Im Widerstand wachsen

Wenn wir das Bisschen, was wir haben, teilen, können wir auch diese Zeit überstehen.
Von Renate Fausten

Im Laufe der Geschichte Kubas war die Jugend stets die Protagonistin der wichtigsten gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Prozesse und spielte eine wichtige Rolle für den nationalen Zusammenhalt und die Verteidigung der Werte der Souveränität und der sozialen Gerechtigkeit.
Foto: radioangulo.cu

Leere Bodegas, die Stände mit Gemüse sowie Malanga und Yucca inflationär, die Apotheken in Erwartung der Lieferung von Medikamenten, Krankenhäuser und Polikliniken mit Mangel an Personal und materiellen Ressourcen, der öffentliche Nahverkehr mit Schwindsucht. Der muss durch private Transportmöglichkeiten ergänzt werden, deren Eigentümer die Preisgestaltung übernehmen, obwohl es eigentlich festgelegte Höchstpreise gibt. Hinzu kommen dann noch die Stromabschaltungen, weil es nicht genug Treibstoff gibt oder Kraftwerke gewartet werden müssen - da muss der Einzelne schon aufpassen, dass der Stress ihn nicht die guten Umgangsformen des Zusammenlebens vergessen lässt. Der Alltag muss weiter funktionieren, die Betriebe, die Schulen, die Produktion und alles was unser Defizit an Devisen kleiner werden lässt und Importe ersetzt. 80% der Bevölkerung kennt nichts anderes, hat immer unter den Bedingungen des nicht erklärten Krieges der USA gegen Kuba gelebt und ein solcher Dauerkrieg geht an niemandem spurlos vorbei und führt zu Verhärtungen, wenn man nicht aufpasst.

Solidarität hilft
Aber nur wenn wir anderen die Hand reichen und das Bisschen, was wir haben, teilen, ohne etwas dafür zu erwarten, gibt uns das nicht nur ein besseres Gefühl, sondern hilft uns auch zusammen mit Gleichgesinnten, von denen es zum Glück noch genügend gibt, auch diese Zeit zu überstehen.
Aber man spürt ihn schon, den Verlust von Werten. Man merkt, dass rechtschaffene Arbeit an Ansehen verloren hat und damit auch oft die Leute, die sich den ganzen Monat abrackern für einen Lohn, der nicht mehr zum Leben reicht.
Heute käme keiner mehr auf die Idee, sein Handy im Bus rauszunehmen. Früher fühlte man sich überall sicher. Heute hat sich dieses Gefühl im Alltag geändert und das führt dazu, dass die Menschen ihr Verhalten ändern.

