Politischer Dialog und Zusammenarbeit mit Kuba?

Der Kampf auf EU-Ebene geht weiter

Bleibt DIE LINKE eine Friedenspartei? Überlebt sie als sozialistische Partei? Darüber ist eine vehemente Diskussion in der Partei DIE LINKE entstanden. Vor allem über Medien werden Grundpositionen, die im Erfurter Programm festgehalten sind, in Frage gestellt. Einige fordern immer unverfrorener eine Abkehr von der Verteidigung der Länder, die für eine Überwindung der kapitalistischen Gesellschaftsform stehen, wie Kuba. Dagegen formiert sich Widerstand und es werden weitreichende Folgen bis hin zum Niedergang der Partei benannt: "Das Scheitern unserer Partei hätte zudem fatale Auswirkungen auf die Partei der Europäischen Linken sowie auf andere linke Parteien", heißt es in einer Stellungnahme der AG Cuba sí.

Wulf Gallert, im Geschäftsführenden Parteivorstand und stellvertretender Vorsitzender der internationalen Kommission, verstieg sich im ND vom 4. Januar sogar zu der Aussage, dass das Beharren auf dem Erfurter Programm eine adäquate Positionierung verhindere und verwies auf Menschenrechte.

Mit Beschämung und Empörung haben in den letzten Jahren Mitglieder in der Partei DIE LINKE und internationalistische und Solidaritätsorganisationen das Abstimmungsverhalten von deutschen Abgeordneten der linken europäischen Partei GUE/NGL gegen Kuba kritisiert. Die Mehrheit dieser Abgeordneten hat für Anträge, die von rechten und teilweise von bekennenden faschistischen Abgeordneten zur Einhaltung von Menschenrechten eingebracht worden sind, gestimmt oder haben sich enthalten.

EU-Parlament und Menschenrechte in Kuba

Was Menschenrechte betrifft: sie werden gegenüber dem kubanischen Volk in einem unfassbaren Ausmaß mit der Blockade seit 60 Jahren verletzt. Und immer, wenn dieses unmenschliche System der Wirtschaftssanktionen von den Vereinten Nationen mit überwältigender Mehrheit verurteilt wurde, gab es im Europaparlament Anträge, Kuba wegen angeblicher Verletzung von Menschenrechten zu verurteilen. Bei diesen Anträgen ging es stets darum, dass die eigentliche Menschenrechtsverletzung gegenüber Kuba kein Thema wird.

Die Blockade der USA wurde vor genau 60 Jahren von John F. Kennedy erlassen, am 2. Februar und am 23. März 1962. Sie sollte Hunger, Elend und Verzweiflung erzeugen und so zum Sturz der Regierung beitragen. Sie wirkte sich allerdings erst in den 90er Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion fatal auf die Entwicklung Kubas aus, als Kuba neue Handelspartner brauchte und in den USA die Vorstellung vorherrschte, man könne Kuba jetzt den Todesstoß versetzen.

Die EU reagierte mit Doppelmoral. Einerseits wollte sie sich die Geschäfte mit Kuba nicht einfach verbieten lassen und erließ 1992 die Verordnung (EG) Nr. 2271/96, um seine Bürger und Unternehmen vor den Auswirkungen der von einem Drittland erlassenen Rechtsakte zu schützen. Sie verzichtete allerdings darauf, wie angekündigt vor der WTO zu klagen, weil die USA das als Angriff auf ihre nationale Sicherheit angesehen hätte.

Andererseits setzte die Mehrheit im europäischen Parlament eine Annäherung an die Politik der USA durch, indem sie im gleichen Jahr einen "Gemeinsamen Standpunkt" gegenüber Kuba formulierten, den es gegenüber keinem anderen Land gab. Man forderten einen Systemwechsel und legte gegenüber Kuba eine außerordentliche Härte an den Tag, eine "Blockade light". Als Dank dafür ließen die US-Präsidenten die beiden Artikel des Blockade-Gesetzes, die eine Anklage in den USA wegen des Anspruchs auf enteignetes Vermögen ermöglichten, jährlich außer Kraft setzen.

