Das Freihandelsabkommen bedeutet weitere Verarmung
Interview mit dem nicaraguanischen Aktivisten William Rodríguez

William Rodríguez hat Ende Mai auf einer Rundreise durch Deutschland und Österreich gegen das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Zentralamerika mobilisiert. Er ist Aktivist im nicaraguanischen Netzwerk Movimiento Social Nicaragüense Otro Mundo es Posible und im gesamt-amerikanischen Widerstandsnetzwerk Alianza Social Continental.

In den 1980er Jahren legte auch die Linke in Zentralamerika auf gute Beziehungen zur Europäischen Union (EU) Wert. Was hat sich geändert?

Die Position der EU hat sich in Bezug auf Zentralamerika grundlegend gewandelt. In den 1980er Jahren unterstützte sie die Friedensprozesse und stellte dadurch eine positive Alternative zu den USA dar. Heute ist die EU eine imperialistische Macht, die sich im Wettlauf mit anderen Wirtschaftszentren wie den USA befindet. Zentralamerika ist nur eine Schachfigur in diesem Spiel. Das geplante Assoziierungsabkommen ist dafür ein aktuelles Beispiel. Vor drei Jahren wurde, gegen großen Widerstand der sozialen Bewegungen das Freihandelsabkommen zwischen den USA und Zentralamerika (CAFTA) verabschiedet. Im Oktober 2007 begannen die Verhandlungen mit der EU.

Was kritisieren Sie an diesem geplanten Abkommen?

Zunächst kann von Verhandlungen nicht wirklich die Rede sein. Denn grundlegende Änderungen an den von der EU vorgelegten Plänen waren nicht möglich. Zudem bestand die EU darauf, dass alle Staaten Zentralamerikas im Block verhandeln. Dadurch können kritischere Regierungen besser unter Druck gesetzt werden.

Ist das schon geschehen?

Ja, Anfang April zog sich die Regierung Nicaraguas von den Verhandlungen zurück. Zuvor hatte sie die Einrichtung eines Investitionsfonds in Höhe von 60 Milliarden US-Dollar gefordert, zu dem die EU-Staaten 90 Prozent beisteuern sollten, um die wirtschaftlichen Ungleichgewichte zu kompensieren. Auf Druck der EU und der Nachbarstaaten nimmt Nicaragua bald wieder an den Verhandlungen teil.

Welche Folgen hätte das Abkommen für die zentralamerikanischen Länder?

Für die EU-Länder würde es einen ungehinderten Zugang zu den Rohstoffen und Märkten unserer Länder, sowie bessere Niederlassungsrechte für ihre Unternehmen bedeuten. Dadurch würden unsere eigenen Produkte vom Markt verdrängt und die lokale Ökonomie geschwächt. Eine höhere Arbeitslosigkeit und eine weitere Verarmung für große Teile der Bevölkerung, sowohl in den Städten als auch auf dem Land wären die Folge. Dadurch würde wiederum die Migration erhöht. Diese negativen Folgen konnten wir schon beim CAFTA-Vertrag mit den USA feststellen. Das Abkommen mit der EU würde die Migration nur noch verschärfen.

Wer protestiert in Zentralamerika gegen das Abkommen?

Im Bündnis gegen das Abkommen sind Gewerkschaften aber auch Bauern- und Landarbeiterorganisationen wie Via Campesina vertreten. Auch zahlreiche Nichtregierungsorganisationen beteiligen sich an den Protesten.

Gibt es auch Proteste von lateinamerikanischen Unternehmen, die schließlich auch kein Interesse an der Konkurrenz der EU haben?

Nein, es gibt in den zentralamerikanischen Ländern auf der Kapitalseite keine relevante Interessenvertretung, die sich gegen solche Verträge ausspricht. Das hat mit der historischen Entwicklung in diesen Ländern zu tun. Es handelte sich um einen von Europa oder den USA abhängigen Kapitalismus. Deshalb haben in der Geschichte Zentralamerikas immer die sozialen Bewegungen, Gewerkschaften und Bauernorganisationen und nicht die abhängige Bourgeoisie gegen den Ausverkauf der Bodenschätze des Landes gekämpft.
Zudem wird das Abkommen zwischen der EU und Zentralamerika in der offiziellen Propaganda als wichtig für die internationalen Beziehungen unserer Länder verkauft. Den Gegnern des Abkommens wird unterstellt, sie würden die Länder in die politische und wirtschaftliche Isolation treiben. Diese Propaganda wird von den zentralamerikanischen Regierungen betrieben und von den Wirtschaftsverbänden geteilt.

Nun wäre ein solcher Rückzug vom Weltmarkt für die Menschen in Zentralamerika sicher keine Lösung. Welche Alternativen haben die sozialen Bewegungen zum Abkommen mit der EU?

Das von Venezuela initiierte Bündnis ALBA (Bolivarianische Allianz für die Völker unseres Amerikas), dem sich auch Nicaragua und Honduras angeschlossen haben, hat zu positiven Effekten in vielen Bereichen geführt. In der Kleinindustrie konnten sinnvolle Arbeitsplätze geschaffen werden. Auch die Erwachsenenbildung und die Gesundheitsversorgung wurden durch ALBA verbessert. Das Abkommen zeigt, dass es eine Alternative zum neoliberalen Dogma gibt, das sowohl für das CAFTA- Abkommen als auch für den von der EU favorisierten Vertrag prägend ist. Diese positiven Effekte von ALBA wären durch diesen Vertrag bedroht.

Was erhoffen Sie sich von der Rundreise in Europa?

Die Menschen sollen für die Problematik sensibilisiert werden. Dabei sollte betont werden, dass der Widerstand gegen das Abkommen ein Kampf gegen den internationalen Kapitalismus ist, der letztlich für die Banken-, Ernährungs- und Klimakrise verantwortlich ist. Wir wenden uns also gegen eine Politik, deren Auswirkungen nicht nur die Menschen in unseren Ländern zu spüren bekommen.

Gibt es konrete Protestanlässe in Europa?

Während des EU-Lateinamerikagipfels im September 2010 soll das Abkommen verabschiedet werden. Die Gegner Europa und Amerika werden dort sein.

Logo CUBA LIBRE Interview: Peter Nowak

CUBA LIBRE 3-2009