![]() Foto: radioangulo.cu |
Leere Bodegas, die Stände mit Gemüse
sowie Malanga und Yucca
inflationär, die Apotheken in Erwartung
der Lieferung von Medikamenten,
Krankenhäuser und
Polikliniken mit Mangel an Personal
und materiellen Ressourcen,
der öffentliche Nahverkehr mit
Schwindsucht. Der muss durch
private Transportmöglichkeiten
ergänzt werden, deren Eigentümer
die Preisgestaltung übernehmen,
obwohl es eigentlich festgelegte
Höchstpreise gibt. Hinzu
kommen dann noch die Stromabschaltungen,
weil es nicht genug
Treibstoff gibt oder Kraftwerke
gewartet werden müssen - da
muss der Einzelne schon aufpassen,
dass der Stress ihn nicht die
guten Umgangsformen des Zusammenlebens
vergessen lässt.
Der Alltag muss weiter funktionieren,
die Betriebe, die Schulen,
die Produktion und alles was
unser Defizit an Devisen kleiner
werden lässt und Importe ersetzt.
80% der Bevölkerung kennt nichts
anderes, hat immer unter den Bedingungen
des nicht erklärten
Krieges der USA gegen Kuba gelebt
und ein solcher Dauerkrieg
geht an niemandem spurlos vorbei
und führt zu Verhärtungen, wenn
man nicht aufpasst.
Solidarität hilft
Aber nur wenn wir anderen die
Hand reichen und das Bisschen,
was wir haben, teilen, ohne etwas
dafür zu erwarten, gibt uns
das nicht nur ein besseres Gefühl,
sondern hilft uns auch zusammen
mit Gleichgesinnten, von denen
es zum Glück noch genügend gibt,
auch diese Zeit zu überstehen.
Aber man spürt ihn schon, den
Verlust von Werten. Man merkt,
dass rechtschaffene Arbeit an Ansehen
verloren hat und damit auch
oft die Leute, die sich den ganzen
Monat abrackern für einen Lohn,
der nicht mehr zum Leben reicht.
Heute käme keiner mehr auf die
Idee, sein Handy im Bus rauszunehmen.
Früher fühlte man sich
überall sicher. Heute hat sich dieses
Gefühl im Alltag geändert und
das führt dazu, dass die Menschen
ihr Verhalten ändern.
Leben ist schwerer geworden - auch für die Jugend
Die Älteren erinnern sich mit
Wehmut an ihre Jugend in einem
Land, in dem alles in Bewegung
war: Abends ging man in Konzerte,
ins Kino, man kaufte sich was
zu essen und zu trinken und setzte
sich in den Park, lachte und
sang. Heute kann man zwar immer
noch ins Kino und ins Theater
gehen. Das kann jeder bezahlen.
Das Problem besteht vielmehr
darin, zu den Orten des Geschehens
hin- und wieder wegzukommen.
Und sich irgendwo hinzusetzen
und etwas zu trinken,
dafür reicht das Geld schon nicht
mehr. Die Parks, die früher abends
von Jugendlichen überquollen,
sind heute leer. Und die Älteren sehen
mit Bedauern, dass die unbeschwerte
Jugend, die sie einst genossen,
den jungen Leute heute
nicht mehr vergönnt ist.
Maria Antonia, ein Mädchen aus
bescheidenen Verhältnissen, Vater
Arbeiter, Mutter Grundschullehrerin,
erinnert sich, dass es immer
von allem genug zu essen gab.
Als sie mit ihrer Klasse in Batanabo
auf dem Land morgens Feldarbeit
verrichtete und nachmittags Schulstunden
hatte, brachte ihr Vater ihr
am Wochenende derart viele Lebensmittel
vorbei, dass es unmöglich
war, sie alle aufzuessen und die
Lehrer monierten, dass viel zu viel
weggeschmissen würde. Während
viele Kinder die Zeit mit
den Klassenkameraden
weg von den Eltern genossen,
wollte Maria Antonia
doch lieber wieder vorzeitig
zurück, was auch ohne
Probleme möglich war. In
der weiterführenden Schule
bekam sie jeden Tag einen
Peso, damit sie in der
Schule zu Mittag essen
konnte. Das Essen selbst
kostete aber nur 5o Centavos.