Seitdem gab es im Europäischen Parlament den Kampf um und gegen die Aufhebung des "Gemeinsamen Standpunktes" und um und gegen ein neues Abkommen, das eine Zusammenarbeit auf gleicher Augenhöhe ermöglichen würde.

Seit 2003 verhängte das EU-Parlament sogar Sanktionen gegen Kuba. Das Land hatte 75 "Dissidenten" festgenommen wegen nachgewiesener, vom Ausland finanzierten Umsturzpläne, die das Land in Gefahr brachten. Die Nadelstiche im europäischen Parlament gingen weiter. 2002 verlieh die EU den Sacharow-Preis an einen kubanische Regimegegner und 2005 an die "Damen in Weiß". Der italienische Machthaber Berlusconi prüfte die Möglichkeit, ob man nicht auch von Europa aus ein Embargo auferlegen könnte. Als die Sanktionen 2005 aufgehoben werden sollten, versuchte die konservative Mehrheit, das zu verhindern und ließ am 2. Februar 2006 eine Resolution über angebliche Menschenrechtsverletzungen abstimmen– dieses Mal wegen der nicht gestatteten Ausreisemöglichkeiten für die Damen in Weiß sowie des Preisträgers von 2002 zum Empfang des Sacharow-Preises. Und sie schafften es, dass die kleine linke Fraktion völlig zerstritten war. Drei der deutschen von der PDS gewählten Abgeordnete stimmten für die Resolution (André Brie, Helmuth Markov, Gabi Zimmer), zwei enthielten sich, stimmten aber später einer gemeinsamen Erklärung mit den drei Befürwortern zu. Als Gründe gaben sie an: Man müsse Menschenrechte nicht nur beim politischen Gegner, sondern auch beim politischen Freund einfordern. Sie hätten mit den anderen Fraktionen um Kompromisse verhandelt und sie wollten Partner für die anderen Fraktionen bleiben. Die Verweigerung der Ausreise könne angesichts der eigenen Erfahrungen nicht kritiklos toleriert werden.

Die Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE im Bundestag unterstützen die Aktion Unblock Cuba
Die Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE im Bundestag unterstützen die Aktion Unblock Cuba für ein Ende der US-Blockade gegen Kuba: Kathrin Vogler, Andrej Hunko, Eva-Maria Schreiber, Diether Dehm, Sevim Dagdelen, Heike Hänsel und Jörg Cezanne (v.l.n.r.).
Foto: Cuba Si


Debatte in der PDS/Linkspartei

Der Parteivorstand erklärte Ende Februar seine "Solidarität mit Kuba" und dass die Zustimmung zu dem Antrag im Europaparlament nicht der Position der Linkspartei/PDS entspräche.

Die damals aufgeworfenen Fragen bestimmen auch heute noch die Debatte: Ist die kubanische Politik gleichzusetzen mit der der untergegangenen UdSSR und der DDR? Ist Kuba ein "Unrechtsstaat" und eine Diktatur oder hat das Volk die Macht und werden individuelle Freiheitsrechte geachtet? Wie darf ein Land, das eine neue sozialistische Gesellschaft errichten will, mit Gegnern umgehen, die das mit Gewalt verhindern wollen? 2006 schrieb Edgar Göll: "Jedes Land auf diesem Planeten schützt seine Existenz gegen ausländische Feinde – Kuba darf es allem Anschein nach nicht (während unser dicker Freund USA ein Land nach dem anderen blindwütig aushungert, erpresst, besetzt und bombardiert)."

Tobias Pflüger nahm an der Abstimmung nicht teil, weil er als Redner auf der Alternativkonferenz zur NATO-Sicherheitskonferenz war. Lediglich Sahra Wagenknecht stimmte gegen den Antrag. Sie war im Jahr davor im Oktober 2005 in Kuba und hatte die Schlussfolgerung gezogen: "Was Kuba erreicht und geleistet hat, darf nicht aufs Spiel gesetzt werden!" Im Januar 2008 nannte sie die EU-Politik auf einem Jugendtreffen der VVN ein Selbstbeweihräucherungsprogramm und setzte sich in ihrer Rede mit der Argumentation, Menschenrechte müssten auch beim politischen Freund eingefordert werden, auseinander.

