30 Jahre Cuito Cuanavale

Von Oktober 1987 bis Ende März 1988 tobte im Süden Angolas bei dem kleinen Ort Cuito Cuanavale die größte militärische Schlacht auf dem afrikanischen Kontinent seit dem 2. Weltkrieg. Auf der einen Seite standen Regierungstruppen des sozialistisch ausgerichteten Angola, kubanische Internationalisten sowie namibische Kämpfer der SWAPO, die für die Unabhängigkeit ihres von Südafrika besetzten Landes eintraten. Ihr Gegner war die vom Westen finanzierte oppositionelle Bewegung UNITA und hinter ihr der verlängerte Arm westlicher Interessen im südlichen Afrika: das rassistische und in aller Welt verachtete südafrikanische Apartheid-Regime.

Die Vorgeschichte


Mit dem Zusammenbruch des portugiesischen Kolonialreiches im Jahre 1974 wurde auch Angola unabhängig. Die stärkste Befreiungsbewegung, die marxistische MPLA, geriet unter Druck durch vom Westen unterstützte Gruppierungen sowie durch südafrikanische Invasionstruppen. Diese fielen aus dem gegen den Willen der Völkergemeinschaft annektierten Südwestafrika (heute Namibia) in Angola ein. Südafrika hatte weitreichende Großmacht-Ambitionen: sein System der Rassentrennung und die Vereinnahmung Namibias abzusichern und seinen Einfluss auf die südliche Hälfte des Kontinents auszuweiten. Eine Linksregierung in Angola sollte deshalb verhindert werden. Die von der MPLA um Hilfe gebetene Sowjetunion reagierte ausweichend, nicht jedoch Kuba. Dort war man sicher, dass die UdSSR, die mit den USA über Abrüstung verhandelte, einen solchen Schritt nicht befürworten würde und handelte deshalb in dieser kritischen Lage ohne vorherige Absprache mit dem Verbündeten. In Nacht- und Nebelaktionen wurden über 11000 Kilometer hinweg Panzer, Artillerie und Spezialtruppen Freiwilliger nach Angola geschafft. Diese brachten der von Zaire aus auf die Hauptstadt Luanda zu marschierenden prowestlichen FNLA eine vernichtende Niederlage bei und trieben anschließend in wenigen Monaten die südafrikanischen Invasoren über die Grenze nach Namibia zurück.

Fidel: "Wir bleiben so lange wie nötig"

Es war der beispiellose Internationalismus der kubanischen Revolution, der diesen Schritt des kleinen Landes motivierte. Der Kampf gegen die menschenverachtende Apartheid war für Fidel Castro die "schönste Verpflichtung". Nachdem man sich zum Eingreifen entschlossen hatte, wollte man in jedem Fall die Oberhand behalten. "Sieht man auf die große Entfernung zwischen Kuba und Angola, so war unser Motto: Brauchen wir ein Regiment, so schicken wir besser gleich zehn. Wir schickten 36.000 Männer, denn wir hatten in Südafrika eine starke Militärmacht zum Gegner, wir wollten vorbereitet sein, sie zu schlagen. Das war unsere Philosophie. Denn ihr Regime basiert auf großmäuliger Herausforderung: Nach außen aggressiv, doch im Inneren moralisch und politisch schwach." Die Präsenz seiner Truppen war auf lange Sicht natürlich eine große wirtschaftliche Last für Kuba, doch die Bedrohung für Angola blieb und es war klar, dass das Land alleine nicht standhalten würde. Kuba sicherte der MPLA zu, so lange wie erforderlich zu bleiben. Dass daraus fast 14 Jahre werden würden, war nicht absehbar.

