Der Kampf um Mumias Leben

Die Nachricht aus den USA mag manche überraschen: Im Jahr 2009 wurden weniger Todesurteile ausgesprochen als in jedem anderen Jahr seit 1976. Wo in 1994 dieser fürchterlicher Richterspruch 328 Menschen traf, waren es 2009 etwa ein Drittel so viel, 106. Hingerichtet wurden 52, also bleiben die USA auch in dieser Frage unter den führenden Nationen, doch auch in dem tödlichsten Bundesstaat, Texas, wo George W. Busch, als er dort noch Gouverneur war, alle Giftrekorde übertraf, wurden die Zahlen merklich reduziert. In den USA konnten 2009 neun Männer vor der geplanten Hinrichtung gerettet werden, manche nur ganz kurz vor der Giftspritze.

Vielleicht noch hoffnungsvoller: als 15. Bundesstaat schaffte Neu-Mexiko die Todesstrafe ganz ab, in Connecticut, Colorado, Montana und Maryland gab es dafür starke, wenn auch noch nicht erfolgreiche Versuche. Ein Grund für diesen Trend ist weniger reine Menschlichkeit als die Erkenntnis, dass es teurer wird, jemanden hinzurichten, als ihn lebenslang einzusparen, und Geld ist knapp in allen Bundesstaaten. Dennoch steigt die Zahl jener Amerikaner, die gegen den staatlich verhängten Tod sind, auch deshalb, weil immer wieder zu Tage kommt, dass ein völlig Falscher verurteilt wurde.

Nur fällt auf, dass bei diesen Bestrebungen ein Bundesstaat fehlt und ein Name kaum genannt wird. Pennsylvania bleibt stur, und die dort Regierenden können kaum warten, dass der noch kluge, schreibende, kämpferische Mumia Abu-Jamal eine Leiche wird. Seit 1982 dringen sie drauf.

Sein Leben hängt noch im hohem Maße ab von der Entscheidung der sieben Richter und zwei Richterinnen des Obersten Gerichtshofs in Washington, und ihr Beschluss kann ab Mitte Januar zu jeder Zeit gefällt werden. Pennsylvanias Staatsanwälte verlangen die Hinrichtung; die Alternative wäre "Lebenslänglich im Zuchthaus", auch ein mörderischer Beschluss, der aber immer noch die Möglichkeit einer Änderung offen hielte.

Es gab Präzedenzfälle, die für Mumias Chancen sprächen, vor allem in der Frage der Auswahl der Geschworenen. Beim Prozess Mumias im Jahre 1982 versuchte der Staatsanwalt eindeutig, die Zahl der schwarzen Geschworenen minimal zu halten. Das ist ein Verfassungsverstoß; andere sind in ähnlichen Fällen freigesprochen worden. Doch Mumia ist so wichtig, dass man sich nicht unbedingt nach Rechtspraxis, Präzedenzfällen oder der Verfassung richtet. Auch der kleinste Sieg für Mumia wäre für die schlimmsten Rassisten und Reaktionäre im Lande eine große Niederlage; genau so wie für seine Freunde ist er für die Feinde der Demokratie ein äußerst wichtiges Symbol geworden.

Was die fast allmächtigen Richter und Richterinnen in ihren schwarzen Roben betrifft: vier stimmen mit fast mechanischer Regelmäßigkeit scharf reaktionär (dazu gehört ironischerweise der einzige Afroamerikaner, Clarence Thomas); vier sind meist etwas freiheitlich-liberal . Anthony M. Kennedy (keine Verwandschaft) wackelt hin und her und bestimmt oft das Resultat. So oder so!

Weil dieser Fall juristisch nur zwischen Mumia, Pennsylvania und dem Obersten Gerichtshof zu entscheiden ist, hat – anders als von vielen gehofft – Präsident Obama nur eine sehr begrenzte Möglichkeit, sich einzumischen. Begnadigt wird fast nur am Ende einer Amtszeit. Theoretisch könnte Obamas Justizminister Holder, der auch Afroamerikaner ist, eine Untersuchung des Falles anordnen. Nur, um es brutal zu sagen, die Obama Regierung steht derzeit derart unter Druck von den extremen Rechten, sie will möglichst wenige Kongresssitze der Demokraten bei den Wahlen in November verlieren, und sie wird sich von einer starken Position in diesem Fall recht wenig versprechen - eher Verluste. Obama hat bisher kein Wort darüber gesprochen.