"Alles in allem lässt sich sagen, dass die EU ihre Menschenrechtspolitik schlicht in den Dienst ihrer globalen Einflusspolitik stellt. Ein selbstkritischer Umgang mit der eigenen Rolle, eine ernstzunehmende Auseinandersetzung mit grundlegenden menschenrechtspolitischen Problemfeldern und dem eigenen Agieren im internationalen Umfeld, eine Reflexion der gravierenden Verstöße innerhalb der EU oder aufgrund von Aktivitäten der EU, ist und bleibt Fehlanzeige."

EU-Politik nach der Amtsübernahme durch Raul Castro

2008 wurde Raúl Castro zum Vorsitzenden des Staatsrats gewählt. Da beendete die EU ihre Sanktionen gegenüber Kuba. Aber erst die veränderte Strategie Barack Obamas gegenüber Kuba seit 2009 ermöglichte es, eine Ablösung des "Gemeinsamen Standpunkts" in Erwägung zu ziehen. Auch Hillary Clinton wurde in mehreren Medien mit den Worten zitiert, die Blockade sei "Castros bester Freund" und "nicht länger nützlich für die amerikanischen Interessen oder um einen Systemwechsel auf der kommunistischen Insel herbeizuführen". Der Regimechange blieb weiterhin das Ziel, die Blockade blieb, aber es fanden jetzt eine Politik der Annäherung und Gespräche statt. Das hatte Auswirkungen auf die europäische Politik gegenüber Kuba.

Ein Beschluss der EU im November 2012 sah vor, Gespräche mit Kuba aufzunehmen, um ein "Abkommen über politischen Dialog und Zusammenarbeit" abzuschließen. Doch die Bundesrepublik setzte sich im EU-Ministerrat vehement dafür ein, den "Gemeinsamen Standpunkt" beizubehalten. Dabei hatten viele EU-Länder bereits bilaterale Abkommen abgeschlossen. Am 2. Februar 2014 beschlossen dann die Außenminister der EU, Kuba Verhandlungen über ein Kooperationsabkommen anzubieten. Im Juni empfing der damalige Außenminister Steinmeier als Ausgleich "Dissidenten" in seinem Ministerium. 2014 erstarkte Kuba: Der kubanische größte Tiefseehafen der Karibik mit Containerterminal und eine Sonderwirtschaftszone bei Mariel wurden eröffnet, ein neues Gesetz über Auslandsinvestitionen in Kuba verabschiedet. Rußlands Präsident Putin und der Präsident der Volksrepublik China Xi Jinping besuchten nacheinander im Juli 2014 Kuba. Die deutsche Industrie war in "Aufbruchstimmung". 2015 reiste der damalige Außenminister Steinmeier, im Januar 2016 der Wirtschaftsminister Gabriel nach Havanna. Am 12. Dezember 2016, kurz nach dem Tod von Fidel, löste dann das "Abkommen über politischen Dialog und Zusammenarbeit" den "Gemeinsamen Standpunkt" von 1996 ab. Es ist noch nicht ratifiziert und weiterhin ein Kampffeld geblieben.

Umkämpftes Abkommen

Das Abkommen sieht fünf Dialogrunden vor, die ab November 2017 jährlich beraten werden sollten. Die Dialogthemen sind einseitige Zwangsmaßnahmen (2019), Menschenrechte, die Agenda 2030 mit den Nachhaltigkeitszielen, die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen sowie Kontrolle konventioneller Waffen. 2019 tauschten sich Vertreter von Nichtregierungsorganisationen vor der Dialogrunde in einem Seminar über die Schäden aufgrund der US-Blockade und die Beeinträchtigung des Gesundheitssystem durch diese aus. Am 23. Januar 2021 fand der dritte Dialog im Rahmen des Abkommens, das offiziell "Political Dialogue and Cooperation Agreement" (PDCA) heißt, statt.

