind, aber diesen Wettbewerb fand ich außerordentlich spannend.

Die Leichtathletik toppte diesmal – mit 12 Siegen – sogar das Ringen. Hier ein paar der GewinnerInnen: Mariela González gewann in überzeugender Art den Frauen-Marathon und sie schrieb damit Geschichte, war sie doch die erste Cubanerin, der dies in einem namhaften internationalen Wettbewerb gelang.

Osleidys Menéndez, die Weltrekordlerin, siegte im Speerwurf, allerdings mit bescheidenen 62 oder 63 Metern, die ihr bei der WM in Osaka keine Chance einräumen würden, ihren Titel zu verteidigen oder auch nur auf dem Treppchen zu landen. Sie tritt in Japan auch nicht an. Dem Vernehmen nach ist sie verletzt. Mit Sicherheit ist sie außer Form.

Anders die Hammerwerferin Yipsi Moreno, die ihren Wettkampf mit einem Wurf jenseits der 75 m abschloss, womit sie überall ganz vorne dabei sein kann, zumal die führende Russin, des Dopings überführt, bei dieser WM aussetzen muss.

Yargelis Savigne gewann den Dreisprung der Frauen mit bemerkenswerten 14,80 m, die auch durchaus für eine der Medaillen in Osaka reichen könnte.

Im 800 m lauf der Männer hat Cuba in Yeimer López mit 1:44,58 min. endlich wieder einen, der sich in der Weltspitze festsetzen könnte. (Seit Norberto Tellez in den 90ern war hier "tote Hose".)

Victor Moya, wohl der coolste unter Cubas Leichtathleten, siegte nach einem strategischen Nervenkrieg im Hochsprung mit 2,32 m. Er ist auch schon 2,35 m gesprungen, wird von dem legendären Javier Sotomayor trainiert (der vermutlich das Greisenalter erreichen wird, ohne seinen Weltrekord von 2,45 m überboten zu sehen), und wurde vor zwei Jahren in Helsinki mit nur 23 Jahren Vizeweltmeister. Da wohl keine andere Leichtathletikdisziplin so auf der Stelle tritt wie der Hochsprung, könnte man sich Victor Moya auch leicht als Weltmeister und Olympiasieger vorstellen.

Dayron Robles ist über 110 m Hürden der legitime Erbe des Sydney-Olympiasiegers Anier García. Seine 13,20er Siegerzeit bei absolutem Scheißwetter lässt für Osaka und Peking alle Möglichkeiten offen. Er hat in diesem Jahr auf Meetings bereits alles geschlagen, war Rang und Namen hat. Es ist eine Frage der Tagesform.

Roxana Díaz wiederholte über 200 m ihren Erfolg von vor vier Jahren – und wieder war es ein Foto-Finish! Bleibt abzuwarten, ob sie in Osaka weiter kommt als bei den Olympischen Spielen von Athen oder der WM in Helsinki, wo sie jeweils schon im Vor- oder Zwischenlauf sang- und klanglos ausschied.

Völlig unerwartet kam am letzten Tag die Goldene in der 4 mal 400 m Staffel der Frauen. Das Team, das derart über sich hinauswuchs, war unter anderem bestückt mit der 400 m Hürden Läuferin Daimí Pernía, die zwar einst in Sevilla blutjung Weltmeisterin wurde, aber seitdem nichts mehr auf die Reihe brachte und Zulia Calatayud, der letzten 800 m Weltmeisterin, die im vergangenen Jahr über die Leichtathletik-Feste in Europa tourte, wobei sie fast jedes ihrer Rennen gewann und am Ende der Saison so platt war, dass man sie in diesem Sommer nicht mehr wieder erkannte. Komplettiert wurde das cubanische Quartett durch zwei Athletinnen, die nicht mal ich kannte. Es war ein Märchen, vergleichbar dem 1972 in München über 4 mal 100 m, als auch keiner damit gerechnet hatte, dass Heide Rosendahl sich im Finish gegen die Ausnahmesprinterin Renate Stecher würde behaupten können. Manche Wettbewerbe gebären halt Ergebnisse, die kein Mensch begreift! Das ist ja auch das Schöne am Sport.