Leben ist schwerer geworden - auch für die Jugend
Die Älteren erinnern sich mit Wehmut an ihre Jugend in einem Land, in dem alles in Bewegung war: Abends ging man in Konzerte, ins Kino, man kaufte sich was zu essen und zu trinken und setzte sich in den Park, lachte und sang. Heute kann man zwar immer noch ins Kino und ins Theater gehen. Das kann jeder bezahlen. Das Problem besteht vielmehr darin, zu den Orten des Geschehens hin- und wieder wegzukommen. Und sich irgendwo hinzusetzen und etwas zu trinken, dafür reicht das Geld schon nicht mehr. Die Parks, die früher abends von Jugendlichen überquollen, sind heute leer. Und die Älteren sehen mit Bedauern, dass die unbeschwerte Jugend, die sie einst genossen, den jungen Leute heute nicht mehr vergönnt ist.
Maria Antonia, ein Mädchen aus bescheidenen Verhältnissen, Vater Arbeiter, Mutter Grundschullehrerin, erinnert sich, dass es immer von allem genug zu essen gab. Als sie mit ihrer Klasse in Batanabo auf dem Land morgens Feldarbeit verrichtete und nachmittags Schulstunden hatte, brachte ihr Vater ihr am Wochenende derart viele Lebensmittel vorbei, dass es unmöglich war, sie alle aufzuessen und die Lehrer monierten, dass viel zu viel weggeschmissen würde. Während viele Kinder die Zeit mit den Klassenkameraden weg von den Eltern genossen, wollte Maria Antonia doch lieber wieder vorzeitig zurück, was auch ohne Probleme möglich war. In der weiterführenden Schule bekam sie jeden Tag einen Peso, damit sie in der Schule zu Mittag essen konnte. Das Essen selbst kostete aber nur 5o Centavos. Wenn man jeden Tag 50 Centavos sparte, hatte man nach zwei Wochen 5 Pesos. Mit dem Geld gingen die Schüler dann im Habana Libre fein essen. Überhaupt konnte es sich die Familie leisten, jeden Sonntag ins Restaurant zu gehen. Es gab damals viele Clubs für die Jugendlichen. Dort traf man sich, hörte Musik und schlürfte Cocktails. Kein Eintritt und alles zu Preisen, die für jeden erschwinglich waren. Im Sommer fuhr man zu den schönen Sandstränden von Habana del Este. Obwohl die Entfernung von Havanna Stadt aus relativ groß ist, war auch hier die Finanzierung kein Problem. Die Familie konnte sich auch jedes Jahr drei, vier Tage in einem Strandhotel leisten. Als die Zeit kam, dass sie einen Freund hatte, ging sie mit ihm aus, auch in Discos, ins Kino, in Restaurants. Damals war es aber noch ganz klar, dass der junge Mann für seine Freundin bezahlte. Da war man als Mädchen noch fein raus. Wenn sie sieht, wie die Jugend ihres Sohnes aussieht, tut er ihr leid. Um die Sandstrände in Habana del Este zu besuchen, fehlt das Geld für die Busfahrt. Ein Hotel hat er noch nie von innen gesehen. Im Sommer geht man jetzt an die Strände in der Nähe, die steinig und nicht so attraktiv sind, aber man macht das Beste draus. Manchmal gibt es dort auch Konzerte. Ins Kino kann er zwar gehen, weil man das zu Fuß erreichen kann. Das gilt auch für das Theater. Das gemütliche Beisammensein im Anschluss ist aber für viele nicht mehr finanzierbar und so verliert auch der Besuch von Kulturveranstaltungen oft an Attraktivität und es besteht die Gefahr, dass sich eine Lethargie breit macht.
Maria Antonia versteht, dass viele Jugendliche ein besseres Leben wollen und auswandern wollen. Das Leben könne doch nicht nur aus Arbeit und Kampf bestehen. Sie hat die Hoffnung aber nicht aufgegeben, dass alles irgendwie wieder so wird wie früher. Ihr Sohn jedenfalls ist eher von der lethargischen Sorte. Er macht seine zwei Jobs und hat ansonsten sehr zum Leidwesen seiner Mutter keine großen Ansprüche mehr.
Aber es gibt glücklicherweise auch die anderen, die wirklich energiegeladenen mit neuen Ideen, bei staatlichen Betrieben aber auch bei den Mipymes, den KMU..

Der subjektive Faktor
Ein großes Problem Kubas ist, dass es nicht genug landwirtschaftliche Produkte produziert. Kubas unermüdlich arbeitender Präsident Díaz-Canel ist dann auch manchmal fassungslos, wenn er bei seinen Besuchen in den Provinzen sieht, dass eine Genossenschaft wunderbar funktioniert, immer neue Ideen entwickelt, wie man die Ernteerträge trotz aller Hindernisse steigern kann und sich sogar Zugang zu Devisen erarbeitet, die Arbeiter dort gut bezahlen kann, die dann auch entsprechend motiviert sind, während eine Genossenschaft in der unmittelbaren Nachbarschaft vor sich hin vegetiert, wenig produziert und lustlose Arbeiter mit entsprechend mickrigem Gehalt hat. Es hängt wohl ganz offensichtlich daran, wer eine solche Kooperative leitet. Man muss also die entsprechenden Leute finden. Wenn das gelingt, kann sich innerhalb eines halben Jahres ein Betrieb, der immer rote Zahlen aufgewiesen hat, zu einem gewinnbringenden Unternehmen mit zufriedenen Arbeitern entwickeln.
Was die Mipymes angeht, so läuft meiner Meinung nach nicht alles rund. Sie müssen ja alle genehmigt werden, aber ich frage mich, was es uns bringt, wenn wirklich an jeder Ecke solche Kleinstunternehmen zu finden sind, die alle mehr oder weniger das Gleiche verkaufen: Dosenbier, Limos und das eine oder andere, was sie gerade auftun konnten. Zum Teil haben diese Leute wirklich in Umbauten investiert, um dann Theken und Sitzgelegenheiten zu installieren und hoffen, dass sich die Leute in dem mehr oder eher weniger angenehmen Ambiente niederlassen, um etwas zu sich zu nehmen. Das Ganze oft noch mit einer Beschallung, dass das ganze Barrio was davon hat. Die Investition können sie dann sicher noch von der Steuer absetzen. Zwar hat man die einjährige Steuerfreiheit für neue Mipymes inzwischen abgeschafft, aber es wäre sicher besser, man würde nur noch solche genehmigen, die dem Land wirklich etwas bringen, neue Ideen einbringen und die staatliche Industrie ergänzen.

