Kuba hätte den Friedensnobelpreis mehr als verdient

Gespräch mit Zaklin Nastic

Zaklin Nastic ist seit 2017 Mitglied im Bundestag für die Partei DIE LINKE und Sprecherin für Menschenrechtspolitik der Fraktion, von 2018 bis zum 7. Parteitag Ende Februar 2021 Mitglied im Parteivorstand und seit 2020 Landessprecherin DIE LINKE Hamburg und hat die Brigade Henry Reeve für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen.


CL: Zaklin, du hast mit weiteren Mitgliedern der Fraktion der Partei DIE LINKE in Oslo die Henry-Reeve-Brigade für den Friedensnobelpreis 2021 vorgeschlagen. Was hat dich persönlich dazu bewogen? Und warum hat die Brigade deiner Meinung nach diesen Preis verdient?

Zaklin Nastic: Ich bin der festen Überzeugung, dass die Henry-Reeve-Brigade, die ich während eines Kuba-Besuches in einem sehr beeindruckenden persönlichen Gespräch kennenlernen durfte, den Friedensnobelpreis mehr als verdient hat. Denn gerade in der Coronapandemie haben ihre Mitglieder der Welt gezeigt, was internationale Solidarität bedeutet, sie haben diese Solidarität gelebt. Ausgerechnet aus dem kleinen Inselstaat Kuba wurden Ärzt*innen und Krankenpfleger*innen in alle Welt entsandt, bis nach Europa. Und das, obwohl Kuba seit nunmehr 60 Jahren mit einer mörderischen Blockade überzogen ist und selbst von COVID-19 betroffen war. Das ist genau die "Brüderlichkeit zwischen den Nationen", die Alfred Nobel als Kriterium für die Vergabe des Friedensnobelpreises festgeschrieben hat. Dass dieses Kriterium bei zahlreichen Vergaben des wichtigsten Friedenspreises der Welt keine Rolle gespielt, ja untergraben worden ist, wissen wir alle – man denke nur an Henry Kissinger, Barack Obama oder die EU ...

Die ÄrztInnen und PflegerInnen der Henry-Reeve-Brigade haben seit ihrer Gründung im Jahr 2005 über vier Millionen Menschen weltweit Hilfe in Katastrophensituationen, insbesondere während Epidemien, zukommen lassen. Ganz besonders Aufsehen erregend war der Einsatz von Hunderten von medizinischen Fachpersonen in den Jahren 2014 und 2015 gegen die Ebola-Pandemie in Westafrika. Dafür gebührt ihnen unser aller Respekt und auch die Auszeichnung mit dem Friedensnobelpreis.

Ich habe die Nominierung der Henry-Reeve-Brigade aber noch aus einem anderen Grund initiiert: Es ist auch wichtig, ein Zeichen zu setzen gegen die US-Politik gegenüber Kuba, und zwar nicht nur die der Trump-, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach auch der Biden-Administration. Unsere Solidarität mit Kuba und unser Kampf gegen die Blockade müssen weitergehen.

CL: Du bist in der Fraktion der Partei DIE LINKE für das Thema Menschenrechte zuständig. Du hast im Bundestag Sanktionen als Massenvernichtungswerkzeug beschrieben. Was fällt dir dazu bei der längsten Blockade und Sanktionen gegen Kuba zu diesem Thema ein und wie wirken sich zum aktuellen Zeitpunkt – Stichwort Pandemie – die Sanktionen gegen Kuba aus?

Zaklin Nastic: Ja, Wirtschaftskriege sind zwar keinesfalls eine neue Kriegswaffe, aber diese wird immer exzessiver angewandt und immer mehr Menschenleben fallen ihr zum Opfer – sei es in Venezuela, Syrien, dem Iran oder Kuba, aber auch noch in zahlreichen anderen Ländern. Diejenigen, die sich dieser Waffe bedienen, sind gnadenlos. Die US-Blockade ist illegal und die kubanische Regierung legt jährlich in ihrem Bericht an die Vereinten Nationen dar, welchen Schaden sie anrichtet – vor allem in Kuba selbst, aber auch in Drittländern.

