Korruption – Korrosion

Von Luis Toledo Sande

Auch wenn man die Verwüstungen der Korruption in wirtschaftlicher Hinsicht erfassen kann, richtet sie den größten Schaden nicht in diesem Bereich an. Das erste Opfer der Korruption ist das Vertrauen. In einer Gruppe führt ein Diebstahl zu der Aussage: „Jetzt wissen wir alle, was passiert ist“, und selbst wenn man weiß, wer der Dieb gewesen ist, kann ein schrecklicher Zweifel in der Luft hängen bleiben: „Ist er wohl der einzige?“

Es ist ein Gemeinplatz zu sagen, dass derjenige, der in ein bewohntes Haus einbricht, bereit ist zu töten – sprich: zu morden – wenn er sich entdeckt fühlt. Im Allgemeinen ist ein korrupter Mensch ein Mörder, der damit beginnt, das Vertrauensverhältnis zu anderen Menschen zu erstechen. Wenn dies so ist, auch wenn nur wenige Opfer seiner Taten geworden sind, was soll man dann sagen, wenn es sich um die Gesamtheit eines Volkes handelt? Oder – um nicht zu übertreiben oder naiv zu sein – um die Mehrheit, denn es gibt offensichtlich immer auch diejenigen, die von dem Diebstahl profitieren. Und das Misstrauen wächst, wenn die Untaten der Korrupten erst nach langer Zeit bekannt werden oder wenn sie nicht in vollem Umfang bestraft werden.

„Wer hat ihn wohl begleitet und ihm bei seinen Untaten geholfen?“ ist eine Frage, die zu einer weiteren führt: „Wo waren die Leute, die ihn von seinen Verbrechen abhalten sollten, und was haben sie getan? Ohne in unverantwortliche Spekulationen zu verfallen, steht fest, dass die korrupte(n) Person(en) nicht in einer abgeschiedenen Welt leben und auch nicht in Einsamkeit agieren, auch wenn ihre Lebensumstände dies vermuten lassen könnten.

Es fällt schwer, die Jahre zu vergessen, in denen man, wenn jemand versuchte, gegen die sogenannte Kleinkorruption – die Art von Korruption, die „nicht über die Knöchel hinausgeht“, obwohl der Wundbrand von den Knöcheln bis zum Kopf reichen kann – anzukämpfen oder sie einfach anzuprangern, ihm sagte, dies sei nicht der richtige Zeitpunkt. Es wurde argumentiert, dass es dringendere Angelegenheiten gäbe – ganz zu schweigen von der unausgesprochenen Idee, dass die Menschen schließlich überleben müssten. Oder es wurde argumentiert, dass der Feind die Realität und die entsprechende Denunziation ausnutzen könnte – ein schreckliches und sogar berechtigtes Schreckgespenst, aber eines, vor dem man sich nicht lähmen lassen sollte.

Es gibt keine feindliche Propaganda, die schädlicher und sogar tödlicher ist als die eigenen Verzerrungen, auch wenn man sie als geringfügig ansieht. Dieselbe verbrecherische Blockade, die Kuba strangulieren will, um es wieder unter das imperialistische Joch zu bringen, findet in diesen Deformationen, Unzulänglichkeiten oder Fehlern, wie auch immer man sie nennen will, eine objektive Stütze.

Wer den Weg der Korruption wählt – um es deutlicher zu sagen: den Diebstahl und andere Vergehen oder Verbrechen, die oft mit Euphemismen vertuscht werden –, ist auf dem Weg des Antisozialen. Was auch immer er zu sein vorgibt und welche Position er einnimmt, er lebt in Wirklichkeit in Rebellion gegen die Gesellschaft, die wir auf ethischen und gerechten Grundlagen aufzubauen versuchen. Selbst wenn er sich nicht bewusst ist, dass er zu ihnen gehört, so ist er doch ein Komplize der erbittertsten Feinde der Nation: Er ist im Grunde einer von ihnen.

Mangelnde Kontrolle führt zu Illegalität und Korruption
Grafik: JORGE / Granma

Der historische und ständige Anführer, der Líder der Revolution, alles andere als ein Theoretisierer oder ein Vertreter der Perestroika- Bande, war ausnehmlich weitblickend, und das besonders in dem Moment, als er uns davor warnte, dass es nicht unsere äußeren Feinde seien – der mächtige US-Imperialismus und seine Verbündeten, Komplizen und Lakaien, welche uns vernichten könnten. Selbst wenn man den Wert der Beteiligung der Massen an der Verteidigung des Landes anerkennt, wäre es natürlich unklug anzunehmen, dass die Möglichkeit der Zerstörung des Landes von innen allen Menschen gleichermaßen zukommt. Es gibt Abstufungen der Verantwortung und der Schuld.