In den letzten beiden Jahren ist der Kampf, ob der Dialog fortgeführt und die Beziehungen normalisiert werden sollen oder ob das Abkommen ausgesetzt wird, in aller Härte entbrannt – unter veränderten Bedingungen. Die Blockade wurde unter Trump nochmals verschärft: Durch eine Vielfalt neuer Sanktionen und zum ersten Mal durch Wirksamwerden der Absätze III und IV des Gesetzes von 1996. Europäer müssen seitdem um ihre Investitionen in Kuba durch US-Kläger fürchten. Außerdem wurde Kuba auf die Liste der Terrorstaaten gesetzt, was ungeheure Hindernisse bei Finanztransaktionen nach sich zieht. Hinzugekommen ist die weltweite Pandemie, durch die Kubas wichtige Deviseneinnahmenquellen wie der Tourismus wegbrechen. Als neuer Verstoß gegen Menschenrechte wird von Kubagegnern sogar der selbstlose Einsatz kubanischer Ärzte im Ausland als Sklavenhandel umgedeutet. In dieser Situation wäre eine Abschaffung der Blockade dringender denn je. Stattdessen wurde sie als neue Möglichkeit genutzt, Druck auszuüben und größtmöglichen Schaden bei der Bevölkerung Kubas zu verursachen.

2020/2021 ist es den USA mit viel Geld und mit Hilfe der Medien und konzentrierten Mailaktionen gelungen, ein neues Feld aufzutun, um Kuba angeblicher Verletzung von Menschenrechten anzuklagen: Eine kleine Gruppe von Leuten, die sich Künstler nennen und als "San-Isidro-Gruppe" bekannt geworden ist, möchten sich als Opfer von Polizeiwillkür darstellen. "Nun haben sie in Cuba junge Leute in Lohn und Brot gesetzt, um einen regelrechten Kulturkrieg zu entfachen", so das Netzwerk dazu.

Das hat den rechten Kräften im EU-Parlament neue Möglichkeiten gegeben, den Abbruch des Dialogs zwischen Brüssel und Havanna zu fordern "wegen der Existenz politischer Gefangener und willkürlicher Verhaftungen". Im Juni 2021 brachten Abgeordnete von ultrarechten Parteien, die sich zum Teil offen zu faschistischen Positionen bekennen, eine Resolution ein, nach der Kuba die Existenz politischer Gefangene, willkürliche Verhaftungen, die Versklavung der medizinischen Brigaden im Ausland vorgeworfen werden. Da nutzte es auch nichts, dass der Hohe Vertreter für Auswärtige Angelegenheiten und Sicherheitspolitik der europäischen Union, Josep Borrell, die Kritik und den Angriff auf die Dialogpolitik zurückwies: 85 % der Abgeordneten hätten für das neue Abkommen gestimmt und im Moment würde untersucht, ob es Möglichkeiten gibt, die Produktion von Impfstoffen gegen Covid 19 zu erhöhen auf der Grundlage wissenschaftlicher Fortschritte, die in Kuba gemacht wurden. Das EU-Parlament beschloss dann am 10. Juni den "Entschließungsantrag zu den Menschenrechten und der politischen Lage in Kuba". Da fand es in der Presse kaum noch Beachtung, dass am 23. Juni 2021 in der UN-Vollversammlung alle außer zwei Länder für ein Ende der Blockade gegen Kuba votierten.