Wenn man jeden Tag
50 Centavos sparte, hatte
man nach zwei Wochen
5 Pesos. Mit dem Geld gingen
die Schüler dann im
Habana Libre fein essen.
Überhaupt konnte es sich
die Familie leisten, jeden
Sonntag ins Restaurant zu
gehen. Es gab damals viele Clubs
für die Jugendlichen. Dort traf
man sich, hörte Musik und schlürfte
Cocktails. Kein Eintritt und alles
zu Preisen, die für jeden erschwinglich
waren. Im Sommer fuhr man
zu den schönen Sandstränden von
Habana del Este. Obwohl die Entfernung
von Havanna Stadt aus relativ
groß ist, war auch hier die Finanzierung
kein Problem. Die Familie
konnte sich auch jedes Jahr
drei, vier Tage in einem Strandhotel
leisten. Als die Zeit kam, dass sie einen
Freund hatte, ging sie mit ihm
aus, auch in Discos, ins Kino, in Restaurants.
Damals war es aber noch
ganz klar, dass der junge Mann für
seine Freundin bezahlte. Da war
man als Mädchen noch fein raus.
Wenn sie sieht, wie die Jugend ihres
Sohnes aussieht, tut er ihr leid.
Um die Sandstrände in Habana del
Este zu besuchen, fehlt das Geld für
die Busfahrt. Ein Hotel hat er noch
nie von innen gesehen. Im Sommer
geht man jetzt an die Strände in der
Nähe, die steinig und nicht so attraktiv
sind, aber man macht das
Beste draus. Manchmal gibt es dort
auch Konzerte. Ins Kino kann er
zwar gehen, weil man das zu Fuß erreichen
kann. Das gilt auch für das
Theater. Das gemütliche Beisammensein
im Anschluss ist aber für
viele nicht mehr finanzierbar und
so verliert auch der Besuch von Kulturveranstaltungen
oft an Attraktivität
und es besteht die Gefahr, dass
sich eine Lethargie breit macht.
Maria Antonia versteht, dass
viele Jugendliche ein besseres Leben
wollen und auswandern wollen.
Das Leben könne doch nicht
nur aus Arbeit und Kampf bestehen.
Sie hat die Hoffnung aber
nicht aufgegeben, dass alles irgendwie
wieder so wird wie früher.
Ihr Sohn jedenfalls ist eher von der
lethargischen Sorte. Er macht seine
zwei Jobs und hat ansonsten
sehr zum Leidwesen seiner Mutter
keine großen Ansprüche mehr.
Aber es gibt glücklicherweise
auch die anderen, die wirklich
energiegeladenen mit neuen Ideen,
bei staatlichen Betrieben aber
auch bei den Mipymes, den KMU..
Der subjektive Faktor
Ein großes Problem Kubas ist, dass
es nicht genug landwirtschaftliche
Produkte produziert. Kubas unermüdlich
arbeitender Präsident
Díaz-Canel ist dann auch manchmal
fassungslos, wenn er bei seinen
Besuchen in den Provinzen
sieht, dass eine Genossenschaft
wunderbar
funktioniert, immer neue
Ideen entwickelt, wie man
die Ernteerträge trotz aller
Hindernisse steigern
kann und sich sogar Zugang
zu Devisen erarbeitet,
die Arbeiter dort gut
bezahlen kann, die dann
auch entsprechend motiviert
sind, während eine
Genossenschaft in der
unmittelbaren Nachbarschaft
vor sich hin vegetiert,
wenig produziert
und lustlose Arbeiter mit
entsprechend mickrigem
Gehalt hat. Es hängt wohl
ganz offensichtlich daran,
wer eine solche Kooperative
leitet. Man muss also die entsprechenden
Leute finden. Wenn
das gelingt, kann sich innerhalb eines
halben Jahres ein Betrieb, der
immer rote Zahlen aufgewiesen
hat, zu einem gewinnbringenden
Unternehmen mit zufriedenen Arbeitern
entwickeln.