Da ich an verschiedenen Stellen Bezug auf die späteren Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Osaka / Japan genommen habe, deren Resultate inzwischen vorliegen, hier ein kurzes Resümee dieses Sportereignisses:

Cuba schnitt deutlich bescheidener ab als bei der WM vor zwei Jahren in Helsinki / Finnland. Waren es seinerzeit noch 2 Goldmedaillen und 4 Silbermedaillen gewesen, musste Cuba sich diesmal mit einmal Gold, einmal Silber und einmal Bronze begnügen.

Von den beiden Siegerinnen damals trat die Speerwurf-Weltrekordlerin Osleidys Menéndez wegen Verletzung gar nicht erst an. (Sonia Bisset ist bekanntermaßen keine Wettkämpferin; ihre 61,74 m, mit denen sie im Finale den 6. Platz belegte, stellen für sie einen persönlichen Achtungserfolg dar.) Zulia Calatayud, die bis dahin amtierende 800 m Weltmeisterin, ist (wie bereits angedeutet) derzeit auf ihrer Spezialstrecke ein Schatten ihrer selbst und ihr auftritt in Osaka hätte im Nachhinein zwingend nahe gelegt, sie – auch zu ihrem eigenen Besten! - gar nicht erst antreten zu lassen.

Den Totalausfall von zwei Titelträgerinnen kann ein Land wie Cuba nicht auffangen.

Cubas wenige Medaillen in Osaka wurden ausschließlich von Frauen gewonnen und darüber müsste sich der cubanische Leichtathletikverband den einen oder anderen Gedanken machen.

Gold gewann im Dreisprung Yargelis Savigne mit 15,28 m, womit sie ihre bei weitem nicht schlechte Siegesweite bei den Panamerikanischen Spielen noch einmal um 48 cm übertraf (in dieser Disziplin schon eine „Welt“). Eine tolle Leistungssteigerung! Bei ihr wäre man nach den Jahresbestweiten ihrer Konkurrenz schon mit einem 2. oder 3. Platz auf dem berühmten Treppchen hochzufrieden gewesen.

Silber gewann Yipsi Moreno im Hammerwurf, die Gold hätte gewinnen sollen und können, nachdem ihre schärfste Konkurrentin wegen Dopingsverdacht nicht teilnehmen durfte. Yipsi unterlag einer Deutschen um die Winzigkeit von 2 cm. Ihre erreichten 74,74 waren unweit ihrer diesjährigen Bestleistung von Rio, aber wenn sie die noch einmal in etwa gebracht hätte, so hätte sie die erwartete Goldmedaille gewonnen.

Yarelis Barrios' Bronzemedaille im Diskuswerfen mit 63,90 m war dagegen eine angenehme Überraschung, die ihr nur wenige zugetraut hatten. Hier blieben manche auf der Strecke – aus Osteuropa und China -, die man nach den Vorleistungen höher einstufen musste.

Über zwei der gescheiterten (nicht zuletzt für Peking) sollte man noch ein paar Worte verlieren:

Der Hochspringer Victor Moya (Vizeweltmeister von Helsinki) landete diesmal nur auf einem mittelmäßigen 6. Rang. Dies hatte er sich freilich selber zuzuschreiben, denn mit 2,30 m (die er zudem nur mit viel Glück überquerte) reißt man auch bei einer Disziplin, die seit mehreren Jahren stagniert, auf einem Wettbewerb höchsten Niveaus keine Bäume aus.

Dass Cuba 110 m Hürden Läufer Dayron Robles nicht siegte, geschenkt! Die 12,95 sek. Des chinesischen Olympiachampions Xiang Liu hat er wohl einfach noch nicht in sich drin. Dass er aber darüber hinaus zwei Amis (Trammell und Payne) an sich vorbei lassen musste, ist enttäuschend. Robles' Zeit von 13,15 sek. Wäre unter normalen Umständen gar nicht mal schlecht gewesen, aber die Bahn von Osaka galt als ungewöhnlich schnell. Warum konnte er davon nicht ebenso profitieren wie die anderen?

Eine Randnotiz zum Schluss: Roxana Díaz erreichte in Osaka über 200 m das Semifinale der weltbesten Sprinterinnen. Das wird ihrem Ego nach den Demütigungen von früher sich gut getan haben ...

CUBA LIBRE
Ulli Fausten

CUBA LIBRE 4-2007