Symbole eines Neuanfangs

Neue Regierung in Chile: Gabriel Boric setzt positive Zeichen, will sich aber auf Kosten Kubas profilieren.

Es ist ein Schritt, der vor allem aufgrund seiner Symbolik wichtig ist: Chiles neue Verteidigungsministerin ist Maya Fernández. Die 1971 in Santiago de Chile geborene Biologin und Tierärztin gehört der Sozialistischen Partei an, für die sie seit 2018 im Parlament sitzt. Und sie ist die Enkelin des am 11. September 1973 durch einen Militärputsch gestürzten und ermordeten Präsidenten Salvador Allende. Ihre Eltern waren Beatriz Allende Bussi, die als engste Beraterin ihres Vaters galt und während des Putsches bis zum letzten Tag bei ihm im Präsidentenpalast war, und der kubanische Diplomat Luis Fernández de Oña. Beide waren nach dem Staatsstreich nach Kuba geflohen, wo auch Maya Fernández aufwuchs. Erst 1990, im Alter von 19 Jahren, konnte sie nach Chile zurückkehren, wo sie seit 1992 wieder lebt.

Mit ihrer Ernennung hat Chiles neuer, erst 36 Jahre alter Präsident Gabriel Boric ein Zeichen gesetzt. Nicht nur, weil Maya Fernández nun für die Armee zuständig ist, die ihren Großvater ermordete. Auch andere Posten im Kabinett machen deutlich, dass mit Boric eine andere Kultur in den Präsidentenpalast La Moneda einziehen soll als unter seinem rechtskonservativen Vorgänger Sebastián Piñera. 14 der 24 Kabinettsmitglieder sind Frauen – Boric hatte im Wahlkampf eine "feministische Regierung" angekündigt. So steht mit der 35jährigen parteilosen Ärztin Iskia Siches, die während ihres Studiums der Kommunistischen Jugend angehört hatte, zum ersten Mal eine Frau an der Spitze des Innenministeriums. Als Präsidentin der chilenischen Ärztevereinigung wurde sie während der Coronavirus-Pandemie zu einer wichtigen Gegnerin Piñeras – schon als es in Chile erst 156 Ansteckungsfälle gab, forderte sie drastische Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung, während der Staatschef mit Rücksicht auf die Interessen der Wirtschaft zögerte.

Drei Mitglieder der Kommunistischen Partei Chiles gehören dem Kabinett ebenfalls an. Unter ihnen ist Camila Vallejo, die 2011 gemeinsam mit Boric als Anführerin der Studierendenproteste auch international bekannt wurde und seit 2014 für ihre Partei im Parlament sitzt. Sie wird als Ministerin für das Generalsekretariat der Regierung künftig als Sprecherin des Kabinetts eine wichtige Rolle in der Öffentlichkeit übernehmen. Neue Arbeitsministerin wird die Juristin Jeannette Jara, das Ressort für "Wissenschaft, Technologie, Wissen und Innovation" übernimmt der Biologe Flavio Salazar.

Doch so klar, wie solche Ernennungen interpretiert werden können, ist die Linie des neuen chilenischen Präsidenten nicht. Der neue Finanzminister etwa, Mario Marcel, war bisher Chef der chilenischen Zentralbank, gehörte schon mehreren Kabinetten an und stellte sich wiederholt gegen Forderungen der Linken, Geldmittel zur Unterstützung der ärmeren Bevölkerungsschichten freizugeben. Seine Nominierung wird in den chilenischen Medien denn auch als beruhigende Geste an das Kapital bewertet, mit dem es sich Boric wohl nicht verscherzen will.

Entsprechend vorsichtig bewertet auch Pedro Jorge Velázquez am 25. Januar in der kubanischen Tageszeitung "Granma" die Erwartungen an die neue Regierung. Es sei zweifellos ein wichtiger Sieg gewesen, dass Boric bei der Stichwahl am 19. Dezember den ultrarechten Pinochet-Anhänger José Kast schlagen konnte, doch: "Die Linke in Lateinamerika hat viele Gesichter und viele Stimmen gehabt, nicht immer antiimperialistisch, nicht immer antikolonialistisch, nicht immer emanzipatorisch. Es wäre nicht das erste Mal, dass wir eine ‚Linke‘ erleben, die den Status quo nicht revolutioniert, die die Kontrolle der Arbeiter über die Produktionsmittel nicht stärkt, die die durch den Kapitalismus in dieser Region verursachte Bürde vergisst, die die enormen Ungleichheiten nicht ausgleicht, die es gibt, und die am Ende zum Nachteil der öffentlichen Politik und der kontinentalen Einheit, mit der Bourgeoisie paktiert, wenn diese ihr die Schlinge um den Hals legt."

Wahlkampfkundgebung mit Gabriel Boric
Wahlkampfkundgebung mit Gabriel Boric
Foto: Mediabanco Agencia / flickr.com / CC BY 2.0


Tatsächlich hat Boric schon wiederholt versucht, sich auf Kosten linker Regierungen in der Region zu profilieren. Während er sich positiv zum Beispiel auf Boliviens Präsidenten Lucho Arche oder auf Brasiliens ehemaligen und vielleicht künftigen Staatschef Lula da Silva bezieht, übte er schon im Wahlkampf und auch danach scharfe Kritik insbesondere an Kuba, Venezuela und Nicaragua. Als es im Juli 2021 in Havanna zu Protesten gegen die Regierung kam, nahm Boric diese zum Anlass, Kuba "nicht hinnehmbare" Menschenrechtsverletzungen vorzuwerfen und sich mit den Demonstranten zu solidarisieren. Zugleich kritisierte er die chilenische KP, die in dieser Situation ihre Solidarität mit Kuba bekräftigt hatte. Das sei ein "Fehler", sagte Boric in einer Fernsehdebatte, an der auch der Kommunist Daniel Jadue teilnahm. Dieser wies darauf hin, dass die Demonstrationen in Kuba besser geschützt würden als in Chile. "Ich habe bis heute nichts von einem zerstörten Auge in Kuba gehört, keine Verfolgung, keine Ermordung", verglich er die Situation auf der Insel mit der brutalen Unterdrückung der Opposition in seinem eigenen Land. "Ich verurteile Menschenrechtsverletzungen in Kuba und an jedem Ort, aber mich stört der doppelte Maßstab. In unserem Land ereignen sich täglich Menschenrechtsverletzungen, aber einige Journalisten interessiert nur, was in Kuba und im Rest der Welt passiert."

Auch Ecuadors früherer Präsident Rafael Correa zählte Boric bereits an. Nachdem dieser am 21. Januar 2022 in einem Interview mit der britischen BBC erklärt hatte, dass Venezuela eine "gescheiterte Erfahrung" sei, was man schon daran sehen könne, dass sechs Millionen Venezolaner "in der Diaspora leben", also das Land verlassen hätten, schickte Correa über Twitter eine Nachricht an "Gabriel": "Hast du die verbrecherische Blockade Venezuelas vergessen? Sie verhindern, dass Venezuela sein Erdöl verkaufen kann! Wie viele Chilenen wären in der ‚Diaspora‘, wenn man Chile verweigern würde, das Kupfer zu verkaufen? Das ist, als wenn man über einen gefesselten Ertrunkenen sagt, dass er gestorben sei, weil er nicht schwimmen konnte."

Gabriel Boric tritt sein Amt am 11. März offiziell an. Dann wird es mit Symbolik nicht mehr getan sein.

CUBA LIBRE André Scheer

CUBA LIBRE 2-2022