Happy Birthday, Deutsche Granma

Unsere internationale Ausgabe des berühmtesten kommunistischen Parteiorgans der Welt wird 25.

25 Jahre ist sie nun alt, die deutsche Ausgabe der Granma Internacional und die letzten fünf Jahre gehörten wir dazu. Unsere beiden Kolleginnen aus der ehemaligen DDR sind schon länger dabei, aber keiner von uns war Teil des Gründungsteams. Wie kam es nun dazu, dass die Granma in deutscher Sprache entstand?

Im Sommer 1993 fand das Treffen der Europasolidarität mit Kuba in Havanna statt. Die Solibewegten schoben einerseits Frust, da sie sich seit geraumer Zeit schon mit der sog. "kritischen Solidarität" zu beschäftigen hatten (die im Grunde gar keine Kubasolidarität mehr war). Man fetzte sich auf Bundesdelegiertenkonferenzen bis an den Rand körperlicher Auseinandersetzungen. Die ganze Bewegung drohte zu zerbrechen, während die Dienste sich die Hände rieben. Aber dies waren deutsche – und europäische – Befindlichkeiten, die verrückterweise in Havanna auf eine Euphorie trafen, die daher rührte, dass Kuba bei den Panamerikanischen Spielen in der eigenen Hauptstadt zum ersten (und einzigen) Mal die Vereinigten Staaten von Amerika im Medaillenspiegel auf den zweiten Platz verwiesen hatte. Als bei einem Solitreff im Theater der Villa Panamericana unversehens dann auch noch Fidel auftauchte (Man stelle sich vor: Fidel Castro Ruz vor 200 Leuten!), gab es vor Begeisterung kein Halten mehr. Der Alkoholkonsum mag sein übriges getan haben. Das ist nicht mehr wichtig. Wichtig ist, dass im Zauber des Augenblicks in der deutschen Delegation der Gedanke reifte, etwas zu tun, das nachhaltig sinnvoll wäre, und da kam man (Gabi Ströhlein als Vorsitzende der Freundschaftsgeselschft BRD-Kuba und Heinz W. Hammer als Netzwerkvorsitzender) darauf, sich in die Granma Internacional einzureihen. Auch die Gruppe Cuba Si (vor allem in der Person Reinhard Thieles) bot ihre Unterstützung an. Ein paar Geburtswehen gab es noch, aber im Mai 1994 erschien die deutsche Erstausgabe. Der Rest ist Geschichte.

Wie sieht nun unser Alltag aus?

Das kehlige Hupen klingt vertraut. Das ist Carlos’ grauer Skoda. Eine volle Woche war er in betriebseigener Reparatur. Jetzt ist er scheint’s für ein paar Tage wiederhergestellt. Wer in diesem Wagen sitzt und seinen unbeschreiblichen Geräuschen lauscht, dem kommen Assoziationen an Zombiefilme aus den "Hammer Productions" der 60er Jahre. Diese Auto ist ein Untoter, den man nicht in Würde sterben lässt. Solange es in der Granma-Werkstatt noch unbestimmte Röchellaute von sich gibt, wird es gnadenlos reanimiert.

Unser Arbeitstag in der Granma beginnt gegen 8.30 Uhr mit dem Transport dorthin. Das war nicht immer so. Das erste halbe Jahr über liefen wir bei Sonnenschein und Regen unverdrossen fünf Tage die Woche den Hügel zur Plaza de la Revolución morgens rauf (40 min) und nachmittags wieder runter (35 min), bis wir merkten, dass die französische und die italienische Abteilung gefahren wurden. Als wir fragten "Und warum wir nicht?", reagierte der Fahrdienst mit einiger Verblüffung: "Was? Wir hatten gedacht, ihr tätet das aus Gesundheitsgründen."

Die Taschenkontrolle im Foyer des Gebäudes ist – zumindest bei bekannten Gesichtern – eher lax, und die Identitätskarte, die einen als Mitarbeiter der Zeitung ausweist, muss man auch nicht immer zeigen. Ob es der Aufzug tut, erfahren wir meist bei ebendieser Kontrolle. Tut er es nicht, muss man vier ziemlich weit voneinander entfernte Stockwerke über die Spitzkehrentreppe bewältigen. Schlachtenbummler klatschen einem dann von den Absätzen der Etagen aus Beifall und rufen "Animo! Animo!" (Nur Mut!).