Die US-Sanktionen behindern die Versorgung Kubas und seiner Bevölkerung mit Rohstoffen und anderen wichtigen Gütern massiv. Mit der Verschärfung der Blockade hat sich die Situation noch einmal deutlich verschlimmert. Wegen der Sanktionen und vor allem ihrer extraterritorialen Wirkung fehlt es an Medikamenten für Krebskranke und Antibiotika, aber auch an Antihistaminika, Schmerzmitteln, Verhütungsmitteln oder Wirkstoffen gegen Bluthochdruck. Das kubanische Gesundheitssystem ist zwar hervorragend, aber es sterben Menschen, weil ihnen lebensnotwendige Medikamente durch die Blockade vorenthalten werden. Das ist ein Verbrechen und erschwert auch den Kampf gegen COVID-19 in Kuba. Nicht umsonst hat UN-Generalsekretär Antonio Guterres dazu aufgerufen, Wirtschaftssanktionen weltweit gerade in der Pandemie auszusetzen. Mitschuldig sind aber auch die Bundesregierung und die EU sowie ihre Mitgliedstaaten. Es hilft wenig, jedes Jahr in der Vollversammlung der Vereinten Nationen gegen die Kuba-Blockade zu stimmen, das eigene geltende Recht aber nicht umzusetzen. Die Verordnung 2271/96 des Europäischen Rates vom November 1996 ist doch eigentlich eindeutig: in ihr wird die extraterritoriale Wirkung der Kuba-Sanktionen als illegal bezeichnet, die EU erkennt sie (die Sanktionen, die Redaktion) explizit nicht an. Diese Verordnung ist verbindlich und für alle EU-Mitgliedstaaten gültig Aber welche Wirkung entfaltet sie in der Realität? Faktisch keine. Noch nie hat ein Mitgliedsstaat die in Artikel 9 vorgesehenen "wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden" Sanktionen verhängt, die bei Zuwiderhandlung vorgesehen sind. Unternehmen wie PayPal und Ebay sind willige Erfüllungsgehilfen bei der extraterritorialen Umsetzung der Blockade. NGOs, Banken und Unternehmen werden genau wie im Kulturbereich angesiedelte Organisationen daran gehindert, mit Kuba Geschäfte zu machen oder Verbindungen anderer Art zu unterhalten. Und die Bundesregierung und die EU finden nichts als leere Worte. Umsetzung der eigenen Bestimmungen und Schutz der Opfer der US-Blockade? Fehlanzeige!

Zaklin Nastic

Zaklin Nastic

CL: Ihr habt euch im Parteivorstand im Januar zwar für die Aufhebung der Blockade ausgesprochen, dies aber absurdum geführt, indem ihr einen Dialog mit den Contras einfordert, die genau für schärfere Blockaden gegen Cuba und Schlimmeres sind. Das hat zu Recht Unmut an der Parteibasis erzeugt. Warum sollen Linke Konterrevolutionäre, die von den USA bezahlt werden und gegen die Souveränität des kubanischen Volkes arbeiten, unterstützen?

Zaklin Nastic: Zunächst einmal: Ich habe gegen diesen Beschluss gestimmt, der im letzten Punkt 5 in die falsche Richtung geht. Der Parteivorstand hat in seiner letzten Sitzung eine Erklärung verabschiedet, die deutlich macht, dass wir weiter solidarisch an der Seite des sozialistischen Kuba stehen und dem Land auch keinesfalls mangelnde Demokratie vorwerfen. Aber ich bin sicher, dass dieses wahrscheinlich ohne den Druck der Basis auf den Parteivorstand bzw. große Teile davon so auch nicht zustande gekommen wäre. Dieser Druck war wichtig.

Ich möchte aber ganz deutlich sagen, dass im PV-Beschluss vom 25. Januar keine Rede von einem Dialog mit Contras ist und die "San Isidro"-Bewegung, die sich aus teils homophoben Anhängern Donald Trumps zusammensetzt und das Dialogangebot der kubanischen Regierung abgelehnt hat, nicht unterstützt wird.

CL: In der Kubasolidarität wird das anders gesehen. Von mir auch. Der Parteivorstand hat zwar auf die breite Kritik an seinem Beschluss reagiert, allerdings ohne den umstrittenen Absatz wirklich zurückzunehmen - er hat nur die Interpretation zurückgewiesen. Klarheit wäre, sich von der San Isidro-Bewegung nicht nur zu distanzieren, sondern zu benennen, inwieweit die Aktivisten dieser "Bewegung" die Menschenrechte in Kuba verletzen. Wer soll denn eigentlich unterstützt werden, wenn es nicht die Contras sind, zu einem Zeitpunkt, in dem die Angriffe auf das Gesellschaftssystem Kubas einen neuen Höhepunkt erreicht haben? Und warum hält man eine demokratische Entwicklung in Kuba für notwendig?

