Ziemlich am Ende

Es ist nicht selten, dass die Werbeabteilung eines Unternehmens nicht weiß, was in den Büros links und rechts neben ihr vor sich geht. Auch Medien sind davor nicht gefeit, auf Facebook & Co. gibt es ganze Gruppen, die nur davon leben, ungünstig präsentierte Reklame zu zeigen. Besonders "Bild" und ähnliche Vulgärjournalisten stellen gerne mal eine Anzeige für Feuerwerk neben die Meldung eines Brandanschlags…

Bei der Tageszeitung, die mal "Neues Deutschland" hieß und sich mittlerweile mit dem Kürzel ND auf ihr selbiges vorbereitet, scheinen die Prozesse nicht viel ausgefeilter zu verlaufen. Mit Datum vom 1. Februar trudelte bei der Berliner Gruppe der Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba ein Schreiben der Zeitung ein, überschrieben mit "Zusammenhalt in Krisenzeiten".

Krisenzeiten durchlebte das "ND" zu diesem Zeitpunkt tatsächlich. Wenige Tage zuvor hatte der Parteivorstand der Linkspartei, deren inoffizielles Organ die Zeitung nach wie vor ist, einen selten dämlichen Beschluss über Kuba durchgewunken, in dem die Führung in Havanna zum Dialog mit der Konterrevolution aufgefordert wurde. Das ND lieferte die publizistische Begleitmusik und bejubelte den "Tabubruch". Die Stichworte fanden ihren Weg bis in die von Miami aus gegen Kuba hetzenden Propagandasender – die Contras feierten das vermeintliche Ende der Solidarität der deutschen Linken.

Und genau zu diesem Zeitpunkt bettelt das ND bei der Freundschaftsgesellschaft um Anzeigen: "Präsentieren Sie Ihr Angebot für unsere Leserinnen und Leser und profitieren Sie von unseren Sonderkonditionen." Sage nur keiner, Solidarität mit Kuba habe im alt gewordenen Deutschland keinen Platz mehr – sie muss nur in barer Münze bezahlt werden.

Zum Glück brauchen die Freundinnen und Freunde Kubas dieses Blättchen schon länger nicht mehr. Und ob die Gegner der revolutionären Insel sich ihre tägliche Dosis Reaktion ausgerechnet von der "sozialistischen Tageszeitung" holen wollen, erscheint uns auch etwas fraglich. Wie schrieb das ND doch gleich im Bettelbrief an die Berliner Gruppe der Freundschaftsgesellschaft? "Orientierung und Perspektive sind wichtiger denn je." Stimmt. Im ND findet man sie momentan weniger.

CUBA LIBRE Glosse von Santiago Baez

CUBA LIBRE 2-2021