Unser – geräumiges! – Büro ist zeitlos funktional: Metallregale, für die Ewigkeit gemacht, und viel Resopalzeugs. Was wir gemacht haben, um so viel Hässlichkeit zurückzudämmen? Viele Poster an die Wände gepappt: Diverse Ches, Fidel, vom Panzer springend in Girón, Hatuey, Sandino, Camilo Torres, Patrice Lumumba. Ich hatte anfangs geglaubt, so einen Arbeitsplatz könne man keiner der sich mitunter ankündigenden – und oft recht großen – Delegationen aus der Kuba-Soli oder der Gewerkschaft zumuten. "Die prallen in der Tür zurück", hatte ich gedacht. Aber so ist es gar nicht. Vielmehr scheinen die meisten fast zu Tränen gerührt, zu sehen, unter welchen Bedingungen manche Leute arbeiten. Klaus Piehl von der Humanitären Kubahilfe Bochum sprach sogar von einem "magischen" Ort.

Granma Internacional - Die gedruckte Ausgabe

Die gedruckte Ausgabe ...



Aber das sind nur die äußeren Bedingungen. Die inneren Bedingungen sind eine weit komplexere Angelegenheit. Wir sind dem Himmel dankbar, dass wir nur eine Monatszeitung machen müssen. Unsere beiden Kolleginnen aus der englischen Abteilung halten sich vermutlich mit allerlei Tages- und Nachtcremes in Form, denn angesichts der Knochenarbeit, die sie mit ihrer Wochenzeitung leisten, hätten sie jedes Recht, frühverhärmt auszusehen.

Außer der englischen Ausgabe erscheinen noch die französische und die portugiesische wöchentlich. Ausgangspunkt für sie ist die Wochenausgabe der Granma Internacional in Spanisch, die besagte drei Abteilungen 1:1 in ihr jeweils eigenes Idiom übersetzen sollen. Also alles. Auch das, was uns für unsere Leserschaft nicht unbedingt passend erscheint. Auch das, was sinnlos ist (wenn etwa von der nationalen Granma ein Beitrag über das Wahlsystem in Frankreich übernommen wurde und unsere Gloria sich fragt: Das mag ja ganz informativ für die Kubaner sein, aber was, bitteschön, sollen meine Franzosen damit anfangen?). Und schon kommt Sand ins Getriebe der – nur im Idealfall – bienenemsigen Übersetzerei, und man muss sich Alternativen überlegen (und diese mit der Leitung absprechen!), wofür man unter dauerndem Termindruck stehend eigentlich gar keine Zeit hat.



Wohlgemerkt: Ich spreche hier von unseren Kollegen. Im Vergleich zu denen haben wir in der deutschen Abteilung, in der weiß Gott auch nicht immer alles rund läuft, ein Leben wie Kuchen! Unsere 16seitige Monatsausgabe ist nicht das Gegenstück zu einer 16seitigen Wochenausgabe, sondern setzt sich aus vier Wochenausgaben zusammen, was eine Auswahl ermöglicht und damit zwangsläufig redaktionelle Arbeit erfordert.

Eines Tages saß ich vor einem Beitrag, den eine Kollegin aus unserer Abteilung übersetzt hatte, die ihrerseits mit dem Ergebnis genauso kreuzunglücklich war wie der Rest von uns. Sie hatte es nicht geschafft (und das ist auch nicht einfach!), sich von dem gewichtigen, bedeutungsschwangeren, verschwurbelten Stil zu lösen, dessen die Autorin sich befleißigt hatte. Und wir konnten das Ding nicht wegdrücken. Es musste in die nächste Ausgabe, denn es war ein Artikel anlässlich des 90. Geburtstags von Fidel. Ach du Schande, dachten wir. Was machen wir denn damit? Die Lösung: Wir schrieben den Text neu. Wir schrieben ihn Satz für Satz neu. Dabei war uns klar, dass wir nicht befugt waren, auch nur die kleinste inhaltliche Veränderung vorzunehmen. Das vermieden wir dann auch peinlichst. Aber ansonsten blieb kein Stein auf dem andern. Die Schreiberin hätte ihr eigenes Produkt nicht wiedererkannt. Dabei war es immer noch ihres, nur war es jetzt in eine Form gebracht, die für eine europäische Leserschaft präsentabel war.

Wir haben das inzwischen ein ums andere Mal wiederholt. Nicht nur für Pflichtaufgaben; manchmal hat man etwas auf dem Schirm, von dem man denkt: Da stecken gute Ideen drin. Wenn sich das bloß nicht so nach Schüleraufsatz anhörte! Dann könnte das glatt was für unsere nächste Zeitung sein. Dann beraten wir uns, und wenn mehrheitlich der Daumen nach oben geht, wird wieder im Geheimen unser Heinzelmännchen aktiv und bemüht sich um die Form. Nur zuweilen, versteht sich, denn natürlich ist doppelte Arbeit zeitaufwändig.