USA versuchen Regimechange zu inszenieren – EU sekundiert

Am 11. Juli fanden dann im ganzen Land, teilweise aus dem Ausland organisiert, über die sozialen Medien und von CIA-kontrollierten Kommunikationsplattformen angestiftet, Aktionen und Märsche statt, die den Versuch eines sanften Staatsstreiches darstellten und die größte Herausforderung für die Revolution in jüngster Zeit war. Dabei kam es auch zu Gewalttaten und Gesetzesverstößen von seiten der Demonstranten und entsprechenden Verhaftungen. Ein Medienkrieg entbrannte. In zahlreichen Medien erschienen Falschmeldungen zu Festgenommen oder vermeintlich "Verschwundenen". (Cuba Libre berichtete). Wieder wurde im Europaparlament ein ideologisch aufgeladener Schlagabtausch inszeniert, bei dem sich die Antragsteller ausschließlich auf Äußerungen und Quellen aus den USA bezogen. Die rechten Antragsteller setzten am 16. September eine Entschließung durch, die die "Gewalt und Repression nach den Protesten vom 11. Juli" mit 426 Ja-Stimmen bei 146 Gegenstimmen und 115 Enthaltungen verurteilten.

Schon zuvor war es 16 konservativen Abgeordneten gelungen, den EU-Außenbeauftragte Josep Borrell dazu zu bewegen, den Botschafter der EU in Kuba, Alberto Navarro, wegen seiner Verurteilung der Sanktionen gegen Kuba und seiner Weigerung, Kuba als Diktatur zu bezeichnen, einzubestellen. Mitte Juli gab der seinen Posten auf und die portugiesische Diplomatin Isabel Brilhante Pedrosa, die im Februar aufgrund der von der EU verhängten Sanktionen aus Venezuela ausgewiesen wurde, wurde seine Nachfolgerin in Havanna.

Am 15. November, als Kuba erstmals seit Beginn der Corona-Maßnahmen die Öffnung für den Tourismus und die Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts bekanntgab, gab es erneut Ankündigungen der Kubagegner, eine Destabilisierung Kubas zu organisieren. Das scheiterte gründlich. Und löste in den deutschen Medien eine Debatte aus mit dem Tenor, nicht jede oppositionelle Bewegung sei als US-amerikanische Konterrevolution zu brandmarken. Die TAZ war gar der Auffassung, dass die kubanischen "Staatsmedien" "eine beispiellose Propaganda-, Diffamierungs- und Repressionskampagne gegen friedliche Demonstranten initiiert hätten". Und die Unterstützung "im Kreise der linken und Menschenrechtsszene" sei nichts weiter, als der primitive Antiimperialismus einer offenbar unbelehrbaren Linken, die lieber eine der letzten Stasi-Diktaturen unterstützt, als ihre Projektion vom aufrechten kubanischen David aufzugeben, der sich gegen den schrecklichen Goliath in Washington zur Wehr setzt."

Bewegungslinke kapert Kubadiskussion im Parteivorstand der Linkspartei

Und wie verhielt sich die Partei Die Linke? Bereits am 23. Januar 2021, nach den ersten Meldungen über die San-Isidro-Proteste, fasste der Parteivorstand einen Beschluss, dem eine heftige Debatte vorangegangen war und der eine heftige Auseinandersetzung nach sich zog. In dem Beschluss hieß es: "Wir treten ein für eine Fortsetzung des Dialogs in Kuba mit kritischen Künstlerinnen und Künstlern sowie Aktivistinnen und Aktivisten zur Demokratisierung der kubanischen Gesellschaft." Den neu gewählten Parteivorstand, in den viele junge sogenannte Bewegungslinke gewählt worden waren und viele vom linken Flügel nicht mehr, hatte die Debatte um Menschenrechte und Diktatur in Kuba erreicht. Die Unruhe, dass die Partei ihre Solidarität mit Kuba aufgibt, musste durch einen neuen Beschluss, in dem es hieß, dass in dem vorherigen nicht die San-Isidro-Bewegung gemeint sei, besänftigt werden. Das gelang nicht, denn es war kein Zurücknehmen, sondern ein Interpretationsversuch, der sofort die Frage aufwarf, wen und was denn der Parteivorstand unterstützen will und was er denn von der nicht gemeinten San-Isidro-Bewegung hält? Der Ältestenrat mutmaßte: Es könnte auch als ein Einverständnis und ein Zugeständnis für eine angestrebte Identitätsveränderung als linke sozialistische Partei verstanden werden.