Was die Mipymes angeht, so läuft
meiner Meinung nach nicht alles
rund. Sie müssen ja alle genehmigt
werden, aber ich frage mich, was
es uns bringt, wenn wirklich an jeder
Ecke solche Kleinstunternehmen
zu finden sind, die alle mehr
oder weniger das Gleiche verkaufen:
Dosenbier, Limos und das eine
oder andere, was sie gerade auftun
konnten. Zum Teil haben diese
Leute wirklich in Umbauten
investiert, um dann Theken und
Sitzgelegenheiten zu installieren
und hoffen, dass sich die Leute in
dem mehr oder eher weniger angenehmen
Ambiente niederlassen,
um etwas zu sich zu nehmen. Das
Ganze oft noch mit einer Beschallung,
dass das ganze Barrio was davon
hat. Die Investition können sie
dann sicher noch von der Steuer
absetzen. Zwar hat man die einjährige
Steuerfreiheit für neue Mipymes
inzwischen abgeschafft, aber
es wäre sicher besser, man würde
nur noch solche genehmigen,
die dem Land wirklich etwas bringen,
neue Ideen einbringen und die
staatliche Industrie ergänzen.
![]() Dies ist ein sehr kubanischer Ausdruck, dessen Ursprung sich darauf bezieht, den Bus zu nehmen, sobald er an der Haltestelle hält. Es bedeutet aber auch, dass man agil sein und nicht auf den "nächsten Bus" warten muss, denn: Jetzt oder nie! Foto: Roberto Suárez / Juventud Rebelde |
Einheit ist unabdingbar
Das Schlimmste nämlich, was
Kuba passieren könnte, wäre, wenn
die Einheit des Volkes verloren gehen
würde. Dessen ist man sich bewusst
und man arbeitet auch daran,
diese zu stärken. Aber das ist
einfacher gesagt als getan. Bei allem,
was der Durchschnittskubaner
in seinem Alltag bewältigen
muss, gibt es eine Sache, die ihn
wirklich frustriert und die man immer
aus den Gesprächen heraushört
- die wachsende Ungleichheit.
Die sozialistische Gesellschaft, in
der es keine großen Unterschiede
gibt, was den Besitz angeht, ist der
Mehrheit in Kuba immer eine Herzensangelegenheit
gewesen. Selbst
bei der Diskussion um die neue
Verfassung setzte sich das Volk mit
Vehemenz gegen Vorschläge zur
Wehr, den Passus nach dem Streben
nach einer kommunistischen
Gesellschaft zu streichen. Es stimme
zwar, so hieß es, dass man erstmal
mit dem Erreichen einer sozialistischen
Gesellschaft genug zu
tun habe, aber man dürfe doch das
Ideal nicht aus den Augen verlieren.
Zu sehen, dass man sich von diesem
Ideal weiter entfernt, macht den
Menschen schon zu schaffen, auch
wenn sie erkennen, wie schwierig
die Lage ist und wie die Regierung
sich abmüht, Lösungen zu finden.
Aber die teuren, modernen Autos
im Straßenbild - und nicht die mit
dem Nummernschild für hier arbeitende
Ausländer - lassen schon
die Frage aufkommen, woher in
aller Welt das ganze Geld dafür
kommt. Ich bin mir sicher, die Regierung
stellt sich diese Frage auch.
Wie versucht man nun diese Einheit zu stärken?
Am auffälligsten ist, dass man die
Bevölkerung bei allen Entscheidungen
mit einbezieht. Es stehen
den Kubanern diverse Möglichkeiten
zu Verfügung, ihre Beschwerden
und Vorschläge einzubringen
und man hat den Eindruck, dass
die Seite, die der kubanische Präsident
in den Zeitungen Juventud
Rebelde und Granma am gründlichsten
studiert, die mit den Anliegen
der Bevölkerung ist. Einmal
im Monat kommt jetzt im Fernsehen
die Sendung "Aus der Präsidentschaft".
Dort lädt der Präsident
immer jemanden ein, der
für die Probleme zuständig ist, die
dem Volk am meisten zu schaffen
machen. Das vorletzte Mal war es
der Minister für Transport, das
letzte Mal der für das Wasser zuständige
Antonio Rodríguez Rodríguez.