Als Renate und ich beim Zentralorgan anfingen, hatte man uns zugesagt, auch eigene Beiträge für die deutsche Version schreiben zu können. Dies wird im Augenblick nicht mehr so gern gesehen. Was wir allerdings machen können, ist, bei den regelmäßig stattfindenden Treffen mit der Leitung Vorschläge über Themen zu machen oder Artikel von Autoren vorzuschlagen, die normalerweise nicht für die Granma schreiben, die dann aber von der Granma übernommen werden.

Es soll hier nicht der Eindruck entstehen, als gäbe keine guten Artikelschreiber in der Granma. Damit würde man der Wirklichkeit keinesfalls gerecht. Es stehen durchaus auch Beiträge darin, die man mit Interesse liest. Und wenn man mich fragte, welche Autoren unseres Blattes ich bevorzuge, würden mir schon einige Namen einfallen. Das Problem, warum wir immer wieder – und eher über kürzer als über länger – einen Aderlass besonders an jungen talentierten Mitarbeitern zu beklagen haben, ist ein sehr handfestes: Die Partei zahlt zu wenig. Die Zeitung ist das Parteiorgan des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kubas und niemand in Kuba verdient weniger, als die Leute, die für das Zentralkomitee arbeiten. Für die Partei arbeitet man aus Überzeugung und allein diese Begeisterung für die Revolution zählt. Die jungen Leute, die zur Granma kommen, sehen das teilweise anders. Sie leisten dort zwei Jahre ab, die sich später auch gut in der Personalakte machen – und dann gehen sie zu Cubadebate oder Prensa Latina. Wer weiß, vielleicht wollen sie ja eine Familie gründen. Manchmal hat man schon das Gefühl, die Zeitung beschwöre immer noch die Aufbruchstimmung der frühen und mittleren Sechziger, als an so verantwortungsvoller Stelle zu wirken den meisten Lohns genug war. Fidel konnte zu allen erdenklichen Tages- und Nachtzeiten erscheinen, sich kräftig in Redaktionssitzungen einbringen und Smalltalk mit den Druckern machen. Es war ein spannendes Leben für die Beschäftigten.

Heute gibt es allerlei Stimuli, um ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu schaffen. Man kutschiert die Mitarbeiter abteilungsweise an den Strand und veranstaltet Picknicks mit ihnen. Zum Niedrigtarif, versteht sich. Man bittet die Belegschaft zu politisch-kulturellen Akten, teils mit Erfrischungen, teils sogar mit Essen. Am Ende jedes Monats wird der kollektive Geburtstag derer gefeiert, die im jeweiligen Monat Geburtstag haben. Da biegen sich schon die Tische. Einmal im Jahr ist Billigkauf in der zollfreien Zone in Osthavanna. Da ist man gehalten, seinen Ausweis und den Gegenwert von 4 CUC in Moneda Nacional mitzubringen. Damit ist man dann berechtigt, für den Gegenwert von 39 CUC einzukaufen. Ein gutes Geschäft, sofern man Dinge findet, die man brauchen kann. Etwas, das für mein Dafürhalten wirklich zu Buche schlägt, ist der qualitativ ordentliche Mittagstisch in der Kantine. Tägliche warme Mahlzeiten gegen symbolische Pfennigbeträge, und die reichen Frühstücke und Meriendas (Zwischenmahlzeiten) um 10 Uhr und 15:30 Uhr nicht zu vergessen. Trotzdem kann man sich des Gefühls nicht erwehren, dass die allermeisten doch lieber höhere Lohn erhielten.

Soziales Leben am Arbeitsplatz findet auch statt, wenn auch mit gebremstem Schaum. Die verschiedenen anderssprachigen Büros arbeiten allesamt opferbereit und engagiert für Kuba, eine verschworene Gemeinschaft bilden sie hingegen nicht. Dass man abteilungsübergreifend Gespräche, die den Namen verdienen, auf dem Korridor führt, geschieht recht selten. Man tauscht ein paar Höflichkeiten aus, sofern man es nicht gleich beim "Hallo" im Vorbeigehen belässt. Fast will es einem vorkommen, als hätte man für solcherlei Kontakte keine Energie mehr abrufbar.

Granma Internacional auf Facebook

... und der Facebook-Auftritt. Daneben gibt es auch eine Online-Ausgabe in deutsch.