Doch gerade das zeigt die Schwäche seiner Strategie. Die zunehmenden Angriffe gegenüber Obama basieren vor allem auf Rassismus, der ja für die politischen Entwicklung der USA seit ihren Anfängen ein Schlüsselfaktor war. Die Reaktion benutzte immer den Rassismus der weißen Bevölkerung als eine Geisel gegen jeglichen Fortschritt. Deshalb war die Wahl Obamas gerade so wichtig und vielversprechend.

Der Fall Mumia betrifft ebenfalls die ganzen Fragen der Armut und des Gefängnissystems. Durch die Bedrohung des Einsperrens (und gelegentlich der Hinrichtung) – mit mehr als drei Millionen Eingesperrten halten die USA jetzt den traurigen Weltrekord – verdienen manche private Gefängnisbesitzer große Summen, die Löhne der "Freien" werden dadurch niedriger, und Handschellen und Gitter mahnen alle Unterdrückten, Unterbezahlten und Arbeitslosen, ja nicht aufmüpfig zu werden. Das sind Schlüsselfragen – für die Rechten und für die Linken in den USA, aber auch für die Welt, die von den US-Entwicklungen so direkt betroffen wird.

Deshalb ist hier der Kampf um Mumias Leben so wichtig. Leider haben die vielen Jahre, inzwischen gar Jahrzehnte, oft müde gemacht. Es schien so schwierig , etwas zu erreichen, es gab so viele andere Kämpfe; viele wandten sich anderswohin oder gaben völlig auf.

Doch 2009, als die unmittelbare Gefahr für Mumias Leben bekannt wurde, bekam diese Bewegung wieder einen erstaunlichen Schwung. Eine Mumia Info-Tour, mit dem englischen Film "In Prison my Whole Life" auch Zeit für Fragen und Diskussion, zog im Sommer und Herbst durch etwa dreißig Städte in ganz Deutschland: von der Küste, Hamburg bis Kiel und Rostock, durch Städte im Osten, die seit mindestens zwanzig Jahren keine Demos mehr gesehen hatten, von Neuruppin bis Jena und Dresden, durch Städte am Rhein und Ruhr, groß und weniger groß, durch Bayern und Niedersachsen und Hessen. Mit der Hilfe einer Vielzahl von Organisationen und Menschen in jeder Stadt informerierte diese Tour viele Menschen, die noch nie so richtig von Mumia wussten.

Auf der alten Brücke in Heidelberg wurde eine große Show inszeniert, mit riesigem Banner. In München, Fürth, Nürnberg und Kaiserslauitern kam das Thema Todesstrafe – und Mumia – in die Stadträte, wo sie zu mancher Auseinandersetzung führte. Obwohl eine gemeinsame Mumia-Resolution nicht zu erreichen war, wurde die Frage weitaus bekannter und inspirierte Intersse und Diskussion. Die Linke, die Grünen und oft die SPD unterstützten die Appelle; die Parteien der Regierungskoalition waren schwieriger. Doch in Bremen stimmten alle im Stadtrat gegen die Todesstrafe und für einen neuen Prozess für Mumia. Auch der Bürgermeisterr beteiligte sich daran.

Vielleicht am wichtigsten: im Bundestag las die Abgeordnete der Linken, Annette Groth, am 17. Dezember einen Gruß von Mumia, extra an den Delegierten gerichtet, mit einer Bitte um Hilfe für alle, die zu Tode verurteilt wurden. Zwar hat man diese Botschaft möglichst spät am Tage zu hören bekommen (was nicht unbedingt zufällig war) und Groth beim Lesen unterbrochen und wegen der Zeit gemahnt, doch sie las die kurze, bewegende Botschaft zu Ende. Eine Resolution dazu wurde an das Menschenrechtskomitee weitergereicht, wo, wie die Linke hofft, sie von den Grünen und der SPD aufgenommen wird und somit im neuen Jahr bessere Chancen hat. Die Christdemokraten und Freien Demokraten im Bundestag sind bereit, gegen die Todesstrafe zu stimmen, haben sich aber bisher über Mumia zurückgehalten.

Überall wurde von den Mumia-Gruppen aufgerufen: Falls der Oberster Gerichsthof doch am Ende gegen Mumia entscheidet, und weil zu befürchten ist, dass die Behörden in Pennsylvania dann möchlichst schnell handeln würden, soll um zwölf Uhr Mittag am dritten Tag nach der Entscheidung vor USA-Botschaften oder Konsulaten demonstriert werden. Über eine weitere Protestmöglichkeit wird noch diskutiert. Es kommt jetzt auf die Schnelligkeit und die Zahl der Beteiligten an. Zweimal schon wurde durch Proteste die Hinrichting von Mumia gestoppt. Das müssen wir wiederholen – und noch mehr erreichen!

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22.12.2009

CUBA LIBRE 1-2010