Die Sendungen beginnen
jeweils damit, dass ihnen der Präsident
vorliest, über was sich die
Bevölkerung beklagt und der Gast
tut gut daran, umfassend über alles
informiert zu sein. Díaz-Canel
sagte ihm gleich, dass von den im
ersten Vierteljahr über siebentausend
eingeholten Meinungen nur
zehn Prozent sich positiv über die
Arbeit des Instituts für Hydraulische
Ressourcen und Wasserversorgung
geäußert hätten. Es würde
an dieser Stelle zu weit führen,
ins Detail zu gehen. Aber es wurde
deutlich, dass das Problem der undichten
Trinkwasser- und Abwasserleitungen
so schnell nicht gelöst
werden kann. Es bestehe zwar ein
Plan dies bis 2030 zu schaffen, aber
alles hängt eben von der Finanzierung
ab und da sind wir wieder bei
der Blockade. Allerdings sind bei
der Wasserversorgung der Bevölkerung
große Fortschritte erzielt
worden. Dieses Institut ist die Einrichtung
mit dem höchsten Energieverbrauch.
Dadurch, dass teils
durch Spenden, teils durch eigene
Finanzierung neue Wasserpumpen
erworben wurden, deren Motoren
durch Solarenergie betrieben
werden, konnte man schon
viele Menschen an das Leitungssystem
anschließen ,die bis dahin
anderweitig versorgt werden
mussten.
Im Widerstand wachsen
Auch das Prinzip, bei dem die wichtigsten
Führer der Revolution jeden
Monat alle Provinzen des Landes
und jeweils eine andere Gemeinde
besuchen, trägt zur Festigung
der Einheit bei. Dabei gelingt
es vielleicht irgendwann auch einmal,
dass alle von den guten Arbeitskollektiven
inspiriert, trotz
Blockade, deren Effizienz erreichen
und das jenes, was bis jetzt die Ausnahme
ist, zur Regel wird. Dies gehört
zum Konzept des kreativen
Widerstands - nicht nur Widerstand
zu leisten, um zu überleben,
sondern dabei auch noch zu wachsen.
![]() Foto: UJC |
Als drittes müssen die gesamten
Maßnahmen umgesetzt werden,
die die nationale Wirtschaft stabilisieren
und anzukurbeln; Maßnahmen,
die aber nichts mit Neoliberalismus
zu tun haben, wie seitens
der USA verkündet wird.
Eine vierte wichtige Priorität
geht dahin, zusammen mit der
Bevölkerung die negativen Tendenzen
herauszufinden, die sich
in diesen Zeiten der Wirtschaftskrise
ausgebreitet haben und sie zu
überwinden. Dies ist ein Prozess,
der mit Parteimitgliedern begonnen
wurde, und auf Gemeindeebene
und in allen Arbeiterkollektiven
fortgesetzt wird.
Dass alles wieder wie früher
wird, dass Kuba wieder ein Land,
wird, in dem die formale Arbeit den
Stellenwert einnimmt, der ihr zukommt
und jeder der arbeitet, ohne
Probleme von seinem Gehalt leben
kann und das sozialistische Ideal
einer Gesellschaft mit möglichst
wenig Ungleichheit oberstes Ziel
bleibt, das ist der Wunsch vieler..
Natürlich ist das "wie früher"
nicht wörtlich gemeint. Die kubanische
Gesellschaft hat sich natürlich
geändert und entwickelt, nichts
bleibt so wie es war. Wir haben eine
neue Verfassung und ein neues Familiengesetz.
Aber das, worauf es
ankommt, muss erhalten bleiben.
Und auch das muss jeden Tag neu
erkämpft werden. Den Kubanern
graut schon jetzt vor den Wahlen in
den USA, wenn Trump möglicherweise
wieder Präsident wird. Nicht
dass Biden etwas getan hätte, das
uns das Leben leichter macht. Aber
er hat zumindest nicht jede freie
Minute damit zugebracht, um zu
überlegen, was man noch tun könnte,
um dieses störrische Volk endlich
zum Regime Change zu bewegen.
Bei Trump - möglicherweise
mit noch einem kubano-amerikanischen
Vize - wird das dessen einziges
Streben und Trachten sein.
Deshalb brauchen wir auch eine
starke Solidaritätsbewegung. Die
große Zahl wirklich junger Menschen
aus allen Teilen der Welt
beim diesjährigen Internationalen
Solidaritätskongress in Havanna
am zweiten Mai macht zuversichtlich.
Es wird auch in kubanischen
Medien und auf oberster Regierungsebene
deutlich, wie sehr
man das schätzt, was die Solidaritätsbewegungen
tun und wie dankbar
man ihnen ist.