Eher haben die Mitarbeiter der einzelnen Sprachbüros herzliche Beziehungen zu den Kubanern in der Internet- oder der Layout Abteilung. Manchmal ist – wegen eines Geburtstags oder einer nach langer Wartezeit zugestandenen Mitgliedschaft in der PCC, der Partido Comunista Cubano – auch Granma-Internacional-intern Fete angesagt (Lasagne-Blech von Gioia, equipo italiano, und Thunfischsalat von mir) Alle steuern etwas bei, die Kubaner etwas Kleineres, die Ausländer hängen sich mehr rein, vor allem um den Kubanern eine Freude zu machen. Und sie freuen sich und essen und packen dann noch etwas ein für die Lieben zu Hause. Essen ist kein Spaß. Essen ist nicht Party. Es ist vielmehr eine ernste Angelegenheit. Das wissen sie, seit sie die "periodo especial" erlebt haben, als sie Kroketten aus granulierten Hühnerknochen machten und ihren Kindern auf den Dächern ihrer stromlosen Häuser etwas vorsangen, um sie von ihrem Hunger abzulenken. Das Trauma steckt heute noch in ihnen drin. Deshalb hat, wer sich eingedeckt hat, auch kein großes Verlangen, das gesellige Beisammensein über Gebühr auszudehnen. Die meisten sind dann schnell weg. Eine kubanische Kollegin aus der Abteilung Portugiesisch hat das mal beklagt und angeregt, man könne bei solchen Gelegenheiten doch auch Musik hören und tanzen. Bis jetzt ist sie damit bei ihren Landsleuten auf wenig Gegenliebe gestoßen. Nichtdestotrotz hatten wir schon Feten mit Tanz und Musik und es gibt immer wieder Ansätze für einen solchen geselligen Abend, aber genauso oft kommt etwas dazwischen.

Derzeit sind unerhörte Dinge im Gange. Nachdem man uns jahrelang erzählt hatte, die Chinesen würden die Produktion der Granma umkrempeln – mit nagelneuen, hochmodernen Druckmaschinen und allem Drum und Dran –, machen sie nun wirklich Ernst. Es gibt landesweit drei Druckereien für unsere Zeitung. Eine in Havanna, eine in Santa Clara und eine in Holguín, die allesamt mit vorsintflutlichen Apparaturen arbeiten, die wahre Unmengen an Druckerfarbe und Papier verschwenden. Seit ungefähr einem Jahr übernimmt Havanna die Produktion für Santa Clara mit, denn in Santa Clara baut China gerade die neue Druckerei. Man liegt dort dem Vernehmen nach in den letzten Zügen und wenn man in der Che-Guevara-Stadt fertig ist, beginnt die Montage der Geräte aus Fernost bei uns und unsere Drucker werden von Chinesen instruiert, sie zu bedienen. Delegationen aus dem Reich der Mitte waren schon öfter bei uns, um sich umzusehen. Unbestätigten Gerüchten zufolge beanspruchen sie, wenn sie da sind, die Toiletten exklusiv für sich, teilen also nicht gerne die Klos mit Nichtchinesen. Mir hat noch keiner von ihnen ein Stoppschild hingehalten, wenn ich pinkeln gehen wollte. Also kann ich aus eigener Erfahrung die Geschichte nicht bestätigen, aber sie wird hartnäckig kolportiert.

Vor kurzem bat uns die Direktorin zur Besprechung, um einige unvermeidbare, vielleicht auch schmerzliche Neuerungen für diese Zeit des Umbruchs anzukündigen. So werden alle Abteilungen der Granma Internacional in einem Großraumbüro untergebracht. Mit fabrikneuen Möbeln! Dass nun aus Platzeinsparungsgründen mein Laptop dem meiner Frau gegenüberstehen wird, ist gewiss ein wenig gewöhnungsbedürftig, aber die Vorstellung, von neuen Möbeln umgeben zu sein – in der Granma – ist der eigentliche Knaller.

Ein kleiner Nachschlag: Natürlich ist es trotz aller Unzulänglichkeiten und obwohl Fidel sich nicht mehr bei uns blicken lässt, ein hohes Privileg, in dieser Zeitung arbeiten zu dürfen. Das, was sich im Hinblick auf Information (oder was anderenorts dafür durchgeht) im zivilisierten Westen abspielt, ginge inzwischen über unsere Kräfte. Dreiwöchige Aufenthalte in Deutschland sind mittlerweile schwer genug. Den lokalen Teil der WAZ lassen wir noch an uns heran, aber die Tagesschau schon lange nicht mehr. Sind wir scharf auf Magengeschwüre? Selbst die potentielle Kriegsgefahr durch die Gemengelage Venezuela-Kuba lässt uns seltsam ruhig bleiben. Das ist wohl, was passiert, wenn man, ohne auch nur den geringsten Schatten eines Zweifels zu verspüren, überzeugt ist, auf der richtigen Seite zu stehen.

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CUBA LIBRE Ulli Fausten und Renate Fausten

CUBA LIBRE 2-2019