Fahr, du bleibst!
Dies ist ein sehr kubanischer Ausdruck, dessen Ursprung sich darauf bezieht, den Bus zu nehmen, sobald er an der Haltestelle hält.
Es bedeutet aber auch, dass man agil sein und nicht auf den "nächsten Bus" warten muss, denn:
Jetzt oder nie!
Foto: Roberto Suárez / Juventud Rebelde


Einheit ist unabdingbar
Das Schlimmste nämlich, was Kuba passieren könnte, wäre, wenn die Einheit des Volkes verloren gehen würde. Dessen ist man sich bewusst und man arbeitet auch daran, diese zu stärken. Aber das ist einfacher gesagt als getan. Bei allem, was der Durchschnittskubaner in seinem Alltag bewältigen muss, gibt es eine Sache, die ihn wirklich frustriert und die man immer aus den Gesprächen heraushört - die wachsende Ungleichheit. Die sozialistische Gesellschaft, in der es keine großen Unterschiede gibt, was den Besitz angeht, ist der Mehrheit in Kuba immer eine Herzensangelegenheit gewesen. Selbst bei der Diskussion um die neue Verfassung setzte sich das Volk mit Vehemenz gegen Vorschläge zur Wehr, den Passus nach dem Streben nach einer kommunistischen Gesellschaft zu streichen. Es stimme zwar, so hieß es, dass man erstmal mit dem Erreichen einer sozialistischen Gesellschaft genug zu tun habe, aber man dürfe doch das Ideal nicht aus den Augen verlieren. Zu sehen, dass man sich von diesem Ideal weiter entfernt, macht den Menschen schon zu schaffen, auch wenn sie erkennen, wie schwierig die Lage ist und wie die Regierung sich abmüht, Lösungen zu finden. Aber die teuren, modernen Autos im Straßenbild - und nicht die mit dem Nummernschild für hier arbeitende Ausländer - lassen schon die Frage aufkommen, woher in aller Welt das ganze Geld dafür kommt. Ich bin mir sicher, die Regierung stellt sich diese Frage auch.

Wie versucht man nun diese Einheit zu stärken?
Am auffälligsten ist, dass man die Bevölkerung bei allen Entscheidungen mit einbezieht. Es stehen den Kubanern diverse Möglichkeiten zu Verfügung, ihre Beschwerden und Vorschläge einzubringen und man hat den Eindruck, dass die Seite, die der kubanische Präsident in den Zeitungen Juventud Rebelde und Granma am gründlichsten studiert, die mit den Anliegen der Bevölkerung ist. Einmal im Monat kommt jetzt im Fernsehen die Sendung "Aus der Präsidentschaft". Dort lädt der Präsident immer jemanden ein, der für die Probleme zuständig ist, die dem Volk am meisten zu schaffen machen. Das vorletzte Mal war es der Minister für Transport, das letzte Mal der für das Wasser zuständige Antonio Rodríguez Rodríguez. Die Sendungen beginnen jeweils damit, dass ihnen der Präsident vorliest, über was sich die Bevölkerung beklagt und der Gast tut gut daran, umfassend über alles informiert zu sein. Díaz-Canel sagte ihm gleich, dass von den im ersten Vierteljahr über siebentausend eingeholten Meinungen nur zehn Prozent sich positiv über die Arbeit des Instituts für Hydraulische Ressourcen und Wasserversorgung geäußert hätten. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, ins Detail zu gehen. Aber es wurde deutlich, dass das Problem der undichten Trinkwasser- und Abwasserleitungen so schnell nicht gelöst werden kann. Es bestehe zwar ein Plan dies bis 2030 zu schaffen, aber alles hängt eben von der Finanzierung ab und da sind wir wieder bei der Blockade. Allerdings sind bei der Wasserversorgung der Bevölkerung große Fortschritte erzielt worden. Dieses Institut ist die Einrichtung mit dem höchsten Energieverbrauch. Dadurch, dass teils durch Spenden, teils durch eigene Finanzierung neue Wasserpumpen erworben wurden, deren Motoren durch Solarenergie betrieben werden, konnte man schon viele Menschen an das Leitungssystem anschließen ,die bis dahin anderweitig versorgt werden mussten.