Zaklin Nastic: Diese Frage wäre den EMALI Antragstellern zu stellen, die die ursprüngliche Beschlussvorlage, die tatsächlich eine klare Unterstützung fragwürdiger Kräfte in Kuba enthielt, in den Parteivorstand eingebracht, befürwortet und über die Presse gespielt haben. Der vage gefasste und damit sehr interpretationsfähige Punkt 5 "Menschenrechte für alle" ist eine richtige Aussage, die man aber in nahezu jeden Beschluss schreiben kann. Aber eine Forderung nach "Demokratisierung der kubanischen Gesellschaft" halte ich angesichts deren außergewöhnlicher Vielfalt für unangebracht, deshalb habe ich auch nicht für den Beschluss votiert. Wir alle sollten weiter wachsam sein, es gibt Kräfte in der Partei, die die Kuba-Politik der LINKEN tatsächlich grundlegend neu ausrichten wollen, das haben wir mit dem Antrag hier eindeutig erlebt. Ich habe mich sehr gefreut, dass sich in den letzten Wochen so viele Mitglieder laut und deutlich gegen solche Bestrebungen positioniert haben!
Henry-Reeve-Brigade in Italien
Henry-Reeve-Brigade in Italien
Foto: radioreloj.cu


CL: Zurück zum internationalen Handeln Kubas. Es zeigt ja seine Solidarität mit anderen Ländern nicht nur dadurch, dass es Ärzte in die ganze Welt entsendet, sondern es entwickelt auch vier Impfstoffe gegen Covid-19, die bereits klinisch erprobt werden. Das wird eine Chance sein, dass auch ärmere Länder Zugang dazu kriegen. Es würde dem Land aber auch guttun, wenn sich wohlhabende Länder wie Deutschland zum Kauf der kubanischen Impfstoffe entscheiden würden. Werdet ihr euch dafür einsetzen? Was könnte man dafür tun?

Zaklin Nastic: Ich bin wirklich sehr beeindruckt von den kubanischen Erfolgen bei der Entwicklung eines Vakzins gegen COVID-19. Und auch hier: Es ist herausragend, was der kleine Inselstaat trotz der Blockade und ohne Milliardenzuschüsse, die europäische und US-amerikanische Unternehmen für ihre Forschung an einem Impfstoff erhalten haben, leistet. Es gibt schon vier vielversprechende Ergebnisse aus Havanna, insbesondere der proteinbasierte Impfstoff "Soberana02", der jetzt die "Phase 3-Tests" im Iran durchlaufen wird.

Vor allem aber verhält sich Kuba auch hier außerordentlich solidarisch: "Wir sind kein multinationales Unternehmen, bei dem die (finanzielle) Rendite an erster Stelle steht. Wir arbeiten umgekehrt, wir schaffen mehr Gesundheit und die Rendite ist eine Folge, sie wird nie die Priorität sein", brachte es der Leiter des forschenden kubanischen Impfstoff-Instituts auf den Punkt. Mit der Ankündigung, die kubanischen Impfstoffe auch anderen Ländern des globalen Südens zu erschwinglichen Preisen zur Verfügung zu stellen, leistet Havanna einen wichtiger Beitrag, die durch COVID-19 wachsende Ungleichheit nicht noch weiter zu vergrößern.

Natürlich werde ich mich dafür einsetzen, dass auch Deutschland kubanische Impfstoffe kauft. Allerdings ist unser Einfluss als Opposition da äußerst gering wie Du weißt. Und ich erinnere mich noch gut, wie zunächst gegen die chinesischen und russischen Impfstoffe polemisiert worden ist, wobei jetzt, wo der Impfstoff in Deutschland und der EU wegen der Unfähigkeit bei der Beschaffung knapp ist, auch die Anschaffung des russischen Vakzins plötzlich kleinlaut in Erwägung gezogen wird. Möglich also, dass wir hier eines Tages doch noch überrascht werden.

CUBA LIBRE Die Fragen stellte Brigitte Schiffler, Mitglied der Freundschaftsgesellschaft BRD – Kuba und Sprecherin von Cuba Sí Hamburg

CUBA LIBRE 2-2021