Kuba erneut im Fokus des EU-Parlaments

Und die Abgeordneten im Europäischen Parlament? Hier setzte der rechte Flügel und Rechtsextreme zum dritten Mal am 16. Dezember 2021 eine Debatte über die Situation in Kuba durch. Und sechs Abgeordnete der Fraktion The Left, mit 39 Abgeordneten die kleinste Fraktion, stimmten zu, dass die kubanische Regierung wegen des Verbots von Demonstrationen, willkürlichen Verhaftungen, Folter und Misshandlungen zu verurteilen sei. Aber kein Deutscher der linken Fraktion stimmte dafür. Seit 2019 haben Schirdewan, Scholz, Ernst (Cornelia), Demirel und Michels ein Abgeordnetenmandat. Die ersten vier nahmen an der Abstimmung teil und stimmten gegen die eingebrachten Anträge, aber zwei der Abgeordneten nicht bei allen 18 Abschnitten. Helmut Scholz stimmte dem § 7 zu, der besagte, den Sonderberichterstattern der Vereinten Nationen umgehend Zugang zum Land zu gewährleisten. Bei § 10, in dem Kuba aufgefordert wurde, sich auf einen demokratischen nationalen Prozess einzulassen und der kubanischen Bevölkerung Gehör zu verschaffen, hat er sich enthalten. Ebenso wie Cornelia Ernst, die sich auch bei § 7 enthielt und ebenso bei § 2 (anderer Umgang mit Sacharow-Preisträgern) und bei § 4 (faire Verfahren und Unabhängigkeit der Justiz).

Hier zeigt sich die Entfremdung beider gegenüber Kuba.

Was bedeutet das für die Politik der Linken im Europaparlament? Zum einen halte ich es für notwendig, dass sich die Partei DIE LINKE vom Applaus derjenigen distanziert, die das Verbrennen von Fahrzeugen, den Angriff auf Geschäfte und Gesundheitszentren und Straßensabotage, Beleidigungen und Hass als gerechtfertigten Kampf gegen eine "kommunistische Diktatur" verstehen. Die Verhinderung und die juristische Ahndung von Straftaten dürfen nicht zur Anklage wegen Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden. Davon müssten auch die anderen Mitglieder von The Left überzeugt werden. Es könnte dann sogar fraktionsübergreifend darüber ein Konsens erzielt werden und somit das Anliegen, mit anderen Parteien um Kompromisse zu ringen und Partner bleiben zu wollen, sogar auch einmal sinnvoll sein.

Zum anderen darf es den konservativen Kräften nicht gelingen, das Europa-Abkommen mit Kuba auf europäischer Ebene auf Eis zu legen. Es wird sich bei seiner Durchführung zeigen, bei wie vielen Themen Kuba nicht nur Zukunftskonzepte hat, sondern als Wissensgesellschaft und kollektive Gestaltungsmacht auch über einen reichhaltigen Erfahrungsschatz verfügt.

Noch viel wichtiger ist es für die Partei DIE LINKE, die wieder einmal darüber diskutiert, was eine sozialistische Gesellschaft ist, ob und wie man sie errichten kann und was das mit Marx zu tun hat, vorurteilslos die kubanische Gesellschaft wahrzunehmen.

"Das Beste, was wir haben, ist die Volksmacht", sagte mir bei einer Delegationsreise ein Gewerkschaftsführer. Bei den Parlamentariern in Kuba bestimmen keine Parteien, wer das Land wie führen darf, sondern sie werden als Personen gewählt, die jederzeit auch wieder abgewählt werden können – durchaus eine Art Rätesystem.

Für die Strategiedebatte kann sich die Partei DIE LINKE durchaus die Worte von Diaz-Canel zum Vorbild nehmen: "Das Jahr 2021 war eine große Schule für all das, was wir nicht mehr weiter tun können und sollten, und für das, was wir alles tun können und müssen."

CUBA LIBRE Brigitte Schiffler

CUBA LIBRE 2-2022