Unterschiedliche Strategien

Kuba formierte im Südwesten Angolas eine strategische Verteidigungslinie, die ein erneutes Vordringen der Rassisten nach Norden verhinderte. Um sich nicht südafrikanischen Luftangriffen auszusetzen, lag sie etwa 250 km nördlich der Grenze zu Namibia. Der Landesteil südlich davon war unsicheres Gebiet, in dem Südafrika beständig provozierte. So überfielen Luftlandetruppen 1978 ein Flüchtlingslager der SWAPO in Cassinga und töteten weit über 600 Menschen, darunter vieleFrauen und Kinder, bevor kubanische Verbände eingreifen konnten (überlebende und traumatisierte Kinder wurden mit Zustimmung von Verwandten und der SWAPO nach Kuba gebracht, dort behandelt und ausgebildet). Viele von ihnen arbeiten heute im unabhängigen Namibia als Ärzte. Der Südosten Angolas war aufgrund seiner Unzugänglichkeit für größere Truppenbewegungen wenig geeignet und wurde zum Rückzugsgebiet der von Südafrika und massiver Finanzhilfe aus den USA unterstützten UNITA. Diese Bewegung führte einen Guerillakrieg in weiten Landesteilen. Kuba konzentrierte sich in der Folgezeit auf die Abwehr der Invasoren und überließ den Kampf gegen die UNITA den Regierungstruppen. Man wollte vermeiden, bei Teilen der Bevölkerung als Besatzungsmacht zu gelten. Darüber hinaus leistete Kuba zivile Aufbauhilfe. Diese eher defensive, abwartende Ausrichtung gefiel den Kubanern nicht, denn sie bedeutete Stillstand bzw. bloßes Reagieren auf südafrikanische Nadelstiche. Fidel: "Der Feind lacht über unsere Erklärungen. Hätten wir mit Bombenangriffen auf die südafrikanischen Positionen geantwortet, würde er nicht länger über uns lachen." Die UdSSR lieferte zwar Waffen und schickte Ausbilder, doch Bitten Kubas um moderne Kampfflugzeuge blieben erfolglos. In Moskau befürchtete man, dass Kuba offensiv gegen die Südafrikaner agieren könnte und daraus neue internationale Spannungen entstünden. Sowjetische Berater hatten andere Pläne: Sie hofften, den Konflikt in Angola durch die Eroberung des UNITA-Kerngebietes mittels massiven Truppen- und Materialeinsatzes zu lösen. Kuba wies auf die Gefahren dieser Strategie hin, wollte die eigenen Truppen keinem sinnlosen Risiko aussetzen und lehnte eine Beteiligung ab.

Botschafter Kubas in der Bundesrepublik, Ramón Ignacio Ripoll
Kubaner in Angola auf einem erbeuteten südafrikanischen Panzer
Foto: Granma


Kuba riskiert alles und gewinnt

Die Bedenken Kubas waren berechtigt. Auf sowjetischen Druck hin fand 1985 die Offensive angolanischer Verbände im Südosten statt. Sie endete im Feuer der Artillerie und von Luftangriffen Südafrikas. Mitte 1987 wiederholte sich die Geschichte mit noch dramatischeren Folgen: Eine erneute angolanische Offensive wurde am Fluss Lomba von südafrikanischen Truppen zurückgeschlagen. Nach schweren Verlusten und unter Zurücklassen ihrer Ausrüstung konnten sich die Elitetruppen im Oktober auf Cuito Cuanavale zurückziehen, wo sie von dem nachrückenden Feind gestellt wurden. Ziel der Südafrikaner war ihre völlige Vernichtung, die Angola und Kuba in eine dramatische Lage gebracht hätte. Fidel setzte jetzt alles auf eine Karte, zog die modernsten Waffensysteme aus Kuba ab und schickte sie mit weiteren 25000 Freiwilligen nach Angola. Er war bereit, seine Strategie notfalls alleine umzusetzen und entblößte dafür die eigene Landesverteidigung. Die UdSSR wurde erneut nicht konsultiert, sondern vor vollendete Tatsachen gestellt. Der jahrelange Zwist um das geeignete Vorgehen eskalierte hinter den Kulissen, doch nach zwei langen Monaten nahm die UdSSR die Waffenlieferungen wieder auf. "Für den Kreml war Castro ein wertvoller, aber schwieriger Verbündeter", schreibt der renommierte US-Historiker Piero Gleijeses. Kuba übernahm die Regie. Mehrere tausend Kubaner griffen in Cuito Cuanavale ein. In einem erbitterten Stellungskrieg wurden bis März 1988 wiederholte Versuche der Invasoren abgewehrt, den Ort einzunehmen. Die durch den Einsatz seiner besten Piloten und Kampfflugzeuge erzielte Luftüberlegenheit spielte dabei eine wesentliche Rolle. Der größere Teil der 55.000 Kubaner, die jetzt in Angola waren, rückte gleichzeitig im Südwesten gegen die Grenze zu Namibia vor. Fidel verglich das Vorgehen mit dem Agieren eines Boxers, der mit der Linken die Attacke des Gegners (vor Cuito Cuanavale) abblockt und dann mit der Rechten zurückschlägt. Zwei Landebahnen wurden in Grenznähe mit aus Kuba herangeschafften Baumaschinen errichtet, wo die Flieger auftanken konnten. Ihr möglicher Aktionsradius erweiterte sich auf die Militäreinrichtungen der Rassisten im nördlichen Namibia, die damit in eine unhaltbare Lage gerieten.