Die kollektive Moral ist ein unverzichtbarer Pfeiler für die ethische Stärke – die Stärke als solche – der Nation; aber es gibt diejenigen, die aufgrund ihrer Funktionen, ihrer Autorität, ihrer Stellung in der sozialen und hierarchischen Struktur des Landes Mittel anhäufen, die dazu verwendet werden können, sie zu zerstören. Der Erste Sekretär des Zentralkomitees der Partei und Präsident der Republik Kuba hat kürzlich in einer Erklärung, die auf den Lehren des Comandante aufgebaut war, unter Bezugnahme auf einen Korruptionsfall, der gerade untersucht wird, gesagt: „Je höher das Vertrauen ist, das in einen Kader gesetzt wird, desto rigoroser und unnachgiebiger wird solcherlei Handlungen nachgegangen“.

Wir sollten uns nicht von irrationalem Misstrauen anstecken lassen, und noch weniger von Meinungen und Kampagnen, die zwar unterschiedliche Ursprünge und Ziele haben mögen, aber in ihrem Schaden übereinstimmen. Wir sollten andererseits unsere Augen nicht vor der Einsicht verschließen, dass Korruption über den Bereich der mittleren Funktionsträger hinausgehen kann. So weit, dass sie nicht bis zu den Knien oder Schultern der Nation, sondern bis zu ihrem Kopf reichen kann.

Jede Kontrolle ist noch zu wenig auf dem Weg, das Unheil zu verhindern, zu dem dieser Weg führen kann. Die Kontrolle sollte ein Instrument sein, um die Ethik zu stärken und die Korruption – das Korrupte – in ihren Anfängen zu entdecken, und nicht erst dann, wenn das Übel bereits ein ernstes Stadium erreicht hat und in der Lage ist, Metastasen zu bilden. Wenn es nicht sogar schon einen Schritt weiter ist.

Bei den Kontrollmechanismen müssen die Auswüchse der Subjektivität in Schach gehalten werden, aber es ist unerlässlich, auf die Sensibilität des Volkes zu achten, das weiser ist als viele einzelne Weisen und durch Institutionen, Strukturen und Behörden, so wichtig sie auch sein mögen, nicht zu ersetzen ist. Das Ohr an der Erde haben, ist ebenso unerlässlich.

Es ist eine Sache, Maßnahmen zu verteidigen und anzuwenden, die nicht gerade mit dem sozialistischen Eifer übereinstimmen, aber in einem bestimmten Kontext notwendig sind, um den Sozialismus zu retten, oder von denen man es zumindest annimmt. Eine ganz andere ist es, ein begeisterter Förderer von Übeln zu werden, wie jenes, was Stimmen des Volkes – und nicht gerade wenige – für einen Privatisierungswahn halten. Ist ein solcher Enthusiasmus immer zufällig? Sollte er als naiv und anständig betrachtet werden? Sollte man von vornherein ausschließen, dass es dort Zusammenhänge gibt, von denen es notwendig ist, dass Kuba sich von ihnen befreit?

Die ruhige und sogar inbrünstige Behauptung, die Privatisierung sei Teil der Lösung und nicht Teil des Problems, kann eher einen Schritt in Richtung des Problems bedeuten als in Richtung der Lösung. Wenn der Funktionär oder die Führungskraft dann auch noch schmunzelnd sagt, dass „wir von Tag zu Tag lernen“, hat das Volk das Recht Folgendes zu Bedenken zu geben: Nach jahrzehntelangen Experimenten und Versuchen sollte man unvermeidlicher weise Grundlegendes gelernt haben und voraussehen können, was das Streben nach sozialer Gerechtigkeit befördert und was sie untergräbt.
Auf diesen Punkt hat der Autor dieses Artikels vor einigen Monaten in einem anderen Artikel im Portal Cubaperiodistas unter dem Titel „El raro encanto del equilibrio“ (Der seltene Charme des Gleichgewichts) hingewiesen, weshalb er diesen Punkt heute nicht länger ausführen möchte. Aber er fragt sich, ob die Privatisierungswut so weiter gegangen wäre, wenn der Korruptionsfall nicht zu diesem Zeitpunkt aufgedeckt worden wäre, und zwar mit all ihren Exzessen, die die Menschen anprangern und unter denen sie leiden.

Was auf dem Spiel steht, was in Gefahr ist, ist viel mehr als ein Plan von Maßnahmen, auf die man alles gesetzt hat, die aber kontrolliert werden müssen. Angesichts der herzzerreißenden Wirklichkeit auf Kuba ist es dringend notwendig, alle unsere Sinne einzusetzen – alle, vielleicht nicht nur den sechsten –, um zu verhindern, dass die Nation auseinandergerissen wird und die Ideale der Gerechtigkeit, die dem kubanischen Experiment die Unterstützung des Volkes eingebracht haben, untergraben werden. Oder jener Mehrheit, die so viele Anstrengungen unternommen, so viele Opfer gebracht und so viele Entbehrungen auf sich genommen hat, in ihrem Streben nach einer grundlegenden Umwälzung, die tägliche Verbesserungen und ein lebenswertes Leben gewährleistet,

Und dies, ohne jene Hoffnung, die einst José Marti erfüllte und deren Erbe später der Comandante Fidel Castro übernahm, jemals aufzugeben:
Das Erreichen einer allumfassenden Gerechtigkeit.