Im Widerstand wachsen
Auch das Prinzip, bei dem die wichtigsten Führer der Revolution jeden Monat alle Provinzen des Landes und jeweils eine andere Gemeinde besuchen, trägt zur Festigung der Einheit bei. Dabei gelingt es vielleicht irgendwann auch einmal, dass alle von den guten Arbeitskollektiven inspiriert, trotz Blockade, deren Effizienz erreichen und das jenes, was bis jetzt die Ausnahme ist, zur Regel wird. Dies gehört zum Konzept des kreativen Widerstands - nicht nur Widerstand zu leisten, um zu überleben, sondern dabei auch noch zu wachsen.


Ehrenamtliche Arbeit der Union der Jungen Kommunisten (UJC) in der Landwirtschaft. Die erste Aktion dieser Art führte Che Guevara im Jahr 1960 an.
Foto: UJC

Als drittes müssen die gesamten Maßnahmen umgesetzt werden, die die nationale Wirtschaft stabilisieren und anzukurbeln; Maßnahmen, die aber nichts mit Neoliberalismus zu tun haben, wie seitens der USA verkündet wird.
Eine vierte wichtige Priorität geht dahin, zusammen mit der Bevölkerung die negativen Tendenzen herauszufinden, die sich in diesen Zeiten der Wirtschaftskrise ausgebreitet haben und sie zu überwinden. Dies ist ein Prozess, der mit Parteimitgliedern begonnen wurde, und auf Gemeindeebene und in allen Arbeiterkollektiven fortgesetzt wird. Dass alles wieder wie früher wird, dass Kuba wieder ein Land, wird, in dem die formale Arbeit den Stellenwert einnimmt, der ihr zukommt und jeder der arbeitet, ohne Probleme von seinem Gehalt leben kann und das sozialistische Ideal einer Gesellschaft mit möglichst wenig Ungleichheit oberstes Ziel bleibt, das ist der Wunsch vieler..

Natürlich ist das "wie früher" nicht wörtlich gemeint. Die kubanische Gesellschaft hat sich natürlich geändert und entwickelt, nichts bleibt so wie es war. Wir haben eine neue Verfassung und ein neues Familiengesetz. Aber das, worauf es ankommt, muss erhalten bleiben. Und auch das muss jeden Tag neu erkämpft werden. Den Kubanern graut schon jetzt vor den Wahlen in den USA, wenn Trump möglicherweise wieder Präsident wird. Nicht dass Biden etwas getan hätte, das uns das Leben leichter macht. Aber er hat zumindest nicht jede freie Minute damit zugebracht, um zu überlegen, was man noch tun könnte, um dieses störrische Volk endlich zum Regime Change zu bewegen. Bei Trump - möglicherweise mit noch einem kubano-amerikanischen Vize - wird das dessen einziges Streben und Trachten sein.

Deshalb brauchen wir auch eine starke Solidaritätsbewegung. Die große Zahl wirklich junger Menschen aus allen Teilen der Welt beim diesjährigen Internationalen Solidaritätskongress in Havanna am zweiten Mai macht zuversichtlich. Es wird auch in kubanischen Medien und auf oberster Regierungsebene deutlich, wie sehr man das schätzt, was die Solidaritätsbewegungen tun und wie dankbar man ihnen ist.