Stille in den Medien, Verwirrung im Netz

Das Engagement Kubas in Angola war der westlichen Presse, vor allem in Deutschland, von Anfang an kaum eine Nachricht wert. Krieg ist immer auch die Verschleierung, Fälschung oder Unterschlagung der Tatsachen. Im Internet finden sich nach 3 Jahrzehnten eine Vielzahl südafrikanischer Webseiten, auf denen Kriegsteilnehmer mit ihren angeblichen Erfolgen in Angola prahlen und damit die Realität auf den Kopf stellen. Kuba ging es nicht um die totale Vernichtung des Gegners, sondern um Resultate bei geringsten eigenen Verlusten: Die Unabhängigkeit Namibias, somit die Sicherheit Angolas und der Zusammenbruch der Apartheid. Die Frage, ob Kuba die Grenze nach Namibia überschreiten würde, schwebte 1988 bei den bereits seit Jahren laufenden internationalen Verhandlungen wie eine dunkle Wolke über den Köpfen der südafrikanischen Delegation. Kuba schwieg und gab die Antworten woanders – beispielsweise im Süden Angolas, wo Südafrika das Wasserkraftwerk von Calueque seit Kolonialzeiten betrieb. Die Gegend war während des Krieges stets unter südafrikanischer Kontrolle. Am 27. Juni bombardierten kubanische Kampfflugzeuge nahezu ohne Widerstand den Damm und die nahen militärischen Anlagen. Eine größere Zahl frisch eingezogener Südafrikaner sah dem Spektakel in einiger Entfernung stehend zu, bis ein kubanischer Pilot sie als Militärs erkannte und eine Rakete abfeuerte, die elf der weißen Rekruten auf der Stelle tötete. Nachrichten dieser Art erschütterten die weiße Minderheit und "inspirierten die kämpfenden Massen Südafrikas" (Nelson Mandela 1991). In Teilen Südafrika herrschten bereits bürgerkriegsähnliche Zustände, da die schwarze Bevölkerungsmehrheit ihre Unterdrückung und Diskriminierung nicht mehr hinnahm. Ein kubanischer Angriff auf die Militäreinrichtungen im Norden Namibias, ca. 800 km Luftlinie nördlich der eigentlichen Grenze Südafrikas gelegen, hätte den noch weiter vorgeschobenen südafrikanischen Truppen vor Cuito Cuanavale einen geordneten Rückzug unmöglich gemacht. Die Initiative lag in kubanischer Hand, doch das aufgebaute Bedrohungspotential reichte aus: Die Götterdämmerung des burischen Herrenmenschentums zeichnete sich ab, und das dämmerte damals auch den Verantwortlichen in Pretoria. Nur das erklärt ihre weitgehenden Zugeständnisse Ende des Jahres 1988 am Verhandlungstisch: Freie Wahlen in einem freien Namibia gegen den Rückzug Kubas aus Angola. Die Apartheid in Südafrika fiel Anfang der 90er Jahre.

Was bleibt?

Das kleine Kuba bezog uneigennützig Stellung aufseiten der unterdrückten Völker im Süden Afrikas – unter größten eigenen Risiken. Unter der Ford-Regierung in den USA wurde ein Angriffskrieg gegen Kuba geplant, um das Land für sein Eingreifen zu bestrafen, wie durch vor kurzem veröffentlichte und bis dahin geheime Dokumente bekannt wurde. Diese Pläne wurden nur deshalb nicht realisiert, weil Ford bei den US-Wahlen Ende 1976 knapp gegen Carter unterlag. Südafrika verfügte zeitweise über sechs Atomsprengköpfe – glücklicherweise besaß das Regime genug Weitsicht, diese nicht einzusetzen. Als große Führungspersönlichkeit gab Fidel in schwierigen Situationen nie auf, sondern suchte, das eigene Volk dank seiner Ehrlichkeit und seinem persönlichen Beispiel hinter sich wissend, in jeder misslichen Lage nach Lösungen, die er mit Beharrlichkeit und Augenmaß umsetzte. Gleijeses schreibt: "Jede faire Einschätzung von Castros Außenpolitik muss deren eindrucksvolle Erfolge anerkennen, besonders bei der Veränderung des Kurses der Geschichte im südlichen Afrika, trotz größtmöglicher Versuche Washingtons, das zu verhindern. Es gibt kein Beispiel in der modernen Geschichte, wo ein unterentwickeltes Land den Kurs der Ereignisse in einer entfernten Region geändert hat – wobei es eine Supermacht erniedrigte und sich einer anderen wiederholt widersetzte. In keinem anderen Fall hat sich ein unterentwickeltes Land auf ein Programm technischer Unterstützung von solchem Ausmaß und solcher Großherzigkeit eingelassen." 400.000 kubanische Internationalisten, Frauen und Männer, kämpften und arbeiteten in Angola und kehrten mit Stolz in ihre Heimat zurück, über 2000 von ihnen ließen ihr Leben. Vielleicht werden erst zukünftige Generationen in der Rückschau die ganze Größe der kubanischen Politik und des Beispiels, das seine Menschen gesetzt haben, in angemessenem Umfang zu würdigen wissen.

Lektüreempfehlung:
Die umfangreiche Studie von Piero Gleijeses, der in den Archiven aller beteiligten Länder recherchierte:
Visions of Freedom – Havana, Washington, Pretoria, and the Struggle for Southern Africa, 1976-1991

CUBA LIBRE Wolfgang Mix

CUBA LIBRE 3-2018